Zahlreich sind die Stimmen in Frankreich, die die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank unterstützen. Mehr noch: Ihnen reicht der bisherige Instrumentenkasten der EZB nicht aus.
[[image1]]So hat vor kurzem auf Bestellung des Premierministers der sog. Rat für Wirtschaftsanalyse (Conseil d’Analyse Economique) voluntaristische Maßnahmen gefordert, um den Außenwert des Euro zu drücken.[1] Alle diese französischen Stimmen sind sich darüber einig, dass das italo-französische Tandem Draghi/Coeuré mit seiner Nullzins-Politik gute Arbeit leistet (und damit negative Realzinsen in Kauf nimmt), und dass die Flutung der Banken mit mehr als 1,2 Billionen Euro gegen Kollaterale, die immer weniger wert sind, im Dezember 2012 und im Februar 2013 für die Wirtschaft gut gewesen sei. Dies nennt man die neue Flexibilität in der Geldpolitik, und zum ersten Mal folgt man den „guten Beispielen“ der amerikanischen Federal Reserve und der Bank of England in ihrem Konzept „unkonventioneller“ Geldpolitik. Dass diese verdammten Deutschen innerhalb der EZB hiergegen wie die letzten Mohikaner protestieren, ist eher ein gutes Zeichen, weil deren monetäre Orthodoxie immer das große Übel war, mit dem man die strukturellen Unterschiede zwischen deutscher und französischer Wirtschaft zu „erklären“ vermochte.
Nichts sei konsequenter, als vom Zauberberg in Frankfurt und seinen beiden lateinischen Meistern zu fordern, dass sie noch größere Flexibilität in der Geldpolitik zeigen. Es ist in Paris herrschende Meinung, dass hierdurch eine gleichsam wundersame Lösung der bestehenden Wirtschaftsprobleme Frankreichs erwartet werden kann.
Die Prediger dieser laxen Geldpolitik scheinen die Schlacht um die öffentliche Meinung in Frankreich gewonnen zu haben. Aber halten ihre Thesen der Wirklichkeit stand?
Zunächst muss man feststellen, dass nicht einmal ein Drittel der Liquidität, die den Banken von der EZB eingeräumt worden ist, in Form von Krediten ihren Weg in die Realwirtschaft gefunden hat. Der größte Teil der Liquidität ist hingegen in kurzfristig rentablere Platzierungen investiert worden. Warum? Ganz einfach: Weil französische wie deutsche Geschäftsbanken das gering verzinsbare Geld im Wege eines sog. „Carry Trade“ lieber eine Zeit lang in italienische, spanische oder hochverzinsliche thailändische Staatsanleihen investieren. Der Ertrag einer solchen, risikoreichen Investition ist immer größer und wird schneller realisiert, als dies im schwierigen Geschäft des langfristigen Industriefinanzierungskredits, wie es früher der Crédit Agricole oder die Industriekreditbank in Deutschland praktizierten, möglich ist. Obwohl diese beiden Institutionen zur Industriefinanzierung erfolgreich beitrugen, erreichten sie nie die Rentabilität des Eigenkapitals von Goldman Sachs.
„Gute Verwendung“ des Zentralbankgeldes sicherstellen
Für eine Zentralbank ist es schwierig, die „gute Verwendung“ des Zentralbankgeldes, welches in Form von Krediten an die Geschäftsbanken und Geschäftspartner ausgeliehen worden ist, sicher zu stellen. Aber sie könnte – gemeinsam mit der Politik – den direkten Zugang zum Zentralbankgeld jenen Banken vorbehalten, die sich darum bemühen, die Wirtschaft zu finanzieren, statt mit den Profis der Volatilität wie Goldman Sachs zu konkurrieren. Daher sollte den Investmentbanken, also jenen Instituten, die im Wesentlichen ihr Geschäft mit Wertpapierhandel betreiben, der Zugang zur EZB versagt werden. Mögen diese Wertpapier-Handelshäuser ihre Operationen mit Eigenmitteln, ähnlich wie einen Investitionsfonds, betreiben, aber ohne auf die monetären Fazilitäten einer Zentralbank zurückzugreifen!
