Diente der „Weisenrat“ für Österreich (2000) tatsächlich als Modell für den „Weisenrat“ der EVP für Ungarn (2019)?
Aufgrund der neuerlichen politischen Provokationen Viktor Orbáns beschloss der Vorstand der Europäischen Volkspartei (EVP) am 20. März 2019 die Suspendierung der Mitgliedschaft der rechtskonservativen ungarischen Regierungspartei FIDESZ („Magyar Polgári Szövetség“, MPSZ) in der christdemokratischen Parteienfamilie der EVP für die nächsten sechs Monate. Gleichzeitig setzte er ein dreiköpfiges Evaluierungskomitee („Evaluation Committee“) zur Überprüfung der Umsetzung der drei vom Spitzenkandidaten der EVP, Manfred Weber, geforderten Bedingungen für die Wiederherstellung einer ordentlichen Mitgliedschaft der Fidesz in der EVP, ein. Diesem „Weisenkomitee“ gehört unter anderem auch der ehemalige österreichische Bundeskanzler, Wolfgang Schüssel, an, dem ein ebensolcher dreiköpfiger „Weisenrat“ im Jahr 2000 den Ausstieg aus den „Sanktionen der 14“ gegen Österreich ermöglicht hatte. Es lag daher nahe, dass in EVP-Kreisen in diesem Zusammenhang von einem „österreichischen Modell“[1] bzw. einer in doppeltem Sinne „österreichischen Lösung“[2] gesprochen wurde. Inwiefern diese Gleichsetzung tatsächlich gerechtfertigt war oder eher nur vordergründig behauptet wurde, soll nachstehend untersucht werden.
Da zwischenzeitlich bereits knapp 20 Jahre vergangen sind, muss zunächst noch einmal die Situation in Österreich im Jahre 2000 rekapituliert werden, als BK Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der „Haider-FPÖ“ eingehen wollte, die allerdings von den anderen EU-Mitgliedstaaten als rassistisch und fremdenfeindlich eingestuft und dementsprechend auch sanktioniert wurde. Erst nach über sieben Monaten wurden die Sanktionen gegen Österreich aufgrund des Berichtes der „Drei Weisen“ aufgehoben.[3]
In der Folge muss ebenso ein kurzer Blick auf die xenophoben und rechtsstaatlich bedenklichen Aktivitäten der Regierungen Orban I, II und III in Ungarn sowie die Versuche zu deren Sanktionierung durch die Europäische Kommission bzw. das Europäische Parlament im Allgemeinen sowie die EVP im Speziellen geworfen werden. Erst dann kann begründet festgestellt werden, ob die Sanktionierung Österreichs (2000) tatsächlich für die Ungarns (2019) „Modell“ gestanden hat bzw. inwieweit die dabei jeweils eingesetzten „Weisenräte“ vergleichbar bzw. sogar präjudiziell sind.
Die „Sanktionen der Vierzehn“ gegen Österreich (2000)
In der neueren europäischen diplomatischen Staatengeschichte hat es keinen auch nur annähernd vergleichbaren Fall wie den politischen Boykott der österreichischen Bundesregierung durch die 14 anderen Mitgliedstaaten der EU („Sanktionen der 14“) – der vom Februar bis zum September 2000 angedauert hat – gegeben. Die österreichische Regierung wurde damit über sieben Monate in einer Weise diplomatisch boykottiert und marginalisiert, wie dies unter befreundeten Nationen noch niemals der Fall war. Die Sanktionen hatten zu einer schweren Imageschädigung Österreichs – nicht nur im Rahmen der EU, sondern auch außerhalb derselben – geführt, von der es sich in der Folge auch nur langsam erholen sollte.[4]
Die sich im Gefolge der Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999 – in der die FPÖ (26,9%) mit 415 Stimmen Überhang vor der ÖVP (26,9%) erstmals zweitstärkste Partei wurde – abzeichnende Regierungsbeteiligung der FPÖ führte in einer Reihe von Mitgliedsstaaten der EU zu zunehmender Besorgnis, was diese sowohl Bundespräsident Thomas Klestil, als auch Bundeskanzler Viktor Klima und Außenminister Wolfgang Schüssel mitteilten. Bevorzugter Anlass dazu war die Holocaust-Konferenz, die am 26. Jänner 2000 in Stockholm stattfand.
Am 14. Oktober 1999 beauftragte Bundespräsident Klestil Bundeskanzler Klima, mit allen im Nationalrat vertretenen Parteien „Sondierungsgespräche“ über Inhalte eines zukünftigen Regierungsprogramms aufzunehmen. Nachdem diese Versuche Klimas am 26. Jänner 2000 gescheitert waren, hatten aber – ohne dazu von Bundespräsident Klestil ermächtigt worden zu sein – ÖVP und FPÖ umgehend eigenständig Koalitionsverhandlungen aufgenommen, die sie innerhalb einer Woche, nämlich am 1. Februar 2000, abschließen konnten.
