Mit Heinz Fischer, der seit 8. Juli 2004 in der Wiener Hofburg amtiert, tritt der dienstälteste Staatspräsident im EU-Raum ab. Er zählt zu einem exklusiven Zirkel von bürgerlichen Politikern, die in 21 Mitgliedsstaaten das höchste, wenn gleich zumeist nur repräsentative Amt innehaben.
In sieben Ländern der Union stehen hingegen monarchische Staatsoberhäupter an der Spitze, allen voran die 90-jährige Queen Elizabeth II, die diese Funktion bereits seit 63 Jahren ausübt. Sie regiert nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern auch das aus 53 Staaten bestehende Commonwealth of Nations, obendrein erledigt sie zugleich den Job als weltliches Oberhaupt der anglikanischen Church of England. Mit Respektabstand rangieren die erst 76-jährige dänische Königin Margarethe II mit 44 Regierungsjahren und der schwedische König Carl XVI. Gustaf, der auch schon seit 1973 am Thron sitzt, hinter der britischen Kollegin.
Die drei übrigen EU-Könige – in Luxemburg gibt es ja bloß einen Großherzog – haben den allseits fälligen Generationswechsel eingeläutet, sind wesentlich jünger und tragen ihre Krone erst seit zwei, drei Jahren. Spaniens Felipe VI ist 48, der niederländische Monarch Willem-Alexander ein Jahr älter, und Belgiens Philippe trat mit 56 erst im Juli 2013 an und ist damit bezüglich Amtsperiode der royale Benjamin. Nichtsdestotrotz bringen es die glorreichen Sieben gemeinsam auf 174 Jahre Regierungszeit – macht im Schnitt 25 Jahre – , womit sie die 21 bürgerlichen Staatsoberhäupter locker deklassieren: Die 18 Herren und drei Damen (in Litauen, Kroatien und Malta) halten nämlich – inklusive Fischer – alles in allem bloß bei 72 Jahren, regieren demnach durchschnittlich 41 Monate. Während Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves mit fast zehn Jahren nunmehr Längstdienender ist, wurde sein Pendant in Portugal, Marcelo Rebelo de Sousa, erst im März gewählt.
Am 22. Mai entscheidet sich in Österreich, wer die Republik künftig als erster Mann im Staat vertreten wird. Und da ist naturgemäß die Frage interessant, wer von den beiden Kandidaten, die gegensätzlicher kaum sein könnten, letztlich besser zum Kreis der vorhandenen Staatsoberhäupter passen würde – der 72-jährige Ex-Chef der Grünen, Alexander Van der Bellen, oder der 45-jährige Vizebundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei Österreichs, Norbert Hofer. Was das Alter anlangt, sieht es so aus: Van Der Bellen wäre – die Monarchen nicht mitgerechnet – nach Deutschlands Joachim Gauck (76), Irlands Michael D. Higgins (75) und Italiens Sergio Mattarella (74) der viertälteste Staatspräsident. Norbert Hofer hingegen würde nach dem Slowaken Andrej Kiska (42) und dem Polen Andrzej Duda (44) der Drittjüngste sein. Übrigens: Das präsidentielle Durchschnittsalter liegt derzeit bei 61,5 Jahren.
Wer ist eher unabhängig?
Puncto Parteizugehörigkeit schaut der Status Quo wie folgt aus: Jeweils acht Staatspräsidenten kommen aus dem konservativen sowie dem sozialdemokratischen Lager, drei – nämlich Gauck, der Slowake Kiska und die einstige Kommunistin Dalia Grybauskaitė in Litauen – sind nunmehr parteilos, und der lettische Präsident Raimonds Vējonis war einst Vorsitzender der Grünen. Damit wäre der als Unabhängiger punzierte Van der Bellen keine Novität, wohl aber Norbert Hofer, weil es zwar sieben blaublütige Staatsoberhäupter gibt, aber noch keinen einzigen Blauen an der Spitze eines Staates. Das würde garantiert für europa-weiten Aufruhr sorgen und Österreich in ein schräges Licht rücken. In guter Erinnerung sind ja noch die mit Sanktionen verbundenen Reaktionen der EU auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000. Diesmal würde es wohl noch mehr Troubles geben als damals, und negative Konsequenzen etwa für die heimische Wirtschaft, vor allem den Tourismus, wären unausweichlich.
