In Schottland hat noch die Vernunft gesiegt, in Katalonien hingegen setzte sich der nationalistisch geprägte Egoismus durch. Bei der inoffiziellen Volksbefragung am Sonntag sprachen sich immerhin rund 80 Prozent der Katalanen für eine Loslösung von Spanien aus. Das ist zwar, besonders angesichts der geringen Beteiligung, noch keine irreparable Katastrophe, aber ein Warnsignal für ganz Europa allemal.
[[image1]]Denn während Brüssel Symbol einer starken, geeinten Staatengemeinschaft sein möchte, ist in etlichen Ländern zugleich die Tendenz zur Zersplitterung unübersehbar. Katalonien, flächenmäßig ungefähr so groß wie Belgien, hat nicht ganz so viele Einwohner wie Österreich und gilt als bestes Beispiel hierfür: Schon seit Jahrzehnten verstehen sich die Katalanen auf Grund historischer, sprachlicher und kultureller Unterschiede zum übrigen Spanien als eigene Nation; und sie genießen gemäß spanischer Verfassung von 1978 den Status einer „Autonomen Gemeinschaft“ mit etlichen eigenen Befugnissen. Das reicht ihnen indes überhaupt nicht: Speziell seit der Spanien-Krise, die sie der Madrider Zentralregierung anlasten, kämpfen sie umso beherzter für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung und streben die totale Loslösung vom Königreich an.
Bei diesem Kampf einer Minderheit gegen die Obrigkeit in der Hauptstadt fallen viele merkwürdige Details auf: Was mag beispielsweise einen international bewunderten Fußballcoach bewogen haben, eigens nach Barcelona zu fliegen um dort für ein Ja zur Abspaltung Kataloniens von Spanien Stimmung zu machen? Pep Guardiola, Trainer des FC Bayern München und mit angeblich 17 Millionen Jahresgage höchstbezahlter Kickerexperte der Welt, ist beruflich durch und durch Kosmopolit, doch das politische Weltbild dieses exzentrischen Selbstdarstellers entspricht dem eines provinziellen Kleingeists. Der 43-jährige Fußball-Guru dürfte zu jung sein, um die – übrigens friedliche – Spaltung der Tschechoslowakei 1992 bewusst miterlebt oder aus dem – mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbundenen – Zerfall Jugoslawiens die richtigen Schlüsse gezogen zu haben. Deshalb wird ihm wohl entgangen sein, dass die meisten der damals entstandenen Nachfolgestaaten mittlerweile wieder in der Europäischen Union vereint sind, und jene, die noch nicht dazu gehören, unbedingt beitreten möchten.
Der gute Pep Guardiola scheint auch, so wie alle anderen frustrierten Identitätsfanatiker, noch nicht erkannt zu haben, dass Kleinstaaterei im dritten Jahrtausend beileibe kein taugliches Konzept ist, um die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme etwa Europas in den Griff zu bekommen. Und dass es fraglich ist, ob Katalonien, zugegeben eine wirtschaftlich florierende Region, im Alleingang, also als eigenes Land, besser da stünde und erfolgreicher wäre als im Verbund mit dem iberischen Staat, der immerhin nach wie vor die weltweit zwölftgrößte Volkswirtschaft ist. So gesehen ist es ein Glücksfall, dass das Ergebnis der Volksbefragung vom Sonntag nicht bindend ist, weil sie vom spanischen Verfassungsgericht ebenso untersagt worden ist wie das ursprünglich geplante Referendum über die Unabhängigkeit. Artur Mas, der regional-nationalistische Ministerpräsident Kataloniens, wird aber seine Ziele im brutalen Clinch mit dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy weiterhin vehement verfolgen, das ist gar keine Frage.
Newcomer will absolute Mehrheit
Die gegenwärtige Regierung, die von der rechts-konservativen Partido Popular gestellt wird, wäre jedenfalls vollauf gefordert. Auf Grund ihrer eisernen Sparpolitik und angesichts von sechs Millionen Arbeitslosen hat sie jedoch bereits enorm viel an Reputation verloren. In Meinungs-umfragen rangiert sie nur noch auf Platz drei. Das Fingerspitzengefühl im Umgang mit rebellischen Nationalisten hat ihr stets genauso wie anderen europäischen Regierungen in ähnlichen Situationen gefehlt. Das heißt: Einfach weiterhin wie bislang drüber zu fahren, mit der Begründung, dass die Einheit Spaniens in der Verfassung verankert sei, wird mit Sicherheit nicht reichen um die Katalanen zu besänftigen und den Konflikt einigermaßen zu entschärfen. Und sich, wie Rajoy das umgehend getan hat, über die „wertlose“ Volksabstimmung zu mokieren, deren Ergebnis in Madrid gar nicht anerkannt wird, ist auch keine Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog.
Höchstwahrscheinlich wird es aber gar nicht mehr Rajoys Job sein, die Probleme mit Katalonien anzupacken. 2015 steht Spanien nämlich ein Superwahljahr bevor: Im Mai werden 13 Regionalregierungen gewählt, und im Herbst folgen die Parlamentswahlen. Der Star der Stunde, der sich beste Chancen ausrechnen darf, heißt Pablo Manuel Iglesias. Der 36-jährige Politikprofessor liegt zur Zeit mit seiner erst im vergangenen Jänner gegründeten Protestbewegung „Podemos“, was „Wir können“ heißt, in der Wählergunst vorne, sagen die Meinungsforscher. Im Mai hatte er bei den EU-Wahlen praktisch aus dem Nichts acht Prozent der Stimmen und damit fünf Mandate geschafft. Jetzt rangiert er mit 27,7 Prozent schon ziemlich klar vor der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE und Rajoys christlich-konservativer Volkspartei. Iglesias peilt mit seinen Mitstreitern, die vielfach Uniprofessoren sind, gleich die absolute Mehrheit an – denn nur so ließe sich eine sich abzeichnende schwarz-rote Koalitionsregierung verhindern. Er verspricht seinen Landsleuten unermüdlich Initiativen, die diese liebend gerne hören wollen: etwa Kampf gegen das Establishment bzw. die Macht von Banken und Konzernen, Feldzug gegen Korruption auf verschiedensten Ebenen, mehr Basisdemokratie, Mindestlohn für alle und etliche mehr.
Es ist zu hoffen, dass Iglesias, sofern er die Nummer Eins wird, den richtigen Ton finden wird um auch die Katalanen zu überzeugen – beispielsweise mit einem neuen Regierungsstil, der ihre Wünsche und Vorstellungen berücksichtigen und ihnen noch mehr Autonomie einräumen würde. Der künftige Ministerpräsident müsste freilich auch versuchen, den widerspenstigen Minderheiten den Glauben an Spanien zu vermitteln. Umgekehrt sollten all jene Katalanen, die derzeit so wie Pep Guardiola stinksauer sind, endlich einsehen, dass „ihr“ Land genauso zu Spanien gehört wie Schottland zu Großbritannien, Bayern zu Deutschland oder Südtirol zu Italien.