Das Bundesverfassungsgericht soll klären, ob durch das Zusammenspiel von ESM und EZB das Verbot der monetären Staatsfinanzierung umgangen wird. Prof. Dr. Markus C. Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, dazu im Interview: „Wir werden sehen, ob es den Dingen auf den Grund gehen will oder Angst vor der eigenen Courage bekommt.“
[[image1]]Morgen steht die mündliche Verhandlung in Sachen ESM/EZB an. Was erwarten Sie vom Ablauf, wenn Sie sich die Verhandlungsgliederung anschauen? Hat der Zweite Senat aus Ihrer Sicht den Schwerpunkt richtig gesetzt?
Es steht mir nicht an, darüber zu urteilen, ob der Zweite Senat den Schwerpunkt richtig gesetzt hat. Jedenfalls nehme ich mit Erleichterung zur Kenntnis, dass bis auf die Verordnung (EU) zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte – mit der Brüssel uns Deutschen ggf. Exporte verbieten könnte – alle relevanten Rechtsfragen des ESM-Verfahrens aufgeführt sind. Besonders scheint sich das Bundesverfassungsgericht für eine Präzisierung der Stabilitätsverpflichtung in Art. 88 GG zu interessieren und gleichzeitig klären zu wollen, ob durch das Zusammenspiel von ESM und EZB das Verbot der monetären Staatsfinanzierung umgangen wird. Wir werden sehen, ob es den Dingen auf den Grund gehen will oder Angst vor der eigenen Courage bekommt.
Das heißt, die EZB wird der Schwerpunkt am 11./12.6.2013 sein?
Ja auch, denn das Bundesverfassungsgericht will das OMT-Programm der EZB in seinen Auswirkungen auf das Budgetrecht das Bundestages erörtert sehen. Das deutet darauf hin, dass der Zweite Senat hier ein Problem sehen könnte. Im Übrigen liegt dies bei einer ökonomischen Betrachtungsweise auf der Hand. Wenn eine supranationale Zentralbank unbegrenzt die Anleihen eines Eurolandes kauft, haften die Bürger der anderen Länder – vermittelt über das Eurosystem – für Schulden, denen sie nie zugestimmt haben. Denn ihr Parlament hat sich hiermit nie befasst. Unbegrenzte Anleihenkäufe sind Eurobonds durch die Hintertür. Dazu hatte sich das Bundesverfassungsgericht mehrfach implizit geäußert.
Weshalb geht von der EZB-Politik eine so große Gefahr aus?
Weil dort die Zentralbank mit dem größten EZB-Anteil und der stärksten Volkswirtschaft im Rücken – also die Bundesbank – permanent instrumentalisiert werden kann. Herr Weidmann stimmt regelmäßig gegen die Mutualisierungspolitik, die die Herren Draghi und Coeuré mit der EZB betreiben, um sie dann auszuführen.
Könnte man damit sagen, dass das institutionelle System wankt?
Ein System, bei dem Herrschaft und Haftung so weit auseinander klaffen wie beim Eurosystem, wird früher oder später implodieren. Denn die Nehmerländer – also die Mehrheit im EZB-Rat – können sanktionslos ihr Ziel durchsetzen, die fiskalischen Probleme ihrer Länder durch die Bilanz der EZB zu lösen. Diese Versuchung ist unwiderstehlich, wie wir gegenwärtig sehen. Die Frage, ob Herr Weidmann den Mut aufbringen wird, die Beschlüsse des EZB-Rates nicht länger auszuführen, ist entscheidend für das Ende dieses Selbstbedienungssystems von Ländern, die ihre öffentlichen Finanzen nicht in Ordnung bringen wollen.
In der Verhandlung am 5.7.2011 betonte der Vorsitzende, Andreas Voßkuhle, das Gericht entscheide ausschließlich über Rechtsfragen. In der NJW 19/2013 warnte er die Beschwerdeführer davor, sich allzu viel Hoffnung zu machen. Meinen Sie, das Bundesverfassungsgericht wird die EZB-Politik ökonomisch analysieren?
Ohne ökonomische Analyse der EZB-Politik sowie der ESM Tätigkeit kann kein Gericht die rechtlichen Auswirkungen für das Budgetrecht des Parlaments –also für die Demokratie schlechthin – beurteilen. Diese ökonomische Analyse ist vorentscheidend für die Beantwortung der Rechtsfragen. Der vom Präsidenten Voßkuhle betonte judicial restraint – „wir entscheiden nur Rechtsfragen“ – ist also einerseits eine Banalität andererseits die Flucht vor der Auseinandersetzung mit der Ökonomie. Sachverständige, die wir benannt haben, wären hier hilfreich. Da die unsererseits benannten Sachverständigen nicht anwesend sind, habe ich zur politischen Ökonomie des Zusammenwirkens von ESM und EZB zwecks Umgehung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) umfassend Stellung genommen.
Beschwerdegegenstand sind die Umsetzungsgesetze. Was antworten Sie dem Vertreter der Bundesregierung oder des Bundestages, die – wie es zu erwarten sein dürfte – die Maßnahmen der EZB oder des ESZB als untaugliche Beschwerdegegenstände qualifizieren?