Am Tag zuvor, dh am 31. Jänner 2000, platzte aber eine „diplomatische Bombe“: In einer wahrhaftigen „Nacht- und Nebel-Aktion“ einigten sich die Staats und Regierungschefs der vierzehn EU-Mitgliedstaaten im (bloßen) Telefonrundspruch bzw. per E-Mail oder Fax-Kontakt darauf – im Falle einer Regierungsbeteiligung der FPÖ – gegen die österreichische Bundesregierung folgende Maßnahmen zu ergreifen:
– Die Regierungen der Vierzehn werden mit der österreichischen Bundesregierung keine offiziellen bilateralen Kontakte auf politischer Ebene mehr unterhalten;
– Österreichischen Kandidaten wird bei der Bewerbung um Posten in Internationalen Organisationen keine Unterstützung mehr gewährt und
– Österreichische Botschafter in den EU-Hauptstädten werden nur noch auf technischer Ebene empfangen.[5]
Wenige Tage später, nämlich am 3. Februar 2000, nahm das Europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit – 406 Ja-, 53 Nein-Stimmen und 60 Enthaltungen – eine Entschließung zu dem Ergebnis der Parlamentswahlen in Österreich und dem Vorschlag zur Bildung einer Koalitionsregierung zwischen der ÖVP und der FPÖ[6] an, in der es die Auffassung vertrat, dass die Regierungsbeteiligung der FPÖ die extreme Rechte in Europa legitimiert.
Als es in der Folge am 4. Februar 2000 zur Angelobung der ÖVP-FPÖ – Bundesregierung durch Bundespräsident Klestil gekommen war, setzten die „Vierzehn“ die angedrohten Sanktionen in Kraft, obwohl am Tag zuvor – auf Veranlassung von Bundespräsident Klestil – die beiden Parteivorsitzenden Schüssel und Haider in ihr Regierungsübereinkommen als Präambel eine eigene (demokratiepolitische) Deklaration „Verantwortung für Österreich – Zukunft im Herzen Europas“[7] aufgenommen hatten und Haider sogar seinen Rücktritt als Parteiobmann der FPÖ ankündigte, den er wenige Wochen später auch vollzog und das Amt an Susanne Riess-Passer übergab.
Den „Sanktionen der Vierzehn“ schlossen sich Norwegen, die Tschechische Republik, die USA (beriefen ihre Botschafterin zur regelmäßigen Berichterstattung nach Washington ein), Costa Rica, Kanada, Argentinien (berief seinen Botschafter zur Berichterstattung ein und löste im MERCOSUR ein kollektives „Monitoring“ Österreichs aus[8]) und Israel (berief seinen Botschafter ab). Nicht hatten sich den Sanktionen angeschlossen die Schweiz, das Fürstentum Liechtenstein, die Slowakei, Slowenien und Ungarn.
Was die Rechtsnatur der „Sanktionen der 14“ betrifft, so waren sie ein „Mischakt“ im Rahmen der internationalen Courtoisie – das sind Akte der „comitas gentium“ iSd „Völkersitte“ – der zwar von der damaligen portugiesischen „Präsidentschaft“ auf amtlichem Kanzleipapier des Kabinetts des portugiesischen Ministerpräsidenten ausgedruckt war und auch so zirkuliert wurde,[9] aber keinen Rechtsakt des portugiesischen Ratsvorsitzes darstellte. Es handelte sich vielmehr um eine Erklärung des EU-Mitgliedstaates Portugal, in der dieser eine mit dreizehn anderen EU-Mitgliedstaaten akkordierte gemeinsame Vorgangsweise wiedergibt. Ein weiteres Indiz dafür, dass es sich dabei nicht um ein der „Präsidentschaft“, und damit der EU, zurechenbares Instrument handelte, stellt der Umstand dar, dass die diplomatische Note, mittels derer die „Sanktionen der Vierzehn“ notifiziert wurden, nicht den Ständigen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten, sondern den bilateral akkreditierten Botschaftern der Mitgliedstaaten in Lissabon zugestellt wurden.
Was die geistige Urheberschaft für die „Sanktionen der 14“ betrifft, so reklamierte der damalige französische Europaminister, Pierre Moscovici,[10] diese für sich, indem er behauptete, dass ihn Premierminister Lionel Jospin auf dem gemeinsamen Flug zur Holocaust-Konferenz nach Stockholm beauftragt habe, zu prüfen, wie Frankreich auf eine mögliche Koalition zwischen der konservativen ÖVP und der rechtsextremen FPÖ regieren könnte. Bereits am 29. Jänner 2000 legte Moscovici Premier Jospin „Elemente einer Antwort“ vor, die im Ergreifen von bilateralen diplomatischen Sanktionen gegen Österreich bestand, da seines Erachtens das Sanktionsverfahren des Art. 7 EUV mangels „Schwere“ des Verstoßes nicht ergriffen werden könne.[11] Jospin entschloss sich sofort für diese Vorgangsweise und „erst danach seien die anderen Europäer an Bord gekommen“.[12]
Im belgischen Außenministerium zeigte man sich über diese Version des Zustandekommens der Sanktionen gegen Österreich mehr als erstaunt, und reklamierte seinerseits die „Urheberschaft“ der Sanktionen für sich, „da es doch allgemein bekannt sei, dass Außenminister Louis Michel der erste war, der sich gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich ausgesprochen hat“.[13] Letztere Behauptung wird durch eine Pressemitteilung der Präsidentschaftskanzlei vom 9. Februar 2000 belegt, in der von einem Telefonat des portugiesischen Premiers Guterres mit Bundespräsident Klestil berichtet wird, in dem Ersterer Letzteren „über die von der belgischen Regierung schriftlich verlangte gemeinsame Reaktion der 14 EU-Staaten“ informierte.
