Samstag, 2. November 2024
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Großbritannien: Was kommt nach Cameron?

Darf er bleiben oder muss er gehen? Am 7. Mai wird bei den Unterhauswahlen im Vereinigten Königreich über David Camerons Zukunft entschieden. Es geht allerdings um wesentlich mehr als den konservativen, widerspenstigen, oft ziemlich ratlos agierenden und  letztlich alles andere als populären britischen Premierminister.

Die 45 Millionen Briten werden mit ihrem Votum auch eine wichtige Richtungsentscheidung für die Europäische Union treffen – obzwar das Thema Europa diesmal eine eher untergeordnete bis gar keine Rolle spielt. Vielmehr sind das öffentliche Gesundheitswesen, die ungeliebten Immigranten, die stagnierenden Löhne oder das Problem Schottland die großen Themen im Wahlkampf.

Laut Meinungsumfragen liegen Tories und Labour Party Kopf an Kopf, bei jeweils etwa 30 Prozent. Alles deutet also darauf hin, dass es, wie beim Urnengang 2010, erneut keine absolute Mehrheit für eines der großen politischen Lager geben wird. Damit ist die jahrzehntelange Tradition, dass Großbritannien aufgrund des komplizierten Mehrheitswahlrechts stets von einer Alleinregierung geführt wurde, wohl endgültig passé. Cameron wird künftig jedenfalls ebenso wenig allein regieren können wie sein Herausforderer, der sozialdemokratische Oppositionschef Ed Miliband. Und damit ist es für viele eine Wahl zwischen Pest und Cholera, bei der sich die beiden Kontrahenten freilich massiv unterscheiden.

Der Premier mit Ablaufdatum, der nicht nur die EU-Kollegen häufig bis zur Weißglut zu reizen pflegte, sondern auch den eigenen Landsleuten ganz schön auf die Nerven ging, hat beispielsweise eine Volksabstimmung über die Mitgliedschaft bei der EU versprochen.  Für den lange unterschätzten Labour-Chef, der sich vor den letzten Wahlen beim Duell um die Parteiführung ausgerechnet gegen seinen älteren Bruder David durchsetzen musste, kommt das nicht in Frage. Der „rote Ed“, wie Miliband in Medien gerne bezeichnet wird, konnte in jüngster Zeit stark aufholen – und folglich ist es gar nicht mehr so unwahrscheinlich, dass er Cameron aus dem Amt werfen kann.

Wer unterstützt wen?

Wie es in Großbritannien politisch weitergeht, könnte von zwei anderen Spitzenkandidaten abhängen, die sich letztlich als Königsmacher geeignet wären – und zu denen wird Nick Clegg, Chef der Liberaldemokraten, nicht mehr gehören, weil er laut Umfragen nur noch mit acht Prozent der Stimmen rechnen kann und in der politischen Versenkung verschwinden dürfte: Die Spitzenkandidatin der schottischen Nationalpartei SNP, Nicola Sturgeon, jedoch und der schrullige EU-Gegner Nigel Farage, Boss der United Kingdom Independence Party (UKIP), haben durchaus Chancen, Steigbügelhalter für Tories oder Labour spielen zu dürfen.

Im Prinzip bieten sich zwei nahe liegende Optionen an: Zum einen könnte Farage, derzeit EU-Abgeordneter, Cameron stützen wollen, womit dieser automatisch seine notorische Europa-Skepsis noch verstärken müsste; der Premier hat eine Koalition mit Farage auch bereits ausgeschlossen. Der ist übrigens mit seiner Nein zu Europa-Partei nach dem Triumph bei den Europa-Wahlen im Vorjahr in der Publikumsgunst abgestürzt und wird nunmehr auf gerade mal 13 Prozent eingeschätzt. Zweite Variante: Die schottischen Separatisten, die zwar pro EU eingestellt sind, aber den Austritt aus dem Königreich wollen, unterstützen Miliband als Koalitionspartner – falls sie sich tatsächlich zur drittstärksten Kraft auf der Insel mausern könnten. Der Labour-Chef ist jedoch noch nicht bereit, sich über eine Unterstützung aus dem separatistischen Norden freuen zu können. Er muss sich auch längst schon den Vorwurf Camerons gefallen lassen, dass die beiden Parteien Großbritannien ins finanzielle Chaos führen würden.

Damit zeichnet sich eine schier ausweglose Situation ab, sodass keine Partei eine Regierung zu Stande bringen könnte. Alle übrigen Lager müssen sich nach dem 5. Mai höchstwahrscheinlich mit Statistenrollen begnügen: Die Liberaldemokraten werden, wie schon erwähnt, der Bedeutungslosigkeit anheimfallen – obwohl sich Nick Clegg mit dem wunderschönen Satz empfohlen hat, dass er in einer Koalition mit den Konservativen für „mehr Herz“ und in einer Koalition mit Labour für „mehr Hirn“ sorgen würde. Die Grünen in England, Wales, Schottland und Nordirland wiederum haben kaum Chancen, in einem der Wahlkreise zu gewinnen, und Leanne Wood von der Minipartei Plaid Cymru sowie Gerry Adams von Sinn Féin werden mit Sicherheit ebenfalls weiterhin unbeachtete Nebendarsteller sein.

Bleibt also letztlich – abgesehen von einer überaus riskanten Minderheitsregierung, die nicht lange überleben würde – eine große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten. Für das Inselreich, das sich stets als demokratisches Musterland versteht, wäre das allerdings ein extremes Experiment, das im Gegensatz zu vielen anderen Ländern noch niemals erprobt wurde. Schade eigentlich, denn es wäre einen Versuch wert, dass sich zwei höchst unterschiedliche Großparteien  bemühen, eine  gemeinsame Strategie zu finden anstatt sich jahrelang bis aufs Messer zu bekämpfen – und sich dabei zum Schaden des Königreichs zu paralysieren.

 

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