Enorme politische und juristische Komplexität einer sachgerechten Umsetzung dieses Erkenntnisses
Im Gegensatz zur katholischen Kirche, die den Karfreitag „nur im negativen Sinn, als liturgische Leerstelle“[1] feiert, ist der Karfreitag für die Protestanten nicht nur der höchste aller kirchlichen Feiertage, sondern auch „identitätsstiftend“.[2] Dementsprechend ist in Österreich der Karfreitag auch nur für die Angehörigen der Evangelischen Kirchen des Augsburger (AB) und des Helvetischen Bekenntnisses (HB), der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-Methodistischen Kirche als ein „bezahlter Feiertag“ mit einer Ruhezeit von mindestens 24 Stunden ausgestaltet.
Obwohl in der Vergangenheit des Öfteren darauf hingewiesen wurde, dass Sonderfeiertagsregelungen nur für Angehörige einzelner Religionen verfassungsrechtlich problematisch und arbeitsrechtlich unzulässig sind, ist die selektive „Karfreitags-Regelung“, die innerhalb Europas einzigartig ist,[3] in Österreich beibehalten worden. Gemäß dem Grundsatz: „Wo kein Kläger, da kein Richter“, bedurfte es erst der Klage eines österreichischen Angestellten, Herrn Markus Achatzi, um diese Regelung zu Fall zu bringen. Durch das Urteil des EuGH in der Rs. C-193/17, Cresco Investigation GmbH/Markus Achatzi,[4] vom 22. Jänner 2019, ist dies zwar geschehen, gleichzeitig wurde damit aber eine solche Fülle von weiteren Fragen aufgeworfen, die eine akkordierte Vorgangsweise alle Betroffenen bei der Umsetzung dieses Urteils nicht zuließ. Die von der österreichischen Bundesregierung letztlich gewählte Form, den Karfreitag als „halben“ Feiertag für alle Arbeitnehmer, gleich welchen Bekenntnisses, gesetzlich auszugestalten, hat im Grunde mehr Verwirrung als Klarheit gestiftet, und sieht sich bereits mit mehreren Klagsdrohungen konfrontiert. Es ist aber Eile geboten, da diese komplexe Fragestellung unbedingt noch vor dem nächsten Karfreitag, der dieses Jahr auf den 19. April 2019 fällt, definitiv gelöst werden muss.
Die wichtigsten Religionsgemeinschaften in Österreich
Was die Angehörigen der wichtigsten Religionsgemeinschaften in Österreich betrifft, so stellt sich die Situation folgendermaßen dar. Während die römisch-katholische und die evangelische Kirche massiv an Angehörigen verlieren, weisen die orthodoxe Ostkirche und der Islam markant steigende Bekennerzahlen auf. Die Anhänger der israelitischen Kultusgemeinde sind hingegen zahlenmäßig fast völlig unverändert geblieben. Ganz allgemein steigt damit die Zahl der Atheisten, die sich einen Staat, der weltanschaulich und religiös neutral ist, wünschen, kontinuierlich an.[5]
Vergleicht man die entsprechenden Zahlen zwischen der Erhebung der jeweiligen Bekenner der Religionsgemeinschaften im Rahmen der letzten Volkszählung im Jahre 2001 mit dem gegenwärtigen Stand im Jahre 2018, so stellt sich die Situation – bei einer Gesamtbevölkerung Österreichs von 8,032.926 Personen (2001) – folgendermaßen dar:
- Römisch-katholisches Bekenntnis: 5,915.421 (2001) und 5,110.000 (2018);
- Atheisten: 1,028.390 (2001) und 1,931.572 (2018);
- Orthodoxie/Ostkirche: 353.857 (2001) und 775.000 (2018);
- Islam: 338.988 (2001) und 700.000 (2018);
- Evangelisches Bekenntnis (AB, HB): 376.150 (2001) und 297.578 (2018) sowie
- Israelitisch: 8.140 (2001) und 8.117 (2018).[6]
Darüber hinaus bekannten sich 2001 insgesamt 14.621 Personen zur altkatholischen und 1.263 Menschen zur methodistischen Glaubensgemeinschaft.[7]
Die Begünstigung der Angehörigen von vier Kirchen im Arbeitsruhegesetz (1983)
§ 7 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 3. Februar 1983 über die wöchentliche Ruhezeit und die Arbeitsruhe an Feiertagen (Arbeitsruhegesetz) (ARG)[8] zählt 13 nationale Feiertage auf, die für alle Arbeitnehmer gelten, ganz gleich, welchem Religionsbekenntnis sie angehören. § 7 Abs. 3 ARG sieht hingegen vor, dass für die Angehörigen von vier Kirchen – nämlich der Evangelischen Kirche des Augsburger (AB) und des Helvetischen Bekenntnisses (HB), der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-Methodistischen Kirche – ausnahmsweise auch der Karfreitag ein Feiertag ist.