Beim Kriterien politische Erfahrung liegen die beiden rot-weiß-roten Kandidaten ziemlich gleich auf: Sie haben gleichermaßen bereits vor mehr als zwanzig Jahren ihre Polit-Karriere gestartet – der eine halt als grüner Abgeordneter zum Nationalrat, der andere eben nur als Organisationsreferent der FPÖ Burgenland. Van der Bellen war immerhin elf Jahre lang Bundessprecher und fast eben so lange Klubobmann seiner Partei und saß sodann noch drei Jahre lang im Wiener Landtag. Hofer hingegen musste sich als Landesparteisekretär in Eisenstadt und Klubdirektor im dortigen Landtagsklub erst mühsam hochdienen, ehe er 2005 Vize von Parteichef Hans-Christian Strache und – als Krönung – 2013 Dritter Nationalratspräsident wurde. Die beiden Österreicher haben also bei weitem nicht so strahlende Polit-Karrieren hinter sich wie manche amtierende Präsidenten: So etwa waren der Tscheche Milos Zeman und der Slowene Borut Pahor jahrelang Ministerpräsident ihres Landes, andere hatten einige Ministerposten bekleidet, und die litauische Frontfrau Dalia Grybauskaitė konnte sich nicht nur als Finanzministerin, sondern vor allem als EU-Kommissarin für Finanzplanung und Haushalt einen Namen machen.
In den meisten Fällen waren es zwar gestandene Berufspolitiker, die den Sprung an die Spitze des Staates geschafft haben, ohne vorher etwas anderes geleistet zu haben – allerdings gibt es da einige Ausnahmen: Joachim Gauck beispielsweise saß ehedem nicht nur für das Bündnis 90 als Abgeordneter in der Volkskammer der DDR, sondern war auch evangelisch-lutherischer Pastor und Kirchenfunktionär, großartige Voraussetzungen übrigens für moralische Kompetenz im Berliner Schloss Bellevue. Die derzeitigen Präsidenten in Bulgarien und der Slowakei waren unternehmerisch tätig, der finnische als Jurist und Bankier unterwegs, und jene in Kroatien und Estland agierten als Botschafter. Der Italiener Mattarella wiederum, der bereits Mitglied bei vier Parteien sowie Chefredakteur der Politgazette „Il Popolo“ gewesen ist, war zuletzt Verfassungsrichter, der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos ordentlicher Professor für Verwaltungsrecht und der Portugiese Marcelo Rebelo de Sousa schließlich nicht bloß Mitbegründer der Wochenzeitung „Expresso“, sondern vor allem ein hochkarätiger Experte in Sachen Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Van der Bellen, in grauer Vorzeit Uni-Professor in den Fächern Finanzwissenschaften und Volkswirtschaftslehre, würde dazu jedenfalls perfekt passen – Hofer freilich nicht so gut, weil bislang noch kein Staatsmann im Brotberuf bei einer Airline als Systemingenieur für Triebwerke gewerkt hat.
Wer kommt im Ausland besser an?
