Vom 23. bis 26. Mai werden (nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU) rund 400 Million wahlberechtigte Europäer ein neues EU-Parlament wählen. Und aufgrund des allgemeinen politischen Trends in Europa ist nicht auszuschließen, dass die Wähler mit ihrem Stimmverhalten, auch dem Hang zu populistischen Bewegungen am rechten wie auch linken Rand, für instabile Verhältnisse sorgen könnten.
An der Spitze der EU beginnt man daher schon ernsthafte Überlegungen anzustellen, wie man den Wahlkampf im kommenden Jahr gestalten soll, um die Wogen nicht allzu sehr hochgehen zu lassen. In diesem Zusammenhang wird sehr viel von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr abhängen. Ist es doch die letzte volle Periode vor dem Wahlgang. Was immer der EU in diesen sechs Monaten gelingt, an wichtigen Beschlüssen zu fassen und Lösungen zu präsentieren (etwa bei der Flüchtlings- und Migrationsproblematik) sollte positiv an den Wahltagen zu Buche schlagen.
Schwarz-rotes Bündnis auf EU-Ebene
Schon seit Längerem läuft eine Diskussion wer die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident antreten soll. Bevor überhaupt konkrete Namen in Umlauf gebracht werden, geht es um das Ritual. Für die Europawahl werden jedenfalls die Parteien wieder Spitzenkandidaten aufstellen. Diese kandidieren dann für das Amt des Kommissionschefs, wobei dieser der Vertreter jener Fraktion sein soll, die die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann. In der laufenden Legislaturperiode konnte die Europäische Volkspartei (EVP) dieses Recht für sich in Anspruch nehmen.
Ausschlaggebend war freilich auch, dass es gewissermaßen zu einer Koalitionsabsprache zwischen der EVP und der S&D, also der sozialdemokratischen Fraktion kam. Mit 219 Abgeordneten war die EVP zur stärksten Fraktion gewählt worden. Um im 751-köpfigen Parlament aber eine Mehrheit zu erhalten, musste ein Pakt mit der S&D und deren 189 Abgeordneten geschlossen werden. Es ist dies zugleich der Kern der klar pro-europäischen Fraktionen, zu denen vor allem auch noch die Liberalen zählen. Um im EU-Parlament eine Rolle spielen zu können, müssen sich die einzelnen nationalen Parteien zu so genannten Fraktionen zusammenschließen. Derzeit sind es insgesamt acht. Nur 21 EU-Parlamentarier sind fraktionslos.
Neue Player in der Parteienlandschaft
Noch gibt es keine gesamteuropäischen demoskopischen Erhebungen, wie es um das Wahlverhalten beim kommenden EU-Wahlgang stehen könnte. Derzeit ist man auf die Beobachtungen des Wahlverhaltens in den einzelnen Nationalstaaten angewiesen. Und da ist ein gewisser Trend erkennbar, wonach die so genannten Traditionsparteien (sieht man von Österreich ab, wo die ÖVP dank ihrer Umfärbung zu einer türkisen Bewegung reüssieren konnte) mit der Abwanderung von Wählern konfrontiert sind.
In Frankreich konnte Emmanuel Macron mit seiner neugegründeten sozial- und wirtschaftsliberalen Partei En Marche vom Niedergang der sozialistischen und konservativen Parteien profitieren und der rechtsradikalen Front National den Wind aus den Segeln nehmen. In anderen Ländern, so in Deutschland, kostete die Rechtsaußen-Bewegung AfD der CDU/CSU und der SPD wertvolle Stimmen. In Italien schufen erst jüngst die Wähler trotz Mehrheitswahlrecht eine Situation, die das Land in eine ungewisse Regierungszukunft blicken lässt. Auf der einen Seite eine nicht politisch zurechenbare Cinque Stelle und auf der anderen die rechtspopulistische Lega Nord.
Schwarz-Rot könnte Mehrheit knapp verfehlen
Der Trend zu populistischen und nationalen Parteien dürfte auch den EU-Wahlgang im Frühjahr 2019 bestimmen. Aufgrund des Brexits sollte sich die Zahl der EU-Parlamentarier um 73 also auf 678 verringern. Für eine pro-europäische Mehrheit wären daher 335 Stimmen notwendig. Geht es nach den derzeitigen Schätzungen, so rechnet man für die EVP- und S&D-Fraktion mit einem Mandatsstand von 180 zu 140. Und das ist jedenfalls noch keine Mehrheit, sodass man auf die liberale ALDE-Fraktion angewiesen sein könnte, die derzeit über 68 Mandatare verfügt. Sie wollte schon in der Vergangenheit immer stärker mitmischen, scheiterte aber am schwarz-roten Block.
