Immer mehr Verzweifelte verlassen Europas Krisenländer Richtung Deutschland, Österreich und Schweiz. Fünf (ordo-)liberale Wege aus Europas sozialer Krise.
[[image1]]Elf Prozent aller Europäer waren im Mai 2013 arbeitslos gemeldet[1]. In Spanien und Griechenland waren es 27%, in Italien immerhin noch 12,2%. Besonders schlimm trifft es dabei die Jugend in den Krisenländern. Fast Vollbeschäftigung herrscht hingegen in der Schweiz (3,6%), in Österreich (4,4%) und in Deutschland (5,2%). An dieser Spreizung lässt sich Europas Krise – aber auch seine Chancen – ablesen.
Chance Eins: Anglosächsisches System „dual-isieren“
Das anglosächsische Bildungssystem (das auch in Südosteuropa vorherrscht), ist kolossal gescheitert. Es hat nur eine kleine Elite hervorragend ausbildet und die große Mehrheit dafür gar nicht – ihnen nur Jobs als angelernte Arbeiter oder einfache Dienstleister zugedacht. Konträr dazu hat das deutschsprachige, „duale System“, mit der doppelten Ausbildung in Berufsschule und Betrieb seine Arbeiterschaft in die Mittelschicht hinauf-befördern können.
Facharbeiter-Jobs sind krisenfester, weil sie auch höher qualifizierte Aufgaben erfüllen können. Ihre Produkte können nicht so ohne weiteres von süd- und ostasiatischen Arbeitern übernommen werden.
Und während anglosächsische Fabriken ihren Führungsnachwuchs lediglich aus einem kleinen elitären (und teuren) akademischen Mitarbeiterpool rekrutieren können, drängen in deutschsprachigen Unternehmen hochqualifizierte Meister zu Haufe aus dem technischen Mittelbau empor. Da sticht „Made in Germany“ „Made in England“.
Industrie-Verlagerung nach Fernost
Die geringe Qualifikation seiner Arbeiterschaft ist der Hauptgrund, warum England und Amerika heute beinahe de-industrialisiert sind. Lediglich staatsnahe Industrien (wie Rüstung) oder standortgebundene (wie Kernkraft) können sich noch halten.
Die Arbeiterschaft der Schweiz zählt zur teuersten der Welt. Aufgrund ihrer technischen Ausbildung ist sie aber auch am produktivsten. Dies ist der Grund, warum Red Bull ohne mit der Wimper zu zucken Fabriken in der Schweiz aufsperrt – aber nicht in südosteuropäischen Billigstandorten.
Das besonders marktnahe „duale Ausbildungssystem“ muss auf ganz Europa ausgedehnt – und massiv finanziert – werden.
Chance Zwei: Universitäten marktfähig machen
52.000 Spanier werden 2013 ihre Heimat verlassen haben, 35.000 waren es 2009. Geradezu eine Katastrophe bahnt sich im kleinen Portugal an; 41.000 (!) werden heuer „Adeus!“ sagen (2009: 18.000)[2].
Erinnert sich niemand mehr an die Anwerbung türkischer und portugiesischer Gastarbeiter in den 1960ern? Erst ihre Arbeitskraft hatte das Wirtschaftswunder „Schwarz-Rot-Gelb“ ermöglicht. Die Rückwanderung von nun höher-motivierten und -qualifizierten hat zur Industrialisierung der Auswanderer-Länder beigetragen. Viel zu spät haben Deutschlands Arbeitsämter (heuer erstmals) begonnen, auch EU-Bürger an offene Positionen in der heimischen Industrie zu vermitteln.
Chance Drei: „Tu felix Europa, nube!“
Neben der positiven Allokation des „Faktors Arbeit“ führt die steigende Wanderungsbewegung auch zur Vermischung von Europas Völkern: Den vorwiegend „jungen“ spanischen und griechischen Einwanderern nach Deutschland stehen „ältere“ Deutsche gegenüber, die in Spanien oder Griechenland ihren Lebensabend verbringen wollen. Die steigende Zahl „junger“ Zuwanderer aus Südosteuropa wird durch „ältere“ (pensionierte) türkische Rückwanderer ausgeglichen.
