Als erster europäischer Krisenstaat bricht Italien alle Sparversprechen und setzt auf öffentliche Investitionen, vermeidet dabei jedoch Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.
[[image1]]Mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 8,5 Prozent seit 2007 befindet sich Italien mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg. Insofern ist zwar verwunderlich, dass Italiens Regierung erst jetzt und anscheinend auf Druck von Silvio Berlusconi aus der europäischen Sparfront ausschert, vermuten lässt sich jedoch, dass die strukturellen Probleme Italiens dadurch wohl weiter verschärft werden.
So zeigt sich neuerlich der enorme Widerspruch zwischen makroökonomischen Bedürfnissen und deren mikroökonomischen Folgen. So ist mittlerweile klar, dass nicht zuletzt aufgrund restriktiver Finanzierungsbedingungen der italienische Privatsektor noch auf Jahre hinaus bestenfalls stagnieren dürfte, weshalb als Wachstumsträger nur der Auslandssektor und der Staat übrig bleiben. Da vom Auslandssektor aktuell jedoch keinerlei Impulse zu erwarten sind, bleibt makroökonomisch nur das Staatsbudget, um ein weiteres Schrumpfen des Volkseinkommens zu verhindern, was nun offenbar versucht werden soll.
So hat die Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta gerade ein 80 Punkte umfassendes Konjunkturprogramm vorgelegt, mit dem die von EZB und EU-Kommission geforderten Sparbemühungen offiziell zu Grabe getragen werden. Darin enthalten sind allein drei Milliarden für Baumaßnahmen wie neuer U-Bahnlinien in Mailand, Neapel und Rom, Autobahnen und Zugverbindungen, womit 30.000 Arbeitsplätze geschaffen werden sollen.
Weitere fünf Milliarden Euro sollen an Unternehmen gehen, die ihren Maschinenpark erneuern wollen, dazu kommen 550 Millionen Euro für Strompreissenkungen sowie diverse Steuererleichterungen, was allesamt jedoch nicht zu höheren Staatsausgaben führen solle, sondern entweder durch Umschichtungen von vorhandenen, aber nicht genutzten Mitteln, oder durch neue Einnahmen refinanziert werden soll. Letzteres mag nun glauben wer will, doch ist es angesichts von 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit wohl mittlerweile für jede italienische Regierung eine Überlebensfrage, irgendwie dem Teufelskreis aus schrumpfender Wirtschaft und sinkenden Steuereinnahmen zu entkommen, was ohne steigende Staatsausgaben anscheinend nicht zu bewerkstelligen ist.
Ein „verlorenes Jahrzehnt“ für die Wettbewerbsfähigkeit
Dass dabei nun aber wie geplant auch die Mehrwertssteuer gesenkt werden soll spricht allerdings dafür, dass sich Italien wenig um die Probleme schert, die Italien erst in diese Situation gebracht haben. So liegt der Kern der Misere laut Paolo Manasse, Ökonom an der Universität Bologna, an einem „verlorenen Jahrzehnt“, in dem Italien gegenüber seinen wichtigsten Handelspartnern massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Demnach stieg der Index der Arbeits-Stückkosten in Italien zwischen 2001 und 2011 um 23 Prozentpunkte während er in Deutschland um 9,7 Prozent zurückging. Der Grund dafür lag allerdings nicht an den durchschnittlichen Arbeitskosten, die in Deutschland vor zehn Jahren noch fast doppelt so hoch waren wie in Italien. Diese sind in Italien seither zwar nominell um 39,5 Prozent und damit doppelt so stark gestiegen wie in Deutschland, nur ist in Italien die Arbeitsproduktivität in diesen zehn Jahren mit plus 2,7 Prozent praktisch stagniert, während sich Deutschland immerhin um 16,7 Prozent verbessern konnte. In der Konsequenz stiegen die Stückkosten (um Steuern bereinigt) um 32,3 Prozent stärker als in Deutschland, was nun zwar in etwa den typischen Entwicklungen in den Zeiten der Lira entspricht, diesmal aber nicht durch die routinemäßig Abwertung der Lira ausgeglichen werden konnte.
Ein weiterer Punkt ist die Entwicklung der Umsatzsteuer im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, die in Deutschland seit 2006 erheblich angestiegen, in Italien jedoch gesunken ist. Weil Importe von Konsumsteuern betroffen, Exporte jedoch ausgenommen sind, habe Deutschland allein dadurch eine „interne“ Abwertung um mehr als ein Prozent erzielt, Italien hingegen das Gegenteil. Einen weiteren Wettbewerbsnachteil bieten die hohen Sozialausgaben der Unternehmen, die in Italien aktuell um rund zwei Drittel höher sind, als in Deutschland, im Zuge des aktuellen Konjunkturprogramms aber nicht angegriffen werden sollen.
Keinerlei Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
Außer dem Versprechen, bürokratische Hindernisse abzubauen, enthält das Programm also keinerlei Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Landes steigern könnten, so dass nur die Hoffnung bleibt, dass die traditionelle Basis der italienischen Wirtschaft, die exportorientierten Kleinbetriebe in den nördlichen Industriegebieten, das Land neuerlich vor dem Schlimmsten bewahren. Ihre beeindruckende Innovationskraft, die sie etliche lukrative Nischen auf den Weltmärkten beherrschen lassen, hat sich zwar traditionell wenig von der Regierungspolitik stören lassen, nur leiden sie aufgrund der schwachen Bonität ihres Mutterlandes aktuell von um wenigstens einen Prozentpunkt höheren Finanzierungszinsen, die ihnen die Eroberung außereuropäischer Märkte schwerer macht als ihrer europäischen Konkurrenz.