Bliebe noch die Frage zu klären, wie es denn so mit dem Amtsverständnis und der häufig geforderten überparteilichen Ausübung dieser Funktion aussieht. Schnelle Antwort: höchst unterschiedlich. Während der französische Präsident Francois Hollande, nicht zuletzt dank der ihm verfassungsrechtlich zustehenden Mehrbefugnisse, am liebsten als eine Art Primadonna auf der politischen Bühne tänzelt und seine Regierung zumeist als notwendige Statisten zu betrachten scheint, stehen andere Amtsinhaber à la Joachim Gauck bevorzugt im Hintergrund und überlassen politischen Alphatieren wie Angela Merkel gerne das Scheinwerferlicht. Hollande, der elf Jahre Vorsitzender der Sozialisten war, lässt obendrein – im Gegensatz zum überparteilichen deutschen Präsidenten – keinen Zweifel offen, dass er auch in seiner momentanen Funktion bis in die Knochen tiefrot gefärbt ist.
Die „ranghöchsten“ Männer in Ungarn und Polen wiederum, János Áder bzw. Andrzej Duda, agieren so, als wären sie lediglich die assistierenden Befehlsempfänger der für den dramatischen Rechtsruck verantwortlichen Polit-Gladiatoren Viktor Orban und Jaroslaw Kaczynski, die beide im Alleingang das politische Geschehen zu bestimmen pflegen. Dabei war Áder immerhin Orbans Vorgänger als Fidesz-Chef und zehn Jahre lang Parlamentspräsident. Der erst 44-jährige Duda, ein studierter Verwaltungsjurist, der Seym- und EU-Abgeordneter war, trat zumindest symbolisch aus der nationalkonservativen, populistischen PiS, zu deutsch „Recht und Gerechtigkeit“, aus – jener Partei, die er als Anwalt beraten durfte und der er alles zu verdanken hat. Dass zumindest in kritischen Situationen Handlungsbedarf besteht, bewies hingegen die kaum ein Jahr amtierende, erst 48-jährige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic: Angesichts der Pattstellung von Sozialdemokraten und der zuletzt oppositionellen Partei HDZ beauftragte sie im Dezember 2015 den parteilosen kanadisch-kroatischen Topmanager Tihomir Orešković mit der Regierungsbildung. Dieser formierte flugs ein Mitte-Rechts-Kabinett und beendete die zwei Monate anhaltende Polit-Krise in Kroatien. Auch Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis hat nach dem durch einen Korruptionsskandal ausgelösten Rücktritt des Kabinetts Viktor Ponta IV kräftig auf den Tisch gehaut und im November 2015 eine aus lauter Parteilosen bestehende Übergangsregierung unter Ex-Eu-Kommissar Dacian Ciolos installiert. Wie‘s weitergeht, wird sich bei der November-Wahl herausstellen
Wie es der etwas spröde, ebenso bedächtig wie verbindlich wirkende Intellektuelle Van der Bellen und sein eher leutselig, durchaus sympathisch, doch in der Sache kompromisslos auftretender Rivale im In- und Ausland anlegen würden, lässt sich zwar schon vermuten, steht letztlich aber bis zum Praxistest noch in den Sternen. Fix ist lediglich, dass die Standpunkte der beiden etwa in der Flüchtlingsfrage oder beim Thema Europäische Union kilometer-weit voneinander entfernt sind. Bleiben wir bei der EU: Dem glühenden Europa-Fan, der sich dennoch eine kritische Sichtweise erlaubt, steht ein hochkarätiger EU-Skeptiker gegenüber, der gerne den Niedergang der Staatengemeinschaft an die Wand malt. Hofer hat zwar schon mehrmals angekündigt, dass er gemeinsam mit dem Bundeskanzler gerne zu Meetings in Brüssel reisen würde, doch falls dieser Bundeskanzler eines Tages HC Strache hieße, na dann gute Nacht. Man sollte sich freilich nicht wundern, dass ein blaues Duo aus Österreich auf europäischer Ebene einen ganz schweren Stand hätte, weil sich die momentan guten Kontakte der FPÖ auf Marine Le Pen, Geert Wilders & Konsorten beschränken. Eindeutig mehr politisches Gewicht und mehr internationales Vertrauen wäre daher wohl einem Bundespräsidenten Van der Bellen dank seines Persönlichkeitsprofils sicher, weil er noch dazu weder nach der Pfeife von Roten noch Schwarzen tanzen müsste. Der FPÖ-Kandidat jedoch wird sich von der eigenen Partei nicht so leicht abnabeln können, sondern einer andersfärbigen Regierung das Leben so schwer wie möglich machen. Dass ein Bundespräsident Hofer im Ernstfall einfach zurückträte, wie das Horst Köhler 2010 in Deutschland getan hat, weil er mit einer unklugen einen Sturm der Empörung ausgelöst hat, muss obendrein bezweifelt werden.
