Falls die Meinungsforscher nicht wieder einmal total danebenliegen, dürfen wir uns auf folgendes Szenario gefasst machen: Am Abend des 24. April wird bei den beiden Regierungsparteien endgültig die große Panik ausbrechen.
So wie‘s aussieht, werden es weder SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer noch ÖVP-Kandidat Andreas Khol in die Stichwahl schaffen. Die beiden kommen derzeit in den Umfragen gemeinsam um rund 26 Prozent – beschämend für die jahrzehntelang staatstragenden Parteien, die 1970 zusammen 93 und 1990 immerhin noch 75 Prozent aller Wähler überzeugt hatten. Die zwei unabhängigen bzw. Parteiungebundenen Rivalen ums Präsidentenamt, Irmgard Griss und Richard Lugner, halten zur Zeit zusammen bei einem fast ebenso großen Zuspruch wie die praktisch chancenlosen Großkoalitionäre.
Die einzige Dame am Stimmzettel könnte laut Gallup-Umfrage bei den bis 30-jährigen Wählerinnen und Wählern rund zehn Mal mehr punkten, als der einstige schwarze Nationalratspräsident, und der Volkspartei gleich ein Viertel ihrer Stammwähler abspenstig machen. Alexander Van der Bellen wiederum, der sich in der Pole-Position befindet, dürfte dem bisherigen Sozialminister gleich 25 Prozent der klassischen SPÖ-Klientel wegschnappen, sodass Hundstorfer nur noch mit jedem zweiten roten Sympathisanten rechnen darf. Ein Horror, der in den beiden Parteizentralen zu tagelangen Krisensitzungen führen muss, womöglich auch zu raschen Schockreaktionen.
Vor allem die Volkspartei steuert auf ein Dilemma zu. Es war gewiss nicht gerade die feine niederösterreichische Art, dass Erwin Pröll so knapp vor dem Wahltag Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nach St. Pölten beorderte, um sie als Nachfolgerin aufbauen zu können, und in einem Aufwaschen seinen bisherigen Vize Wolfgang Sobotka ins Innenministerium abkommandierte. Der immer noch wegen der mysteriösen Veranlagung von nö. Wohnbaugeldern imagemäßig belastete Hardliner gilt als Intimfeind von Finanzminister Hans-Jörg Schelling, dem übrigens auch ein gespanntes Verhältnis zu Parteichef Reinhold Mitterlehner nachgesagt wird. Falls die ÖVP das katastrophale Abschneiden bei der Präsidenten-Wahl nicht vollends ignoriert – was ebenso unklug wie fahrlässig wäre -, stünde „Django“ automatisch zur Disposition.
Jetzt sofort Sebastian Kurz zum neuen Parteiobmann zu küren, wäre zwar eine mutige, freilich auch sehr riskante Weichenstellung, weil der demnächst erst 30-jährige Außenminister trotz mehr als passabler Performance seine Lehrjahre in der Politik noch nicht abgeschlossen hat und mehr Erfahrung sammeln sollte. Sofern es doch zu diesem frühzeitigen Revirement käme, würde es vermutlich auch andere schwarze Regierungsmitglieder treffen. In der Gerüchteküche wird gemunkelt, dass nicht nur Schelling, dessen Glanz einigermaßen verblasst ist, ablösereif ist, sondern auch Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter sowie Familien- und Jugendministerin Sophie Karmasin. Die extremste Spekulation, die in diesen Tagen die Runde macht, besagt folgendes: Die Volkspartei verlässt auch gleich die Koalition und provoziert damit Neuwahlen, um Kurz & Co. die erhoffte Überraschung beim nächsten Urnengang zu ermöglichen.
Zwei Mal Blau wäre schlimm
Für die SPÖ, bei der ebenfalls Feuer am Dach der Löwelstraße lodert, gibt es hingegen weniger Alternativen: Kanzler Werner Faymann wird, obzwar er selbst für viele Rote ein ebensolches Tuch darstellt, wohl (oder übel) bleiben, weil sich für ihn weit und breit kein Ersatzmann anbietet – bislang war Jolly Joker Hundstorfer der einzig verfügbare. Das heißt also: Der SPÖ-Chef wird weiterhin das tun, was er exzellent beherrscht, nämlich die zu erwartende Schlappe am 24. April einfach aussitzen. Zunächst bleibt für ihn der 22. Mai abzuwarten, an dem klar sein wird, wer in die Hofburg einzieht.
Aus heutiger Sicht könnte das in erster Linie – wenn nicht noch ein Wunder geschieht und Hundstorfer mit Unterstützung der Schwarzen in letzter Sekunde siegt – der grüne bzw. laut eigener Sichtweise „unabhängige“ Alexander Van der Bellen sein. VDB als HBP wäre mit Sicherheit für das Amt geeignet, international herzeigbar und für den Kanzler samt Regierung eine Konstellation, mit der alle ganz gut leben könnten. Ganz anders sähe es aus, wenn der um 27 Jahre jüngere, persönlich zwar recht sympathische und leutselige FP-Kandidat, der es laut aktuellem Stand der Umfragen in die Stichwahl schaffen müsste, tatsächlich das Rennen gewinnen würde – Hofer wäre nicht nur für Faymann & Co. so etwas wie ein Tiefschlag, sondern auch für all jene, die einen blauen Präsidenten sowie etwas später auch noch einen blauen Kanzler namens HC Strache als puren Horror empfänden. Bleibt die Dritte im Bunde, die auch noch nicht ganz abzuschreiben ist: Irmgard Griss könnte nämlich – wiederum laut Gallup-Einschätzung – im Finale sowohl gegen Van der Bellen als auch Hofer gewinnen. Die einstige Top-Richterin ohne Polit-Erfahrung wäre ein weitgehend unberechenbarer Faktor der Innenpolitik.
Die bevorstehende Wahl des Bundespräsidenten wird jedenfalls – so oder so – kurz- und mittelfristig ein politisches Erdbeben im Lande auslösen. Die einstigen Großparteien verloren das Vertrauen der Mehrheit, weil sie inhaltlich abgewirtschaftet, zu wenig zu Stande gebracht und sich zu sehr an den Machterhalt geklammert haben. Wenn es so wie bisher weiter ginge, würden SPÖ und ÖVP weiterhin an Stimmen und Mandaten verlieren und die Bahn komplett frei machen für die opportunistische Polit-Strategie der FPÖ, die selbst gar nichts Konstruktives machen, sondern bloß abwarten muss, wann sie die nächste Nationalratswahl gewinnen wird. Das jetzige Dilemma sollte daher von Roten und Schwarzen endlich als Chance für den längst fälligen Neustart begriffen werden. Nur wenn sich die beiden Lager personell und programmatisch neu aufzustellen in der Lage sind, könnte Österreich ein blaues Experiment samt unliebsamen Folgen erspart bleiben.
An sich ist es ja nicht besonders schlimm, wenn Sozialdemokraten und Volkspartei nach fünf roten, zwei schwarzen und einem parteilosen Präsidenten (das war Rudolf Kirchschläger) künftig, also erstmals seit 1945, keinen Vertrauten in der Hofburg stellen werden – das wird die Republik schon aushalten. Falls die beiden Parteien jedoch den Ernst der Lage nicht begreifen, sich also nicht selbst neu erfinden und folglich langsam in die Bedeutungslosigkeit abfallen, wäre das demokratiepolitisch bedauerlich: Es kommt nämlich selten etwas Besseres nach…