Donnerstag, 21. November 2024
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In Italien gehen die Uhren wieder einmal anders – nämlich rückläufig

Bild © CC Mariamichelle Pixabay (Ausschnitt)

Nach dem gescheiterten Verfassungsreferendum schlittert Italien wieder einmal in eine politische Krise. Ein auch für die EU nicht unproblematischer Zustand. Und auch in Südtirol gibt es wieder einmal Diskussionen über die zweisprachige Namensgebung.

Südtirol, auf Italienisch Alto Adige genannt, ist mit einem BIP von 41.000 Euro die wohlhabendste der insgesamt italienischen Provinzen, hat de facto Vollbeschäftigung und eine florierende Wirtschaft. Südtirol ist vor allem auch ein politisch stabiler Faktor. Nicht so ist die Entwicklung in Italien, die bis herauf nach Bozen seine Auswirkungen zeigt. Hier bekommt man gerade wieder einmal zu spüren, dass selbst bisher zuverlässige italienische Partner immer wieder „umfallen“.

Umstrittene Bereinigung der Namensgebung

So hätte kürzlich eine Sechserkommission die neue Durchführungsbestimmung zur Ortsnamensgebung (Toponomastik) verabschieden müssen. Dabei geht es nicht um die längst existierenden zweisprachigen Orts- und Straßennamen, sondern um die Bezeichnung von Fluren, Höfen, Almen, etc. Die gesamte Namens-Liste umfasst übrigens an die 30.000 Bezeichnungen. Aufgrund eines noch von Altlandeshauptmann Luis Durnwalder mit den früheren Ministern Graziano Fitto und Raffaele Delrio abgeschlossenen Abkommens sollten künftighin nur noch jene Flurnamen zweisprachig geführt werden, die auch tatsächlich in Gebrauch sein. Für 132 Seen oder Almen sollten dagegen die ursprünglichen Bezeichnungen auf Deutsch mit dem erklärenden Zusatz Malga (Alm) oder Lago (See) eingeführt und künstliche italienische Wortgebilde gestrichen werden.

Italiener-Anteil in Südtirol auf Sinkkurs

Der Koalitionspartner der SVP, die auch in Rom regierende Partito Democratico (PD) sieht darin plötzlich eine Art „ethnischer Säuberung“. Ihre Vertreter denken schon an den nächsten Wahlkampf und wollen nicht so recht endlich einen Schlussstrich hinter eine seit Jahrzehnten laufende Debatte ziehen. Sie haben daher den Verhandlungsabschluss auf die lange Bank geschoben, wollen neue Zugeständnisse. Tatsächlich läuft in Südtirol, artikuliert im Wochenmagazin FF, eine Diskussion, wonach sich die in Alkto Adige lebenden italienisch-sprachigen Bürger (ihr Anteil ist in den letzten Jahren zurückgegangen und beträgt derzeit knapp 27 Prozent) gesellschaftlich und politisch benachteiligt fühlen. Ja sie möchten geradezu eine Art „Autonomie“ auch für sie als Minderheit im Land an Etsch und Eisack erhalten.

Italien fällt zurück „in alte Zeiten“

Die allgemeine politische Situation in Italien sieht man in der Landeshauptstadt Bozen dagegen recht kritisch. Die politische Stimmung unter der Bevölkerung wird als ziemlich trist eingeschätzt. Frust herrscht allerorts. Und man sieht sich geradezu mit einem Rückfall in „alte Zeiten“ konfrontiert. Nach dem Rücktritt von Matteo Renzi im Dezember des Vorjahres bildet dessen Nachfolger Paolo Gentiloni bereits die 66-ste Regierung seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Und in einem halben Jahr wird auch diese wohl Geschichte sein.

Pensionsansprüche blockieren vorzeitige Neuwahlen

So sehr sich die Parteien über politische Reformen und Lösungsvorschläge uneinig sind, in einem Punkt halten sie eisern zusammen. Dann, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Neuwahlen sind unausweichlich, werden aber erst im Oktober stattfinden. Würden diese nämlich bereits vorher anberaumt, dann gäbe es für 630 Parlamentsabgeordnete und 315 Senatoren keine Politikerpension. Diese steht ihnen nämlich erst ab Oktober 2017 zu.

