Die Verdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger mit den herrschenden Politikern hat in Europa ein Ausmaß angenommen, das die Gründung neuer Parteien enorm begünstigt. In Italien erfreut sich der einstige Komiker Beppe Grillo mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung, die für einen Euro-Austritt und die Rückkehr zur Lira eintritt, immer noch großer Beliebtheit – obzwar sich längst deutlich abzeichnet, dass dieser Mann einfach nicht ernst zu nehmen ist.
[[image1]]In Österreich leistet sich der greise Milliardär Frank Stronach nicht bloß eine inzwischen schon heillos zerstrittene Neo-Partei, sondern auch das Vergnügen, die rot/schwarze Koalition mit billigen Polit-Absurditäten vor sich her zu treiben – etwa mit der Idee, eine Volksabstimmung zum Comeback des Schilling durchzuführen. Damit befindet sich Stronach in schlechtester Gesellschaft mit HC Strache.
Das immer größer werdende Misstrauen der Wählerinnen und Wähler in den Euro sorgt dafür, dass die Anti-Euro-Populisten in ganz Europa leichtes Spiel haben: Die Sphalanx jener, die gegen die gemeinsame Währung unentwegt Stimmung machen, reicht von der rechten „Front National“ über die „PVV“ in den Niederlanden bis zur „Partei der Wahren Finnen“, die es immerhin bereits zur drittstärksten Kraft im Parlament geschafft haben. Der Parole „Raus aus dem Euro“ fühlt sich neuerdings auch eine – obzwar mit den genannten Gruppierungen nicht vergleichbare – Neo-Partei in der Bundesrepublik verpflichtet: Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) will damit ihr Glück bei der Bundestagswahl im September versuchen. Die neue Gruppierung, die am 14. April im Berliner Intercontinental ihren Gründungsparteitag zelebrierte, vertritt die Auffassung, dass die Bundesrepublik in der schwersten Krise ihrer Geschichte steckt. Sie mag zwar die europäische Integration, bejaht ein Europa aus souveränen Staaten und findet auch den europäischen Binnenmarkt ganz okay – der Euro müsse jedoch weg, weil sich seine Einführung als „fatale Fehlentscheidung“ erwiesen habe.
Die AfD fordert folglich „eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes“ und die Wiedereinführung nationaler Währungen bzw. „die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde“ – so genau weiß sie das noch gar nicht. Klar sei jedenfalls, dass Merkel & Co. über den Euro nur Lügen-Märchen verbreiten, weshalb es gelte, „die Zwangsjacke der erstarrten Altparteien zu sprengen“ und gegen „die erschreckende Degeneration des deutschen Parlamentarismus“ anzukämpfen. Deutschland müsse, heißt es im bloß vierseitigen Parteiprogramm, weitere Hilfskredite des ESM möglichst bald mit seinem Veto blockieren, und die maroden Südländer sollten die Eurozone endlich verlassen und künftig sich selbst überlassen bleiben. Die junge Partei glaubt allen Ernstes, dass es dann in Europa weniger Spannungen, neue wirtschaftliche Perspektiven und wieder mehr sozialen Frieden gäbe – wohl ein fataler Trugschluss.
Ein plakatives Programm reicht nicht
Die deutschen Alternativen verstehen sich jedenfalls weder als rechts noch als links, möchten also kein ideologischer Wegweiser sein, sondern fühlen sich lediglich dem gesunden Menschenverstand verpflichtet. Als wichtigste Unterstützer werden auf ihrer Homepage derzeit 83 großteils – zumindest in Österreich – weithin unbekannte, doch auf den ersten Blick durchaus ernst zu nehmende Herrschaften angeführt; darunter gleich mehrere Anwälte, Volkswirtschafter und Journalisten, aber auch ein Filmemacher, ein Orthopäde, ein Chemiker und ein Erziehungs-wissenschafter, ein Steuerberater, ein Verbraucherschützer, ein Bauunternehmer sowie ein Theologe. Die prominentesten Alternativler sind am ehesten Hans-Olaf Henkel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie a.D., Ulrich Blum, früher Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, sowie Dieter Spethmann, Ex-Vorstandschef der Thyssen AG. Als Sprecher – sprich: Vorstände – der Bewegung fungieren seit einer Woche der Hamburger Universitätsprofessor Bernd Lucke, die Unternehmerin Frauke Petry und der Publizist Konrad Adam. Nach einem gestandenen Berufspolitiker, dem das Metier halbwegs vertraut wäre, sucht man ebenso vergeblich wie nach hauptberuflichen Mitarbeitern.
