Geographisch gesehen ist Großbritannien die größte Insel Europas. Politisch ist das Verhältnis nicht erst seit dem Brexit sehr ambivalent.
Am Regierungssitz des Vereinigten Königreichs in der Londoner Downing Street 10 herrscht, nicht erst seitdem Boris Johnson Premierminister ist, Chaos. Begonnen hat es bereits unter dessen Vor-Vorgänger David Cameron. Um seine innerparteiliche Position abzusichern, ging er – ein britischer Pro-Europäer – das Risiko einer Volksabstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU ein. Weil man es verabsäumt hatte, die pro-europäischen Kräfte innerhalb der Bevölkerung zu mobilisieren, endete das Votum am 16. Juni 2016 mit einem knappen aber doch überraschenden „No“. Seitdem wird um den „Brexit“ gerungen. Nachdem es Theresa May nicht gelungen war, mit dem Parlament einen gemeinsamen Nenner für den Austrittsmodus zu finden, übernahm Johnson das Ruder. Seitdem – so eine deutsche TV-Reporterin – spricht man nicht mehr von der Downing sondern von der „Clowning Street“.
Als ein Viertel der Weltbevölkerung zum Empire gehörte
Um das Verhältnis der Briten zu Europa zu verstehen, muss man freilich auch einen Blick in die Geschichte werfen. War doch das British Empire einmal das größte Kolonialreich der Geschichte. Begonnen hatte es 1583 damit, dass der Abenteurer Humphrey Gilbert eine Weltumseglung unternahm, nach Neufundland kam und es sogleich in englischen Besitz nahm. In weiterer Folge begann das Vereinigte Königreich politische und wirtschaftliche Macht weltweit zu entfalten, die Herrschaft über Kronkolonien, Protektorate und sonstige abhängige Gebiete auszuüben. 1922, zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung, umfasste es mit 458 Millionen Einwohnern ein Viertel der damaligen Weltbevölkerung. 1931 wurde dann das British Commonwealth, gewissermaßen der Dachverband des britischen Machtverbandes, geschaffen.
Gewichtsverschiebungen innerhalb des Commonwealth
Viele Briten leben bis heute im Bewusstsein, einer Weltnation anzugehören. Mit Europa verbindet sie eben nur die geologische Zugehörigkeit zum Kontinent. Übersehen wird dabei die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Aus den Kolonien wurden selbstbewusste, unabhängige Staaten, die heute ihre eigene Rolle im internationalen Konzert spielen. Und nur noch für die Yellow Press den roten Teppich ausbreiten, wenn Mitglieder des englischen Königshauses auf Besuch kommen. Indien und Südafrika sehen etwa ihre Rolle inzwischen in „BRICS“, einer Vereinigung aufstrebender Volkswirtschaften, zu den auch noch Brasilien, Russland und China zählen. Die Gewichte haben sich eben verschoben. Seit dem Zweiten Weltkrieg bildet das transatlantische Bündnis, also die Achse London-Washington, die eigentliche tragende Basis.
Churchill plädierte für Vereinigte Staaten Europas
Mit Kontinentaleuropa verbindet Großbritannien freilich nicht nur der Ärmelkanaltunnel. Letztlich haben sich die Briten auch als Transmissionsriemen zwischen Europa und den USA verstanden. Der britische Parlamentarismus galt als vorbildhaft – ist aber mittlerweile, siehe das Brexit-Abstimmungsdilemma – selbst reformbedürftig geworden. Britische Politiker haben aber auch an der Gestaltung der Politik Europas entscheidend mitgewirkt. Das zeigt sich an Hand eines Blicks in die jüngere Zeitgeschichte. So etwa plädierte Winston Churchill bereits am 19. September 1946 wörtlich dafür, „eine Art Vereinigter Staaten von Europa zu errichten.“ Allerdings mit einer Einschränkung. Und das ist wiederum typisch: Nämlich ohne Großbritannien.
