Mittwoch, 13. November 2024
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Faßmann: „Lehrkräfte sollen sich wieder verstärkt auf das Unterrichten konzentrieren können“

Bild © CC pixabay DariuszSankowski (Ausschnit)

Überforderte Kinder, frustrierte Lehrer und unzufriedene Studenten. Seit Jahren müht sich die Politik mit den zahlreichen Problemen im Bildungswesen. Im Gespräch mit der EU-Infothek erläutert Bildungsminister Heinz Faßmann, wo die neue Bundesregierung den Hebel ansetzen will.

Man hat den Eindruck, das Thema Bildung ist in Österreich eine Dauer-Baustelle, eine Änderung folgt der nächsten. Warum ist kein politischer bzw. gesellschaftlicher Konsens darüber möglich, wie die bestmögliche Bildung für unseren Nachwuchs gestaltet sein soll?

Der Bildungsbereich ist sehr stark emotional besetzt ist. Jeder hat oder hatte etwas mit Schule zu tun – und es ist genau wie beim Fußball: da gibt es sehr viele Trainer und bei der Schule gibt es sehr viele Schulmeister. Ich habe mir vorgenommen, ein bisschen mehr Rationalität in die Schuldiskussion zu transportieren. Konsens ist aber schon möglich, das zeigt zum Beispiel die Bildungsreform mit den Bereichen Schulautonomie und Schulverwaltung. Wenn man sich das anschaut und ein klein wenig die österreichische Geschichte des Bildungswesens kennt, ist das eine enorme Verbesserung.

Der Anteil jener Schüler in Österreich, die nach der 9. Schulstufe nicht ausreichend sinnerfassend Lesen können, ist mit einem guten Drittel erschreckend hoch. Wie kann und muss man hier Abhilfe schaffen?

Ganz klar mit der Einführung der Bildungspflicht, die für mich hohe Priorität hat. Wir hören immer wieder Klagen aus der Wirtschaft, dass ein signifikanter Anteil der Pflichtschulabsolventen die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen nicht so beherrscht, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich platziert zu werden. Statt der neunjährigen Schulpflicht soll daher das nachweisbare Erlangen von Kompetenzen am Ende der Schulzeit stehen. Fehlen die Kompetenzen, muss es Fördermaßnahmen geben.

 Die kürzlich von ihnen präsentierten Deutschförderklassen für Kinder, die Sprachdefizite aufweisen, werden von Kritikern als „Ghettoklassen“ bezeichnet. Was halten Sie dem entgegen?

Das vorgelegte Modell ist sehr ausgewogen und durchdacht. Es betrifft vor allem jene, die frisch nach Österreich kommen – die Quereinsteiger. Nehmen wir einen 10-jährigen Buben aus Syrien als Beispiel, der kein Wort Deutsch spricht. Es wäre nicht sinnvoll, ihn in eine Klasse zu geben, wo er kein Wort versteht. Das kann nicht gut gehen. Die Deutschförderklasse ermöglicht ihm, rascher und effektiver in die deutsche Sprache zu erlernen, um auch rascher dem Unterricht folgen und gut vorbereitet in das Regelschulsystem einzutreten zu können. Niemand erwartet von ihm, dass er Deutsch wie Goethe spricht. Aber es soll ausreichend sein, um dem Unterricht folgen zu können und Unterhaltungen mit Mitschülern führen zu können. Mittlerweile ist mein Eindruck, dass die Zustimmung zu diesen Maßnahmen größer ist als die kritischen Stimmen.

Zusätzliche verbale Beurteilung weiterhin möglich

Bild © Martin Lusser

Die neue Bundesregierung hat als eine der ersten Maßnahmen die Wiedereinführung der Noten in der der ersten bis dritten Klasse angekündigt. Erwarten Sie sich davon positive Auswirkungen auf den Lernerfolg, oder geht es hier lediglich ums Prinzip?

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Leistungen auf übersichtliche Weise wieder vergleichbar dargestellt werden. Es besteht auf jeden Fall die Möglichkeit, dass die Lehrer ihre Schüler – zusätzlich zu den Schulnoten – auch weiterhin verbal beurteilen können.

 Sie wollen die Regelungen für das Schulschwänzen verschärfen. Die SPÖ kritisiert, dass man mit höheren Strafen vor allem Familien aus schwierigen sozialen Verhältnissen trifft?