Die Ausführungen von Bundesregierung und Bundestag postulieren die Freiheit der EZB vom Recht. EZB und ESZB wären damit in der Lage diskretionär unter dem Mäntelchen der Geldpolitik Fiskalpolitik zulasten der nationalen Haushaltssouveränität zu betreiben. Ich glaube, dass der Zweite Senat mit diesem Angriff auf den deutschen Verfassungsstaat selbst fertig wird. Im Übrigen habe ich kein Verständnis für diese Positionen von Regierung und Parlament.
In der FAZ vom 23.5.2013 regte Dr. Reinhard Müller eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union an. Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Verfassungsrichter ein, diesen Weg einzuschlagen?
Angesichts des verheerenden Pringle-Urteils (C-370/12) des Gerichtshofes der Europäischen Union dürfte das Bundesverfassungsgericht wenig Neigung zur Vorlage verspüren. Denn mit diesem Urteil belegt das Unionsgericht einmal mehr, dass es gar kein Gerichtshof ist, sondern sich als juristisches Werkzeug zur Integration ohne Grenzen versteht. Die Begründung der Vereinbarkeit des ESM mit dem Unionsrecht, die der Luxemburger Gerichtshof liefert, ist der vorläufige Höhepunkt seiner methodischen Beliebigkeit. Warum einem Gerichtshof vorlegen, der sich zum Motor der Rechtserosion gemacht hat? Sie sehen, ich habe meine Meinung über das von Herrn Skouris geleitete Gremium geändert. Dazu haben auch meine Verfahren vor dem Unionsgericht gegen die EZB beigetragen.
In der bisherigen Verfassungsjudikatur – also am 7.9.2011 bzw. 12.9.2012 – traf der Zweite Senat stets Maßgabeentscheidungen. Erste Frage: Wurden die Maßgaben eingehalten? Zweite Frage: Wird das Gericht wieder Maßgaben erlassen?
Wie der Zypern-Fall belegt, haben die Postulate des Bundesverfassungsgerichts zur Unveräußerlichkeit der haushaltswirtschaftlichen Gesamtverantwortung des Bundestages diesen nicht daran gehindert, diese überflüssige, schädliche und untaugliche Hilfe für das Off-shore-Paradies namens Zypern einfach abzunicken. Die dem Bundestag vorgelegten Beschussentwürfe waren nichts anderes als Konglomerate von Allgemeinplätzen, die die Troika der Bundesregierung diktiert hatte. Als einzige Klägergruppe haben wir den Widerspruch zwischen gerichtlichen Postulaten und parlamentarischer Praxis dem Zweiten Senat vorgetragen. Wir wollen hoffen, dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht mit einer „aufgewärmten“ Maßgabeentscheidung zufrieden gibt.
Wie beurteilen Sie die ablehnende Entscheidung des Senats vom 17.4.2013 (2 BvQ 17/13) in Sachen einstweilige Anordnung gegen die Zypernhilfe?
Mit Enttäuschung. Denn der Zweite Senat flieht vor der Politikwirklichkeit und weigert sich zu überprüfen, ob seine Postulate auch vom Parlament eingehalten werden. Damit stellt sich die politisch sehr relevante Frage nach der Glaubwürdigkeit und Wirkmächtigkeit verfassungsgerichtlicher Urteile.
Der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm sieht das Unionsrecht vor allem aufgrund des Sekundärrechts anwachsen. Der Verfassungsrichter Landau sieht in dieser schleichenden politischen Selbstverstärkung der Unionsorgane eine Gefahrenlage. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das Verhältnis zwischen ESM und den entsprechenden Ausführungsbestimmungen (Leitlinien)?
Schon jetzt, nicht mal ein Jahr nach Beginn des ESM, wird deutlich, dass sich dieser an die eigene Satzung nicht halten will, sondern diese unbegrenzt zu Gunsten seiner Handlungsbefugnisse interpretiert. Achtung ! Das kann sehr teuer werden. Denn der ESM nimmt Geld auf und verleiht es. Wenn hier nicht strikt auf die Grenzen der ESM-Ermächtigungen geachtet wird, wird uns Herr Regling oder sein französischer Stellvertreter früher oder später über den Nachschussbedarf für seinen ESM informieren. Natürlich wird auch dieser „alternativlos“ sein wie Herr Regling selbst. Kein Deutscher hat bislang so vielen Herren gedient.
Wir bedanken uns für dieses Interview.
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Prof. Dr. Markus C. Kerber ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin. Seit 2006 ist er Gastprofessor für Verteidigungsökonomie am I.E.P., Paris. Von 1991 – 2001 war er Gastdozent an der Führungsakademie der Bundeswehr. Seit 1991/92 ist Dr. Kerber Rechtsanwalt und Unternehmensberater in Berlin, Paris und London. Zu seinen Tätigkeiten zählten ebenfalls leitende Posten für Investmentbanken in Paris und London.
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