Nach 30 Jahren mit weltweit fallenden Zinsen steigt die Wahrscheinlichkeit einer Trendwende – und EZB und BoJ droht eine Zerreißprobe.
[[image1]]Weil die internationalen Kreditmärkte wie korrespondierende Gefäße funktionieren – und das ist der Fall seit sich die City of London in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten Kreditgeber der Welt aufschwang – folgen auch die globalen Zinszyklen der jeweiligen Weltleitwährung, weshalb die sich abzeichnende Trendwende in den USA wohl auch diesmal weltweite Auswirkungen haben wird. Da sich die USA zudem eindeutig in einer zyklisch weiter fortgeschrittenen Phase befinden als die weiteren westlichen Länder mit einer Leitwährung, Japan, die Eurozone und Großbritannien, ist absehbar, dass sich die Finanzmärkte nun auf eine Zerreißprobe mit unbekanntem Ausgang einstellen müssen, deren Nebenwirkungen wohl eher unangenehm ausfallen werden.
Unterer Wendepunkt bereits im vergangenen Sommer?
Nun ist zwar noch lange nicht ausgemacht, dass das Zinstief vom letzten Sommer sich tatsächlich als Endpunkt des letzten Zinszyklus erweisen sollte. Immerhin hatte es in den vergangenen Jahren mehrmals kräftige Zinssteigerungen gegeben, die sich aber jeweils als nur vorübergehend herausgestellt hatten. Kommt es jetzt aber nicht zu einer überraschend starken Abkühlung der US-Konjunktur oder irgendwo zum Ausbruch einer neuen, weltweit wirksamen Finanzkrise, dann stehen die Chancen gut, dass die US-Notenbank ihre seit dreißig Jahren immer lockerer werdende Geldpolitik zu straffen beginnt und die internationalen Finanzmärkte ins Chaos stürzt.
So sind die Zinsen für zehnjährige US-Staatsanleihen von ihrem Tiefststand bei 1,4 Prozent im vergangenen Sommer seither zunehmend beschleunigt auf aktuell rund 2,3 Prozent angestiegen, was die bisherigen vorübergehenden Zinsanstiege bereits deutlich übertrifft. Besonders erstaunen sollte jedoch, dass seit Anfang Mai auch die Renditen der zehnjährigen deutschen Bundesanleihen von 1,16 Prozent auf 1,55 Prozent und bei japanischen Staatsanleihen von 0,3 auf 0,80 Prozent angestiegen sind, während gleichzeitig die Japanische Notenbank ein gewaltiges Anleihenkaufprogramm ins Laufen gebracht und die EZB ihre Kurzfristzinsen auf rekordtiefe 0,5 Prozent gestellt hatte.
Zinswende statistisch bereits zwei Jahre überfällig
Ginge es nach der historischen Wirtschaftsstatistik, dann wäre eine Zinswende ohnehin bereits seit zwei Jahren überfällig. Denn mit erstaunlicher Präzision erreichen die US-Zinsen seit 1830 alle dreißig Jahre einen Wendepunkt, deren letzter 1980 zu beobachten war, als nach Ölkrise und einer sehr lockeren Geldpolitik die Dollarzinsen mit 14 Prozent ihren historischen Höchststand erreicht hatten. Dann etablierte sich der US-Notenbank-Chef Paul Volker – dem Beispiel der Deutschen Bundesbank folgend – als Inflations-Falke und stieg voll auf die Bremse, und in den achtziger und neunziger Jahren setzte sich das monetäre Erfolgsmodell der unabhängigen und streng über die Inflation wachenden Bundesbank in so gut wie allen westlichen Staaten durch, die sich daraufhin bis heute – sofern sie nicht als „Krisenstaat“ von den Finanzmärkten abgeschnitten wurden – tendenziell sinkender Langfristzinsen erfreuen können.
Krisen erzwingen unkonventionelle Geldpolitik
Verantwortlich waren eine Reihe von Krisen, die, beginnend nach dem New Economy Crash, zuerst zu jahrelangen Niedrigzinsen, und nach den dadurch verursachten Subprime-, Lehman- und Eurozonenkrisen zu „unkonventionellen“ geldpolitische Maßnahmen geführt hatten. So konnten dann zwar Finanzmärkte und Konjunktur neuerlich stabilisiert werden, immer wieder wucherten jedoch gefährliche Finanzmarktblasen und nichts änderte sich an der seit 1980 angewachsenen enormen Überschuldung von privaten wie öffentlichen Haushalten.
Finanzmarkt-Panik durch sinkende US-Arbeitslosigkeit
Längst hat die FED aber angekündigt, ihre ungewöhnlichen Maßnahmen erst einzuschränken, sollte die US-Arbeitslosigkeit unter 6,5 Prozent zurückgehen, was die US-Arbeitslosenzahlen zur einflussreichsten Variablen an den internationalen Finanzmärkten gemacht hatte. So reagierten die Märkte absolut panisch, als diese Quote vor drei Wochen erstmals wieder unter 7,5 Prozent gefallen war. Weil die Kritiker der unkonventionellen Geldpolitik im Board der Federal Reserve zudem immer mehr werden, dürfte ausgeschlossen sein, dass die FED nach erreichen ihrer Zielmarke lange zögern wird, ihre Programme zurückzufahren, und erfahrungsgemäß wenig Rücksicht darauf nehmen wird, dass Europa und Japan wohl noch lange keine Zinswende vertragen können.
EZB und BoJ vor Zerreißprobe?
Diese Zinswende werden andere Notenbanken in ihren Währungsgebieten allerdings kaum verhindern können, sollten die US-Zinsen wieder anziehen. Denn auch wenn EZB und BoJ die monetären Schleusen weiter öffnen sollten denn je, laufen sie Gefahr, damit nur die allerbesten Bonitäten in ihrem Währungsraum (z.B. japanische und deutsche Staatsanleihen) stabilisieren zu können. So dürften Unternehmensanleihen und Aktien ebenso unter Druck kommen, wie die Anleihen schwächerer Staaten, die allesamt mit steigendem Risiko überproportional steigende Zinskosten erwarten sollten. Erstklassige Kreditnehmer werden sich hingegen zunehmend besserer Refinanzierungsbedingungen erfreuen, so dass starke Marktteilnehmer die schwächeren noch weiter abhängen sollten, während Vermögensbesitzer, vorausgesetzt sie sind nicht in Risikopapieren engagiert, gegenüber Schuldnern bevorzugt werden.
Ende der „Financial Compression“?
Hier stellt sich allerdings die Frage, wie die führenden westlichen Staaten samt USA bei steigenden Zinsen von ihren Schuldenbergen herunterkommen wollen. Beispielsweise ist klar, dass weder die japanische Regierung noch der Finanzsektor eine deutliche Zinserhöhung ertragen könnten, und auch seitens der FED gibt es Andeutungen, dass sie durchaus geneigt wäre zu versuchen, die US-Staatsschulden durch eine „Financial Compression“ abzubauen, also die Langfristzinsen für längere Zeit unter die Inflationsrate zu drücken, was offenbar auch die EZB zu arrangieren versucht. BoJ und EZB dürften jedenfalls alles unternehmen, um ihre Innlandszinsen unter Kontrolle zu halten, was die EZB etwa zu umfangreichen Engagements in Anleihen aus den Eurozonestaaten zwingen könnte – und im EZB-Rat wohl zu maßlosen Streitereien über die jeweils „richtigen“ Zinsen führen wird.