Wer könnte Österreich spalten?
Bei Van der Bellen wäre indes alles möglich, denn der – Vater: Russe mit niederländischen Vorfahren, Mutter: gebürtige Estin – verfügt über eine unverwechselbare Eigenständigkeit, die einen Menschen prägt, vergleichbar mit dem Präsidenten Estlands, Toomas Hendrik Ilves. Dieser wurde in Schweden geboren, ist in den USA aufgewachsen, hat an der Columbia University gearbeitet und wurde Direktor eines Kunstzentrums in Vancouver, ehe er 1993 nach Estland kam, um zunächst Botschafter in den USA und drei Jahre später Außenminister zu werden. Als begeisterter Europäer zog er 2004 ins EU-Parlament ein und wurde alsbald zum Vater des Erdrutschsieges der estnischen Sozialdemokraten bei den Europawahlen – übrigens war auch VDB ursprünglich SPÖ-Mitglied.
Mit einer solchen Vita kann man naturgemäß unabhängiger und unkonventioneller das hohe Amt gestalten als etwa altgediente Parteihengste wie Milos Zeman. Der immer noch überaus trinkfeste tschechische Staatspräsident ist der dortigen Sozialdemokratischen Partei seit 1992 zu Dank verpflichtet, weil sie ihn zunächst zum Abgeordneten, dann zum Premier und schließlich zum ersten Mann im Staat gemacht hat – und er drischt bis heute nichts anderes als rote Uralt-Stehsätze und abschreckende Parolen. Es käme Zeman etwa niemals in den Sinn, so wie sein slowakischer Amtskollege Andrej Kiska, der sich vom Schmuckhändler zum Philantropen gewandelt hat, mit seiner Meinung auch gegen den Strom zu schwimmen: Kiska hat immerhin – abseits der Linie seiner Regierung – für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen durch die Slowakei plädiert.
Für Österreich zeichnet sich jedenfalls deutlich ab, dass der freundliche Herr Hofer die diversen Spaltungstendenzen – etwa zwischen dem so genannten Polit-Establishment und den unzufriedenen Wählern – im Interesse seiner eigenen Partei vergrößern würde. Für den diplomatischen Herrn Van der Bellen hingegen wäre ein noch raueres Polit-Klima in Österreich nicht anstrebenswert. Und im Ausland ? Dort würde – aber da ist man auf Vermutungen angewiesen – der Professor beispielsweise bei einer Visite der englischen Königin mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bessere Figur machen als Hofer – falls dieser überhaupt eine Einladung erhielte. Der blaue Wolf im Schafspelz würde voraussichtlich nur ganz selten die Gelegenheit finden, es Europas Mächtigen reinzusagen, was seiner Ansicht eigentlich wirklich Österreichs Interessen sind und wie man die EU am besten flottmachen könnte.
Der elitäre Spitzen-Klub
Das sind die Kollegen des künftigen österreichischen Bundespräsidenten:
Grandiose Tour de Force
Es hat schon Sinn, sich manche verfahrene Sichtweisen gegen den Strich zu bürsten. Das weitet das Urteilsvermögen.
Grandiose Tour de Force
Es hat schon Sinn, sich manche verfahrene Sichtweisen gegen den Strich zu bürsten. Das weitet das Urteilsvermögen.