In knapp einem Monat, am 25. März feiert die Europäische Union, vormals Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Europäische Gemeinschaft genannt, ihren 60. Geburtstag, Wurden doch 1957 von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg in Rom die entsprechenden Verträge und damit der Gründungsakt für den Zusammenschluss Europas gesetzt. Trotz aller Feierlichkeiten rund um dieses Datum, für Feierstimmung ist kein wirklicher Anlass.
„Der Einigungsprozess der Europäischen Union ist weit fortgeschritten, aber noch nicht unumkehrbar“. Dieses Zitat des früheren österreichischen Außenministers Alois Mock, unter dessen Federführung die Beitrittsverhandlungen mit Brüssel initiiert, geführt und abgeschlossen wurden, ist derzeit eines der meist verwendeten Zitaten, wenn es um den Zustand und die Zukunft der Europäischen Union geht. Aus diesem Anlass ließ Eurostat die Stimmung innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten erheben. Obwohl Österreich erst seit 1. Jänner 1995 zu den EU-Mitgliedern steht, ist hier die Einstellung zu Europa bei aller Kritik sehr positiv. In allen seither erhobenen Umfragen hatten sich in der Alpenrepublik immer deutlich mehr als 50 Prozent für die Sinnhaftigkeit der EU ausgesprochen. Und nun zeigt sich, dass Europa sogar von einer beachtlichen Mehrheit bereits als Heimat gesehen wird. Zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher fühlen sich als EU-Bürger. Bei den 15 bis 24-Jährigen sind es sogar 77 Prozent. Aus den Daten lässt sich aber auch herauslesen, dass viele Menschen der Meinung sind, die Dinge in Europa liefen nicht in die richtige Richtung.
Einwanderung und Arbeitslosigkeit drücken am meisten
60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge steht Europa vor größeren Herausforderungen denn je. Es sind vor allem die Themenbereiche Migration, Sicherheit, Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und soziale Union, bei denen die Österreicherinnen und Österreicher auf die Lösungskompetenz setzen. „Einwanderung“ und „Arbeitslosigkeit“ sind laut Eurobarometer überhaupt die dringlichsten aller anstehenden Probleme. Die stringente Flüchtlings- und Asylpolitik der Regierung in Wien trägt offenbar dem Wunsch der Bevölkerung Rechnung. Zeigt es sich doch, dass dadurch die Stimmungslage in Österreich besser als im EU-28-Durchschnitt ist. Während nämlich 36 Prozent der österreichischen Befragten die Top-Priorität diesem Themenkreis zumessen, sind sogar 45 Prozent im EU-28 Durchschnitt dieser Ansicht. Gleichzeitig aber legen trotz aller Propaganda der rechtspopulistischen Parteien 64 Prozent (europaweit sind es 66 Prozent) Wert darauf, dass man Flüchtlingen helfen solle. Die zweitgrößte Sorge in Österreich betrifft mit 30 Prozent die Arbeitslosigkeit. Die Freizügigkeit, also das Recht für EU-Bürger aus anderen Mitgliedsstaaten, überall in Europa zu arbeiten, zu lernen oder zu leben, sehen übrigens die meisten Österreichern (67 Prozent) nach wie vor positiv. Hier hinkt die Alpenrepublik aber dem europäischen Durchschnitt, der bei 81 Prozent liegt, nach.
Konservative und Sozialdemokraten ziehen in verschiedene Richtungen
Bei allen Jubelreden, die rund um den 25. März gehalten werden, an einem Faktum kommt die EU nicht vorüber: Es warten eine Reihe von Baustellen darauf, dass es endlich zu Baufortschritten kommt. Das hat sich mittlerweile auch in Brüssel herumgesprochen. Intern will man daher – ähnlich wie dies die österreichische Regierung zu Jahresbeginn tat – einen „Relaunch“ des Arbeitsprogrammes für die laufende Legislaturperiode der EU vornehmen. Und vor allem Druck machen, dass jene Vorhaben auch durchgezogen werden, die bereits dringend einer Lösung harren. Das Problem dabei ist nur, dass seit dem Rückzug des Sozialdemokraten Martin Schulz in die deutsche Innenpolitik, die Wahl des Christdemokraten Antonio Tajani und dem wahrscheinlichen Verbleib des EVP-Mannes Donald Tusk als EU-Ratspräsident die Beziehungen zwischen den beiden großen Fraktionen, also der Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Volksparteien – vorsichtig formuliert – gestört sind. Jede der beiden Gruppen sucht derzeit die eigene Profilierung.