§ 9 Abs. 1 ARG bestimmt in diesem Zusammenhang, dass ein Arbeitnehmer, der an einem Feiertag nicht arbeitet, seinen Anspruch auf das volle Arbeitsentgelt für diesen Tag behält und – falls er doch arbeiten sollte – den doppelten Arbeitslohn dafür bezieht (Abs. 5). Jeder Arbeitnehmer, der an einem der 13 Feiertage arbeitet, erhält damit über sein normales Entgelt hinaus ein zusätzliches Feiertagsentgelt in derselben Höhe, das praktisch zur Folge hat, dass er für seine Arbeit an diesen Tagen doppelt entlohnt wird.
Da der Karfreitag jedoch nur für die Angehörigen der vier erwähnten Kirchen – Evangelische (AB und HB-Bekenntnis), Altkatholiken und Methodisten – ein bezahlter Feiertag ist, steht auch nur diesen Angehörigen am Karfreitag ein bezahlter Feiertag – oder, wenn sie an diesem Tag arbeiten – auch ein Feiertagsentgelt, zusätzlich zu ihrem normalen Entgelt, zu.
Nationaler Anlassfall wegen behaupteter Diskriminierung aus Gründen der Religion
Herr Markus Achatzi ist Arbeitnehmer in einer privaten Detektei (Cresco Investigation GmbH) und erhielt, da er keiner der vorerwähnten vier Kirchen angehörte, von seinem Arbeitgeber für seine am Karfreitag, dem 3. April 2015, geleistete Arbeit – über sein normales Entgelt hinaus – auch kein zusätzliches Feiertagsentgelt ausbezahlt. Er fand diese Regelung diskriminierend iSe Ungleichbehandlung aufgrund der Religion und der Weltanschauung und begehrte von seinem Arbeitgeber eine Zahlung von 109,09 Euro brutto zuzüglich Zinsen, die ihm aber verweigert wurde, worauf er diesen klagte.
Das Arbeits- und Sozialgericht Wien wies, als Erstgericht, am 15. Oktober 2015 das Klagebegehren ab[9], wobei es davon ausging, dass bei der Karfreitagsregelung eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung an sich ungleicher Sachverhalte vorliege. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen gab hingegen mit Urteil vom 29. März 2016[10] der Berufung des Klägers Folge, da es sich seiner Ansicht nach bei der Ungleichbehandlung um einen Verstoß gegen die unmittelbar anwendbare und in Verfassungsrang stehende Bestimmung des Art. 21 der EU-Grundrechte-Charta (GRC)[11] handle. Es liege daher eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion vor, die nicht nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf[12] gerechtfertigt sei. In der Folge hatte der Oberste Gerichtshof (OGH) über die gegen die Berufungsentscheidung erhobene Revision der Beklagten zu entscheiden, die die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils anstrebte.
Der OGH fasste am 24. März 2017 den Beschluss, dem EuGH vier Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorzulegen und das Verfahren bis zum Einlangen derselben gem. § 90a Abs.1 GOG auszusetzen.[13] Im Mittelpunkt stand dabei die Fragestellung, ob diese Sonderstellung gegenüber Arbeitnehmern, die den genannten vier Religionen nicht angehören, als unmittelbar diskriminierend wegen der Religion gegen Art. 21 GRC verstößt, oder als Maßnahme zum Schutz der Freiheit der Religionsausübung bzw zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung der Angehörigen der genannten Kirchen im Berufsleben gerechtfertigt ist.
Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der EU
Im gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahren in der Rs. C-193/17, Cresco Investigation GmbH/Markus Achatzi, stimmen die Schlussanträge des Generalanwalts Michal Bobek und der Tenor des Urteils des Gerichtshofs zwar grundsätzlich darin überein, dass es sich bei der vorliegenden Regelung um eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Religion und eine Verletzung der Gleichbehandlungspflicht in Beschäftigung und Beruf handelt, divergieren aber in ihrer rechtsdogmatischen Begründung bzw. setzen andere Schwerpunkte.
