Mittwoch, 13. November 2024
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Integrationsgesetz: Die Regierung scheitert an der Verschleierung

Die rot/schwarze Bundesregierung  nutzt konsequent jede Chance, um ihre disharmonische Unfähigkeit zu demonstrieren, gemeinsam wichtige Entscheidungen treffen zu können.  Ein exzellenter Beweis, dass einfach nichts mehr geht und Neuwahlen im Herbst unausweichlich zu sein scheinen,  ist die  politische Farce  rund um die Integrationsgesetze. Seit  neun Monaten  ist endlos darüber diskutiert worden, wie Asylanten besser integriert werden könnten, ehe  die Angelegenheit endlich im Parlament landete – freilich  nicht in einem, sondern gleich in zwei Gesetzesentwürfen.

Einerseits fabrizierte das von VP-Star Sebastian Kurz geleitete Europa-, Integrations- und Außenministerium das so genannte  Integrations- und Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz (das heißt wirklich so!), bestehend aus fünfzehn Druckseiten samt elf Seiten Erläuterungen. Anderseits legte das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz unter Federführung von SP-Minister Alois Störer am 6. Februar den Entwurf zum Integrationsjahr- und Arbeitsmarkt-Integrationsgesetz vor, das aus knapp drei Druckseiten besteht. Während das erste Schriftstück unter anderem ein verpflichtendes Integrationsjahr,  mehr Deutsch- und sonstige Kurse, gemeinnützige Arbeit für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte sowie ein Burka-Verbot im öffentlichen Raum und die Unterbindung der Koran-Verteilung durch Salafisten vorsieht, ist das zweite Werk der Integration arbeitsfähiger  Asylberechtigter  im Rahmen eines Integrationsjahres am Arbeitsmarkt gewidmet. Also alles relativ einfach und daher schnell umzusetzen? Denkste! Seit Mitte Februar sind nämlich zu beiden Entwürfen im Rahmen des Begutachtungsverfahrens Stellungnahmen von Ministerien, Landesregierungen, Sozialpartnern, karitativen und sonstigen Organisationen und Verbänden eingelangt – im ersten Fall nicht weniger als 134 an der Zahl, im zweiten Fall immerhin 44.

Nunmehr liegt eine Unzahl an großteils kritischen Anmerkungen, peniblen Ergänzungen, kleinlichen Korrekturen oder schlichtweg banalen Besserwissereien vor,   die  in bisweilen mehr als 20-seitigen Elaboraten der unterschiedlichen Begutachter aufgelistet sind. Besonders ins Zeug gelegt hat sich der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt, um das Oeuvre des schwarzen Außenministers Sebastian Kurz zu zerpflücken. Er regt unter anderem an, die Begriffe „öffentlicher Ort“ und „öffentliches Gebäude“ zu definieren und zu konkretisieren. Kurzum: Es wird regierungs-intern wieder gestritten, und der momentane Shootingstar der Volkspartei hat den Verdacht, dass die SPÖ plötzlich nicht mehr zu zentralen Punkten im Regierungsübereinkommen stehe. So etwa vermutet die ÖVP ein Abrücken des Koalitionspartners bei der verpflichtenden gemeinnützigen Arbeit – Codewort: 1-Euro-Jobs. Die  Roten würden auch geplante Sanktionen bei der Nichtteilnahme an Deutsch- und Werte-Kursen wieder abschwächen wollen – gemeint ist die Streichung der Mindestsicherung.  Bei weiteren Details sollen sie sich ebenfalls kratzbürstig zeigen.

Kurz und die Burka

Freilich: Der rote Regierungsmanager Christian Kern kann das durchaus anders sehen und argumentieren, dass der Entwurf seines schwarzen Außenministers weder präzise noch professionell genug war und insbesondere in einem Punkt geradezu zerfetzt wurde: Das geplante Vollverschleierungsverbot, das  am 1. Juli in Kraft treten sollte, wird nämlich auf breiter Front  abgelehnt. Und zwar nicht nur von jenen, bei denen das zu erwarten war, also zum Beispiel   seitens der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich,  der Islamischen Föderation, der Dokumentationsstelle für Musliminnen und Muslime, dem  Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft und dem Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern;  eindeutig dagegen sind etwa auch – ebenso wenig überraschend  –  Institutionen wie Amnesty International, das Rote Kreuz, die Caritas, SOS Mitmensch oder die Bundesjugendvertretung; Widerstand kam schließlich auch von manchen Stellen, bei denen das nicht so klar schien – etwa der Wiener Landesregierung, dem ÖGB, der Bundesarbeitskammer und der Wirtschaftskammer Österreich.  Die WKÖ steht einem generellen Verbot der Gesichtsverhüllung schon deswegen skeptisch gegenüber, weil ein solches höchstwahrscheinlich zu Einbußen im Tourismus führen würde – immerhin stünden 1,2 Millionen Nächtigungen von Gästen aus dem arabischen Raum auf dem Spiel.