Der „Weisenbericht“ und die Aufhebung der Sanktionen
Die Hauptschwäche der Vorgangsweise der „Vierzehn“ lag zum einen in der Art des Zustandekommens und zum anderen in der Stoßrichtung der Sanktionen: so wurden diese politisch überhastet und ohne gründliche rechtliche Prüfung konzipiert und waren auch allein auf die Verhinderung einer ÖVP-FPÖ-Koalitionsregierung hin ausgerichtet. Dementsprechend enthielten sie auch kein wie immer geartetes „Ausstiegsszenario“ für den Fall des tatsächlichen Zustandekommens einer solchen Bundesregierung. Eine zukünftige ÖVP-FPÖ-Regierung stand daher vor der Situation, auch nicht durch dauerhaftes „Wohlverhalten“ eine Zurücknahme der Sanktionen herbeiführen zu können, sondern hätte als einzigen Ausweg bloß ihre eigene Demission zur Verfügung gehabt – aus der Sicht einer demokratisch gewählten Regierung zweifellos eine groteske „ultra petitio“. Genau dieser Fall trat aber in der Folge ein.
Zu einer ersten Entspannung in der politisch aufgeladenen Atmosphäre der Sanktionen kam es aber dann, als die am 6. April 2000 vom Vorstand der Europäischen Volkspartei (EVP) eingesetzte Beobachtungskommission, bestehend aus den drei Mitgliedern des EP, Wim van Velzen, Gerardo Galeote Quecedo und Hartmut Nassauer – die sog. „Drei Weisen“ der EVP – in ihrem Bericht über die politische Situation in Österreich vom 5. Juni 2000 zur Erkenntnis kam, „dass es in den ersten 120 Tagen des Mandats der neuen österreichischen Regierung (…) keine Beeinträchtigung des österreichischen demokratischen Systems gegeben hat…“. In der Folge kam die EVP-Beobachtungskommission zu dem Schluss, „dass die ÖVP ab jetzt wieder vollständig an allen EVP-Gremien teilnehmen soll“.[14] Dementsprechend fasste auch der EVP-Vorstand am 6. Juni 2000 den Beschluss, die ÖVP wieder zu allen Parteigremien zuzulassen, aus denen sie am 6. April 2000 freiwillig ausgeschieden war.[15]
Am 29. Juni 2000 legte der portugiesische Premierminister Guterres im Namen der „Vierzehn“ ein „Ausstiegsszenario“ vor, das darin bestand, den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), Luzius Wildhaber, zu ersuchen, drei Persönlichkeiten zu ernennen, „die auf der Grundlage einer gründlichen Prüfung einen Bericht über folgende Punkte erstellen sollten:
– Die Haltung der österreichischen Regierung gegenüber den gemeinsamen europäischen Werten, im Besonderen hinsichtlich der Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern;
– Die Entwicklung und politische Natur der FPÖ“.[16]
Nachdem er die – von den „Vierzehn“ an sich nicht vorgesehene – Zustimmung von BK Schüssel eingeholt hatte, ernannte Präsident Wildhaber am 12. Juli 2000 die sog. „Drei Weisen“, nämlich den ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari, den Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und ehemaligen Vizepräsidenten der Europäischen Menschenrechtskommission, Jochen Abromeit Frowein, und den ehemaligen spanischen Außenminister, ehemaligen GS des Europarates und ehemaligen Kommissar, Marcelino Oreja, und ersuchte diese, ihren Bericht so bald wie möglich vorzulegen.
In der Folge ersuchten die „Drei Weisen“ am 25. Juli 2000 die seit 1997 in Wien lokalisierte „Europäische Stelle für Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (EUMC), ihnen eine einschlägige Informationssammlung zusammenzustellen, was diese am 2. August 2000 auch tat, sodass die „Drei Weisen“ bereits am 8. September 2000 den sog. „Weisenbericht“[17] der nunmehrigen französischen „EU-Präsidentschaft“ vorlegen konnten. Darin stellten sie zunächst fest, dass es nicht Teil ihres Mandates gewesen sei, sich zur Rechtmäßigkeit der von den XIV EU-Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen zu äußern, attestierten danach aber der österreichischen Bundesregierung, dass sie für die gemeinsamen europäischen Werte eintritt und dass die Rechtslage in Österreich in den Bereichen Minderheitenschutz, Flüchtlings- und Immigrationspolitik durchaus dem in anderen EU-Mitgliedstaaten angewendeten Maßstab entspricht. Zum anderen waren die „Drei Weisen“ aber auch der Meinung, dass es Gründe gibt, die Beschreibung der FPÖ als eine rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen auch heute noch als zutreffend anzusehen. In ihren Empfehlungen – die sie ebenfalls nur auf eine Anregung Wildhabers in ihren Bericht aufgenommen hatten – stellten die „Drei Weisen“ fest, dass die von den XIV Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen kontraproduktiv wirken würden, wenn sie fortbestünden, und dass sie daher beendet werden sollten.
Vor allem Frankreich zeigte sich über die Tatsache nicht erfreut, dass die „Drei Weisen“ – denen nach seiner Ansicht lediglich ein beschränktes „Expertisenmandat“ übertragen worden sei – als politische „Schlussfolgerung“ eigenmächtig die Aufhebung der Sanktionen empfohlen hatten. Auf Druck Dänemarks lenkte Frankreich aber schließlich ein und veröffentlichte am 12. September 2000 ein Kommuniqué,[18] in dem es feststellte, dass die „Vierzehn“ ua zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen sind:
– Die österreichische Regierung hat ihre Verpflichtungen gegenüber den gemeinsamen europäischen Werten nicht verletzt;
– Die Maßnahmen der EU-14 waren nützlich. Sie können nun aufgehoben werden;
– Es ist angebracht, im Rahmen der EU Überlegungen anzustellen darüber, wie man in ähnlichen Situationen vorgehen, vorbeugen und Beurteilungen abgeben soll“.
