Die Sinnkrise der Sozialdemokraten zeigt sich an deren Distanziertheit zum geistigen Schöpfer ihrer politischen Bewegung.
Die Feierlichkeiten zum 200sten Geburtstag von Karl Marx haben sich in bescheidenen Grenzen gehalten. Hätte es nicht einige TV-Dokumentationen und Medienberichte über das Leben von Marx gegeben, der zusammen mit Friedrich Engels zum einflussreichsten Theoretiker des Kommunismus und Sozialismus wurde, wäre das Vergessen statt dem Gedenken im Vordergrund gestanden. Einen Festakt gab es verständlicherweise in seiner Geburtsstadt Trier. Wie auch immer man zu seinem revolutionärem gesellschaftspolitischem Modell auch stehen mag, Marx war ein berühmter Sohn der Stadt, der Geschichte schrieb. In der im Übrigen ältesten deutschen und vom römischen Imperium gegründeten Stadt wurde auch ein mehr als fünf Meter hohes Denkmal enthüllt, übrigens ein Geschenk der Volksrepublik China. Dessen kommunistische Partei versäumte es nicht, sich offen zum Marxismus zu bekennen und dessen geistigen Schöpfer auf und ab zu feiern. Sie hob sich damit deutlich vom internationalen Trend ab. Vor allem sozialistische und sozialdemokratische Parteien übten sich nämlich in vornehmer Zurückhaltung.
SPÖ predigte einst den Austro-Marxismus
Das traf auch auf die SPÖ zu. Vergessen wurde dabei, dass gerade hierzulande der so genannte „Austro-Marxismus“ bis in die Zeit von Bruno Kreisky heftig gepflegt und hochgehalten wurde. Nachzulesen im Grundsatzprogramm, wo das von Marx geprägte Prinzip des Klassenkampfes einen Wesensbestandteil der Ideologie bildete. Mittlerweile aber unter den roten Teppich gekehrt wird. Es dauerte bis 1991, dass sich die SPÖ von sozialistisch auf sozialdemokratisch umtaufte. Schwieriger tut man sich gelegentlich mit klassenkämpferischen Tönen. Vor einem Jahr trommelte noch der nunmehrige Parteichef Christian Kern den Slogan, „holen sie sich, was ihnen zusteht“, um im Wahlkampf dann angesichts mangelnder Wähkerresonanz nur noch von „Veränderung mit Verantwortung“ zu predigen.
Realer Sozialismus musste Konkurs anmelden
Dass offenbar sozialdemokratische Parteien eine solche Berührungsangst haben, mit Karl Marx identifiziert zu werden, hat zumindest zwei Gründe. Den ersten bildet das Umbruchsjahr 1989. Binnen weniger Monate musste der reale Sozialismus, wie sich (zum Leidwesen sozialdemikratischer Bewegungen) die kommunistischen Parteien vor allem in Europa nannten, politischen Konkurs anmelden. Dabei lebte noch zu Beginn der 1980er Jahre ein Drittel der Menschheit in sozialistischen Ländern, deren Regierungen sich auf die Marx’schen Theorien beriefen. Die Theorie scheiterte an der Alltagspraxis, das wirtschaftlich-soziale System des Marxismus erlitt Schiffbruch, der Ostblock fiel in sich zusammen und musste den Demokratien westlicher Prägung Platz machen. Damit war für die SPÖ und ihre Schwesterparteien in der Sozialistischen Internationale der Augenblick gekommen, sich von den Werken von Karl Marx und Genossen klammheimlich zu verabschieden.
Links statt sozialistisch ist chic
Der andere Grund hängt mit dem Wandel in der Wählerschaft beziehungsweise dessen Wshlverhalten zusammen. Auch hier ist Österreich ein gutes Beispiel. Zugegebenermaßen die Parteibindungen sind generell bei allen Parteien stark zurück gegangen. Das bekam auch und sogar als erste die Volkspartei zu spüren. Trotzdem ist due Entwicklung bei den Sozialdemokraten besonders symptomatisch. Noch in den 1990er Jahren zählte die SPÖ gut 600.000 Mitglieder, heute sind es nur noch 180.000. Bereits seit 1983 gibt es in Österreich eine Mehrheit von Mitte und Rechts. Seit den letzten Wahlen sind es nicht mehr 50plus sonder 60 Prozent. Um erfolgreich zu sein, haben überkommene ideologische Vorstellungen keinen Platz mehr. Daher wird das Vokabular marxistisch verramscht, man gibt sich chic und nur noch links, um beim wahlentscheidenden Mittelstand zu punkten.
Suche nach einer neuen Gesellschaftsidee
Mittlerweile sind die Sozialdemokeaten quer durch Europa auf Sinnsuche. Wie selten zuvor üben in roter Wolle gewaschene sozialdemokratische österreichische Urgesteine von Hannes Androsch über Franz Voves bis hin zu Bruno Aigner massive Kritik, die fast bis hin zur Infragestellung der Existenzberechtigung reicht. Auf den Punkt gebracht hat diese Diskussion der deutsche Politiker Gregor Gysi. Er, der 1967 der ostdeutschen Kommunistischen Partei SED beigtreten, maßgeblich an der Transformation der SED zur mittlerweile gesamtdeutschen Partei „Die Linke“ beteiligt war, widmete Karl Marx zum 200sten Geburtstag ein Buch. In dessen Untertitel widerspiegelt sich das Dilemma in dem heute die Sozialdemokratie und auf einem marxistischen Fundament ruhende Parteien stecken: „Warum wir eine neue Gesellschaftsidee brauchen“.
Vogelsang, der Antipode zu Marx
Es gehört zu den besonderen Zufällen der Geschichte, dass heuer nicht nur Marx sondern auch sein ideologischer Widerpart vor 200 Jahren geboren wurde. Sein Ansatz war das gesellschaftspolitisch erfolgreiche Konzept. Sein Name ist aber weit weniger bekannt: Karl Freiherr von Vogelsang. Geboren wurde er in Liegnitz in Schlesien, um zunächst in Deutschland zu studieren und publizieren, vom Protestantismus zum katholischen Glauben zu konvertieren. 1864 kam er nach Österreich, wurde hier zum Wegbereiter der katholischen Arbeitnehmerbewegung. In seinen Schriften postuliert er als Kontrapunkt zum Klassenkampf das Prinzip der „Partnerschaft“ als das tragende Element für den Zusammenhalt der Gesellschaft, für das Verhältnis der Arbeitnehmer zu den Unternehmer. Das partnerschaftliche Prinzip bildet schließlich ein tragendes Element in den Grundsatzprogrammen vor allem der christlich-demokratischen bzw. -sozialen sowie den so genannten Zentrumsparteien.
Partnerschaft siegte über den Klassenkampf
Viele dieser klassischen Volksparteien dürften nur vergessen haben, wem sie dieses ideologische Grundgerüst verdanken. Andernfalls hätten sie die Gelegenheit wahrgenommen, um im Marx’schen Gedenkjahr die Gelegenheit wahrzunehmen, darauf hinzuweisen, dass sich ihr gesellschaftspolitisches Modell im Gegensatz zum sozialistischen als erfolgreich erwiesen hat. Dies tat freilich, auch schon vergessen, der sozialdemokratische Publizist Norbert Leser. Er sprach offen davon, dass das Gesellschaftsmodell der Partnerschaft über jenes des Klassenkampfes gesiegt habe. Und genau darum seien die Volksparteien zu beneiden.