Die Sozialdemokraten sind auf der Suche nach einem neuen politischen Angebot für die Wähler und werden zum direkten Konkurrenten für die Grünen. Streit ist angesagt.
Die Zeiten da sozialdemokratische und grüne Parteien fast automatisch natürliche Regierungspartner bilden, scheinen vorbei zu sein. Vielmehr zeichnet sich ein direktes Konkurrenzverhältnis ab. In Deutschland ist darüber jetzt eine Auseinandersetzung ausgebrochen, wobei vor allem die SPD mit Vorwürfen an die Grünen nicht spart und den Bruch fast jahrzehntelanger enger politischer Beziehungen beklagt. In Österreich vollzieht die SPÖ mit ihrem neuen Grundsatzprogramm einen leisen Abschied von alten klassenkämpferischen Tönen und besetzt klassische Grünthemen. Der Verlust eines potentiellen Regierungspartners in Deutschland, der sozialdemokratische Grünschwenk in Österreich führt zu heftigen Debatten innerhalb von SPD und SPÖ.
Abkehr vom Arbeiterpartei-Image
Die Hintergründe sind in Deutschland und Österreich vorerst noch verschieden. Hierzulande ist aufgrund der Spaltung der Grünbewegung im vergangenen Jahr, dem Rauswurf der Alt-Grünen aus dem Parlament und den Turbulenzen rund um die Liste Pilz ein Vakuum entstanden. Noch ist nicht absehbar, ob es dem Nachlassverwalter Werner Kogler gelingt, eine neue Grünen-Liste aufzustellen, die auch Wählerakzeptanz findet. Die SPÖ sieht nun die Chance, bei den letzten Nationalratswahlen verlorenes Terrain wiedergutmachen zu können und vollzieht einen Schwenk in Richtung grün. Damit freilich wird sich eine neue Frage stellen, ob nämlich der klassische Arbeitnehmer dabei mitmacht. Eher wird damit der „Arbeiterpartei“ eine Chance geboten enttäuschte SPÖ Wähler abzuwerben. Was auch prompt schon zu kritischen Anmerkungen so etwa des burgenländischen Hoffnungsträgers Hans Peter Doskozil geführt hat.
SPÖ besetzt Grün-Themen
Bundesparteivorsitzender Christian Kern, der derzeit auch um seine Position an der Spitze der Partei kämpft und sich im Herbst einer Wiederwahl am Parteitag stellen muss, will mit dem SPÖ-Relaunch erreichen, dass die Partei einen „progressiven, toleranten und weltoffenen“ Gegenpol zur derzeitigen Bundesregierung bildet. Zwar versichert er, dass es ihm auch weiterhin um die „Verteilungsfrage“ geht, gleichzeitig aber will er noch mehr Augenmerk auf die Gestaltung der Arbeitswelt, leistbare Wohnungsmodelle und die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft legen. Alles Anliegen, mit denen die Grünen im letzten Wahlkampf punkten wollten. Zusätzlich setzt die SPÖ, wenn es nach Kern geht, pointiert auf eigentlich grüne Kernthemen wie den Klimaschutz. Mit dem Toleranzanspruch sucht man einen Spagat zwischen Willkommenspolitik (die am linken Flügel gefragt ist) und strenger Asylpolitik (die die Kernwählerschichten wollen).
Verlust von Koalitionsoptionen
Mit dieser Neuorientierung wird ohne Zweifel der Platz für die Traditions-Grünen schmäler. Mit dem Abdecken grüner Themen wird ein Einstieg einer neuauferstandenen regenerierten Grün-Partei in ein SPÖ-Bündnis schwieriger, ja sogar weniger interessant, weil in einer solchen Konstellation kaum Platz für eigene Profilierungen besteht. Nachdem die SPÖ weiterhin in einer Zusammenarbeit mit der FPÖ ein so genanntes No-Go sieht, bleiben wenige Koalitionsoptionen übrig. Mit den NEOS allein (von denen man noch nicht weiß wie sie den Rückzug von Parteigründer Matthias Strolz verkraften) geht sich keine Mehrheit aus. Bleibt somit nur die unter Kern unbeliebt gewordene Volkspartei.
Kopf-an-Kopfrennen zwischen Grün und Rot
In Deutschland ist die Lage noch etwas anders. Während in Österreich die Liste Pilz und die Grün-Reste in den Umfragen zusammen auf nur 7 bis 8 Prozent kommen, liegen die Grünen/Bündnis 90 derzeit bereits bei 15 Prozent, sind ganz nahe an die SPD herangerückt, von der sie gerade einmal nur noch drei Prozent trennen. Meinungsforscher halten es angesichts des Zustandes der SPD auch unter der neuen Parteivorsitzenden Andrea Nahles nicht für ausgeschlossen, dass es demnächst sogar zum Gleichstand kommt. Das lässt sozialdemokratische Nerven blank liegen. Dazu kommt, dass die Grünen jetzt auch noch Salz in die offenen Wunden streuen.
Grüne öffnen sich zur Union
Niemand geringerer als der Parade-Grüne Jürgen Trittin hat nun festgestellt, dass es sich bei den Grünen und Sozialdemokraten um „keine gottgegebenen Bündnispartner“ handelt. Tatsächlich ist in den letzten Jahren eine rot-grüne Bastion nach der anderen gefallen. Derzeit werden von beiden Parteien nur noch die Stadtstaaten Hamburg und Bremen regiert, wobei Bremen im Mai nächsten Jahres fallen dürfte. Auch innerhalb der Unionsparteien hat es einen Stimmungswandel gegeben. Nachdem mit der FDP nur noch schwer Mehrheiten zustande gebracht werden, begannen die Annäherungsversuche zunächst der CDU an die Grünen. Dazu kam, dass die Grünen schrittweise von fundamentalistischen Positionen Abstand nahmen. Nicht zuletzt ist der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, Bannerträger des neuen bürgerlichen Grün-Kurses.
Grüne wollen in eine CSU-Regierung
Alles zusammen hatte im vergangenen Jahr zur Folge, dass nach den Bundestagswahlen ernsthaft an der Bildung einer Jamaika-Koalition gearbeitet wurde. Geplatzt ist sie am abrupten Ausstieg der FDP. Was der Beziehung zwischen Schwarz und Grün keinen Abbruch tat. Das könnte sich bereits bei den Bayerischen Landtagswahlen im Herbst zeigen. Sollte die CSU tatsächlich nur die derzeit prognostizierten 42 Prozent und keine absolute Mehrheit erhalten, dann stehen die Grünen bereits als Steigbügelhalter für Ministerpräsident Markus Söder bereit. Was ihnen von der SPD, die gleichfalls blau-weiße Regierungsambitionen hat, sofort den Vorwurf eintrug, nur noch „machtgeil“ zu sein.