Schlussanträge des Generalanwalts
In seinen Schlussanträgen vom 25. Juli 2018 geht Generalanwalt Bobek von der Rechtsansicht aus, dass die Gewährung eines bezahlten Feiertags nur für die Angehörigen der vier Kirchen, verbunden mit einem Feiertagsentgelt, falls sie an diesem Tag arbeiten, eine Diskriminierung aus Gründen der Religion iSv Art. 21 Abs. 1 GRC und einen Verstoß gegen die Gleichbehandlungspflicht in Beschäftigung und Beruf iSv Art. 2 Abs. 2 lit. a) der RL 2000/78/EG darstellt, für die keine entsprechenden Rechtfertigungsgründe gefunden werden können. Es gebe keinen ersichtlichen Bezug zwischen dem Schutz der Religionsfreiheit und dem Anspruch auf ein Feiertagsentgelt, wenn man am Karfreitag arbeite. Die Maßnahme sei damit ungeeignet, das Ziel des Schutzes der Religionsfreiheit zu erreichen. Ebenso scheint es nicht möglich zu sein, die österreichische Bestimmung als Regelung anzusehen, die spezifische Maßnahmen enthält, mit denen eine Benachteiligung wegen der Religion unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie des Gleichheitsgrundsatzes ausgeglichen wird.
Nach Ansicht des Generalanwalts ist die komplexere Frage in der vorliegenden Rechtssache aber diejenige, welche Rechtsfolgen in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen die (abstrakte) Feststellung einer Diskriminierung hat, die auf eine Richtlinie – die keine horizontale unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen entfaltet[14] – und eine Bestimmung der primärrangigen EU-Grundrechte-Charta[15] gestützt wird. Aus seiner Sicht verlangt der Anwendungsvorrang, dass die nationale Regelung unangewendet bleibt. „Lässt sich aus diesem Grundsatz oder einer möglichen horizontalen unmittelbaren Wirkung von Art. 21 Abs. 1 GRC jedoch außerdem ableiten, dass ein (privatrechtlicher) Arbeitgeber unionsrechtlich verpflichtet ist, das Feiertagsentgelt zusätzlich zum normalen Arbeitslohn jedem, unabhängig von dessen religiösen Überzeugungen, zu zahlen, der am Karfreitag arbeitet? Meiner Ansicht nach ist dies nicht der Fall. Das Unionsrecht verlangt gleichwohl einen wirksamen Rechtsbehelf, der die Möglichkeit einer Schadensersatzklage gegen den Mitgliedstaat einschließen mag“ (Rdnr. 18).
Resumiert man die Feststellungen des Generalanwalts in der vorliegenden Rechtssache, der ein Verfahren zwischen Privaten zugrunde liegt, dann lässt sich Folgendes feststellen:
- Die nationalen Rechtsvorschriften, die als mit Art. 21 Abs. 1 GRC iVm Art. 1, Art. 2 Abs. 2 lit. a) und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 unvereinbar angesehen werden, bleiben solange unangewendet, solange der Gesetzgeber keine diskriminierungsfreie Rechtslage geschaffen hat;
- 21 Abs. 1 GRC iVm Art. 1, Art. 2 Abs. 2 lit. a) und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 kann für sich alleine dem Arbeitgeber keine Verpflichtungen auferlegen;
- kann sich ein durch eine solche Anwendung des nationalen Rechts Geschädigter gleichwohl auf das Urteil des EuGH in der Rs. Francovich und Bonifaci[16] berufen, um gegebenenfalls im Wege der Staatshaftung Ersatz für den entstandenen Schaden zu erhalten.[17]
Urteil des Gerichtshofs
In seinem Urteil vom 22. Januar 2019[18] stellt der Gerichtshof (Große Kammer) fest, dass die inkriminierte Feiertagsregelung am Karfreitag, die ausschließlich für die Angehörigen der erwähnten vier Kirchen gilt, gem. Art. 2 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2000/78/EG eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Religion darstellt.[19] Die gegenständliche Regelung begründet nämlich eine unmittelbar auf der Religion der Arbeitnehmer beruhende unterschiedliche Behandlung, wobei das Unterscheidungskriterium unmittelbar der Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu einer bestimmten Religion entspringt. Die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Maßnahmen können auch weder als zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendige Maßnahmen iSv Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG noch als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen aus Gründen der Religion iSv Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden.[20]
In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof insbesondere darauf hin, dass ein Angehöriger der vier Kirchen am für ihn freien Karfreitag nicht eine bestimmte religiöse Pflicht erfüllen, sondern nur formal einer dieser Kirchen angehören muss, sodass es ihm freisteht, den Karfreitag einfach zu Erholungs- oder Freizeitzwecken zu nutzen.[21] Aus diesem Grunde kann von der Karfreitags-Regelung auch nicht angenommen werden, dass sie zum Schutz der Religionsfreiheit notwendig ist. Die österreichische Regelung enthält auch keine spezifischen Maßnahmen, mit denen eine Benachteiligung aus religiösen Gründen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und, soweit wie möglich, auch des Gleichheitsgrundsatzes kompensiert wird.
