Nach dem intensiven Wahljahr 2013 stehen im kommenden Jahr vor allem die Wahlen zum EU-Parlament an. Spannend wird für den Politologe Peter Filzmaier vor allem die Frage, inwieweit Brüssel-kritische Parteien ihre Wähler mobilisieren werden können.
[[image1]]Die Sozialpartner haben eine Infokampagne im Vorfeld der EU-Wahl im Mai 2014 angekündigt. Wie sollte diese angelegt sein, damit in Österreich die Zustimmung zu der Europäischen Union steigt?
Von der EU selbst bis zu österreichischen Akteuren sind viele Informationskampagnen hochprofessionell gemacht, doch verfolgen sie einen „top down“-Ansatz. Das heißt, dass quasi von oben herab Informationen verteilt werden. Die Wirkung verpufft, wenn – ein bisschen böse gesagt – überall die Meinungsführer vom Gemeindepolitiker über den Dorfwirt bzw. Hausmeister bis zum Pfarrer oder Sporttrainer etwas ganz Anderes und oft viel Negativeres über Europa sagen. Ich verstehe, dass die Umsetzung zeitlich und personell schwierig ist, doch jede Kampagne müsste „bottom up“ sein und mit zahlreichen Basisveranstaltungen auf der Bezirksebene ansetzen. Internetseiten, Hochglanzmaterialien und Podiumsdiskussionen helfen da nur bedingt.
Werden die Finanzkrise und die teuren Rettungsaktionen – Stichwort ESM – für Sorgenkinder wie etwa Griechenland eine große Rolle im Wahlkampf spielen?
Ja, doch mit zwei Einschränkungen bzw. Konkretisierungen. Erstens hängt die Intensität des Themas natürlich von europapolitischen Anlassfällen – etwa ein neues Hilfspaket – ab. Zweitens wird es dabei inhaltlich nicht um Budgetzusammenhänge in Griechenland & Co gehen, sondern als Nationalisierung des Wahlkampfs viel mehr darum, was das für das österreichische Budget bedeutet. Den parteipolitischen Slogan „Unser Geld für unsere Leute“ gab es bereits. Es wäre zudem absurd zu erwarten, dass ausgerechnet im Wahlkampf irgendeine Partei – egal welche – das sonst mangels politischer und wirtschaftlicher Bildung vernachlässigten Thema Währungspolitik plötzlich mit großer Sachlichkeit und Thementiefe debattiert.
Schätzen Sie die Chancen von EU- und Euro-kritischen Parteien besser ein als von jenen Parteien, die sich seit jeher zu Brüssel und der europäischen Gemeinschaftswährung bekennen?
Theoretisch ja, praktisch stellt sich jedoch für EU-kritische Parteien die Frage der Mobilisierung. Ihre möglichen Wähler bzw. Anhänger sind oft zugleich jene, die am ehesten mit einer EU-Parlamentswahl nichts zu tun haben wollen und zu Hause bleiben. Das beschränkt die Gewinne der Kritikerparteien etwas.
Welche Rolle spielt die Tatsache, dass Österreich als kleines Land in der EU wenig gestalten kann und die großen Länder wie Deutschland und Frankreich den Ton angeben?
Es ist über die EU hinaus ein Teil der österreichischen Seele, sich der banalen Erkenntnis zu verweigern, dass Kleinstaaten logischerweise international relativ wenig Bedeutung und Einfluss haben. Die naheliegende Schlussfolgerung, dass man umso mehr viele und starke Partner braucht, die will erst recht keiner ziehen. Parallel dazu gibt es seit dem Beitritt eine teils gewollte und zum Teil ungewollte Realitätsverweigerung, dass das Wesen der EU die Abgabe von Souveränität der Mitgliedstaaten und umgekehrt eine Durchgriffswirkung von Entscheidungen in Brüssel beinhaltet. Genauso dürfte sich nicht einmal die Sitzverteilung im EU-Parlament wirklich herumgesprochen haben. Also fallen Vorwahlparolen einer Scheinempörung über den ausgehandelten Schlüssel der Abgeordnetenzahl nach Bevölkerungsgröße und auch politischer Macht auf fruchtbaren Boden.
