Mittwoch, 13. November 2024
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Im Regierungsprogramm ist vom „Mittelstand“ kein einziges Mal die Rede

Regierungsprogramm ÖVP und Grüne © EU-Infothek

Der Mittelstand ist das Rückgrat der Gesellschaft in den hoch entwickelten Staaten. Von der Politik fühlt man sich aber zunehmend im Stich gelassen.

Rein statistisch umfasst der Mittelstand, manche sprechen auch von der Mittelschicht, rund zwei Drittel der Bevölkerung. Verstanden werden darunter Haushalte mit einem Einkommen, das zwischen 75 und 200 Prozent des jeweiligen nationalen Medians – in Österreich 40.000 Euro – liegt. Die Bandbreite der Bevölkerungsgruppe reicht dabei von den Facharbeitern, über die Angestellten, Beamten und Akademiker bis hin zu den Unternehmern, die Klein- und Mittelbetriebe führen. Sie sind die klassischen Leistungsträger, die nicht nur einen zentralen Eckpfeiler des Steueraufkommens bilden sondern auch entscheidend zur Weiterentwicklung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Standards beitragen.

Vernachlässigte Probleme und Wünsche

Innerhalb dieses Mittelstands macht sich schon seit längerer Zeit Kritik breit, weil man nicht nur den Eindruck hat sondern auch am Haushaltseinkommen ablesen kann, dass die Probleme und Wünsche dieser an sich machtvollen Bevölkerungsgruppe nicht ausreichend wahrgenommen werden. Ein klassisches Beispiel ist das aktuelle österreichische Regierungsprogramm. Zwar appelliert man bei jeder Gelegenheit an die so genannten Leistungsträger, lässt es aber an gezielten Maßnahmen, um diese Leistungsträger zu motivieren, mehr noch zu unterstützen, missen. Und es ist geradezu charakteristisch, dass sich auf den 326 Seiten des Arbeitsprogramms der türkis-grünen Koalition für alle möglichen Zielgruppen politische Zusagen und Versprechungen finden, aber kein einziges Mal das Wort „Mittelstand“. Für alles hat man einen Überschwang an Worten parat, vom Klimaschutz angefangen, nicht aber für die tragende Mittelschicht unserer Gesellschaft.

Errosionserscheinungen des Mittelstands

Dabei weist eine vor nicht einmal zwei Jahren erstellte OECD-Studie bereits auf gewisse Errosionserscheinungen des Mittelstands hin. So heißt es in dieser Arbeit, dass die Vorstellung vom besseren Leben für den Nachwuchs, die in den Köpfen so vieler Eltern und Großeltern im Laufe ihres Lebens reift, immer öfter nur noch Wunschdenken ist. So etwa sind die Kosten für eine gute Ausbildung rasant gestiegen, vor allem auch, weil diese oft gerade im städtischen Bereich von den öffentlichen Pflichtschulen nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden können. Bedingt durch die hohe Lebenserwartung fallen wiederum hohe Ausgaben unter anderem für die Betreuung älterer Familienangehöriger an.

Weltweit und auch in Österreich gehören die sogenannten Millennials, die zwischen 1983 und 2002 geboren wurden, seltener zur Mittelschicht als ihre Eltern. Während deren Eltern, als Generation Babyboomer bekannt, also zwischen 1942 und 1964 geboren, im Alter zwischen 20 und 29 noch zu 68 Prozent ein mittleres Einkommen erzielen konnten, bringen es die Millennials auf nur 60 Prozent. „Die Generation der Millennials findet sich deutlich seltener in der Mittelschicht wieder als vorherige Generationen“, lautet die zentrale Aussage der Analyse, für die die OECD in 36 Mitgliedsstaaten, so auch in Österreich, Daten zusammengetragen hat.

Fazit: Die Mittelschicht in den Industriestaaten schrumpft. Ihr Anteil ist von 64 Prozent in den 1980er-Jahren auf aktuell 61 Prozent gesunken. Und es lässt sich auch die Ursache eruieren. Die Einkommensentwicklung ist dafür verantwortlich. So ist das Durchschnittseinkommen der Mittelschicht in den vergangenen drei Jahrzehnten um ein Drittel langsamer gestiegen als das der reichsten zehn Prozent.

Einkommensentwicklung leidet unter der kalten Progression

Der Druck, dem der Mittelstand ausgesetzt ist, zeigt sich an konkreten Beispielen. So legten die Kosten für Bildung und Gesundheitsfürsorge in den Industriestaaten deutlich zu. Im gesamten OECD-Bereich haben bereits mehr als 40 Prozent der befragten Mittelschichts-Haushalte Probleme, mit dem eigenen Einkommen über die Runden zu kommen. In Österreich sind es immerhin 30 Prozent, aber dies mit steigender Tendenz. Gravierend schlägt sich der Anstieg der Wohnkosten nieder: Etwa ein Drittel ihres Einkommens muss die Mittelschicht bereits dafür aufwenden, 1995 war es lediglich ein Viertel.

Was sich bei Österreich besonders zu Buche schlägt, ist die Tatsache, dass die Alpenrepublik zu den so genannten Hochsteuerländern zählt. So musste 2018 ein durchschnittlicher Arbeitnehmer 47,6 Prozent an Steuern und Abgaben abführen. Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung miteingerechnet. Nur in Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien mussten noch höhere Steuern und Abgaben berappt werden. Es ist vor allem die „kalte Progression“, die den Effekt von Einkommenserhöhungen wieder zunichte macht.

Die Crux des Regierungsprogramms

Hier liegt eine wesentliche Crux des Regierungsprogramms. Noch im Wahlkampf wurde fleißig versprochen, der kalten Progression den Kampf anzusagen. Davon ist jetzt freilich nicht mehr die Rede, braucht man doch zur Finanzierung all der Versprechen, insbesondere auch der grünen Träume, aber auch des angepeilten Nulldefizits jeden Steuerschilling. Das bekommen nicht nur die berufstätigen Einkommensbezieher generell zu spüren, sondern auch jene, die trotz Pensionierung noch weiterarbeiten und dafür noch mit einer zusätzlichen SVA-Abgabe bestraft werden. Auch diese Doppelbelastung abzuschaffen, wurde versprochen und klammheimlich schubladisiert.

Die türkis-grüne Regierung hat zwar ihre Flügel weit ausgespannt, von links bis rechts, sie läuft aber Gefahr den Mittelstand, der auch was die politische Stabilität betrifft, eine ganz entscheidende Rolle spielt, vor den Kopf zu stoßen. „Die Regierungen müssen auf die Sorgen der Menschen hören und den Lebensstandard der Mittelschicht schützen und fördern“, ist daher eine unüberhörbare Mahnung, den Mittelstand nicht links liegen zu lassen.

Niemand soll sich wundern, wenn diese vernachlässigte, wichtige, den Sozialstaat finanzierende Zielgruppe neue politische Vertreter sucht.

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