Im südsteirischen Schloss Seggau findet zu Pfingsten eine Veranstaltung statt, die schon im Voraus das Prädikat „Besonders wertvoll“ verdient. Eine Reihe hochkarätiger Referenten wird das Generalthema „Vereinigte Staaten von Europa. Hoffen. Wagen“ behandeln. Nach Keynotes von Franz Fischler und Johannes Hahn werden beispielsweise die frühere EZB-Direktorin Gertrude Tumpel-Gugerell, Wilhelm Molterer, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, Nationalbank-Präsident Claud Raidl, Gerhart Holzinger, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Caritas-Chef Franz Küberl, der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, die Journalistin Susanne Scholl sowie der Schriftsteller Robert Menasse in einigen Diskussionsrunden und Arbeitskreisen den momentanen Stand des europäischen Integrationsprozesses analysieren.
[[image1]]Angesichts der zunehmenden EU-Skepsis in der Bevölkerung sind essentielle Fragen nach der Zukunft Europas drängender denn je. Es wird beispielsweise zu erörtern sein, wie es mit dem Projekt Europa in den verschiedensten Bereichen weitergeht. Ob die Bürgerinnen und Bürger künftig tatsächlich in Vereinigten Staaten von Europa leben sollen bzw. wollen oder nicht. Wie dieses gemeinsame Europa überhaupt aussehen sollte. Was es zu einem besseren Leben beitragen könnte. Welche Rolle Vielfalt in der Einheit spielen müsste. Wer welche Rechte abzutreten hätte. Warum ein europäischer Superstaat, in dem nicht mehr der Nationalismus alles diktieren würde, für viele Skeptiker lediglich eine Horrorvision ist. Und weshalb ein wirklich geeintes Europa in den Herzen der Europäer so wenig Platz zu haben scheint. Bei dem von der steirischen Landesregierung und der Diözese Graz-Seckau initiierten Pfingstdialog „Geist und Gegenwart“ werden jedenfalls Fragen aufgeworfen und – hoffentlich – auch Antworten gegeben, die bislang weitgehend tabu waren.
Die heimischen Politiker scheuen sich nämlich davor, zu diesem Thema konkret Position zu beziehen und sich mit mutigem Weitblick zu dem unausweichlichen Einigungsprozess zu bekennen. Das verwundert weiters nicht, weil sie ja bekanntlich nur bis zum nächsten Wahltermin zu denken pflegen, weshalb sie sich anscheinend nicht zuständig fühlen, über die Zukunft der Europäischen Union nachzudenken. Umso erfreulicher, dass im Schloss Seggau neben dem steirischen Landeshauptmann Franz Voves, seinem Stellvertreter Hermann Schützenhöfer und den Landesräten Kristina Edlinger-Ploder und Christian Buchmann auch die Bundesregierung in Gestalt von Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle vertreten sein wird. Man darf jedenfalls gespannt sein, ob es bei den gewohnten Leerfloskeln bleiben oder ob erstmals eine Art politisches Commitment zu vernehmen sein wird.
Die Medien lassen aus
Bisher hat es die Politik leider nicht einmal geschafft, die Wählerinnen und Wähler konsequent, fundiert und objektiv über den Status quo der Europäischen Union zu informieren, geschweige denn über künftige Optionen und allfällige Visionen. Die häufig recht ungeschickte Vorgangsweise der Regierung mit Brüssel – zuletzt etwa Maria Fekters Briefentwurf in Sachen Bankgeheimnis sowie Werner Faymanns „Lachnummer“-Kommentar – ist unprofessionell, letztlich auch kontra-produktiv: Auf diese Weise wird man niemanden motivieren, an die EU zu glauben. Auch den rot-weiß-roten Sozialpartnern ist anzulasten, dass sie ihre jeweilige Klientel diesbezüglich nicht ausreichend mit Informationen versorgen. Der vollmundigen Ankündigung im vergangenen Herbst, dass Wirtschafts-, Arbeiter- und Landwirtschaftskammer sowie der Gewerk-schaftsbund vor hätten, im Hinblick auf die EU-Wahlen 2014 einen offenen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu führen, sind – fast kann man sagen: erwartungsgemäß – so gut wie keine Taten gefolgt. Lediglich zahllose Broschüren und Folders zu produzieren, die niemand liest, reicht allerdings mit Sicherheit nicht aus. Und dass schließlich auch die EU-Zentrale samt zahllosen Außenstellen zwar durchaus bemüht zu sein scheint, die Medien mit möglichst vielen News zu versorgen, sie jedoch nicht unbedingt als Erfinderin einer optimalen Öffentlichkeitsarbeit gilt, macht die ganze Sache noch eine Spur hoffnungsloser.
Die logische Konsequenz: Die mediale Berichterstattung über die Union fällt in Österreich, wenngleich Ausnahmen immer die Regel bestätigen, unter dem Strich ziemlich niederschmetternd aus – sie ist nämlich häufig oberflächlich, bruchstückhaft, von Vorurteilen geprägt, mit Zynismen durchtränkt und in der Regel voller Destruktivität. Journalistische Qualität ist zur Mangelware geworden, weil sich beispielsweise nur noch wenige Blätter einen eigenen Korrespondenten in Brüssel leisten wollen. Dabei wäre der Bedarf nach fundierter Recherche und Kommentierung gerade angesichts der langwierigen Finanz- und Schuldenkrise, die in weiten Teilen der Bevölkerung für Versicherung und Angst sorgt, größer denn jemals zuvor.
Schade nur, dass eine Veranstaltung wie jene in Seggau die rare Ausnahme von der Regel ist, dass man über heikle Materien möglichst wenig reden soll, schon gar nicht öffentlich. Bedauerlich auch, dass sich die österreichischen Medien ihres aufklärerischen Auftrags so wenig bewusst sind. Ein besonders positives aktuelles Beispiel muss daher lobende Erwähnung finden: Die Tageszeitung „Die Presse“ widmet sich ab sofort in einer regelmäßig erscheinenden Sonderbeilage dieser anspruchsvollen Thematik. Der redaktionelle Schwerpunkt „Europa vertiefen“ wird zwar bis Jahresende vom Außenministerium finanziell unterstützt, jedoch von der Redaktion in voller Unabhängigkeit gestaltet. Die erste achtseitige Ausgabe, in der es etwa um das geplante Freihandelsabkommen mit den USA oder um den Kampf der EU gegen Monopole geht, ist als durchaus gelungen zu bezeichnen. Bleibt die Hoffnung, dass auch andere Medien auf den Geschmack kommen und in absehbarer Zeit ebenfalls auf profunde, objektive EU-Berichterstattung setzen – Politik und Sozialpartner werden wohl weiterhin gut schlafen …