Rückkehr zu einheitlichem Verhältniswahlrecht

Für Landeshauptmann Arno Kompatscher ist der mit dem Verfassungsreferendum verbundene Versuch, die Kompetenzen des Senats zu beschränken, das Hin- und Herschieben von Gesetzesvorlagen zwischen den beiden Parlaments-Kammern zu beenden und somit Regierungen eine längere Lebenszeit zu garantieren, weg vom Fenster. Er rechnet sogar mit einer Rückkehr zum Verhältniswahlrecht. Die Situation ist ziemlich verkorkst. 2015 wurde nämlich für die Abgeordnetenkammer ein Mehrheitswahlrecht beschlossen. Nachdem es aber nun zu keinen Änderungen beim Senat kommt, würde bei den nächsten Wahlen für beide Kammern des Parlaments ein unterschiedliches Wahlrecht gelten. Daher fordert Staatspräsident Sergio Mattarella, bevor er das Parlament auflöst und damit Neuwahlen herbeiführt, dass ein einheitliches Wahlrecht geschaffen wird. Der gemeinsame Nenner ist sicher kein Wahlrecht, das der stärksten Partei automatisch die Mehrheit im Parlament verschafft. Daher zurück an die Zeit vor 2015.

Die Rolle eines „Zünglein an der Waage“

Auch die nächste Regierung wird somit nur auf schwachen Beinen stehen, vom augenblicklichen Gutdünken der Parteien (im Parlament sind derzeit fünf Groß- und sieben Kleinparteien sowie eine Reihe von Vertretern so genannter Regionalparteien, wie der Südtiroler Volkspartei SVP, vertreten) abhängig sein. Für Kompatscher ein demokratiepolitisch bedenklicher Zustand, weil damit die Regierung in Rom weiterhin nur schwer handlungsfähig ist, würde doch vor allem die Wirtschafts- und Finanzlage dringend Impulse seitens der Politik benötigen. Er gesteht allerdings auch zu, dass diese Rückkehr zu alten Zuständen dazu führen wird, dass weiterhin um die Gunst der SVP geworben werden muss. Immerhin spielt sie durch ihre fünf Abgeordneten und drei Senatoren immer wieder das „Zünglein an der Waage“, um bei strittigen Gesetzesvorhaben Mehrheitsbeschaffer spielen zu können.

Regierungspartei PD steht vor Spaltung

Einmal mehr ist die politische Landschaft Italiens in Bewegung beziehungsweise von Unruhe geprägt. Nachdem Renzi nun seinen Rückzug als Parteichef bekannt gegeben hat, aber gleichzeitig mit einer neuerlichen Kandidatur liebäugelt, steht die Partito Democratico (PD) vor einer Zerreißprobe, die bis zur Spaltung führen kann. Es ist der linke Flügel, der Renzi Selbstdarstellung sowie eine rechte Politik vorwirft und daher eigene Wege gehen will. Das wiederum erfreut die Gruppierung rund um den mittlerweile bereits 81-jährigen Silvio Berlusconi, die wieder einmal Aufwind spürt. Ähnliches gilt für die Lega Nord, die sich von einer Regionalpartei hin zu einer Vertretung der europäischen Rechtspopulisten gewandelt hat, drauf und dran ist, auch in Süditalien Fuß zu fassen. Was dadurch erleichtert wird, dass seit der zwangsweisen Zusammenführung mit den nördlich gelegenen italienischen Fürstentümern im Zuge des 1861 erfolgten Risorgimento eine latente Anti-Rom-Stimmung von Kampanien bis Sizilien vorhanden ist.

Beppo Grillo und das Trump-Symptom

Unveränderter Profiteur der politischen Frustration im Land ist die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo. Auch die Unfähigkeit und Verfehlungen, mit der die neue Bürgermeisterin von Rom, Virginia Raggi, konfrontiert ist, schaden vorerst Grillo’s Truppe noch nicht. Ähnlich wie bei Donald Trump sehen seine Anhänger und Sympathisanten hinter jedem öffentlichen Angriff nur eine Intrige der Gegner beziehungsweise der Medien und schließen sich nur noch enger zusammen. Nicht zuletzt erhalten sie Zulauf von Kreisen der bürgerlichen Mitte, die sich einfach eine Veränderung im Lande, eine Abkehr von alten Zuständen wünschen.

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