Als Konferenzchefin strahlte sie wahlweise im türkisen, roten, rosafarbigen bzw. grünen Merkel-Blazer inmitten der dunklen Anzüge vom Start weg die nötige Autorität aus. Und die benötigt man dringend, wenn im Teilnehmerkreis am Hamburger G20-Zirkus so schräge Typen wie Donald Trump, Vladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan zu domptieren sind. Die deutsche Kanzlerin hat das zwölfte, wie gewohnt ziemlich sinnlose Treffen von Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer relativ souverän hinter sich gebracht – leider haben heftige Krawalle und schwere Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Hamburger Polizei das eigentliche Großereignis im Messe- und Kongresszentrum deutlich überschattet.
Jedenfalls waren es zwei enorm schwierige Tage für Angela Merkel: Einerseits ist es ihr nicht gelungen, in einer Phase des Machtvakuums die Rolle als neue Führerin der freien Welt zu übernehmen. Anderseits hat sie es jedoch mit ihrer unprätentiösen Art zumindest geschafft, ein politisches Debakel zu verhindern. Von den Chefunterhändlern, den sogenannten Sherpas, wurde tagelang im Hintergrund an einem Schlusskommuniqué gefeilt, in dem elegant formuliert drinnen stand, dass bei den Gesprächen wenig Essentielles herausgekommen ist. Ein inhaltlicher Durchbruch war sowieso nirgends zu erwarten – denn totale Harmonie angesichts der Wand aus unterschiedlichen Interessen und Befindlichkeiten undenkbar. Dafür sorgte in erster Linie der US-Präsident, der sich mit seiner nationalistischen, isolationistischen, protektionistischen und antiglobalistischen Polit-Show ohne Tiefgang vor aller Augen blamiert hat, offenbar ohne das selbst zu bemerken.
Donald Trump, der sich beim Thema Freihandel noch für eine Kompromissformel gewinnen ließ, schaltete beim Klimaschutz erwartungsgemäß auf stur. Zwischenzeitlich schickte er sogar einmal Tochter Ivanka – wiewohl die über kein politisches Amt verfügt – als Ersatz in die Runde der Staatschefs, eine bislang noch nie dagewesene Chuzpe. „Die Zeit“ merkte dazu an, dass sich Putin demnächst vielleicht von seinem Hund vertreten lassen wird. Der russische Präsident war zweifellos happy, dass er mit dem amerikanischen Kollegen erstmals so lange plaudern und dabei gleich eine Waffenpause für Syrien ausrufen durfte. Bei seinem Gespräch mit Angela Merkel verdrehte diese freilich gut sichtbar die Augen, wobei nicht überliefert ist, ob sie der Kreml-Boss gelangweilt oder gar so genervt hat. Und Erdogan? Der türkische Alleinherrscher dürfte mit dem Gipfel ebenfalls zufrieden gewesen sein, weil er trotz seiner Differenzen mit Deutschland ebendort wieder mal in Erscheinung treten durfte – und gewiss spürte er so etwas wie Genugtuung, dass gewaltsame Demonstrationen nicht nur daheim in der Türkei passieren.
Neue Allianz mit Xi Jinping
Mit einer Nebenrolle musste sich Theresa May bei ihrem ersten G20-Treffen begnügen. Die britische Premierministerin stand unauffällig im Hintergrund, weil ihr Land aufgrund des Brexit so sehr mit sich selbst beschäftigt und einigermaßen destabilisiert ist. Im Gegensatz zu ihr machten insbesondere der neue französische Präsident Emmanuel Macron und der kanadische Premier Justin Trudeau im Klub der Mächtigen (siehe Kasten unten) eine blendende Figur. Doch so intensiv sich die beiden Jungstars – Macron ist 39, Trudeau 45 – auch bemühten, Donald Trump aus der selbstgewählten Patsche zu verhelfen – es war verlorene Liebesmüh’. Fix ist: Mit einem Amateur an der Spitze sind die Vereinigten Staaten derzeit auf der weltpolitischen Bühne weitgehend abgemeldet.