Ein Arbeitnehmer, der einer anderen Konfession angehört, ist nämlich am Karfreitag auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers angewiesen, aufgrund derer ihm erlaubt werden kann, sich zur Befolgung spezieller religiöser Riten von seinem Arbeitsplatz zu entfernen. Daraus ist aber ersichtlich, dass die gegenständlichen Maßnahmen über das hinausgehen, was zum Ausgleich einer solchen (mutmaßlichen) Benachteiligung nötig ist und damit eine unterschiedliche Behandlung von mit vergleichbaren religiösen Pflichten konfrontierten Arbeitnehmern begründen, die die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes nicht so weit wie möglich gewährleistet.[22]
Art. 21 der GRC ist nach Ansicht des EuGH dahin auszulegen, dass, solange Österreich seine einschlägigen Rechtsvorschriften zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer nicht entsprechend geändert hat, ein privater Arbeitgeber, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen Arbeitnehmern am Karfreitag einen bezahlten Feiertag samt Feiertagsentgelt zu gewähren. Diese müssen allerdings zuvor mit dem Anliegen an ihn herangetreten sein, an diesem Tag nicht arbeiten zu müssen. Sollte ihnen der Arbeitgeber aber nicht freigegeben haben, steht diesen Arbeitnehmern das Recht auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung zu.[23]
Mit dieser Antragspflicht – aufgrund derer der Arbeits- und Sozialrechtler der WU Wien, Franz Marhold, den Karfreitags-Feiertag als „Feiertag zweiter Klasse“ bezeichnet – hat sich der EuGH offensichtlich etwas gedacht, vor allem im Hinblick auf den Umstand, dass seinen Urteilen rückwirkende Geltung zukommt. Denn wäre der Karfreitag von ihm zu einem normalen Feiertag für alle erklärt worden, wären den Arbeitgebern uU hohe Nachzahlungen ins Haus gestanden, und zwar an alle jene Mitarbeiter, die – unter der Berücksichtigung der Verjährungsfrist – in den vergangenen drei Jahren an einem Karfreitag gearbeitet hatten. Laut gegenständlichem Urteil besteht diese Pflicht aber nur dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor beantragt hatte, am Karfreitag einen bezahlten Feiertag zu haben. Das werden in der Vergangenheit aber die Wenigsten gemacht haben,[24] sodass sich im Normalfall für die Vergangenheit kein Nachzahlungsrisiko stellen sollte.[25]
Reaktionen
Die Reaktionen auf das gegenständliche Urteil fielen erwartungsgemäß kontrovers aus, insbesondere soweit sie die unterschiedlichen Sozialpartner betrafen. So erwartet sich Karlheinz Kopf, der Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreichs (WKÖ), ein rasches Handeln des Gesetzgebers und eine aufkommensneutrale Neuregelung, wobei für die Wirtschaft ein zusätzlicher freier Tag für alle österreichischen Arbeitnehmer nicht in Frage komme. Österreich liege mit seinen 13 Feiertagen ohnehin jetzt schon unter jenen Ländern mit den großzügigsten Feiertagsregelungen in Europa. „Ein zusätzlicher Feiertag würde die österreichische Wirtschaft 600 Mio. Euro kosten. Das würde den Faktor Arbeit enorm verteuern und ist weder unseren Betrieben zuzumuten, noch aus standortpolitischen Gründen sinnvoll“.[26]
Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) geht hingegen von einer diesbezüglichen Reduktion des BIP um 400 Mio. Euro aus, sodass der Karfreitag die Wertschöpfung um 0,1 bis 0,15 Prozent verringern würde. Generell senke ein arbeitsfreier Tag das österreichische BIP um bis zu 0,2 Prozent.[27]
Im Gegensatz dazu will die Gewerkschaft den Karfreitag zu einem gesetzlichen Feiertag für Alle machen. Der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz, begründete diese Forderung damit, dass die Österreicher bei den wöchentlichen Arbeitszeiten in Europa ohnehin schon an der Spitze liegen.[28] Auch würde bei dem Hinweis auf die 13 Feiertage verschwiegen werden, dass manche davon jedes Jahr auf einen Sonntag fallen, nämlich Oster- und Pfingstsonntag. Auch der 6. Jänner ist heuer als Feiertag de facto ausgefallen, da er auf einen Sonntag zu liegen kam.
