In Brüssel beginnt man sich in Hinblick auf die nächste Legislaturperiode der EU-Kommission aufgrund von Berechnungen der Wählerströme für die nächstjährigen EU-Wahlen mit dem Ende der schwarz-roten Koalition anzufreunden.
Bislang haben sich die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) die Vergabe der wichtigsten Ämter von der Kommission über den Rat bis zum Parlament untereinander ausgemacht. Es war gewissermaßen eine Art Große Koalition, die die beiden mächtigsten der insgesamt sieben Fraktionen bildeten. Von den 751 Mandaten entfallen zurzeit 221 auf die EVP und 191 auf die SPE. Auf den Plätzen folgen der Reihe nach die Konservativen mit 70, die Liberalen mit 67, die Linken mit 52, die Grünen mit 50 und die so genannten Rechts-Populisten beziehungsweise EU-Skeptiker mit 48 Sitzen – wozu auch die FPÖ zählt – im Parlament. Das Schlusslicht bilden die so genannten fraktionslosen Mandatare. Sie haben praktisch nichts zu reden.
Schwarz-rote Koalition vor Mehrheitsverlust
Es ist nicht nur der Brexit, der mit dem Ausscheiden britischer Parteien, so vor allem der Konservativen, für eine Neuordnung der Fraktionen sorgen wird. Geht es nach den aktuellen Berechnungen zum möglichen Stimmverhalten, dann dürften EVP und SPE ihre derzeitige Mehrheit von 421 Sitzen im Parlament verlieren. Die Volksparteien rechnen mit Verlusten in Italien, Spanien und Frankreich, werden aber den ersten Platz behalten. Die Sozialdemokraten bekommen es mit ihrer europaweiten Krise zu tun und befürchten sogar, ihren derzeitigen zweiten Platz zu verlieren.
Wohin wird sich Macron wohl wenden?
Spannend wird es, wie es mit den anderen Fraktionen weitergeht. Die Grünen erhalten zwar derzeit Aufwind aus Deutschland, sind darüber hinaus – siehe Österreich – aber eher mit einem Negativ-Trend konfrontiert. Die Liberalen gelten als allgemein stabil, sie würden sich eine Stärkung durch den Beitritt der politischen Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron erhoffen. Dieser hat sich bis dato allerdings nicht deklariert, spekuliert mit einer eigenen Fraktion und sucht nach möglichen Partnern. Die Linken dürfte ein Minus erwarten. Bleiben noch die EU-Skeptiker und Populisten.
Mögliche Spaltung der Populisten
In diesem Bereich tut sich derzeit einiges. An sich rechnet man mit einem Zuwachs der Stimmen und Abgeordnetensitze der Parteien von der AfD über die Lega bis hin zur FPÖ. Allerdings zeichnet sich kein Zusammengehen des gesamten Spektrums ab, sondern eine Zweiteilung. Nämlich in einen rechten und einen eher linken Flügel. So hat die italienische Cinque Stelle bereits angekündigt, in keine Fraktion einzutreten, in der auch deren römischer Koalitionspartner Lega vertreten ist.
Vierer- statt Zweier-Koalition
Um eine regierungs- und handlungsfähige Kommission aufstellen zu können, wird es daher wohl darum gehen, ab Herbst 2019 eine Mehr-Parteienkoalition zu bilden. In Brüssel ist in diesem Zusammenhang sehr offen davon die Rede, dass sich wohl die vier Pro-Europa-Fraktionen zusammenschließen. Also EVP, SPE, Liberale und Grüne. Damit freilich wird es spannend, welche Partei in der nächsten Legislaturperiode die wichtigsten Positionen stellen wird. Allen voran den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Jean Claude Juncker. Und dabei fällt neuerdings immer öfter der Name der dänischen EU-Kommissarin und sozial-liberalen Politikerin Margrethe Vestager.
Weber als Parlamentspräsident
Wenngleich er einer der ersten war, der sich selbst als europäischer Spitzenkandidat der Volksparteien ins Rennen schickte, nämlich der CSU-Politiker und EVP-Fraktionsführer Manfred Weber, so wird er für den Kommissionspräsidenten nicht als aussichtsreicher Kandidat gehandelt. Was übrigens auch damit zu tun hat, dass man den Einfluss der Deutschen etwas zurückdrängen will. Dafür hat Weber aber alle Chancen Präsident des Europäischen Parlaments zu werden, das schon seit geraumer Zeit darauf drängt, mehr Rechte auch im Verhältnis zur Kommission und um Rat zu erhalten. Dass Weber nach Bayern zurückgeholt wird, um die nach dem bayerischen Wahlsonntag wahrscheinlich durchgeschüttelte CSU wieder auf Vordermann zu bringen, wird nicht gerechnet.
Timmermans zeigte die Aussichtslosigkeit von Kern
Interessant ist auch die Entwicklung bei der SPE. Dass sich der Slowake Maros Sefcovic vor kurzem als sozialdemokratischer Spitzenkandidat ins Gespräch brachte, war nicht mehr als ein kurzes politisches Wetterleuchten. Die besten Chancen hat zweifelsfrei der Niederländer Frans Timmermans. Noch dazu, wo er derzeit Junckers Vize-Präsident, vielsprachig ist und sich aufgrund seines Ansehen innerhalb der EU auch Hoffnungen auf den Kommissionspräsidenten macht. Timmermans Antreten macht jetzt auch erklärlich, warum sich Christian Kern so schnell zurückzog. Weil er gegen ihn auf europäischer Ebene bei den Sozialdemokraten keine Chance gehabt hätte.