Als Frankreich die Briten vor den Kopf stieß
London sieht aber, nachdem sehr rasch nach Kriegsende, Russland am Aufbau seines eigenen Imperiums arbeitet, damit aus Partnern Gegner werden und somit die Periode des „Kalten Kriegs“ beginnt, die Notwendigkeit des stärkeren Zusammenrückens. Mit dem Effekt, dass Frankreich, Großbritannien und die Benelux-Staaten am 17. März 1948 ein Militärbündnis schließen. Daraus hätte in weiterer Folge eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft werden sollen. Diese scheiterte freilich nicht an den Briten, sondern an den Franzosen. Es war der französische Präsident Charles de Gaulle, der sich Sorge um den Verlust der nationalen Identität machte und gewisse Aversionen gegen einen zu starken Einfluss der Deutschen und auch der Briten hegte.
Die Briten arbeiten am Aufbau des neuen Europas mit
In Europa beginnt man jedenfalls nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehr intensiv damit, Institutionen zu schaffen, die sich um die politische Zusammenarbeit bemühen. Und die Britten machen daran auch zunächst mit. Nicht zuletzt auch dadurch bedingt, dass Westeuropa bemüht war eine klare Gegenposition zum kommunistischen Osteuropa zu beziehen. Das war sicherlich einer der wesentlichen Beweggründe für das Zusammenrücken, den Schulterschluss. So indem am 5. Mai 1949 gemeinsam mit Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Schweden der Europarat gegründet wurde. Als eine zwischenstaatliche politische Organisation, die sich den Schutz und die Stärkung der Einheit und der Zusammenarbeit aller Nationen Europas zum Ziel nahm.
London spielt nur Zuseherrolle bei Gründung der EWG
Die Spannungen zwischen Paris und London führten freilich dann zu Beginn der 1950er Jahre dazu, dass sich Großbritannien bei den nächsten Schritten, als es um die wirtschaftliche Zusammenarbeit ging, zu zieren begann. So als am 18. April 1951 die so genannte Montanunion gegründet wurde. Die Intention dabei war es nicht nur, wie es heute schönfärberisch klingt, die deutsche und französische Kohle- und Stahlpolitik zu harmonisieren, sondern die damals kriegsentschiedenen Industrien unter eine gemeinsame Kontrolle zu stellen. Es waren diesmal nur Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten, nicht aber Großbritannien, die ihre Unterschrift unter den Vertrag stellten. Daran änderte sich auch nichts am 25. März 1957, als in Weiterentwicklung der Montanunion, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aus der Taufe gehoben wurde.
Die EFTA eine Soft-EWG ohne Zukunftsperspektive
Nebst dem von den Deutschen kreierten ordnungspolitischen Modell der Sozialen Marktwirtschaft ist es vor allem die EWG, die zum großen Wirtschaftsaufschwung in Europa beiträgt. Diese Entwicklung weckte nun wieder auch das Interesse in London. Noch dazu wo die britische Wirtschaft damals, wiewohl das Land zu den so genannten Kriegsgewinnlern zählte, schwer nachhinkte. Und so wurde am 20. November 1959 gemeinsam mit Dänemark, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und der Schweiz die EFTA, die Europäische Freihandelsassoziation, gegründet. Im Grunde genommen, eine Zollunion, die keine politischen Ziele verfolgte und auch mit der Entwicklung der EWG nicht Schritt halten konnte. Und so stellte London am 9. August 1961 einen Aufnahmeantrag, um von der EFTA zur EWG zu wechseln.
Bereits 1975 veranstalteten die Briten eine Volksabstimmung
Nicht nur die Briten hatten ein mitunter gespaltenes Verhältnis zu Europa. Auch Europa behandelte den Inselstaat oft nicht mit dem nötigen Respekt. Wieder waren es die Franzosen und De Gaulle, der ein Veto, gegen den Beitritt Großbritanniens zur EWG einlegte. Es dauerte bis zum 1. Jänner 1973, dass das Vereinigte Königreich endlich der EWG beitreten konnte. Allerdings hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Denn schon zwei Jahre später am 5. Juni 1975 fand ein Referendum über die Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft statt. Damals im Gegensatz zu 2016 mit einem positiven Ergebnis, votierten doch 67,2 Prozent der Abstimmenden für einen Verbleib in der EWG. Trotz jahrzehntelanger Mitgliedschaft ist in der britischen Bevölkerung seit dem Beitritt immer eine europaskeptische Grundstimmung verblieben. Interessanterweise haben sich die Positionen vieler politischer Parteien umgekehrt. Die pro-europäischen Konservativen wurden EU-kritisch, die Sozialdemokraten dafür pro-europäisch.