Ich habe die gültige Verwaltungsstrafe bewusst unverändert gelassen. Dennoch sprechen manche von einer „Verschärfung“. Bitte zuerst den Vorschlag lesen, bevor ritualhaft kritisiert wird. Mir geht es darum, den Schulleitungen eine praktikablere Handhabung der Beurteilung zu ermöglichen, wann eine Schulpflichtverletzung auftritt.

PISA-Tests nicht überbewerten

Können Sie das Wort PISA noch hören?

2018 beginnt der insgesamt dritte PISA-Erhebungszyklus mit dem Schwerpunkt Lesen. Ich bin natürlich schon gespannt, wie die Ergebnisse ausfallen.

Wie wichtig sind Ihnen diese internationalen Vergleiche und was können wir von Ländern, in denen die Schüler beim PISA-Test besser abschneiden, lernen?

Es ist eine wichtige Momentaufnahme, die man nicht überbewerten soll. Vergleiche mit anderen Ländern sind oft schwierig, da jedes Land andere Voraussetzungen und auch anderen Herausforderungen hat. Aber dennoch sind Vergleichsmessungen wie PISA wichtige Auslöser von Nachdenkprozessen.

 In der Vergangenheit sind geplante Änderungen im Schulwesen oftmals auf großen Widerstand der Lehrergewerkschaft gestoßen. Wie ist Ihr Verhältnis zur Standesvertretung der Lehrer, gibt es in den meisten Bereichen Übereinstimmung?

Ich bin mit der Lehrergewerkschaft in gutem Kontakt. Natürlich haben wir nicht zu allen Themen die gleiche Meinung, das liegt in der Natur der Sache. Aber ein regelmäßiger Austausch ist wichtig und zeigt andere Perspektiven auf.

Warum sind die Burn-Out-Raten von Lehrern im Vergleich zu anderen Berufsgruppen so hoch und wie kann man dem entgegenwirken?

Durch den Job meiner Frau, die selbst Lehrerin ist, und auch aus den vielen Gesprächen mit Pädagoginnen und Pädagogen bekomme ich natürlich mit, wie anspruchsvoll diese Tätigkeit ist. Mit viel Engagement unterrichten Lehrerinnen und Lehrer tagtäglich unter nicht immer einfachen Bedingungen in den Klassenzimmern dieses Landes und unterstützen Schülerinnen und Schüler bei ihrer Bildungslaufbahn. Wie im Regierungsprogramm verankert, müssen ihre Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert und vor allem der Administrationsaufwand minimiert werden. Das ist mir auch persönlich ein sehr großes Anliegen. Lehrkräfte sollen sich wieder verstärkt auf Ihre Kernaufgabe – das Unterrichten – konzentrieren können. Das bringt meiner Meinung nach eine gewisse Entlastung.

Ist die digitale Ausstattung an den heimischen Schulen ausreichend?

Es ist eine wichtige Aufgabe der Schule, die jungen Menschen gut auf die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, vorzubereiten und ihnen jene Kompetenzen und Skills zu vermitteln, die sie befähigen, die Zukunft aktiv mitzugestalten und ein selbstbestimmtes privates und berufliches Leben zu führen. Der kritische und reflektierte Umgang mit Information und Daten ist dabei ebenso wichtig, wie Innovationskraft, analytisches Denken und kreatives Problemlösen. Wir bemühen uns darüber hinaus, unsere heimischen Schulen auch bestmöglich auszurüsten und mit den neuesten Entwicklungen mitzuhalten. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen und ist von den zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängig.

Zugangsregegelungen an Unis hatte positive Auswirkungen

Die Einführung von Studiengebühren hat für Proteste bei Studenten gesorgt. Wie lässt sich diese Maßnahme sowie neue Zugangsbeschränkungen für bestimmte Fächer mit dem Ziel, die Akademikerquote zu erhöhen, in Einklang bringen?