Nun wird es spannend, was in den nächsten Monaten passiert. Das betrifft zunächst gleich den französischen Ministerpräsidenten Macron. Er hat noch nicht erkennen lassen, zu welchem politischen Lager er sich persönlich hingezogen fühlt. Seine politische Karriere begann er zwar bei den französischen Sozialisten, nun freilich sieht er sich als eine liberale Kraft der Mitte, die auch in Europa wieder den Ton an- und den Takt vorgeben will. Zunächst wurde damit gerechnet, dass er sich der ALDE zuwendet, die damit eine beachtliche Zuwaage erhalten hätte. Mittlerweile rechnen Brüsseler Kreise aber eher damit, dass er eine eigene Fraktion aufstellen könnte.
Brexit hat Auswirkungen auf die Fraktionen
Wie überhaupt das derzeitige Gefüge der Fraktionen stark ins Wanken kommen dürfte. Ausschlaggebend dafür sind der Brexit und damit der Ausstieg britischer Parteien. Davon unmittelbar betroffen ist die EKR, die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer. Mit insgesamt 71 Europaabgeordneten aus 16 Ländern ist sie die derzeit drittgrößte Fraktion des Parlaments, wobei die britischen Konservativen und die polnische Recht und Gerechtigkeit (PiS) die größten Einzelparteien sind. Dass eine Neuformierung notwendig ist, gilt auch für die EFDD, die für ein Europa der Freiheit und der direkten Demokratie eintritt. Sie wird von der britischen UK Independence Party (UKIP) mit Nigel Farage an der Spitze und der italienischen Cinque Stelle dominiert wird. Nach dem Ausscheiden der Briten werden sich die Italiener jedenfalls um eine neue Fraktion umsehen müssen.
Spannend wird es schließlich, was mit beziehungsweise bei der so genannten Rechts-Populisten-Fraktion geschieht. Diese ENF, die sich Europa der Nationen und der Freiheit nennt, wurde erst nach der Europawahl 2014 gegründet. Sie ist mit 36 Mitgliedern die derzeit kleinste Fraktion im Parlament, führt allerdings ein großes Wort, gehören ihr doch die französische Front National, die niederländische Partij voor de Vrijheid, die italienische Lega Nord und die FPÖ an. Auch sie wird vom Brexit betroffen sein, wenngleich nur einen britischen Mandatar verlieren.
FPÖ auf der Suche nach neuen EU-Partnern
Schon seit längerem gibt es in der FPÖ, vor allem nach ihrem Eintritt in eine Koalitionsregierung mit klar proeuropäischer Zielrichtung, allerdings Spekulationen über eine mögliche Neuaufstellung. Umtriebig ist vor allem FPÖ-Generalsekretär und EU-Abgeordneter Harald Vilimsky, ein besonderer Dorn im Auge des österreichischen ÖVP- und damit EVP-Abgeordneten Othmar Karas. So erst jüngst als er gemeinsam in einer Pressekonferenz mit dem Spitzenkandidaten der Lega Nord, Matteo Salvini, auftrat und an dessen Euro-kritischen Bemerkungen sichtlich Gefallen fand.
In Brüsseler Kreisen erzählt man sich jedenfalls, dass Vilimsky Pläne für die Neuformierung einer EU-Fraktion wälzt. Und zwar ohne Front National, weil diese ja den Austritt aus der EU und letztlich deren Zerstörung zum Ziel hat. Denkbar ist allerdings, dass man gegen die Weiterentwicklung des Vertrags von Lissabon und für die Rückkehr zu Maastricht ist. Gesucht wird, um den Status einer Fraktion zu erhalten (dafür sind 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich), nach Sympathisanten. Im Visier sind da vor allem die polnische PiS und – man höre und staune – die ungarische Fidesz. Sie ist zwar Mitglied der EVP, Ministerpräsident Viktor Orban steht aber in diesen Kreisen aufgrund seiner Politik immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik.