Michael Spindelegger ist lediglich an einem gescheitert – an sich selbst. Jeder, der ihn kennt, hat natürlich gewusst, speziell in den führenden ÖVP-Kreisen, dass er kein Mann mit Sendungsbewusstsein wie Alois Mock, kein Intellektueller wie Erhard Busek, kein cleverer Taktiker wie Wolfgang Schüssel, kein bauernschlauer Karrierist wie Wilhelm Molterer und kein dynamischer Strahlemann wie Josef Pröll ist.
[[image1]]Trotzdem wurde er, auf Geheiß seines niederösterreichischen Gönners aus St. Pölten, im Mai 2011 zum schwarzen Bundesparteiobmann gewählt – war ja praktisch kein anderer Kandidat vorhanden. Er hat sich damals in ein politisches Abenteuer mit absehbarem Ausgang gestürzt, weil er offensichtlich nicht erkannt hat, dass dieser Job am Schleudersitz für ihn mindestens eine Schuhnummer zu groß war.
Zuvor beim Bundesheer ein strammer Oberleutnant, dann ein braver Jus-Student in Wien, anschließend ein tüchtiger Assistent am Institut für Strafrecht, danach ein eifriger Rechtspraktikant an diversen Gerichten und schließlich ein mausgrauer Landesbeamter bei den Bezirkshaupt-mannschaften in Gmünd und Baden, stieg der passionierte CVer 1987 in die Politik ein: Die übliche Ochsentour führte ihn vom Innenministerium, wo er Büroleiter seines Mentors Robert Lichal war, schnurstracks in den ÖAAB, wo er 1991 stellvertretender Bundesobmann wurde. Bereits ein Jahr später war er auch Bundesrat, wieder ein Jahr danach Nationalrat, und 1995 wechselte er als EU-Abgeordneter nach Brüssel und Straßburg, diesmal für zwei Jahre. Zurück in Wien, zog er erneut ins Hohe Haus ein, ließ sich zum außenpolitischen Sprecher der Volkspartei küren, fungierte sechs Jahre lang als Klubobmann-Vize und landete schließlich als Nummer zwei im Präsidium des Nationalrats.
Sein früher Ausflug in die Privatwirtschaft – ab 1990 hatte er etwa in der Rechtsabteilung von Alcatel, im Vertrieb von Siemens und im Vorstandssekretariat der GiroCredit Bank gewerkt – hatte ihm doch klar gemacht, dass die Politik eher seine Sache sei. Und siehe da: Plötzlich wurde er 2008 als Außenminister nominiert, keine drei Jahre später bürdete man ihm mangels personeller Alternativen sowohl das Amt des ÖVP-Obmannes als auch die Rolle als Vizekanzler auf, und ab diesem Zeitpunkt hatte er eigentlich nichts mehr zu lachen. Bei den Landtagswahlen in Kärnten, Niederösterreich und Salzburg verlor die ÖVP durchwegs Stimmen, bisweilen auch Mandate, bei der Nationalratswahl 2013 sackte sie obendrein auf 24 Prozent und 47 Sitze ab, lediglich die heurige EU-Wahl bereitete den Schwarzen eine gewisse Freude. Spindelegger, der auf neue, junge Kräfte wie Sebastian Kurz und Sophie Karmasin setzte, konnte die tiefe Strukturkrise seiner Partei jedenfalls nicht mehr in den Griff bekommen. Er machte den fatalen Fehler, sich auch noch ausgerechnet das Finanzministerium anzutun, wo er nicht nur mit einer für ihn neuen Materie konfrontiert war, sondern zugleich mit dem Finanzdebakel namens Hypo Alpe Adria. Den Rest gab ihm letztlich aber die vehemente nationale Debatte rund um eine dringend notwendige Steuerreform: Als grader Michel, der halt niemandem das Blaue vom Himmel versprechen will, hat sich Spindelegger dagegen ausgesprochen, weil eben kein Geld in der Staatskassa vorhanden ist. Und dabei war es offensichtlich gleichgültig, dass ihm das von den meisten Österreichern, die vom Fiskus ausgenommen werden wie Weihnachtsgänse, zusehends übel genommen wurde.