Bei der EU-Wahl ist die Wahlbeteiligung traditionell gering. Wird sich dieser Trend Ihrer Meinung nach 2014 fortsetzen bzw. wie könnte man mehr Wähler zu den Urnen bringen?
Die Gegenfrage ist, warum es diesmal besser sein sollte. Natürlich kann man EU- und Eurokrisen als Chance verstehen, die Sinnhaftigkeit einer internationalen Organisation zu vermitteln. Doch ein dramatischer Anstieg der Wahlbeteiligung wäre bereits deshalb überraschend, weil alle Parteien kaum bereit sind, für eine EU-Kampagne und ein paar Abgeordnetensitze im Europäischen Parlament viel Geld in Kampagnen zu investieren. In der parteiunabhängigen politischen Bildungsarbeit sowie den breitenwirksamen Medien ist die EU jenseits von Krisen ebenfalls zu selten ein Thema.
Gutes Viertel der EU-Nichtwähler gehört oberer Mittelschicht an
Wer sind die typischen Nichtwähler bei EU-Wahlen, welche Zielgruppen sind am ehesten daran interessiert, wer Österreich in Brüssel vertritt?
An sich sind EU-Nichtwähler eher schlechter verdienend sowie sozial schlechter gestellt, und sich als durch die EU benachteiligte Personengruppe sehend. An eine Veränderung der Europapolitik von innen durch ihre Stimmabgabe glauben sie nicht. Hier trifft der Begriff Modernisierungsverlierer zu. Doch mindestens ein Viertel der Nichtwähler gehört der gutbürgerlichen Obermittelschicht mittleren Alters und mit mehr als mittlerem Einkommen an. Im Beruf sehr aufstiegsorientiert und objektiv im Polit- und Wirtschaftssystem EU-ropas klar privilegiert, tun auch saturierte Modernisierungsgewinner nichts, um – was sie ja als Gewinner aus ihrer subjektiven Sicht tun müssten – die eigene Stimme zum Systemerhalt und gegen Extremismen abzugeben.
Die politischen Parteien denken gerade über ihre Spitzenkandidaten nach. Sehen Sie eine Tendenz dazu, vermehrt politische Schwergewichte nach Brüssel zu schicken?
Bisher waren es eher Ex-Schwergewichte, die man nach oben weglobte und für die ähnlich Schwergewichtsboxern der Grundsatz „They never come back!“ galt. Die Ausnahme ist die ehemalige Justizministerin Maria Berger (SPÖ), doch sowohl für ihren Parteikollegen Hannes Swoboda – er galt früher einmal gemeinsam mit Michael Häupl als möglicher Bürgermeister in Wien – und Ex-ÖVP-Generalsekretär Otmar Karas trifft das zweifellos zu. Beide haben freilich in Brüssel einen neuen Schwergewichtsstatus erreicht, was ihrem persönlichen Engagement und nicht dem nationalen Status eines Spitzenkandidaten zu verdanken war. Vielleicht ist das neuerlich so. Doch wenigstens wird man vermutlich auf ad hoc-Entscheidungen des Typus Ernst Strasser verzichten.
Kann man bei der Wählerschaft mit der Darstellung der Vorteile, welche der EU-Beitritt und die Gemeinschaftswährung für Österreich gebracht haben, punkten oder werden vor allem Missstände in Brüssel wahrgenommen?
Wurde das jemals konsequent probiert, nämlich parteiübergreifend auf allen Ebenen – also Gemeinde-, Landes- und Bundespolitik – und über einen längeren Zeitraum hinweg? Nein. Wir können nicht wissen, ob man so punkten könnte, weil in lokalen, regionalen und nationalen Wahlkämpfen meistens und auch von EU-Befürworter-Parteien versucht wurde, allein mit Kritik Punkte zu machen. Selbst jenseits von Wahlkämpfen ist es geradezu ein Reflex der politischen Kommunikation in Österreich, für unangenehme Entwicklungen die Eigenverantwortung mit Schuldvorwürfen an Brüssel abzuschieben. Die letzte echte Positivkampagne für EU-ropa war vor dem Beitritt in den neunziger Jahren, also müsste eine nunmehrige Liste der Vorteile erst den Zeitrückstand auf permanent getrommelte Nachteillisten aufholen.