Die radikale Repression der Demonstrationen in der Türkei durch das Erdogan Regime sollte in Brüssel zu Realismus führen.
[[image1]]Der Taksim-Platz hat mittlerweile Weltruhm erlangt. Ein paar verträumte Bäumchen spendeten den Anwohnern im heißen Istanbul Schatten. Weil es indessen Herrn Erdogan gefiel, sollte dieser Platz einem großen Einkaufszentrum weichen. Dagegen wendeten sich die Proteste. Dann nahmen die Dinge jenen Verlauf, der stets am Anfang einer Revolution steht. Erst kommt es zum Aufbegehren und dann setzt sich die Revolte in einem gesamtgesellschaftlichen Protest gegen das herrschende Regime fort.
Die Türken in der Bundesrepublik Deutschland verfolgen mit Sympathie die Demonstrationen in Istanbul. Aus gutem Grunde, sie scheinen besser informiert zu sein über die Staatspraxis des Despoten Erdogan als die Mehrheit der politischen Elite in Berlin und Brüssel. Und obschon Herr Erdogan mit seinen selbstherrlichen nationalistischen Einlassungen vor einer beeindruckenden Anhängerschaar – er ist in der Türkei in der breiten Bevölkerung nach wie vor ein Held- fortfährt, wird in Brüssel von der Fortsetzung des Beitrittsprozessen gesprochen.
Neue Impulse für den Beitrittsprozess
Die Brüsseler Fachleute für die EU-Erweiterung sehen sogar die Chance, dem Beitrittsprozess neue Impulse zu verleihen. Hieran sieht man gleich zweierlei:
– Zum einen das völlige Fehlen von Realismus in der Beurteilung der Türkei. Deren Einschätzung orientiert sich nicht an dem, was politisch möglich ist, sondern daran was politisch gewünscht wird.
– Zum zweiten, das was politisch gewünscht wird, bestimmt nicht die Bevölkerung die von einem EU-Beitritt insbesondere in der Bundesrepublik massiv berührt wäre, sondern eine Gruppe handverlesener Bürokraten in Brüssel die entschieden haben, dass die europäische Union um die Türkei erweitert wird. Für sie steht das Ergebnis des Beitrittsprozesses bereits fest. Es geht im Grunde genommen nur noch über die Modalitäten und den Zeitpunkt des Beitritts. Man stelle sich nun vor, das Erdogan-Regime nehme am Verhandlungstisch in Brüssel als gleichberechtigter Partner teil. Dies wäre der Anfang vom Ende der europäischen Union.
In seiner Dankesrede zur Verleihung des Hannah-Arendt-Preises, warnte E.-W. Böckenförde eindringlich vor dem Beitritt der Türkei. Er bringe Europa nur Probleme und entferne die Türkei aus der besonderen Stellung, die sie zwischen Abendland und Orient natürlicherweise einnehme.
Realismus ist daher angesagt, um jetzt die Beitrittsverhandlung mit der Türkei, wenn nicht abzubrechen, so doch zumindest zu suspendieren. Dies wäre ein deutliches Zeichen, dass Demokratie und Rechtsstaat die Visitenkarte Europas sind und bleiben. So würde Europa auch den Demonstranten vom Taksim-Platz glaubwürdig helfen.