Ein anständiger Typ wie Michael Spindelegger, für den Loyalität und Zusammenhalt ganz oben stehen, musste allmählich daran zerbrechen, dass ihm selbst Partei„freunde“, etwa mehrere Landeshauptleute, medial heftige Kritik ausrichten ließen und ihm schließlich verbale Hackeln ins Kreuz warfen. Das dürfte ihn härter getroffen haben als die ständigen Reibereien mit seinem roten Gegenüber Werner Faymann. Er hat offenbar erkannt, dass seine Strahlkraft zu gering ist, um das Steuer noch einmal herumzureißen und dass er in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger im Grunde genommen zum chancenlosen Looser geworden ist. Sein dennoch überraschender Rücktritt kommt einer Flucht in die Anonymität gleich – und ob er für die Volkspartei eine Flucht nach vorne sein kann, muss sich noch weisen.
Der Nächste bitte …
Jetzt ist der Nächste dran, nämlich der CV-„Django“ aus dem oberen Mühlviertel: Reinhold Mitterlehner, im absoluten Blitztempo von den VP-Granden – wiederum mangels Kontrastprogramm – zum fünften ÖVP-Chef in siebeneinhalb Jahren gemacht, wird zwar parteiintern auch nicht gerade vergöttert, aber trotzdem erwartet man sich von ihm Wunderdinge: Bleibt die Frage, ob er sich in Sachen Steuerreform dermaßen verbiegen kann, dass die Wählerinnen und Wähler mit ihm ihre Freud‘ haben; und ob er im Stande sein, seiner Partei eine Art Frischzellenkur zu verordnen, auf dass sie nicht für alle Ewigkeit unter die 20 Prozent-Marke fällt und als ehemalige Großpartei regelrecht versumpert. Der durchaus medial verkaufbare, sehr pragmatische Wirtschafts- und Wissenschaftsminister, der seit 2008 eine ansehnliche Performance vorzuweisen hat, gilt als Prototyp des Berufspolitikers: Wie Spindelegger studierter Jura-Doktor, wie dieser danach Gerichtspraktikant, doch anders als dieser zwölf Jahre lang Marketingleiter der Wirtschaftskammer Oberösterreich, startete Mitterlehner seine Politkarriere im Jahr 1991 – als Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Ahorn. Schon ein Jahr später wurde er Geschäftsführer des Österreichischen Wirtschaftsbundes, im Jahr 2000 erhielt er ein Ticket fürs Parlament und wechselte zeitgleich als stellvertretender Generalsekretär in die Wirtschaftskammer Österreich. Vorläufiger Karrierehöhepunkt war 2008 seine Nominierung als Wirtschaftskammer durch – und vor wenigen Tagen ist er am Zenith angelangt: Als Vizekanzler, Wirtschafts- und Wissenschaftsminister und ÖVP-Bundesparteiobmann wird er jedenfalls enorm gefordert sein.
Ob auch Mitterlehner ein Himmelfahrtskommando übernommen hat, ist vorerst schwer abschätzbar, aber durchaus nicht auszuschließen: Die Kernfrage wird sein, ob ein geradliniger, nüchterner Sachpolitiker wie er der Volkspartei ein frischeres Image verpassen, die Konservativen programmatisch auffrischen und seine Regierungskollegen ensprechend motivieren kann, wirklich einmal etwas weiterzubringen. Dabei wird zu beachten sein, dass Mitterlehner als Mann der Wirtschaft nicht unbedingt überall Freunde hat, sondern da und dort weiterhin anecken muss – beileibe nicht nur beim Koalitionspartner und der Opposition. Besonders schwierig könnte sich sein Umgang mit manchen schwarzen Bünden und logischerweise einigen machtbewussten Landeshauptleuten gestalten, die bekanntlich gerne für interne Unruhe sorgen. Ein schlechtes Abschneiden demnächst bei der Vorarlberger Landtagswahl – und schon könnten die Mauscheleien wieder los gehen. Im Hintergrund wartet naturgemäß der junge Außenminister Sebastian Kurz auf seine Chance, der im Moment parteiübergreifend beinahe zu Everybodys Darling mutiert ist. Ein wahres Glück, dass er diesmal noch nicht verheizt wurde. Jetzt muss es halt der bald 59jährige Oberösterreicher richten – und dabei alles riskieren …