Diese Schlussfolgerung ist zwingend, angesichts der Weigerung der Banken, die Wirtschaft mit Kredit zu versorgen. Zentralbankgeld, von Zentralbanken ex nihilo geschaffen, ist eine preziöse Ressource, die im wahrsten Sinne des Wortes Kreditinstituten vorbehalten bleiben sollte. Im Verhältnis zum einfachen Verbraucher, der einen Kredit beantragt, lässt sich die bevorzugte Behandlung von Kreditinstituten überhaupt nur in dem Maße rechtfertigen, wie sie ihre Rolle als finanz-intermediärer Kreditversorger vollumfänglich wahrnehmen. Wenn hingegen Kreditinstitute als Universalbanken fortfahren, aus Rentabilitäts-Gesichtspunkten den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf den Wertpapierhandel zu legen, verliert der privilegierte Zugang zum Zentralbankgeld der EZB seine raison d’être. Die Realwirtschaft, d.h. Industrie und Dienstleistung, würde nichts verlieren, wenn Investmentbanken nicht länger Zugang zur Zentralbank hätten. Im Gegenteil: Die Finanzstabilität würde davon profitieren. Aber dies ist nur eine Vorbedingung, damit die Kreditinstitute zu ihrer spezifischen, unverzichtbaren Kernaufgabe zurückkehren.
Im Rahmen des Vorhabens einer Bankenunion, das vom Präsident der Europäischen Kommission maßlos gelobt wird, hingegen vom inkompetentesten der europäischen Kommissare, Herrn Barnier, organisiert wird, ist nichts vorgesehen, um die Kernfunktion der Banken als Kreditinstitute zu stärken. Aber alles, oder fast alles wird unternommen, um die Geschäftsführungsfehler und die operativen Fehler der Volatilitätsprofis in den Trading-Floors der Banken zu vergemeinschaften. Das Vorhaben gibt vor, den Steuerzahler davor zu schützen, für die Rekapitalisierung von Banken verantwortlich gemacht zu werden. Es tut dies, indem man Sparkassen und Genossenschaftsbanken zur Kasse bittet, um sie mit haften zu lassen für große Investmentbanken, die sich darüber lustig machen, für die Kreditversorgung der Industrie verantwortlich zu sein. Das heißt, Banken, die nie öffentliche Hilfe für ihr Geschäftsmodell verlangt haben, werden für solche zur Kasse gebeten, die ein systemisch anfälliges Geschäft betreiben. Dies wird mitnichten die Dysfunktionalität der Industriefinanzierung beseitigen, sondern die Instabilität des Finanzsystems verstärken, weil auf diese Weise die Investmentbanken sicher sein können, sich für ihre eigene Rechnung in riskante Marktoperationen zu werfen, nachdem sie zunächst von der EZB im Überfluss Liquidität zu Minizinsen gegen zweifelhafte Kollaterale erhalten haben.
Gewiss ist es unmöglich, nur nach hinten zu schauen und eine Rückkehr in die glückseligen 60er-Jahre im Bankwesen zu predigen. Aber es ist höchste Zeit, sich zu fragen, ob die Total-Verbriefung und die Total-Dereglementierung der globalen Finanz der Realwirtschaft geholfen haben. Letztere bleibt die Grundlage unseres technologischen Fortschritts und unseres Wohlstands. Bis jetzt fällt die Bilanz der Investmentbanken hinsichtlich der Finanzierung der Industrie und im Hinblick auf die Finanzstabilität ausschließlich negativ aus.
1909 schrieb der deutsche Sozialist Rudolf Hilferding[2] – später Finanzminister in den schwierigen Jahren der Weimarer Republik – in seinem seherischen Werk „Das Finanzkapital“ über die Autonomisierung des Finanzsektors. Es wäre für die Visionäre in Brüssel nützlich, diesen großen Klassiker einmal zu lesen, um die Feinde der Marktwirtschaft und den Kern des Problems besser zu zernieren: Das politische Primat der Finanz über die Industrie.
[1] S. den Vermerk „Der Euro im Währungskrieg“, der dem Premierminister am 16. Januar 2014 vorgelegt wurde.
[2] Das Finanzkapital, Berlin 1909. Hilferding gehörte zu den großen revisionistischen Theoretikern der damaligen SPD. Er wurde in Auschwitz ermordet.