Was hingegen den Betrag von 600 Mio. Euro betrifft, den der Generalsekretär der WKO benannte, so sei, nach Ansicht von ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, diese Summe durch nichts nachvollziehbar, es handle sich vielmehr um eine „Märchenstunde der Wirtschaftskammer“.[29] Nach Rückfrage bei der APA habe sich nämlich herausgestellt, dass der Betrag von 600 Mio. Euro eine grobe Schätzung sei. Diese sei so zustande gekommen, dass man einfach die volkswirtschaftliche Gesamtleistung der Privatwirtschaft von 140 Mrd. Euro durch 220 Arbeitstage dividiert habe. Dass es in manchen Branchen bereits teilweise Vier-Tage-Wochen mit freiem Freitag gibt und meistens am Freitag auch weniger Arbeitsstunden anfallen als von Montag bis Donnerstag, sei zB nicht berücksichtigt worden. Auch wurde der gesamte öffentliche Bereich, vom Lehrer bis zum Polizisten, ausgeklammert.
Weitere Vorgangsweise
Zunächst muss der OGH in der ihm vorliegenden Rechtssache als Revisionsgericht in der Sache entscheiden, wobei er an das Urteil des EuGH gebunden ist. Anders als der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen verlangt der EuGH allerdings nicht, dass die Angehörigen der vier erwähnten privilegierten Kirchen den Anspruch auf den Feiertag oder ein Feiertagsentgelt, wenn man dennoch arbeitet, verlieren. Ganz im Gegenteil steht der Karfreitag allen österreichischen Arbeitnehmern zu, wenn sie an diesem Tag nicht arbeiten wollen und dies ihrem Arbeitgeber zeitgerecht bekanntgeben. Sollte dieser Wunsch aber abschlägig beschieden werden, steht dem Arbeitnehmer das Recht auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung zu.
Der Bundesregierung obliegt es in der Folge, für eine diskriminierungsfreie Karfreitags-Regelung durch eine entsprechende Novellierung des Feiertagsruhe- bzw. Arbeitsruhegesetzes zu sorgen. Sollte es ihr aber nicht gelingen, rechtzeitig vor dem 19. April 2019 die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zu erlassen, um dem Urteil nachzukommen, dann würde dies aufgrund von dessen Direktwirkung bedeuten, dass die Arbeitgeber allen Arbeitnehmern, die den Karfreitag bereits im Vorfeld als Feiertag für sich beanspruchen, frei geben oder – für den Fall, dass sie am Karfreitag doch arbeiten – das zusätzliche Feiertagsentgelt auszahlen müssten.
Der Bundesregierung wurden in diesem Zusammenhang eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie sie die Vorgaben des Urteils des EuGH am besten umsetzen könnte. So könnte sie zB den Karfreitag zu einem normalen gesetzlichen Feiertag für alle Arbeitnehmer machen, was von ihr aber strikt abgelehnt wird.[30] Eine Untervariante diese Regelung, die sowohl vom evangelischen Bischof Michael Bünker, als auch vom evangelischen Synodenpräsident, Peter Krömer, vorgeschlagen wurde, könnte wiederum darin bestehen, dass als Ausgleich dafür auf einen freien Pfingstmontag verzichtet wird, der ohnehin kein biblisches Geschehen widerspiegelt und nur dazu dient, Pfingsten „mehr Gewicht zu verleihen“.[31] Einen solchen Tausch schlug auch Synodenpräsident, RA Peter Krömer, vor.[32] Es könnte aber auch der Karfreitag als Feiertag gestrichen werden, sodass er zu einem normalen Arbeitstag werden würde. In diesem Fall müssten aber die Arbeitgeber dazu verpflichtet werden, es den Angehörigen der vier Religionen zu ermöglichen, einen Gottesdienst zu besuchen. Man könnte aber auch festlegen, dass der Karfreitag für die Angehörigen der vier Religionen ein Feiertag bleibt, diejenigen Angehörigen, die aber arbeiten wollen, keinen Feiertagszuschlag bekommen sollen.[33]