Damit hoben die „Vierzehn“ – nach insgesamt sieben Monaten und zehn Tagen[19] – ihre Sanktionen gegen die österreichische Bundesregierung wieder auf, kamen aber gleichzeitig überein, das „monitoring“ gegenüber der FPÖ kollektiv beizubehalten.
Im Gegensatz dazu soll nunmehr die Situation in Ungarn unter den Kabinetten Orbán I, II und III und die gegen deren rechtsstaatlichen Verfehlungen seitens der EU ergriffenen Maßnahmen kurz dargestellt werden.
Die Auswüchse des „illiberalen“ Staates Ungarn unter Viktor Orbán und deren Sanktionierung
Sowohl die Regierung Orbán I (1998 bis 2002) als auch die Regierung Orbán II (2010 bis 2014) setzte eine Reihe legistischer Maßnahmen, die sowohl aus demokratiepolitischen als auch rechtsstaatlichen Gründen weit über das hinausgingen, was bisher im gesicherten Verfassungsbogen der EU auf der Basis der gemeinsamen Werte des Art. 2 EUV noch als tolerabel angesehen werden konnte.[20] Der „Novellierungs-Eifer“ der Regierung Orbán II, der Ungarn von den Altlasten der sozialistischen Vorgängerregierung unter Ferenc Gyurcsány befreien sollte, ging dabei so weit, dass diese in nur einem Jahr seit ihrem Amtsantritt im April 2010 von der ungarischen Nationalversammlung insgesamt 320 Gesetze und am 18. April 2011 sogar eine neue Verfassung („Grundgesetz Ungarns“) verabschieden ließ, in der über 30 sogenannte „Kardinal-Gesetze“ („Cardinal Laws“) vorgesehen waren, mittels derer mit Zweidrittelmehrheit eine Reihe von Materien außerhalb der Verfassung geregelt werden konnten.
Dazu kamen noch, seit Ende 2009 – und zwar unter dem Deckmantel der Bekämpfung der „Zigeunerkriminalität“ – eine Reihe fremdenfeindlicher und xenophober Übergriffe von Angehörigen der Ungarischen Garde und anderer rechtsradikaler Gruppen – wie Vederö, Betyarsereg, Szebb Jövöert und Jobbik – gegen Angehörige von Minderheiten, vor allem gegen Roma. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Reihe von Verletzungen tragender Grundwerte der EU (Art. 2 EUV),[21] die in Summe ohne Zweifel eine „systemische Verletzung“ der Rechtsstaatlichkeit iSv Art. 7 EUV darstellten. Trotzdem kam es vorerst aber nicht zur Einleitung des an sich für solche Vorgänge konzipierten Sanktionsverfahrens des Art. 7 EUV bzw auch nicht zur Aktivierung des neuen „EU-Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“[22] (sog. „Vor Artikel 7-Verfahren“), sondern die Kommission begnügte sich mit der Einleitung einzelner Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV gegen Ungarn.[23]
Im Gegensatz zur Untätigkeit der Kommission wurde in diesem Zusammenhang aber das Europäische Parlament aktiv, das, nach einer Reihe einschlägiger Entschließungen – zB zum Mediengesetz in Ungarn,[24] zu der überarbeiteten ungarischen Verfassung,[25] zu den politischen Entwicklungen in Ungarn in letzter Zeit[26] und über die Lage der Grundrechte: Standards und Praktiken in Ungarn[27] – am 10. Juni 2015 eine von den Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken eingebrachte geharnischte „Entschließung zur Lage in Ungarn“ verabschiedete,[28] in der es ua feststellte, dass in den Vorgängen in Ungarn eine sich anbahnende „systemische Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit“ in Ungarn gesehen werden könnte“ (Punkt 10). Dementsprechend forderte es die Kommission ultimativ auf, die „erste Phase des „EU-Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ einzuleiten und folglich unverzüglich einen umfassenden Überwachungsprozess zur Lage der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn in Gang zu setzen und dabei der Frage nachzugehen, ob möglicherweise eine schwerwiegende Verletzung der in Artikel 2 EUV genannten Werte, auf die sich die Union gründet, vorliegt“ (Punkt 11). Trotz dieser unmissverständlichen Aufforderung durch das Europäische Parlament wendete die Kommission dieses rechtsstaatliche „Vor Artikel 7-Verfahren“ aber gegen Ungarn nicht an, und zwar auch dann nicht, nachdem sie dieses Verfahren Mitte Jänner 2016 erstmals gegen Polen zur Anwendung gebracht hatte.[29]
Im Rahmen der Regierung Orbán III (2014 – 2018) kam es zu einer Reihe weiterer gravider Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips, die vor allem die von George Soros finanzierte private „Central European University“ (CEU) sowie die vom Ausland finanzierten INGOs/NROs betrafen. Besonders bedenklich war aber die von Orbán Anfang April 2017 initiierte Volksbefragung „Stoppt Brüssel“, im Rahmen derer das ungarische Volk per Brief zur Beantwortung von sechs Suggestivfragen aufgerufen wurde, die eine Reihe unrichtiger Beschuldigungen und falscher Tatsachenbehauptungen zulasten der EU enthielten.[30] Aber auch in diesen Fällen weigerte sich die Kommission, das rechtsstaatssichernde „Vor Artikel 7 EUV“-Verfahren, geschweige denn das Sanktionsverfahren gem. Art. 7 EUV einzuleiten, und zwar mit der mehr als fragwürdigen Begründung, dass sich Ungarn stets dialogbereit gezeigt und einige der gerügten Verletzungen auch wieder zurückgenommen hätte.
