Fünf Millionen Jugendliche ohne Job. In Spanien liegt die Quote bei satten 50 %, Spitzenreiter Griechenland bringt es auf über 60 %. Die Lage ist dramatischer als angenommen, mit dem 6-Milliardenpaket aus Brüssel sollen strukturelle Reformen in die Wege geleitet und legislative Barrieren ausgebügelt werden.
[[image1]]Wien. Die eklatante Situation am europäischen Arbeitsmarkt mutiert zu gesellschaftspolitischem Sprengstoff. Insider reden bereits von einer verlorenen Generation. Der Süden Europas ist besonders betroffen, die Schuldigen sind schnell gefunden. Othmar Karas, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und zugleich Sprecher des Bürgerforums Europa 2020, Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Gerhild Lexl, Youth Jobs Europe sowie Johannes Voggenhuber analysieren gemeinsam mit Alberto Fernandez Carnero, S.E. Botschafter von Spanien sowie Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Wien die aktuelle Lage. Mit Geld alleine ist der Problematik kaum beizukommen. Die Situation wurde gemeinsam verursacht, so J. Voggenhuber, jetzt muss sie gemeinsam angegangen und gelöst werden. Starre Strukturen und gesetzliche Hürden sowie höchst unterschiedliche Rahmenbedingungen vereiteln viele Bemühungen, die fiskalische Situation ist aufgrund mangelnder Koordination ein weiterer Krisenpunkt. Die Politik kommt nicht gut weg.
Österreich: Kein Geld aus Brüssel
Hierzulande gilt die Sozialpartnerschaft als tragende Rolle für ausgewogene Verhältnisse am Arbeitsmarkt. Ausbildungsgarantie und ein ganzes Maßnahmenpaket machen Österreich zum Musterschüler. Das bewährte System der dualen Ausbildung mutiert zusehends zum Erfolgsmodell, doch aufgrund national teils recht unterschiedlicher Rahmenbedingungen ist es nur sehr bedingt übertragbar. Die Lehre gilt vielfach als gesellschaftspolitisches Problem, daran ändern alle Aufwertungsversuche nichts, zudem kommen Akademiker mit teils ungeeigneten Ausbildungsschwerpunkten. Die aktuellen Bemühungen brauchen Anlaufzeit, erste Erfolge sollten sich bald einstellen. Strukturelle Reformen sollen endlich geeignete Rahmenbedingungen schaffen, und genau hier setzt Brüssel an. Gekoppelt an die 25 % Regel profitieren ausnahmslos die Sorgenkinder der Union, doch die Mitgliedstaaten müssen mitziehen, es geht um Perspektiven für die Jugend.
Situation dramatischer als angekündigt
Othmar Karas geht davon aus, dass die Zahl der Betroffenen wesentlich höher ist als angenommen, es dürften doppelt so viele sein wie angekündigt. Der EU sind aufgrund der rechtlichen Lage die Hände gebunden, die Bildungssituation der Nationen ist zu unterschiedlich. Es fehlt an europäischen Mindeststandards, den Bildungsstandard an der Akademikerquote zu messen der falsche Weg. Das Kompetenzsystem ist zersplittert, so Karas wörtlich, die 6 Milliarden aus Brüssel ein Impulsgeber, nicht mehr. Austauschprogramme, Erasmus für Unternehmer und der Binnenmarkt sichern die Wettbewerbsfähigkeit, Bildung, Forschung und Innovation sind die treibende Kraft.
Brüssel braucht Handlungsspielraum
Europa braucht Reformen – und einen langen Atem. Karas gibt sich optimistisch, die EU braucht mehr Handlungsspielraum und jenes Budget, welches die Mitgliedstaaten hartnäckig verwehren. Eine Bildungsdebatte wäre angesagt. Die Politik ist gefordert, es geht um Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Die Jugendgarantie der EU besagt, dass Jugendliche nach vier Monaten Arbeitslosigkeit einen neuen Job oder ein Ausbildungsangebot bekommen, die Ausbildungsgarantie sichert eine qualitativ hochwertige überbetriebliche Lehrausbildung. In Spanien beispielsweise haben Regierung und Sozialpartner eine Reformstrategie initiiert, 100 Sofortmaßnahmen sollen die nahezu aussichtslose Lage am Arbeitsmarkt entschärfen.
Politik hat Jugend um Perspektive gebracht
Europa beschreitet im Kampf gegen die eskalierende Arbeitslosigkeit einen mutlosen, geradezu perspektivlosen Weg ein, so Gerhild Lexl, Gründerin von YouthJobsEurope. Und setzt prompt einen drauf. Nationale Politiker sowie Vertreter der EU haben es durch verfehlte Politik geschafft, der europäischen Jugend die Perspektive zu nehmen. Besonders gravierend ist die Tatsache, dass die Problematik bekannt sei und viel gesprochen, jedoch wenig unternommen wird, so Lexl weiter. Es fehlt an Koordination. Die Jugend sowie Industrie und Wirtschaft müssen aufeinander zugehen und die trennende Kluft überwinden.
Statistische Schildbürgerstreiche
Johannes Voggenhuber erkennt in den unzähligen Statistiken reichlich Schwachstellen. Was Portugal betrifft, so scheinen die Abwanderer in diesen erst gar nicht auf, ähnlich ist es in Griechenland. Dazu kommen Scheinausbildungen, die den Namen Ausbildung kaum verdienen und sinnlose Kurse, mit welchen an sich engagierte Personen voll Inbrunst im kränkelnden System verheizt werden. Voggenhuber spricht von einer traumatischen Situation einer verlorenen Generation, mit nationalem Egoismus ist hier nichts zu machen. Die Politik hat das Problem verursacht und den Kontinent sehender Augen in den Abgrund geführt, die harschen Töne verursachen Unwohlsein. Es braucht Solidarität, die Währungsunion braucht Einigung und gemeinsame Standards. Das klingt ganz nach langfristigen Konzepten, wenn diese denn erst auftauchen.
Schlechte Qualität der Bürokratie
Reibungsverlust. Dieser Begriff scheint noch am ehesten geeignet, den vielerorts dominierenden Status quo von Administration und Verwaltung leicht verständlich zu umschreiben. Effizienz lautet das Gebot der Stunde, es locken vielversprechende Chancen. Bis 2020 sind im Bereich der Green Jobs 20 Millionen Jobs realisierbar. Im Gesundheitsbereich sollten es 8 Millionen sein, der Bereich IT sollte für rund eine Million Jobs gut sein. Die EU muss der Jugendarbeitslosigkeit entschlossen entgegen treten, so die Forderung von R. Kühnel, doch liegt es vor allem an den verantwortlichen Mitgliedstaaten, die eingebrachten Vorschläge auf europäischer Ebene zu unterstützen. Wir stehen vor der größten Bewährungsprobe für das europäische Sozialmodell, so Kühnel weiter.
340 Milliarden Euro an unbezahlten Rechnungen bedeuten ein Äquivalent von 450.000 Arbeitsplätzen. 23 Millionen KMU stehen 26 Millionen Arbeitslosen gegenüber. Wo bleibt die Solidarität?