Bemerkenswert: es wird protestiert, obwohl es derzeit keine Wiedereinführung von Gebühren gibt. Die Einführung von Studienbeiträgen steht bekanntlich nicht an oberster Stelle meiner Prioritätenliste und die Universitäten müssen die neue Universitätsfinanzierung zunächst gleichsam verdauen. Und die Tatsache, dass erwerbstätige Langzeitstudierende ab Herbst bezahlen müssen, basiert auf einem oberstgerichtlichen Urteil. Die derzeit geltende Regelung, Studienbeiträge werden von Drittstaatsangehörigen und Langzeitstudierenden verlangt, ist nicht unvernünftig, denn Drittstaatsangehörige haben in der Regel keine Steuern in Österreich bezahlt und Langzeitstudierende sollen zu einem zügigen und vor allem erfolgreichen Studienabschluss bewegt werden. Was die Zugangsbeschränkungen betrifft, so zeigt der Universitätsbericht 2017 klar auf, dass die Einführung der Zugangsregelungen im Jahr 2015 positive Auswirkungen auf Studienverlauf, Studienzufriedenheit und Abschluss hatte. Dies ist ein guter Anfang. Wir haben ja auch das Universitätsbudget für die nächsten drei Jahre aufgestockt und können dadurch mehr Fachpersonal beschäftigen. Dies wird sich positiv auf die Betreuungsverhältnisse auswirken.

Warum liegen die heimischen Unis im internationalen Vergleich relativ weit hinten und wie kann man ein weiteres Abrutschen verhindern?

Diese internationalen Vergleiche erstellen ihr Ranking, indem sie das Betreuungsverhältnis, die Zahl der Abschlüsse, die Zahl der Publikationen und viele andere Parameter untersuchen. Gerade der Parameter „Betreuungsverhältnis“ verschlechtert das Ergebnis und dennoch: wenn die Universität Wien beispielsweise auf vielleicht 160 gerankt wird, dann gehört sie sicherlich zu den besten 1% aller Universitäten weltweit.

Umfragen unter Studenten zufolge, wünschen Sie sich eine „Entrümpelung“ des Lehrplans – ECTS-Punkte stünden oftmals in keiner Relation zum Aufwand – und eine bessere Verteilung der Prüfungen auf das Semester. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Mit dieser Frage sind zwei Bereiche angesprochen, die grundsätzlich beide Auswirkungen auf das Studienrecht haben. Ich möchte lieber von einer Weiterentwicklung der Lehrpläne sprechen, die auch auf veränderte Anforderungen im späteren Berufs- und Arbeitsleben eingehen und die Studierenden entsprechend inhaltlich darauf vorbereiten. Daher haben wir im Regierungsprogramm auch die Frage der „Studierbarkeit“ festgehalten, mit der wir uns beschäftigen werden. Gleichzeitig geht es aber auch darum, dass die jeweiligen Curricularkommissionen an den Universitäten im Rahmen ihrer unmittelbaren Zuständigkeit die Lehrpläne innovativ gestalten. Was die Frage der Prüfungsverteilung betrifft, so ist das grundsätzlich auch eine Frage der inneruniversitären Organisation im Rahmen des Lehr- und Prüfungsbetriebs. Aber auch in diesem Bereich haben wir es uns seitens der Regierung zum Ziel gemacht, eine Studienrechtsreform auszuarbeiten, die sich auch mit dieser Thematik befassen wird. Dabei werden wir sowohl Vertreter der Hochschulen als auch der Studierenden einbinden und Betroffene zu Beteiligten machen.

 Wenn Sie an ihre eigene Schulzeit bzw. an ihr Studium zurückdenken – was war damals besser, was schlechter als heute?

Ob besser oder schlechter, ist nicht die Frage, es war grundsätzlich anders. Der Studienplan war, als ich Mitte der 1970er Jahre studierte, sehr dünn und sah nur wenige verpflichtende Lehrveranstaltungen vor. Das Ausmaß an Freiheit bei der Gestaltung eines individuellen Ausbildungsweges war deutlich größer, man war aber auch sehr viel mehr auf sich selbst angewiesen. Ich studierte anfänglich Lehramt Geographie und Geschichte und peilte das Magisterium an. Weil ich aber ehrgeizig und vielleicht auch talentiert war und einen Professor fand, der meine angestrebte Dissertation betreuen wollte, schloss ich nicht mit dem Magistertitel das Studium ab, sondern gleich mit einem Doktorat. So etwas ist heute, vor dem Hintergrund der Bologna Studien, nicht mehr möglich – schade, aber vor dem Hintergrund der gestiegenen Studierendenzahlen auch wieder verständlich …

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