Sollte es keinen ganzen Karfreitag-Feiertag für alle geben, schlägt die Arbeiterkammer alternativ dazu einen religionsunabhängigen Wahl-Feiertag für alle bzw auch einen frei wählbaren zusätzlichen Urlaubstag für alle vor, wobei der Unterschied darin bestehen würde, dass die Arbeitnehmer auf einen Wahl-Feiertag einen Rechtsanspruch hätten, ein bloßer Urlaubstag aber zunächst vom Arbeitsgeber genehmigt werden müsste. In dieselbe Kerbe schlägt der Arbeitsrechtler an der Universität Wien, Martin Risak, für den eine Lösung am sachadäquatesten erscheint, die einen zusätzlichen Urlaubstag für alle ArbeitnehmerInnen bringt, dessen zeitliche Lage mit dem/der ArbeitgeberIn aber grundsätzlich vereinbart werden muss. Für Angehörige staatlich anerkannter Religionsgemeinschaften sollte dieser mit einem Rechtsanspruch kombiniert werden, diesen zusätzlichen Urlaubstag an einem religiösen Feiertag zu konsumieren. Dafür müsste dem/der betreffenden ArbeitgeberIn die Religionszugehörigkeit allerdings rechtzeitig, dh innerhalb einer gesetzlich festzulegenden Frist, im Vorhinein bekanntgegeben werden. Ebenso ist für ihn denkbar, dass zwei der bisherigen Feiertage mit einer katholischen Fundierung idS ebenso flexibel gestaltet werden, um Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften eine Gesamtzahl von drei Feiertagen zu bieten.[34] Muslime hätten dann ebenfalls künftig einen Anspruch darauf, an hohen Festtagen frei zu bekommen.[35]
Franz Marhold von der WU Wien warnt hingegen vor der Variante eines zusätzlichen Urlaubstages, um die „Karfreitagsproblematik“ zu lösen, da Arbeitnehmer laut Angestelltengesetz bereits dann Anspruch auf eine Lohnfortzahlung haben, wenn sie ihre Arbeit „aus wichtigen, die Person betreffenden Gründen“ nicht erbringen können. Darunter würden auch religiös motivierte verstanden, wie aus dem Urteil des OGH zum jüdischen Totengebet Kaddisch aus dem Jahre 1996 hervorgeht. Wird daher der Karfreitag als Feiertag gestrichen und erhalten alle Arbeitnehmer zum Ausgleich einen Urlaubstag mehr, wird wohl auf diese Bestimmung zurückgegriffen werden, um zumindest teilweise am Karfreitag arbeitsfrei zu bekommen. Den zusätzlichen Urlaubstag würde man sich dann „nach Gutdünken“ nehmen, womit aber ein zusätzlicher Urlaubstag geschaffen werde und am Karfreitag weiterhin die Möglichkeit bestünde, für seine (religiösen) „Verpflichtungen“ eine gewisse Zeit frei zu nehmen. Vorstellbar ist für Marhold hingegen der Abtausch mit einem anderen Feiertag, wobei er nicht den Pfingstmontag, wie von vielen vorgeschlagen, sondern vielmehr den Stephanitag vorschlagen würde. Der 26. Dezember ist nicht im Konkordat verankert und fällt wie der Karfreitag in die Ferienzeit, sodass sich auch für die Schulen nichts ändern würde.[36]
Was den Islam betrifft, so existiert kein diesbezüglicher Feiertag, obwohl er durch das Islamgesetz vom 15. Juli 1912[37] schon früh als Religionsgesellschaft anerkannt wurde und auch den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen bekam. Damit genießt der Islam in Österreich eine Rechtsstellung, die in Westeuropa einzigartig ist. Mit dem Islamgesetz wurde den Anhängern des Islams nach hanefitischem Ritus religiöse Selbstbestimmung zugesichert. 1979 wurde der Antrag auf Gründung der „Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ) bewilligt, deren Alleinvertretungsanspruch aber ab 2009 offen in Frage gestellt wurde. In der Folge wurde 2013 die „Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ als Religionsgemeinschaft anerkannt,[38] der unmittelbar danach die „Islamisch-Schiitische Glaubensgemeinschaft“ als Bekenntnisgemeinschaft folgen sollte. Ende März 2015 wurde das Islamgesetz (2015) erlassen,[39] durch das das Islamgesetz (1912) außer Kraft gesetzt wurde. Gem. § 6 Abs. 2 des Islamgesetzes (2015) dürfen islamische Glaubensgemeinschaften nicht mehr dauerhaft aus dem Ausland finanziert werden, was BK Sebastian Kurz im Juni 2018 veranlasste, anzukündigen, sieben Moscheen schließen und die Ausweisung zahlreicher Imame prüfen zu lassen.[40] In der Folge kam es aber nicht mehr dazu.