Nachdem Viktor Orbán in sechs Debatten im Europäischen Parlament immer wieder seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte – er konnte dabei stets auf die Unterstützung der EVP-Fraktion vertrauen – musste er sich in der Debatte am 26. April 2017 nicht nur die bisher schwersten Vorwürfe anhören, sondern auch zur Kenntnis nehmen, dass die Parteifamilie der EVP die Eskapaden seiner Fidesz nicht mehr bedingungslos zu decken bereit ist.[31] Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, wies in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf die vorerwähnten sechs Suggestivfragen im Rahmen der Volksbefragung „Stoppt Brüssel“ darauf hin, dass „Orban’s questionnaire was seeding anti-EU-sentiment. The questions isn’t about collecting opinions, but stirring up dissident against Europe“. Und der Abgeordnete der GRÜNEN im EP, Phillippe Lamberts, legte noch ein Schäuflein nach und warnte ganz offen „that the risk, Orban poses, as he constantly streches the EU’s red lines, is greater than that of the far-right politicians“.[32]
Trotz all dieser Bedenken zögerte die Kommission mit einer Einleitung des Verfahrens zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit gegen Ungarn.[33] Im Gegensatz dazu leitete sie aber gegen Polen – das sich in einer absolut vergleichbaren Lage mit Ungarn befand – am 13. Jänner 2016 die erste Stufe und am 27. Juli 2016 die zweite Stufe des „Vor Artikel 7 EUV“-Verfahrens ein. Da sich Polen aber uneinsichtig und nicht kooperationsbereit zeigte, ging die Kommission am 20. Dezember 2017 zur dritten Stufe dieses Verfahrens über und unterbreitete dem Rat einen Vorschlag zur Annahme eines Beschlusses gem. Art. 7 Abs. 1 EUV, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch Polen besteht.[34]
Im Gegensatz zum zögerlichen Vorgehen der Kommission gegen Ungarn verabschiedete das Europäische Parlament am 17. Mai 2017 erneut eine „Entschließung zur Lage in Ungarn“,[35] in der es die Auffassung vertrat, „dass angesichts der aktuellen Situation in Ungarn die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 EUV genannten Werte besteht und daher das Verfahren nach Artikel 7 Absatz 1 EUV eingeleitet werden muss“ (Punkt 9). In der Folge sprach sich das Europäische Parlament in seiner Abstimmung über die Einleitung des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 Abs. 1 EUV gegen Ungarn am 12. September 2018 – auf der Basis eines Berichts der Abg. Judith Sargentini (Grüne/EFA, NL) – mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen (448 Pro-, 197 Kontra-Stimmen, bei 48 Enthaltungen) für die Einleitung des „Frühwarnsystems“ des Art. 7 Abs. 1 EUV gegen Ungarn aus.[36] Damit wurde, mit einer einjährigen Verzögerung, der sanktionspolitische „Gleichstand“ Ungarns mit Polen erreicht.
Die (zeitliche) Suspendierung der Fidesz im Rahmen der EVP (2019)
Parallel zur Initiierung des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 EUV wurde im Rahmen der EVP aber auch der Ausschluss bzw die Suspendierung der ungarischen Regierungspartei Fidesz aus dieser größten Parteienfamilie im Europäischen Parlament diskutiert. Nachdem dreizehn Mitgliedsparteien der EVP (von insgesamt 51) aus neun Mitgliedstaaten der EU, vorrangig aus Nordeuropa und der Benelux,[37] einen Antrag auf Ausschluss der Fidesz gestellt hatten, musste der Vorstand der EVP tätig werden, da gemäß der EVP-Statuten die Aussetzung der Mitgliedschaft und der Ausschluss eines Mitglieds nur vom Vorstand beschlossen werden kann: „Dieser muss seine Gründe nicht mitteilen. Ein Antrag auf Ausschluss eines Mitglieds kann nur vom Präsidium oder von sieben ordentlichen oder assoziierten Mitgliedsparteien aus fünf verschiedenen Ländern gestellt werden. Das Präsidium kann die betroffene Partei anhören“.[38]
Vor der entsprechenden Sitzung des erweiterten Vorstandes der EVP hatte der Fraktionschef der EVP, Manfred Weber, der Fidesz folgende drei Bedingungen gestellt:
– Einstellung der Plakatkampagne gegen Jean-Claude Juncker und George Soros;
– Entschuldigung gegenüber der EVP und
– Rechtssicherheit für den Verbleib der Zentraleuropäischen Universität (CEU) in Budapest. Zudem müsse die CEU wieder amerikanische Diplome in Budapest ausstellen können.[39]
Weber schlug auch vor, die Fidesz nicht sofort aus der EVP auszuschließen, da damit der EVP ja elf Mandate für die Wahl des Europäischen Parlaments Ende Mai 2019 verloren gingen, sondern deren Mitgliedschaft „auf sechs Monate einzufrieren“ und deren Stimmrecht in dieser Phase zu suspendieren.[40]
Am 20. März 2019 kam es zur entscheidenden Sitzung des EVP-Vorstandes, auf der man sich nach stundenlangen und heftigen Diskussionen mit 190 zu 3 Stimmen auf folgenden Kompromiss einigte. Die Fidesz wird aus der EVP nicht ausgeschlossen, sondern ihre Mitgliedschaft nur suspendiert, und zwar auf sechs Monate. Auf Wunsch der Ungarn wurde auch eine Formulierung aufgenommen, wonach EVP und Fidesz die Aussetzung der Mitgliedschaft „gemeinsam“ vorschlagen.[41] Joseph Daul, der Präsident der EVP, erklärte nach der Sitzung, die EVP müsse ein „Leuchtturm der Werte“ bleiben, bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, akademischer Freiheit und Minderheitenrechten könne es keine Kompromisse geben. Außerdem sei die Anti-EU-Rhetorik Orbáns inakzeptabel.[42]
Ein dreiköpfiger „Weisenrat“ soll in dieser Phase in Ungarn die Beachtung der „Wissenschaftsfreiheit“ und, ganz allgemein, den genauen EU-Kurs der Regierung Orbán überprüfen und danach entscheiden, ob und wann die mitgliedschaftlichen Recht der Fidesz in der EVP wieder in Kraft gesetzt werden können.