Eine gemeinsame Währung kann nur funktionieren, wenn die Bürger aller Währungsstaaten über eine „ähnliche Mentalität“ verfügen. Europa hatte sich bereits nach 44 Jahren[3] für einen solchen Schritt entschieden – Amerika erst nach 137 Jahren[4]. Die fehlenden 93 Jahre könnte Europa durch eine schnellere Durchmischung über einen „innergemeinschaftlicher Arbeitsmarkt“ nun aufholen.
Chance Vier: Philosophen zu Informatikern
„Jede fünfte technische Stelle kann nicht adäquat nachbesetzt werden!“[5], weiß der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch. Laut Focus fehlen in Deutschland 100.000 Ingenieure, 8,5 Milliarden Euro an Wertschöpfung gingen so verloren[6].
Es waren die Fehlentwicklungen des akademischen Bildungsangebotes in den heutigen Krisenländern, die diese erst zu solchen werden ließen. Bisher hatte die berufliche Verwertbarkeit eines Studiums für Griechen, Portugiesen oder Spaniern nur ausnahmsweise eine Rolle gespielt – während der kreditfinanzierten Boom-Jahre wurden Tausende Philosophen und Soziologen vom Staatsdienst jährlich anstandslos absorbiert.
Als die Kreditlinien ausgeschöpft waren und die Staatseinnahmen nicht mehr ausreichten, um jedem vierten Bürger ein angenehmes Leben in einer gekühlten Amtsstube zu ermöglichen, wurde die Bildungsmisere offensichtlich.
Natürlich kann man Philosophen nicht zu Maschinenbauern umschulen. Aber gerade bei den gern gewählten „Orchideen-Fächern“ könnten Anleihen beim US-System nicht schaden. Auch Amerikaner studieren gerne Archäologie und Soziologie – allerdings müssen solche Schwerpunkte um zahlreiche Stunden aus wirtschaftlichen oder technischen Fächern ergänzt werden. Was den Absolventen ihre Integration in den Arbeitsmarkt später ungemein erleichtert.
„Die Presse“ lebenslange abonnieren?
Würden Sie eine Zeitung abonnieren, wenn Sie diese dann Ihr Leben lang beziehen müssten – beziehungsweise im Falle einer Stornierung dann vier Jahresraten Strafe zahlen müssten? Nein? Warum sollten Spaniens oder Griechenlands Unternehmer aber ihre Mitbürger anstellen, wenn sie diese dann nur unter ebensolchen Bedingungen wieder kündigen könnten? Der Sündenfall passierte in den 1970ern.
Chance Fünf: Arbeitsmarkt liberalisieren
Damals hatten Südeuropas sozialistische Gewerkschaften durchgesetzt, dass Arbeitnehmer nur nach Zahlung mehrerer Jahresgehälter entlassen werden konnten. Als Folge blieben ganze Generationen vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen und wurden in die Schattenwirtschaft abgedrängt. Den Staaten entgingen Hunderte Milliardenbeträge Euro an Steuergeldern, die Kaufkraft dieser Staaten blieb gering.
Die Statistik ist da mehr als eindeutig: Länder mit stark regulierten Arbeitsmärkten haben hohe Arbeitslosenzahlen (SP, P, I, F, GR), solche mit liberalisierten Märkten (D, Ö, CH, NL und Dänemark) haben geringe.
Natürlich tragen Währungs- und Schuldenkrise die Hauptschuld an Europas misslicher Situation. Sie haben die jetzige Krise aber bloß ausgelöst. In Wahrheit handelt es sich um eine massive Strukturkrise, die Experten schon vor 20 Jahren aufkommen sahen. Offensichtlich ist der Mensch aber erst im Angesicht des Untergangs bereit, Weichen neu zu stellen.
[1] Saisonbereinigt nach Eurostat 2013/Statista 2013
[2] Auswanderung aus Krisenländern, INE, IOM 2013
[3] Vom Inkrafttreten der römischen Verträgen 1958 bis zur Einführung des Euro 2002
[4] Von der Unabhängigkeitserklärung bis zur Federal Reserve Act 1913
[5] „Gut bezahlte Jobs, die keiner haben will“, Die Presse, 28.6.2013
[6] Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW), In: Focus, 15.3.2012
Bild: Thorben Wengert/PIXELIO/©www.pixelio.de