Neben der IGGiÖ als Körperschaft öffentlichen Rechts als Interessensvertretung findet das religiöse Leben der Muslime vorwiegend in den Moschee-Vereinen statt, die in der Regel Ableger gesamteuropäischer Zusammenschlüsse sind, die ihren Sitz vorwiegend in der Bundesrepublik Deutschland haben, wie zB der Zentralrat der Muslime, der Moscheeverband Ditib, der Islamrat, der Verband Islamischer Kulturzentren uam. Die Aktivitäten dieser Verbände werden aktuell in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Erhebung einer „Moscheesteuer“ diskutiert, die – ebenso wie in Österreich – dazu dienen soll, die Muslime von ihrer (finanziellen) Abhängigkeit vom Ausland zu befreien.[41]
Die Regierungsvorlage der österreichischen Bundesregierung
Das Dilemma, in dem sich die österreichische Bundesregierung in der Umsetzung des Karfreitag-Urteils des EuGH befindet, ist offensichtlich. Zum einen will sie aus dem Karfreitag keinesfalls einen zusätzlichen Feiertag für alle machen,[42] und zum anderen „soll auch Niemandem etwas weggenommen werden“, wie Minister Gernot Blümel versicherte.[43] Zur näheren Ausarbeitung einer entsprechenden Kompromissformel wurde ein Verhandlungsteam, unter der Leitung des stellvertretenden ÖVP-Klubobmanns, Peter Haubner (ÖVP) und des FPÖ-Klubobmanns Walter Rosenkranz (FPÖ), eingesetzt, das in aller Eile einen Lösungsvorschlag ausarbeitete, der am 19. Februar 2019 offiziell vorgestellt wurde. Danach soll der Karfreitag ein „halber“ Feiertag werden, was bedeutet, dass alle Arbeitnehmer ab 14.00 Uhr frei haben sollen. Diese Regelung will die Bundesregierung, auf Grund des knappen Fristenlaufs, bereits am Mittwoch, dem 27. Februar 2019, im Nationalrat zur Behandlung einbringen. In seiner Begründung für diese gesetzliche Regelung führte Kanzleramtsminister Gernot Blümel am 20. Februar nach der Ministerratssitzung aus, dass man damit vor allem „Rechtssicherheit angestrebt“ und eine Lösung gefunden habe, die so nahe an der bisherigen Lösung liege, wie dies nur möglich sei. Diese Lösung werde man nun rasch durchziehen.[44]
Die Reaktionen auf die Regierungsvorlage fielen fast durchwegs negativ aus. Sowohl die Opposition, als auch die Arbeitnehmerverbände, die Religionsgemeinschaften und die Wirtschaft äußerten zum Teil scharfe Kritik. So führte der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz, dazu aus: „Ein Feiertag ab 14.00 Uhr an einem Freitag, an dem ohnehin sehr viele Arbeitnehmer schon zu Mittag Dienstschluss haben, ist lächerlich“.[45] Selbst ausgehend von einem Acht-Stunden-Tag und Dienstbeginn um acht Uhr früh, blieben gerade einmal zwei Stunden mehr Freizeit übrig, weshalb die Präsidentin der AK, Renate Anderl, auch süffisant von einem freien „Viertelfeiertag“ sprach.[46] Am größten ist die Enttäuschung allerdings bei der evangelischen Kirche, da deren Gläubige durch diese Regelung einen halben Feiertag verlieren.[47] Auch der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, wies darauf hin, dass Feiertage „vom Wesen her immer ein ganzer Tag seien“.[48]
Die mit einer solchen „halben“ Feiertagsregelung verbundenen Probleme sind komplex. Zum einen gibt es im österreichischen Arbeitsrecht keine „halben“ Feiertage. Da an Feiertagen auch kein Urlaubsverbrauch stattfinden dürfe, hätte die Regelung zur Folge, dass der Arbeitgeber dem Verbrauch von Zeitguthaben zustimmen müsste. Verfügt aber ein Angestellter über kein solches Zeitguthaben, sei ein freier Karfreitag im Gegensatz zu bisher eigentlich nicht möglich, wie der AK-Experte Wolfgang Kozak feststellt. Auch für die Schicht- bzw. Teilzeitarbeiter würden sich grundsätzliche Probleme ergeben, da Personen, die Frühdienst haben oder in Teilzeit nur am Vormittag arbeiten, schlechter gestellt wären als jene, die am Nachmittag im Feiertagsmodus Dienst hätten.[49]