Die Einsetzung eines „Weisenrates“ für Ungarn
Die erste personelle Zusammensetzung des „Weisenrates“ sollte zunächst folgendermaßen lauten: BK Sebastian Kurz, CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und Ministerpräsident Markus Söder (CSU).[43] Diese drei Persönlichkeiten sollten die Situation in Ungarn untersuchen und danach einen Bericht vorlegen, der als Basis für die Entscheidung über den Verbleib der Fidesz in der EVP dienen werde.[44] Zwischenzeitlich sollte der nach Budapest gereiste EVP-Spitzenkandidat, Manfred Weber, versuchen, auf Orbán einzuwirken, um – wie dies bereits schon früher öfter geschah – von diesem entsprechende Zugeständnisse zu erhalten.
In der Folge wurde aber eine andere Zusammensetzung des „Weisenrates“ vorgeschlagen, die wie folgt lautete: der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der frühere belgische Ratspräsident Herman van Rompuy und der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, der Deutsche Hans-Gert Pöttering (CDU).
Orbán seinerseits befürwortete das Konzept eines „Weisenrates“ mit den Worten: „Was gut für Österreich ist, ist auch gut für uns“[45] und setzte zugleich ein dreiköpfiges Gremium, bestehend aus Fidesz-Politikern, ein, das mit dem „Weisenrat“ verhandeln werde.[46] Gleichzeitig erklärte er, dass Fidesz aus freien Stücken die Mitarbeit in allen EVP-Gremien ruhen lasse, solange der von der EVP eingesetzte „Weisenrat“ die Lage in Ungarn überprüfe.[47]
Der „Weisenrat“ soll, ohne zeitliche Begrenzung – wohl frühestens im Herbst, aber auf jeden Fall nach der Direktwahl zum Europäischen Parlament Ende Mai 2019 – entscheiden, wann die Fidesz wieder in die EVP aufgenommen werden soll.
Fazit
Die im Jahre 2000 gegen Österreich ergriffenen Sanktionsmaßnahmen unterscheiden sich grundlegend von denen, die 2019 gegen Ungarn im Allgemeinen und gegen die Fidesz im Speziellen in Gang gesetzt wurden. Der Grund für die „Maßnahmen der Vierzehn“ gegen die österreichische Bundesregierung – die weder völkerrechtlicher, noch europarechtlicher Natur sondern vielmehr im Bereich der Courtoisie angesiedelt waren – war die Regierungsbeteiligung der als fremdenfeindlich und rassistisch eingestuften FPÖ, die sich aber während ihrer gesamten Regierungsbeteiligung keinen xenophoben „Ausrutscher“ leistete. Nach der Aufhebung der Sanktionen durch den „Weisenbericht“ fanden es aber die Initiatoren der Sanktionen, Pierre Moscovici und Louis Michel, nicht der Mühe wert, den Österreich durch die Sanktionen zugefügten enormen immateriellen Schaden durch eine entsprechende „Genugtuung“, zB in Form einer Entschuldigung, zumindest ansatzweise auszugleichen. Der, während seines offiziellen Wien-Besuchs am 25./26. Mai 2001, ebenfalls auf eine Entschuldigung hin angesprochene deutsche Bundeskanzler, Gerhard Schröder, erklärte – unter Bezug auf die Sanktionen – dezidiert: „Ich sehe sie nicht als Fehler“, und Außenminister Joschka Fischer erklärte sogar, „dass er diesbezüglich einen Teufel tun werde“ (sic).[48]
Im Gegensatz dazu sprach sich das Europäische Parlament, und nicht die Europäische Kommission, wegen der andauernden Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips in Ungarn am 12. September 2018 – mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen – für die Einleitung des „Frühwarnsystems“ des Art. 7 Abs. 1 EUV gegen Ungarn aus, womit es ganz offiziell den europarechtlich vorgesehen Sanktionsmechanismus für „systemische“ Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips aktivierte.
Die einzige „Gemeinsamkeit“ beider Sanktionen ergibt sich damit aus dem Umstand, dass es aufgrund der österreichischen Erfahrung mit den „Sanktionen der Vierzehn“ durch den Vertrag von Nizza (2001) zur Einführung des sog. „Frühwarnsystems“ in Art. 7 Abs. 1 EUV gekommen ist,[49] dessen Einleitung gegen Ungarn, wie eben erwähnt, vom Europäischen Parlament am 12. September 2018 beschlossen wurde.[50]
Was hingegen die Suspendierung der Mitgliedschaft der Fidesz in der EVP betrifft, so hat dieser Vorgang ebenso keine unmittelbare Parallele in Bezug auf den „Weisenbericht“ für Österreich. Lediglich der in diesem Zusammenhang von der EVP eingesetzte tripartite „Weisenrat“ erinnert entfernt an die vom Präsidenten des EGMR eingesetzten „Drei Weisen“, deren Bericht die Beendigung der „Sanktionen der Vierzehn“ gegen die österreichische Bundesregierung ermöglichte, für die ursprünglich kein Ausstiegsszenario vorgesehen war. Der gravierendste Unterschied ist aber der, dass es sich damals um eine Mahnung an eine künftige Regierung Österreichs, und nicht wie in Ungarn um ein Regime gehandelt hat, das in den letzten acht Jahren die verfassungsmäßigen Grundlagen der liberalen Demokratie und den Rechtsstaat massiv aus den Angeln gehoben hat.