Das bedeutet demnach: Österreichs Bundesregierung ist vorerst an der Burka gescheitert. Diese generell zu verbieten wäre freilich wohl ebenso sinnlos wie die Androhung von Verwaltungsstrafen in Höhe von 150 Euro bei Verstößen. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl ließe sich diese Problematik indes durchaus lösen: Jeder würde verstehen, dass Vollverschleierung im Gerichtssaal oder bei einer polizeilichen Kontrolle als absolutes No-go verboten sein müsste; eine Lehrerin mit Burka wäre auch nicht wünschenswert; eine Sekretärin mit Kopftuch stört hingegen etwa in einer Anwaltskanzlei kaum jemand; und dass Unternehmen ihren Beschäftigten gewisse Bekleidungsvorschriften – sprich:  ein Kopftuchverbot auf Geheiß des Arbeitnehmers – machen dürfen, wurde unlängst von EuGH ohnedies geregelt. Das heißt: Flexibilität und Differenzierung in dieser Frage sind jedenfalls ein Muss. In Österreich ein absolutes Verhüllungsverbot „im öffentlichen Raum“ zu statuieren wäre hingegen genau so grotesk, als dürften westliche Touristinnen in arabischen Ländern nicht mehr im Bikini am Strand liegen. Amnesty International  bezeichnet daher das misslungene  „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz“ völlig zu Recht als „negativen Höhepunkt“ der längst fälligen Integrations-Aktionen der Regierung. Die Maßnahme sei als „ungeeignet, unverhältnismäßig, diskriminierend, kontraproduktiv und nicht zuletzt grundrechtswidrig“ abzulehnen. Das sollte jedenfalls insbesondere Integrationsminister Sebastian Kurz allmählich zu denken geben.

Aktenzeichen  290/ME ungelöst

Fix ist jedenfalls: Das Integrationsgesetz, das im März beschlussfähig sein sollte, lässt weiterhin auf sich warten, und  die notwendige Novellierung mehrerer Gesetze –  betroffen sind beispielsweise das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Asylgesetz 2005, das Fremdenpolizeigesetz 2005 und das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – wird  auf die lange Bank geschoben. Die Initiative unter Aktenzeichen 290/ME ist damit wahrscheinlich noch auf Monate hinaus ungelöst. Es ist eine wahre Schande, dass die völlig aus dem Tritt geratene Regierung sogar die verhältnismäßig simple Aufgabe verbockt hat, in neun Monaten ein Gesetz durch’s Parlament zu bringen, das eine bessere und raschere Integration von Asylberechtigten in Österreich ermöglicht. Statt sich rasch auf die ohnedies nahe liegenden  Eckpunkte wie  das verpflichtende Integrationsjahr zu verständigen, das bereits ab 1. September für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte kommen soll, hat sie sich auf dilettantische Weise an Nebenfronten wie der Burka engagiert und zugleich blamiert. Jetzt müssen sich Kurz & Co. nicht bloß von den Betroffenen „Eingriffe in das Recht auf Achtung des Privatlebens, der Religionsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit“ vorwerfen lassen  – auch die Österreichische Rechtsanwaltskammer lehnt den „Verhüllungs“-Passus im Gesetzesentwurf als „gleichermaßen unnötig wie ungeeignet und grundrechtlich bedenklich“ ab.

Schon eigenartig, dass mit Kern und Kurz justament die beiden beliebtesten Politiker dieser wie gelähmt wirkenden Regierung für den Flop bei der Integration stehen. Zu denken geben müsste in diesem Zusammenhang aber auch das Procedere beim Zustandekommen von österreichischen Gesetzen:  Es ist  ziemlich sinnlos, wenn erst beim Begutachtungsprozess unzählige Argumente auftauchen, die beim besten Willen nicht durchwegs berücksichtigt werden können, weil sie auch niemals auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Weitaus sinnvoller wäre es, würden die Begutachtet – beispielsweise Landesregierungen, Sozialpartner und thematisch involvierte Institutionen – bereits im Vorhinein in schriftlicher Form und möglichst  präzise, also ohne viel herum zu schwadronieren, zu einem geplanten Gesetz ihren Senf abliefern. Das ist leider nicht vorgesehen – nach dem gängigen Motto: Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? 

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