Donnerstag, 21. November 2024
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Katalonien: Die spanische Tragödie

Der zeitweilige katalanische Premierminister Carles Puigdemont beim Verlesen seiner Erklärung zum Unabhängig­keitsprozess am 10. Oktober 2017 vor dem Regionalparlament in Barcelona. Foto (Ausschnitt): Creative Commons Wikipedia/Generalitat de Catalunya.

 

Die Region um Barcelona ist plötzlich zu einem Krisenherd geworden. Kann das Schlimmste noch verhindert werden?

Der Europäischen Union bleibt in der Tat nix erspart: Bei den Brexit-Verhandlungen mit den chaotischen Briten geht überhaupt nichts weiter, prompt bahnt sich das nächste Drama an. In Spanien – genauer gesagt: in der autonomen Provinz Katalonien – ist endgültig der Wahnsinn ausgebrochen, seit im Regionalparlament von Barcelona die Unabhängigkeit ausgerufen wurde. „Wir erklären Katalonien zum unabhängigen Staat in Form einer Republik“, hieß es lapidar in einer Resolution, die in geheimer Abstimmung mit 70 „Ja“-Stimmen angenommen worden war. Zehn Abgeordnete hatten für „Nein“ votiert, zwei sich der Stimme enthalten.

Kaum eine Stunde später schlug die Zentralregierung in Madrid mit voller Härte zurück: Ministerpräsident Mariano Rajoy verkündete – nachdem er im Senat für die erstmalige Anwendung des ominösen Verfassungsartikels 155 grünes Licht gegeben hatte – die Absetzung und Entmachtung der katalanischen Regierung, die Auflösung des Parlaments sowie die Machtübernahme durch Madrid per Zwangsverwaltung. In der ebenso abtrünnigen wie aufrührerischen Region, die sich seit dem Anfang Oktober durchgeführten, von Madrid allerdings verbotenen, Referendum in hellem Aufruhr befindet, müsse wieder die Legalität hergestellt werden, sagte Rajoy. Folglich entzog die Zentralregierung der Region die Autonomie und übernahm in Katalonien die Kontrolle über Polizei, Verwaltung und öffentliche Medien.

Hatte die spanische Polizei noch versucht, das Referendum gewaltsam zu verhindern, bei dem rund 90 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit von Spanien gestimmt hatten, so wird die Vorgangsweise nunmehr wohl noch weitaus rauer. Der Mann, der letztlich die Verantwortung für die Misere trägt, ist der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont. Die Zentralregierung in Madrid sieht ihn als personifizierten Aufwiegler, Gesetzesbrecher und Verräter, weshalb die spanische Staatsanwaltschaft gegen ihn, aber auch einige seiner bisherigen Minister Anklage wegen Rebellion, Aufruhr, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung öffentlicher Gelder erhob. Puigdemont blieb schließlich kein anderer Ausweg, um sich einer Verhaftung zu entziehen, als die Flucht ins Ausland – und zwar ausgerechnet nach Brüssel, wo er angeblich um Asyl ansuchen möchte.

Emotionen vs. Vernunft

Der mittlerweile geschasste Regierungschef hat jedenfalls hoch gepokert und alles verloren. Am vergangenen Sonntag demonstrierten hunderttausende Menschen im Zentrum von Barcelona für die Einheit Spaniens. Sie wollen keineswegs in einem Kleinstaat leben, der nicht mehr zur EU gehört, politisch nicht anerkannt ist und damit total isoliert wäre. Die Separatisten indes, die nicht kapiert haben, welcher Schaden der katalanischen Wirtschaft droht, können laut aktueller Umfrage der Zeitung „El Mundo“ mit der Unterstützung von nur noch einem Drittel der Bevölkerung rechnen. Etliche Banken und Unternehmen sind bereits aus Katalonien weggezogen, tausende Arbeitsplätze gingen verloren, und die Gefahr eines Bürgerkriegs steht schließlich nach wie vor im Raum.

Was in jüngster Zeit in Katalonien geschah – eine vergleichsweise reiche Region strebt nach Unabhängigkeit, weil sie sich vom Zentralstaat ausgenutzt fühlt – ist schlussendlich laut „Kleine Zeitung“ in einen „separatistischen Karneval“ ausgeartet, der in anderen Teilen Europas prompt Schule machen könnte. Das Bestreben nach Eigenständigkeit ist längst in rebellischen Regionen spürbar, wo die Nachahmungsgefahr besonders groß ist: Den separatistischen Bewegungen von Kleinvölkern, etwa in Schottland, im Baskenland, in Flandern, in der Bretagne oder in Norditalien, könnte es (jenseits aller Vernunft) wieder stärker um das nationale Erwachen gehen. Das Ziel wäre, auf dem Wege plebiszitärer Demokratie territoriale Abspaltungen zu erreichen.

Für die Europäische Union – besser: das Vereinte Europa –  wird es eine große Herausforderung sein, mit diesen Tendenzen richtig umzugehen. Es gilt, den drohenden Fanatismus und Hass auf der anderen Seite womöglich nicht so wie in Spanien mit brutaler Polizeigewalt zu bekämpfen. Der Regierung in Madrid, die durchaus mehr Diplomatie und Konzessionsbereitschaft hätte einbringen müssen, ist zu wünschen, dass sie doch noch irgendwie die Kurve kratzen kann und es zu keiner weiteren Eskalation kommt. Und bei den Katalanen, die bei der angesetzten Wahl am 21. Dezember die Karten neu mischen können, sollte sich allmählich die Einsicht einstellen, dass derartige Emotionen zwar im Prinzip okay sind, aber dabei letztlich nicht jedwede Vernunft flöten gehen darf. In diesem Sinne: „Viva España“…

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