Donnerstag, 21. November 2024
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Großbritannien klagt gegen Tobin-Steuer

Die britische Regierung will den Finanzplatz an der Themse vor den negativen Folgen der geplanten Finanztransaktionssteuer schützen. Sie wandte sich deshalb an den Europäischen Gerichtshof, um die die ungeliebte Abgabe zu blockieren.

[[image1]]Osborne begründet Einwände

„Wir sind nicht prinzipiell gegen eine Steuer auf Wertpapiergeschäfte, schließlich haben wir in Großbritannien eine Stempelsteuer für den Handel mit Aktien“, sagte der britische Finanzminister George Osborne am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. „Allerdings machen wir uns Sorge, dass die von der EU-Kommission initiierte Steuer auch über die beteiligten elf Länder hinaus Auswirkungen haben wird. Deshalb haben wir uns zu juristischen Schritten entschlossen“, ergänzte Osborne. „Wir haben nichts dagegen, dass einige europäische Länder eine solche Steuer einführen wollen. Aber sie sollten das so machen, dass Großbritannien davon nicht beeinflusst wird“. Mit diesen Worten begründete der Minister den Entschluss seiner Regierung, beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen die Abgabe auf Geschäfte mit Aktien, Anleihen und Derivaten einzulegen, die ab Januar 2014 in elf Euro-Ländern eingeführt werden soll. Neben Deutschland und Frankreich sind dies Belgien, Estland, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien und Spanien.

Großbritannien konnte die Steuer nicht verhindern

Überraschend ist der britische Widerstand nicht. Schließlich hat London als größter Finanzplatz Europas am meisten zu verlieren. Zwar hat inzwischen auch die Regierung von Premier David Cameron erkannt, dass die britische Wirtschaft zu stark von den Finanzdienstleistern abhängig ist während die verarbeitende Industrie nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Dennoch ist die City of London immer noch einer der erfolgreicheren Sektoren der schwächelnden britischen Volkswirtschaft und leistet darüber hinaus einen großen Beitrag zum Steueraufkommen des Landes – insgesamt trägt die Finanzbranche rund zwölf Prozent bei. Deshalb wollen Osborne und Cameron die Gans, die goldene Eier legt, auch nicht opfern. Und vor allem wollen sie nicht riskieren, dass große internationale Banken dem größten Finanzplatz Europas den Rücken kehren.  Deshalb hatte sich die britische Regierung auch von Anfang an dagegen gewehrt, die sogenannte Tobin-Steuer in allen 27 EU-Ländern einzuführen. Großbritannien sei nicht grundsätzlich gegen eine solche Abgabe, sie müsste aber weltweit eingeführt werden, so das Argument. Am Widerstand Londons scheiterte dieses Projekt dann zwar, doch konnte die britische Regierung nicht verhindern, dass die von Deutschland und Frankreich angeführte Initiative ab Januar 2014 doch in elf Euroländern umgesetzt wird. Die Abgabe soll im Jahr bis zu 35 Milliarden Euro einbringen und damit einen finanziellen Ausgleich für die hohen Summen leisten, die für die Rettung der Banken während der Finanzkrise aufgewandt werden mussten. Außerdem soll die Steuer dazu beitragen, riskante Spekulationen an den Finanzmärkten zu verhindern. Die Befürworter erhoffen sich auch einen Rückgang des umstrittenen Hochfrequenzhandels. Neben Großbritannien machen auch Irland, die Niederlande und Luxemburg nicht mit.

Tobin Steuer

Die Idee einer Finanztransaktionssteuer geht auf den US-Ökonomen James Tobin zurück. Er brachte 1972 eine Steuer auf alle grenzüberschreitenden Devisenspekulationen ins Spiel und hatte damals eine Abgabe von einem Prozent vorgeschlagen. Der von der EU-Kommission ausgearbeitete Entwurf für die sogenannte Tobin-Steuer zielt darauf ab, eine Abwanderung von Finanzgeschäften in die steuerfreien Regionen innerhalb und außerhalb der EU zu vermeiden. Der Steuersatz soll 0,1 Prozent auf Aktien, Anleihen, Anteilen von Investmentfonds oder Geldmarktgeschäften betragen. Auf Termingeschäfte und Derivate sollen 0,01 Prozent erhoben werden. Sowohl Käufer als auch Verkäufer sollen den Plänen der EU-Kommission zufolge besteuert werden. Produkte für Kleinanleger wie Hypotheken, Kredite und Versicherungsbeiträge sollen nicht betroffen sein. Ausgenommen ist auch die Ausgabe neuer Staatsanleihen sowie krisenbedingte Aufkäufe solcher Papiere durch eine Notenbank oder den Euro-Rettungsfonds ESM.

Exterritoriale Effekte

Problematisch ist die Finanztransaktionssteuer (FTT) aus Sicht der Engländer für den Finanzplatz an der Themse, weil der vorliegende Entwurf ihrer Meinung nach vorsieht, dass ein Finanzprodukt unter gewissen Umständen auch dann der Steuer unterliegt, wenn es exterritorial – also außerhalb der beteiligten Länder – gehandelt wird. Das beträfe z.B. eine französische Anleihe, die von einem Händler in London oder New York gehandelt wird, obwohl weder Großbritannien noch die USA bei der FTT mitmachen. Genauso verhält es sich mit einer Aktie oder Wertpapier, dass aus einem der elf Länder stammt, die sich entschlossen haben, die Finanztransaktionssteuer einzuführen. Außerdem sollen Geschäfte auch dann besteuert werden, wenn ein Handelspartner aus einem der elf Euroländer kommt, das wäre nach Ansicht der britischen Regierung z.B. dann der Fall, wenn eine britische Bank mit einer deutschen oder österreichischen Bank in London ein Wertpapiergeschäft tätigt. Großbritannien wäre also betroffen, ohne die Steuer selbst einzuführen. Es müsste dann die Steuer einziehen, dürfte sie aber nicht behalten. Allerdings sieht die EU-Kommission das alles anders: Ein Sprecher sagte, die Kommission vertraue auf die Rechtmäßigkeit des Gesetzesentwurfs. Aus ihrer Sicht habe die Steuer keine extra-territorialen Effekte und entspreche dem internationalen Recht und den Prinzipien des EU-Binnenmarktes.

Briten legten schon zweimal Rechtmittel ein

Mit dem Gang zum EuGH wollen die Briten eine eindeutige Konkretisierung der komplexen Regelungsvorschläge erzwingen und erreichen, dass sie nicht – quasi durch die Hintertür – doch von der kontroversen Finanztransaktionssteuer eingeholt werden. Denn wenn es um den Finanzplatz London geht, kämpft die Regierung mit harten Bandagen. Das hat sie schon in zwei anderen Fällen bewiesen: So klagte sie im Jahr 2011 ebenfalls beim EuGH gegen die Europäische Zentralbank (EZB), nachdem diese erklärt hatte, Clearinghäuser, die ein hohes Ausmaß von in Euro gehandelten Finanzprodukten abwickelten, müssten künftig physisch in der Euro-Zone ansässig sein. Hintergrund war dabei, dass die EZB einen größeren Einfluss bei der Überwachung der Abwicklungsgesellschaften haben will. Das britische Finanzministerium sieht darin jedoch einen fundamentalen Verstoß gegen europäisches Recht, insbesondere das Prinzip eines einheitlichen Binnenmarktes. 2012 legte die britische Regierung außerdem Rechtsmittel gegen das Verbot von Leerverkäufen ein. Beide Fälle sind noch nicht entschieden.

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