Als Profi, der genau weiß, was gespielt wird, präsentierte sich in Hamburg indes der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping. Er durfte beim obligaten Gruppenfoto denn auch den Platz neben Angela Merkel einnehmen, während Trump vom Protokoll lediglich ganz rechts außen platziert wurde, weil dienstältere Kollegen in der Mitte Vorrang haben. Xi stahl dem US-Präsidenten selbst mit dem Gastpräsent die Show, weil er der deutschen Kanzlerin zwei putzige Pandabären mitgebracht hatte. Angela Merkel als Vorsitzende hat nicht zuletzt dank Xis Rückendeckung eine halbwegs passable Abschlusserklärung zu Stande gebracht. Darin ging es, abgesehen von den von gegensätzlichen Standpunkten geprägten Statement zu Handelsfragen, beispielsweise um
· den Aktionsplan der G20 zu Klima und Energie für Wachstum,
· die G20-Partnerschaft mit Afrika,
· die G20 Initiative #eSkills4Girls,
· die G20-Grundsätze zu Organisationsmaßnahmen gegen Korruption,
· die G20-Grundsätze zur Verantwortlichkeit juristischer Personen für Korruption sowie
· die G20-Grundsätze zur Bekämpfung von Korruption im Zollwesen.
Die deutsche Bundeskanzlerin, die ihren Job schon fast zwölf Jahre lang macht, hat damit in dieser überaus heiklen Situation den Nachweis erbracht, dass sie selbst dann etwas weiterbringt, wenn alles schief zu laufen droht – kurzum: Auch in Hamburg war die Mutti der Nation wieder einmal die Beste. Als Europas mächtigste Politikern ist sie längst zum unersetzlichen Garanten für Stabilität, Konstruktivität und Verlässlichkeit geworden, wobei sie alle übrigen Politiker geschickt in ihren Schatten verbannt hat. In der Bundesrepublik, wo sie auf Grund ihrer offensiven Asylpolitik massive Kritik einstecken musste und vielerorts in Ungnade gefallen war, ist sie – rund zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl – wiederum die konkurrenzlose politische Alleinunterhalterin, mit allerbesten Chancen auf eine vierte Amtsperiode.
Laut jüngsten Umfragen der Institute Allensbach, Emnid, Forsa, GMS und Infratest darf Merkel mit rund 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler rechnen (2013 kam die CDU/CSU auf 41,5 %). Die SPD unter Martin Schulz wird die 25,7 Prozent von damals kaum bis sicher nicht schaffen. Die Linke dürfte mit nahezu neun Prozent stabil bleiben. Die Grünen könnten auf acht Prozent kommen und damit leicht verlieren. Aufwind spüren werden, den aktuellen Umfragen zufolge, die FPD, der acht bis neun Prozent prophezeit werden, was einer Verdoppelung gleichkäme, und die schwer rechtslastige AfD, die im Best Case ebenfalls neun Prozent schaffen könnte, womit sie künftig keine Bäume ausreißen wird können. Die Deutschen sollten jedenfalls froh sein, dass ihnen Merkel mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erhalten bleibt – und die Europäische Union natürlich ebenfalls.
DER CLUB DER MÄCHTIGEN
G20-Vorsitzende: Angela Merkel, Deutschlands Bundeskanzlerin G20-Teilnehmer in Hamburg: Shinzō Abe, Japans Premierminister Ibrahim al-Assaf, Staatsminister in Saudi-Arabien Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei Paolo Gentiloni, Italiens Premierminister Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission Mauricio Macri, Präsident Argentiniens Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident Theresa May, Premierministerin des Vereinigtes Königreichs Narendra Modi, Premierminister Indiens Moon Jae-in, Südkoreas Präsident Enrique Peña Nieto, Präsident von Mexiko Vladimir Putin, Präsident Russlands Michel Temer, Brasiliens Präsident Justin Trudeau, Premierminister Kanadas Donald Trump, Präsident der USA Malcolm Turnbull, Premierminister Australiens Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates Joko Widodo, Indonesiens Präsident Xi Jinping, Präsident der Volksrepublik China Jacob Zuma, Südafrikas Präsident
Als GÄSTE eingeladen und mit dabei waren u.a.
José Angel Gurria, OECD-Generalsekretär António Guterres, UNO-Generalsekretär Jim Yong Kim, Präsident der Weltbank Christine Lagarde, Direktorin des Int. Währungsfonds Mariano Rajoy, Spaniens Premierminister Mark Rutte, Premierminister der Niederlande Erna Solberg, Premierministerin Norwegens |