Sozial- und Wirtschaftspolitik werden gegeneinander ausgespielt
Bei der S&D-Fraktion, also den Sozialdemokraten, setzt man den Schwerpunkt auf „Sozialpolitik“. Darunter subsummiert man vor allem den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Gelöst werden soll dieses Problem, indem vor allem der Staat Impulse gibt, Investitionen die allerdings dann über die Steuer finanziert werden müssen. Dahinter steckt auch noch die Idee, eine Umverteilung der Steuerbelastung vorzunehmen. Kurzfristig können, wie die Erfahrung zeigt, damit Arbeitsplätze geschaffen werden, längerfristig kommt es dadurch aber nur zur einer Erhöhung der Staatsschulden. Genau das widerspricht dem wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs der Zentrums- und Christdemokratischen Parteien. Sie setzen auf den Abbau der Staatsschulden und einen Sparkurs in der Budgetpolitik, damit Bürger und Unternehmen steuerlich entlastet werden können. Auf diesem Weg sollen sie jenen finanziellen Spielraum erhalten, mit dem der Konsum angekurbelt und nachhaltige Investitionen vorgenommen werden können.
Das vergessene Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft
Ein grundsätzliches Problem stellt freilich die Tatsache dar, dass der EU an sich eine gemeinsame wirtschafts- und sozialpolitische Doktrin fehlt. Innerhalb der derzeit noch 28 Mitgliedsstaaten gibt es kein einheitliches soziales Regelwerk. Das hat ja auch zur Folge, dass die Flüchtlinge, die nach Europa strömen, vor allem nach Österreich, Deutschland und Skandinavien wollen, weil es hier das beste soziale Netz gibt. Und es gibt auch kein gemeinsames ordnungspolitisches Modell für die Wirtschaftspolitik. Zwar hat die soziale Marktwirtschaft Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Aufstieg und Wohlstand beschert, mittlerweile hat sie aber einem eher liberalen Wirtschaftskurs Platz gemacht, der von den einzelnen Staaten ziemlich unterschiedlich ausgelegt wird. Das inzwischen entwickelte Modell einer öko-sozialen Marktwirtschaft ist über theoretische Abhandlungen und endlose Diskussionen unter Expertenkreisen nicht hinaus gekommen.
Gemeinsame Außenpolitik verlangt nach starker Führungspersönlichkeit
Ein Sonderfall ist das schon seit Jahrzehnten geforderte Anliegen einer gemeinsamen Außenpolitik. Ohne die eine Sicherheitspolitik, auch die Schaffung einer eigenen EU-Armee nicht möglich ist. Europa ist zwar – so durch die Flüchtlingswelle – von den Krisen in Syrien, dem Irak, ja bis nach Afghanistan betroffen, spielt aber bei der Suche nach Lösungen der Konfliktfälle keine bedeutende Rolle und muss oft nur zu sehen, wie Groß- und aufstrebende Regionalmächte politische Planspiele führen. Der Problemherd Afrika wird überhaupt mehr oder weniger verdrängt, wenngleich die Anzeichen unübersehbar geworden sind, dass sich in Ländern wie zum Beispiel Ägypten der nächste Flüchtlings-Tsunami bereits anstaut. Mit ein Problem sind ohne Zweifel auch Führungsfiguren der EU. So etwa wurde die Außenbeauftragte Federica Mogherini zwar vom mittlerweile zurück getretenen italienischen Ministerpräsidenten geradezu als Wunderwaffe gepriesen, ist aber in weiterer Folge (nicht zuletzt bedingt durch die wirtschaftliche Schwäche Italiens und den damit fehlenden Rückhalt) farb- und einflusslos geblieben.
Die EU braucht den Willen zu Mehrheitsentscheidungen
Starke Persönlichkeiten wären auch gefragt, um in der Flüchtlingspolitik eine einheitliche Linie zu finden. Dass es immer wieder heißt, dass die EU eine Solidargemeinschaft ist (und daher auch Griechenland bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise hilft), aber die Last der Flüchtlingsaufnahme und –versorgung nur einige wenige Länder tragen, während sich andere davon schlichtweg absentieren, ist ein an sich untragbarer Zustand. Hier zeigt sich aber auch die derzeitige Entscheidungsschwäche der Unionsführung, nicht endlich eine Lösung durchzuziehen. Keine Frage, das Prinzip der Einstimmigkeit ist bei so unterschiedlichen Mitgliedern wie den 28 EU-Ländern, nicht zu halten. Demokratie heißt eben auch, dass es Mehrheitsentscheidungen geben muss, die dann alle mittragen. Wobei noch hinzu kommt, dass viele der notwendigen und an sich richtigen Entscheidungen – vom Schutz der Außengrenzen angefangen – schon seit langem getroffen, aber bis heute nicht konsequent durchgezogen wurden. Was wiederum dazu führte, dass die Länder entlang der Balkanroute, bis herauf nach Österreich, eigene Schutzmaßnahmen ergreifen und dafür noch einen Rüffel aus Brüssel einstecken mussten.
Was sollte man angesichts dieser Faktenlage da der EU zu ihrem 60sten Geburtstag eigentlich wünschen? Soviel steht aber fest: Dass eine große Mehrheit der Bevölkerung noch immer an das Erfolgsmodell EU glaubt, ist ein Kapital, das nicht verspielt werden darf. Es verlangt nur nach klaren Antworten und mutigen Entscheidungen.