Die von Orbán bewusste Instrumentalisierung und Gleichsetzung der beiden „Weisenräte“ – um damit wohl auch Assoziationen zum „positiven“ Ausgang im Falle des „Weisenberichts“ für Österreich auszulösen – ist offensichtlich und wird von Kennern der Situation auch als solche erkannt. So wies der Abg. Othmar Karas jeden Vergleich des “Weisenrats“ der EVP mit jenem, der im Rahmen der EU-Sanktionen gegen Österreich im Jahr 2000 eingesetzt worden war, entschieden zurück.[51] Für Paul Lendvai wiederum handelt es sich dabei sogar um einen „mutwilligen“ Vergleich mit Österreich und dem damaligen BK Wolfgang Schüssel. Er verweist dabei auf die von Orbán erfundene Bezeichnung „österreichisches Drehbuch“, wobei „der von Orbán und seinem Apparat an den Haaren herbeigezogene Vergleich zwischen Österreich anno 2000 und Ungarn 2019 mehr ist als eine zynische und moralisch unzulässige Manipulation.“[52]
Auch die konkrete personelle Ausgestaltung des EVP-Weisenrates begegnet gewissen Bedenken. Wenngleich mit Wolfgang Schüssel, als einem der drei EVP-„Weisen“, eine Person nominiert wurde, die, als unmittelbar Betroffener, über das Zustandekommen des Rates der „Drei Weisen“ und deren Bericht über Österreich besonders gut informiert ist, könnte es an dessen „Objektivität“ in der Beurteilung der rechtsstaatlichen Verstöße des „illiberalen“ Staates Ungarn mangeln. Wolfgang Schüssel ist nämlich seinem „Du-Freund“ Viktor Orbán freundschaftlich seit der Zeit verbunden, als dieser den „Sanktionen der 14“ gegenüber eine reservierte Haltung eingenommen und in der Folge auch im Jahr 2006 Wien einen offiziellen Besuch abgestattet hat. Schüssel revanchierte sich dafür mit lobenden Worten für Viktor Orbán auf der von der Fidesz-MPSZ-Partei am 31. Mai 2012 in Budapest organisierten Konferenz „Nationale Werte im Fokus“ sowie in einem damit zusammenhängenden Interview im ungarischen Fernsehen. Im Gegenzug kam Orbán 2015 zur Feier von Schüssels 70. Geburtstag nach Wien. Bereits vor seiner Nominierung als Mitglied des „Weisenrates“ der EVP hatte Schüssel auch erklärt, „dass er von einem Ausschluss der Fidesz wenig hält“.[53]
Inwieweit diese personelle Nähe Wolfgang Schüssels zu Viktor Orbán diesem ein objektives Urteil über die mannigfachen Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte in Ungarn durch die drei Kabinette Orbáns möglich macht, sei dahingestellt. Es scheint damit aber einmal mehr eine Situation herbeigeführt worden zu sein, deren Rahmenbedingungen Orbán begünstigen und es ihm uU ermöglichen werden, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Am Ende dieses Jahres wird man mehr darüber wissen, ob ihm dies tatsächlich gelungen ist.
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[1] EVP beschließt Suspendierung der ungarischen Fidesz-Partei, derstandard.at, vom 20. 3. 2019; https://derstandard.at/2000099905956/EVP-beschloss-Suspendierung-von-ungarischer…
[2] „Österreichische Lösung“. EVP spielt bei FIDESZ-Problem auf Zeit; https://orf.at/stories/3115901/
[3] Sie dazu Hummer, W. Die „Maßnahmen“ der 14 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen die österreichische Bundesregierung. Die „EU-Sanktionen“ aus juristischer Sicht. Chronologie, Kommentar, Dokumentation, in: Hummer, W. – Pelinka, A. Österreich unter „EU-Quarantäne“ (2002), S. 49 ff.
[4] Vgl. Hummer, W. Behinderung der Mitwirkung Österreichs an der Willensbildung in der EU. Die „Maßnahmen der Vierzehn“ gegen die österreichische Bundesregierung und ihre Konsequenzen, in: Hummer, W. – Obwexer, W. 10 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs – Bilanz und Ausblick (2006), S. 139 ff.
[5] Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 7 und Dok. 8.
[6] ABl. 2000, C 309, S. 87 f.
[7] Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 5.
[8] Hummer, Die „Maßnahmen“ der 14 Mitgliedstaaten der EU (Fn. 3), S. 94 ff.
[9] „Statement from the Portuguese Presidency of the European Union on behalf of XIV Member States“; Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 8.
[10] Pierre Moscovici ist aktuell Mitglied der Europäischen Kommission und in ihr für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll zuständig.
[11] Moscovici, P. L’Europe, une puissance dans la mondialisation (2001), S. 141 ff.
[12] Vgl. Szyszkowitz, T. Österreich – Europa. „Ich bin der Vater der Sanktionen“, Format 49/01, S. 44.
[13] Szyszkowitz, Österreich – Europa (Fn. 12), S. 45.
[14] Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 68.
[15] Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 69.
[16] Die Presse vom 30. Juni 2000, S. 10.
[17] Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 88.
[18] Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 89.
[19] Für eine detaillierte chronologische Zusammenstellung der „Sanktionen der 14“ siehe Hummer-Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), S. 113 ff.
