Es ist einfach beschämend: Der Vorschlag der EU-Kommission, 160.000 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Staaten auf die Mitgliedsstaaten nach einem Quotensystem aufzuteilen, wird wohl ein Wunschtraum bleiben müssen. EU-Präsident Jean-Claude Juncker erweist sich in dieser zentralen Frage der Union als vollkommen machtlos und kann offenbar gegen die nationalen Egoismen vielen Länder nichts unternehmen.
Es geht ihm dabei nicht viel anders als dem Generalsekretär der Vereinten Nationen: UNO-Boss Ban Ki-moon muss sich mit eindringlichen Appellen begnügen, denen freilich herzlich wenig bis kaum Taten folgen. Einmal mehr erbringt der 193 Mitgliedsstaaten zählende globale Mega-Verein in New York den Nachweis, dass er im Ernstfall hilflos agiert. Die UNO versagt zum einen, weil sie im irakisch/syrischen Regionalkonflikt keine Friedensinitiative zu Stande bringt. Und zum andern, weil sie nicht annähernd die Mittel zur Verfügung stellt, die zur notdürftigen Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge gebraucht werden.
Die Vereinten Nationen verfügen zwar mit ihrem in Genf ansässigen Flüchtlingshilfswerk UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) über die wohl wichtigste einschlägige Institution. Deren Leistungen seit mehr als 60 Jahren sind durchaus positiv zu beurteilen: Seit der Gründung wurden immerhin rund 50 Millionen Menschen dabei unterstützt, sich ein neues Leben aufzubauen. Jetzt allerdings stößt die Organisation zusehends an ihre Grenzen: Sie erhält nämlich lediglich zwei Prozent ihres Budgets, das sich heuer auf 6,3 Milliarden US-Dollar beläuft, von den Vereinten Nationen. Das bedeutet, dass die weltweiten UNHCR-Hilfsprogramme durch freiwillige Beiträge von Regierungen, Stiftungen, sowie Spenden von Privatpersonen und Unternehmen finanziert werden müssen – was in jüngster Zeit zum Riesenproblem geworden ist.
Der Portugiese Antonio Guterres steht als Hoher Flüchtlings-kommissar der in 126 Ländern tätigen, 8.000 Mitarbeiter zählenden Organisation vor, die sicherstellen soll, dass die Menschenrechte von Flüchtlingen respektiert werden bzw. sie um Asyl ansuchen können. Die zweite zentrale Aufgabe der UNHCR besteht darin, dauerhafte Lösungen für die Probleme dieser Menschen zu schaffen – ein Ziel, das sie bei rund 30 Einsätzen etwa in Timor, im Kosovo, in Kolumbien oder in Afghanistan geleitet hat. Insgesamt konnten auf diese Weise rund 15 der zur Zeit weltweit 38 Millionen Binnenvertriebenen unterstützt werden.
Für Kriege sind Milliarden da
Die derzeitige Flüchtlingswelle nach Europa scheint Guterres und seine Organisation allerdings eindeutig zu überfordern. Das Faktum, dass zu wenig Finanzmittel zur humanitären Unterstützung von Flüchtlingen vorhanden sind, hat insbesonders in den riesigen Camps mehrerer Länder für prekäre Zustände gesorgt: Im Zaatari-Lager in Jordanien etwa, wo derzeit mehr als 80.000 Syrerinnen und Syrer untergebracht sind, müssen die Essensrationen reduziert werden. In Somalia wiederum, wohin mehr als 30.000 Menschen aus dem Jemen geflüchtet sind, kamen bislang nur fünf Prozent der benötigten Hilfsgelder im Ausmaß von 64 Millionen Dollar an. Auch im Jemen, wo dringend etwa 100 Millionen Dollar benötigt werden, fehlt das Geld, um ausreichend Nahrungsmittel, ärztliche Betreuung, Bildungseinrichtungen etc. finanzieren zu können – kurzum: um den ungefähr 1,2 Millionen Binnenvertriebenen, sowie rund 250.000 Flüchtlingen eine wenn auch noch so bescheidene Zukunftsperspektive zu bieten. Schließlich bricht die Versorgung in den Flüchtlingscamps anderer Staaten, die bislang in beträchtlichem Ausmaß humanitäre Hilfsbereitschaft gezeigt haben, ebenfalls allmählich zusammen.
Während in Europa vielerorts über den stark zunehmenden Flüchtlings„strom“ gejammert wird, spielen sich die meisten menschlichen Tragödien nämlich woanders ab: Die Türkei hat fast zwei Millionen Syrer aufgenommen, der Libanon mehr als eine Million, in Jordanien sind 630.000 Flüchtlinge untergebracht, im Irak 250.000 und in Ägypten 133.000. Das heißt also: Allein von den insgesamt vier Millionen geflüchteten Staatsbürgern aus Syrien haben bislang nur verhältnismäßig wenige in Europa Schutz gesucht.
Die UNO-Mitgliedsstaaten lässt das globale Leid der vom Krieg und militärischen Auseinandersetzungen vertriebenen Menschen offensichtlich dennoch kalt: Es wirkt zum Beispiel wie ein Hohn, dass die Vereinigten Staaten, die in der umkämpften Region immer wieder militärisch mitgemischt haben, unlängst die Bereitschaft gezeigt haben, gerade mal 10.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Und es ist einfach grauenhaft, dass Großbritannien und Frankreich eher zu Luftbombardements gegen die Terrormiliz Islamischer Staat bereit sind als einen namhaften Beitrag zur Lösung der Flüchtlingskrise zu leisten. Grotesk mutet weiter an, dass sich Russland in keinster Weise der Flüchtlinge annimmt, Kreml-Chef Putin jedoch anscheinend bereit wäre, Syriens Diktator Baschar al-Assad und dessen Clan Asyl zu gewähren.
Aus heutiger Sicht sind zwar weitere brutale Einsätze der von den USA angeführten Militärallianz praktisch ohne Alternative, weil – wie es in der international gebräuchlichen Politiker-Diktion heißt – „das Flüchtlingsproblem an der Wurzel angepackt werden muss“, soll heißen: die Islamisten sowohl im Irak als auch in Syrien aus der Luft besiegt werden müssen. Aber wenn für kriegerische Interventionen problemlos Milliarden und Aber-Milliarden bereitgestellt werden, sollte man zumindest auf die Millionen Leidtragenden, für die viel zu wenig Geld da ist, nicht vergessen. Niemand ist prädestinierter, sich für jene Menschen, die vor Bomben fliehen, einzusetzen als die UNO, deren oberste Aufgaben ja die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts und der Schutz der Menschenrechte sind. Es wäre hoch an der Zeit, dass die Vereinten Nationen endlich aus ihrem Dämmerschlaf erwachen…