Dass Wladimir Wladimirowitsch Putin ein großer Staatsmann ist, lässt sich nun wirklich nicht behaupten: Der russische Präsident misst gerade mal einen Meter 65, die er dank höherer Absätze auf maximal 1,70 zu strecken vermag. Zwar schlägt er damit seinen Ministerpräsidenten Dmitri Anatoljewitsch Medwedew ziemlich eindeutig, der es lediglich auf einen Meter 62 bringt, aber das ist auch schon belanglos.
[[image1]]Wenn nun eher kleinwüchsigen Politikern mindestens seit Napoleon Bonaparte pauschal nachgesagt wird, dass sie ehrgeiziger seien, ein überdimensioniertes Geltungsbedürfnis und nicht zuletzt auch einen ordentlichen Komplex hätten, mag das in Einzelfällen unzutreffend sein – bei Putin trifft es allerdings mit größter Wahrscheinlichkeit zu.
Russlands Diktator und sein farbloser Adlatus belegen – übrigens wie auch Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi – eindrucksvoll die These, dass sich etwas klein geratene Politiker um so größer fühlen, je mächtiger sie werden. Dass allzu große Machtgelüste bisweilen katastrophale Folgen nach sich ziehen, haben in der Geschichte beispielsweise Benito Mussolini, Josef Stalin oder der nordkoreanische Diktator Kim Jong-il hinlänglich vorexerziert. Obwohl – das soll nicht unerwähnt bleiben – an die eins neunzig große Riesenlackeln wie Fidel Castro, Saddam Hussein und Muammar Gaddafi ebenfalls enormes Unheil angerichtet haben, scheinen Größenwahn, Selbstüberschätzung und übertriebene Eitelkeit eher das Problem von Polit-Zwergen zu sein.
Wladimir Putin, der seit 1999 die Macht auskosten darf, hält sich offenbar für einen großen Politiker, größer jedenfalls als es selbst seiner tatsächlichen Bedeutung entspricht. Die Zeiten, als sich die Sowjetunion als gefürchtete Weltmacht inszeniert hat, sind nämlich längst vorbei, jetzt ist Russland nur noch die Nummer Eins auf einem riesigen Territorium, wo es um seinen Einfluss praktisch Tag für Tag zittern muss. Die Kreml-Führung hat daher – erstmals noch unter Boris Jelzin – in Tschetschenien brutal zugeschlagen, 2008 in Georgien einen fünftägigen Krieg geführt, um zwei von der Zentralregierung in Tiflis unabhängige russische Protektorate zu schaffen, und sie schockt nunmehr mit der neuesten Militäraktion auf der Halbinsel Krim die ganze Welt. Unter Verwendung fadenscheiniger Argumente – Beispiel: er müsse die mehrheitlich russischstämmige Bevölkerung auf der Halbinsel schützen, obzwar dieser zu keiner Zeit etwas zugestoßen ist – verletzt Putin mit seiner Invasion sämtliche Abkommen, das Völkerrecht sowieso.
Neue Führung der Ukraine setzt voll auf EU-Kurs
Die dramatischen Ereignisse auf der Krim könnten allerdings nur Auftakt für weitreichende Ambitionen des russischen Präsidenten sein: Sobald das 1954 von Nikita Chruschtschow zwecks besserer Versorgung mit Wasser und Strom an die Ukraine abgetretene Territorium inhaliert ist, wären wohl die östlichen Landesteile der Ukraine dran, wo es in den vergangenen Tagen bereits zu Übergriffen von russischer Seite gekommen ist. Putin ist zuzutrauen, dass er selbst vor einer Spaltung des Landes, das er stets wie eine russische Kolonie behandelt hat, trotz gegenteiliger Beteuerungen aus Moskau nicht zurückschrecken würde. Der Präsident will nämlich ganz und gar nicht akzeptieren, dass die neue Führung der Ukraine voll auf EU-Kurs setzt und das Land von der russischen Umklammerung loslösen möchte.
Die entsetzten Politiker im Westen versuchen seit Tagen, Putin mit allen Mitteln zur Räson zu bringen und seine Wahnsinnsaktion zu stoppen: Am vergangenen Freitag wurden ihm in einer Videokonferenz von David Cameron, Angela Merkel und Herman Van Rompuy die Leviten gelesen; am Sonntag riefen ihn dann – in dieser Reihenfolge – Barack Obama, Francois Hollande, UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und erneut Angela Merkel an. Auch wenn sich zur Stunde nicht einschätzen lässt, ob es sich bloß um ein Säbelrasseln handelt oder ob bereits morgen geschossen wird – für Barack Obama, den UNO-Sicherheitsrat, die NATO und die gesamte Europäische Union ist Alarmstufe Rot angesagt.
Russland wird militärisch nicht zu stoppen sein, weil sowohl die USA als auch die EU garantiert nicht in der Ukraine aufmarschieren. Dennoch muss der unberechenbare Putin mit Sicherheit einen hohen Preis zahlen: Der Westen hat die Zusammenarbeit mit Russland in der G-8-Gruppe der führenden Industriestaaten schon auf Eis gelegt, das geplante Juni-Meeting in der Olympiastadt Sotschi ist so gut wie geplatzt. Es drohen massive Sanktionen wirtschaftlicher Natur, die dem Land schweren Schaden zufügen und beispielsweise die Oligarchen massiv treffen werden: Der Rubel ist bereits auf ein Rekordtief abgestürzt, die Aktienkurse an der Moskauer Börse sind tief gefallen, der Kapitalabfluss nimmt ein dramatisches Ausmaß an, und Russlands Devisenreserven haben den tiefsten Stand sei drei Jahren erreicht. Das Vertrauen internationaler Investoren ist praktisch über Nacht schwer ramponiert, sodass sich die ohnedies angeschlagene russische Wirtschaft, die auf den Zufluss von ausländischem Kapital angewiesen ist, auf beinharte Zeiten gefasst machen muss.
Die drohende Isolation Russlands, dessen einziger ökonomischer Atout der mächtige Öl- und Gaskonzern Gazprom ist, dürfte einerseits die jahrelange Aufholjagd der Wirtschaft zunichte machen. Und zugleich wird sie das politische Gewicht des Landes, das von Putin beinahe künstlich hochgeschraubt wurde, langfristig deutlich reduzieren. Der Präsident selbst hat sich, nur sechs Monate nachdem er im Fall Syrien kalmierend vermitteln konnte, mit der verrückten Krim-Invasion ins politische Out befördert. Denn seine monatelange Charmeoffensive – so etwa hat er dem US-Staatsfeind Edward Snowden Asyl gewährt und die Pussy Riot-Ladys ebenso wie den Ex-Oligarchen Mikhail Chodorkowski PR-bewusst vorzeitig aus der Haft entlassen – ist gleich nach dem Olympia-Spektakel von Sotchi, das er als persönlichen Triumph feiern durfte, abrupt gescheitert. Nunmehr ist Putin weltweit die Rolle als ebenso größenwahnsinniger wie gefährlicher Buhmann sicher. Bleibt die Hoffnung, dass er rasch den Beweis erbringt, letztlich doch ein exzellenter Polit-Taktiker zu sein – was man ihm bislang gerne nachgesagt hat – und kein blutrünstiger Aggressor. Nur wenn er den Militäreinsatz auf der Krim möglichst rasch beendet, wird er anderen Staatsmännern wieder auf Augenhöhe begegnen können, so schwer ihm das gelegentlich auch fallen mag …