[20] Vgl. Hummer, W. Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Ungarn und Polen, EU-Infothek vom 12. Mai 2017.
[21] Vgl. Hummer, W. Die gemeinsame Wertebasis in der EU. Vertikales und horizontales „Kongruenz- und Homogenitätsgebot“, in: J. Pichler (Hrsg.), Rechtswertestiftung und Rechtswertebewahrung in Europa (2015), S. 65 ff.
[22] KOM(2014) 158 endg. vom 11. März 2014; vgl. dazu Hummer, W. Neuer Frühwarnmechanismus bei Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in der EU, EU-Infothek vom 8. April 2014.
[23] Vgl. Hummer, W. Ungarn erneut am Prüfstand der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wird Ungarn dieses Mal zum Anlassfall des neu konzipierten „Vor Artikel 7 EUV“-Verfahrens?, EuR 5/2015, S. 625 ff.
[24] ABl. 2012, C 199 E, S. 154 ff.
[25] ABl. 2013, C 33 E, S. 17 ff.
[26] P7_TA(2012)0053.
[27] P7_TA(2013)0315; vgl. dazu Hummer, W. Ungarn erneut am Prüfstand der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie (Fn. 23), S. 633.
[28] 2015/2700(RSP).
[29] Vgl. Hummer, W. Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Einleitung der zweiten Stufe des neuen „EU-Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“, EU-Infothek vom 2. August 2016.
[30] Vgl. Hummer, W. Neue Rechtsstaatsprobleme in Ungarn, Europäische Rundschau 2/2017, S. 100.
[31] Vgl. Zalan, E. EPP Group frustrated with Orbán; https://euobserver.com/political/137708
[32] Zalan, E. Orban set to face down EU-threats, https://euobserver.com/political/137675
[33] Vgl. Hummer, W. Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Ungarn und Polen. Misst die Europäische Kommission dabei mit zweierlei Maß?, EU-Infothek vom 16. Mai 2017.
[34] Vgl. Hummer, W. Nutzlose „rote Karte“ der Kommission gegen Polen?, EU-Infothek vom 8. Jänner 2018.
[35] 2017/2656(RSP); P8_TA(2017)0216; B8_0295/2017.
[36] A8-0250/2018.
[37] Vgl. Bayer, L. European conservatives’ Orbán crisis: State of play; https://www.politico.eu/article/fidesz-epp-european-peoples-party-viktor-orban-what-happens-next/
[38] Czarnowska, M. Rauswurf oder nicht?, Wiener Zeitung vom 20. März 2019, S. 4.
[39] Die CEU war im Dezember 2018 unter dem Druck der ungarischen Regierung nach 26-jähriger Tätigkeit in Budapest nach Wien umgezogen, wo ihr die Gemeinde Wien das Otto Wagner-Areal in Steinhof (1140 Wien, Penzing) als Uni-Campus zur Verfügung stellte; vgl. Mayrhofer, M. CEU: Otto-Wagner-Spital wird neuer Uni-Campus, stadt-wien.at.
[40] Weber wollte Orbán zähmen, der aber blieb kämpferisch, Der Standard vom 21. März 2019, S. 3.
[41] EVP legt Beziehungen zu Orban-Partei auf Eis; https://www.oe24.at/welt/EVP-legt-Beziehungen-zu-Orban-Partei-auf-Eis/372703162
[42] Orbán setzt Mitgliedschaft in EVP freiwillig aus und will Urteil des „Weisenrats“ abwarten; https:/wwwdirekt.unzensuriert.at/content/0029254-Orban-setzt-Mitgliedschaft-EVP-f…
[43] Medien: „Weisenrat“ soll Bericht zu Ungarn erstellen; https:www.tt.com/ticker/15424128/medien-weisenrat-soll-bericht-zu-ungarn-erstellen
[44] „Weisenrat“ soll für EVP angeblich Ungarn-Bericht erstellen; https://orf-stories/3114857/
[45] Orban installiert „Gegen-Weisenrat“; https://orf.at/stories/3115901/
[46] Vgl. Kirchweger, K. Orban lässt sich von EU nicht unterkriegen: Trotz „Weisenrat“ bleibt Ungarn bei seiner Linie; https://www.wochenblick.at/trotz-weisenrat-bleibt-ungarn-bei-seiner-linie/; Suspendierte Fides-Partei will CSU-Politiker Weber weiter unterstützen; //www.spiegel.de/politik/ausland/viktor-orban-suspendierte-fidesz-partei-will-ma…
[47] EVP beschließt Suspendierung der ungarischen Fidesz-Partei (Fn. 1), op. cit.
[48] Hummer, Die „Maßnahmen“ der 14 Mitgliedstaaten der EU (Fn. 3), S. 106 ff.
[49] Hummer/Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“ (Fn. 3), Dok. 90, Dok. 91 und Dok. 92.
[50] Siehe Fn. 36; vgl. Das Ende der „EU-Sanktionen“ gegen Österreich – Präjudiz für ein neues Sanktionsverfahren?, in: The European Legal Forum 2-2000/01, S. 77 ff.
[51] EVP-„Weisenrat“ soll Bericht zu Ungarn erstellen, vom 12. März 2019; https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/evp-weisenrat-soll-bericht-zu-ungarn-er…
[52] Lendvai, P. Ungarn ist nicht Österreich, Der Standard vom 26. März 2019, S. 27.
[53] Mayer, T. EVP suspendierte Fidesz, das Problem Orbán bleibt; derStandard.at vom 20. März 2019; https://derstandard.at/2000099911049/Europaeischen-Volkspartei-suspendiert-Fidesz-…