Dennoch: Die sendungsbewusste Amateur-Truppe, die innerhalb von drei Wochen mehr als 5.000 Mitglieder rekrutiert hat, konnte anderen politischen Gruppierungen – darunter den Freien Wählern Berlin – bereits hochrangige Funktionäre und Sympathisanten abwerben. Freilich muss sie auch schon so manche Troubles bewältigen, etwa das Parteiaus-schlussverfahren gegen ein Mitglied mit NPD-Vergangenheit. Ihr plakatives Programm, das mit Rechtsradikalismus gar nichts am Hut hat, enthält zwar so manche No-na-Formulierung, die eigentlich jeder blindlings unterschreiben kann (z.B. „Wir fordern, die Schuldenbremse zu achten und die Schuldenberge abzubauen“ oder „Wir fordern eine drastische Vereinfachung des Steuerrechts“) – alles in allem haftet ihm jedoch ein krasser Retro-Look an. Die deutschen Alternativen wollen mannigfaltige Vorteile, die der EU zu verdanken sind, einfach ignorieren, halten offensichtlich nichts von Werten wie Solidarität und plädieren vielmehr mit knalligen Botschaften dafür, die Uhren im europäischen Einigungsprozess zurückzudrehen. Dabei versäumen sie es allerdings gefließentlich, auf die unliebsamen Konsequenzen ihrer Denkmodelle und Vorschläge zu verweisen, also dem Volk auch die drohenden Nachteile transparent zu machen. Kernpunkte wie das Aus für den Euro oder die Rückverlagerung von Gesetzgebungskompetenzen an die nationalen Parlamente sind für eine bestimmte Wählerklientel – primär die total Frustrierten – immer attraktiv: Im Augenblick outen sich laut Umfragen schon fünf Prozent der Deutschen als AfD-Anhänger, genau so viele also wie Sympathie für die FDP zeigen.
So viel ist sicher: Dank der alternativen Offensive wird die allgemeine Verunsicherung beim Thema Euro bis zum Wahltermin im Herbst noch beträchtlich zunehmen. Denn trotz der ohnedies spannungsgeladenen Stimmung großer Bevölkerungsteile wird noch Öl ins Feuer gegossen. Und genau das ist das Kontraproduktive, das Schlimme an fast allen neuen Parteien, die dem politischen Establishment mit einem häufig kongenialen Mix aus Populismus und Opportunismus den Kampf ansagen: Sie erwecken den Eindruck, als ob sie alles besser wissen als die Parteien an der Macht und ihre ach so wunderbaren Ideen problemlos umsetzen könnten. In der Praxis stellt sich dann meist rasch heraus, dass neue Kleinparteien mangels erforderlicher Strukturen, auch wegen unzureichender Finanzausstattung und insbesonders auf Grund undurchdachter Konzepte herzlich wenig zu Stande bringen.
Ein passendes Beispiel hierfür ist die deutsche Piraten Partei, die sich seit Jahren vorrangig auf Themen wie Atomausstieg, Drogenpolitik oder Mindestlohn konzentriert, dafür aber wenigstens die EU und den Euro in Ruhe lässt: Sie konnte zwar bislang in vier von 16 Landesparlamenten 45 von 506 Mandaten gewinnen, aber eine ernsthafte politische Kraft in Deutschland ist sie nicht geworden. Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass der „Alternative für Deutschland“ ein ähnliches Schicksal blüht – weil sie in Wahrheit keine echte Alternative ist …