Der Briten-Rabatt als Bindeglied für die Mitgliedschaft
Wissend um die Wichtigkeit Großbritanniens für die Europäische Gemeinschaft (in punkto militärischer Potenz ist es das mit Abstand stärkste Land) gab es für London innerhalb der Union allerdings auch einige Ausnahmeregelungen, die dem Land eine Art Sonderstatus brachten. Dazu gehört der so genannte Briten-Rabatt. 1984 wurde dieser auf Betreiben der damaligen Regierungschefin Margaret Thatcher beschlossen. Mit der Begründung, dass die Landwirtschaft auf der britischen Insel viel kleiner als jene am Festland ist und daher weniger Fördergelder benötigt, wurde ein Nachlass von 66 Prozent auf die Nettozahlungen in das EU-Budget gewährt. Was seither den stattlichen Betrag von rund 120 Milliarden Euro ausmacht. Nicht nur das. Das Vereinigte Königreich machte auch beim Schengenabkommen und der gemeinsamen Währung, dem Euro, nicht mit. Die Hoffnung, das britische Pfund als Welt-Leitwährung zu erhalten, erfüllte sich freilich nicht.
Der Brexit ist sicher nicht das Ende der Beziehungen
Mit der Volksbefragung im Jahre 2016, die zum Brexit führte, ist sicher nicht der Schlussstrich unter das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zu Rest-Europa geschlossen. Zu eng sind auch die wirtschaftlichen Verflechtungen. Mehr als die Hälfte aller britischen Exporte gehen in die EU-Staaten, was einem Anteil von 15 Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Im Gegenzug kommen die Güter, die Großbritannien einführt, zu mehr als 50 Prozent aus der EU. Wenn sich jetzt die EU partout darauf versteift, den Brexit-Vertrag nicht mehr aufschnüren zu wollen, so wird die neue EU-Kommission sich im eigenen Interesse um neue Beziehungen mit dem abtrünnig gewordenen Mitgliedsland bemühen.
Ankara hat mit GB einen Fürsprecher in der EU verloren
Politisch könnte es theoretisch nach einem vollzogenen Brexit für die EU übrigens etwas leichter werden, politische Entscheidungen zu treffen. Die Briten waren nicht nur schon zu Beginn der 1990er Jahre, als es im Zuge der Auflösung von Ex-Jugoslawien zum Krieg am Balkan kam, lange Zeit ein Hemmschuh für eine internationale Lösung. London zeigte damals mehr Verständnis für Serbien als für die nach Unabhängigkeit strebenden Slowenen, Kroaten und Bosnier. Was übrigens historisch bedingt war, stand doch London im Ersten Weltkrieg auf der Seite Belgrads. Auch in den letzten Jahren legte man sich quer, wenn es darum ging, aufgrund der Menschenrechtsverletzungen den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein Ende zu setzen. Man wird sich freilich nicht auf die Briten ausreden dürfen, wenn trotzdem in der Causa Türkei nichts weitergeht. Denn auch eine Reihe anderer Seiten haben von der Illusion eines türkischen Beitritts noch nicht Abstand genommen.
Meine sehr persönliche Meinung ist, dass GB eine Atommacht ist.
Genau deshalb würde Europa nur noch eine Atommacht (Frankreich) haben, und Europa auf der Stelle in diesem Ranking halbieren. ….und genau aus diesem Grund würde die EU ALLES tun um die Briten so lange als möglich in der Gemeinschaft zu halten und werden noch ~zig Verschiebungen des Austritts zustimmen.