Ganz allgemein muss aber in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass dann, wenn man wirklich jedem einen halben Arbeitstag „schenken“ will, man nicht umhinkommt, sich von einer fixen Uhrzeit zu verabschieden. Statt dessen müsste auf die jeweilige individuelle Arbeitszeit abgestellt werden, wobei für eine Vollzeitkraft ein halber Tag in der Regel ein Zehntel der Wochenarbeitszeit, also vier Stunden, ist. Bei einer Halbtagsbeschäftigung wären das lediglich zwei Stunden. Das sind dann die Arbeitsstunden, die sich ein Arbeitnehmer bei Entgeltfortzahlung ersparen muss, will man in die Nähe einer Feiertagshälfte kommen. Würden diese Zeitguthaben für die individuell letzten Arbeitsstunden am Karfreitag gewährt werden, müsste man, statt von acht bis 16 Uhr (plus Pause) nur bis 12 Uhr arbeiten und, statt von acht bis 14 Uhr, nur bis elf Uhr.[50]
Auch wenn das (Arbeitsruhe)Gesetz nunmehr geändert wird, gelten kollektivvertragliche Regelungen weiter – und würden selbst bei einer Aufkündigung derselben noch nachwirken. Da das Recht auf einen freien Karfreitag der vier Kirchen sowohl im einschlägigen General-Kollektivvertrag, als auch in einer Reihe von Branchen-Kollektivverträgen verankert ist, müssten sich also zunächst die Sozialpartner – das sind die Wirtschaftskammer (WKO) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) – auf eine entsprechende Änderung der Kollektivverträge einigen, da ein direkter gesetzlicher Eingriff in dieselben nicht zulässig ist. Die Kollektivvertragsfreiheit ist sowohl in Art. 11 EMRK, als auch in Art. 12 GRC, verfassungsrangig verankert. Es kommt in diesem Zusammenhang vor allem aber darauf an, wie die Verweisungen in den einzelnen Kollektivverträgen auf die gesetzlichen Vorgaben jeweils formuliert sind – nämlich entweder in „statischer“ oder „dynamischer“ Form. Letztere, in der Version einer Formulierung, dass zB das Gesetz „in der jeweiligen Fassung“ gilt, sind allerdings laut Judikatur des OGH grundsätzlich unwirksam.[51]
Die Kollektivverträge könnten zwar von der WKO bzw. dem OGB einseitig gekündigt werden, wobei die Kündigungsfrist allerdings drei Monate beträgt, sodass die Zeitspanne bis zum nächsten Karfreitag am 19. April 2019 schon überschritten wäre. Selbst eine solche Kündigung würde nur für danach neu eingestellte Mitarbeiter gelten, für alle anderen bestünde die bisherige Karfreitagsregelung weiter.[52]
Hauptbetroffen wäre von der gegenständlichen Regelung vor allem der stationäre Handel, der den Karfreitag als umsatzmäßig zweitstärksten Einkaufstag – nach dem 23. Dezember, dem Vorweihnachtstag – nicht verlieren möchte. Damit müsste zunächst aber geklärt werden, ob die Geschäfte am Karfreitag ab 14.00 Uhr überhaupt offen halten dürfen. Dazu müsste das Öffnungszeitengesetz geändert werden, das vorsieht, dass Geschäfte an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich – bei einigen Ausnahmebestimmungen für den 8., den 24. und den 31. Dezember – geschlossen bleiben. Ebenso müssten sich die Sozialpartner auf die Zuschlagsregelung für die Angestellten einigen, wofür der Handelsverband am 19. Februar 2019 eine Regelung wie für den 8. Dezember (Maria Empfängnis) vorgeschlagen hat. Diese Lösung – Überstundenzuschlag von 200 Prozent und Zeitausgleich – ist extrem teuer und würde für den Handel zwei- bis dreimal so teuer, wie ein normaler Arbeitstag kommen.[53] Iris Thalbauer, Geschäftsführerin der Bundessparte Handel in der WKO stellt in diesem Zusammenhang fest, „dass ein ab 14.00 Uhr geschlossener Karfreitag für uns der worst case wäre. Aber auch so verlangen wir eine Kompensation für die Zusatzkosten von 30 bis 40 Mio. Euro allein im Handel“.[54]
Nachtrag: Jom Kippur, Reformationstag und Schulzeitregelung
Obwohl im gegenständlichen Urteil des EuGH nicht verfahrensgegenständlich, könnten ähnliche Diskriminierungserwägungen auch für die Feiertagsregelung des jüdischen Versöhnungsfestes „Jom Kippur“ gelten, obwohl dieses nicht im Arbeitsruhegesetz sondern vielmehr in einem Generalkollektivvertrag aus dem Jahr 1953 – abgeschlossen zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund – geregelt sowie in einer Reihe von Branchen-Kollektivverträgen verankert ist. Der Versöhnungstag gilt für einen Arbeitnehmer, der der israelitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich angehört, dann als arbeitsfreier Tag, wenn der Anspruch auf Freistellung spätestens eine Woche vorher begehrt wird und der Freistellung nicht betriebliche Gründe entgegenstehen.[55]
Sollte der Gesetzgeber aber zB zugleich reglementieren, dass Kollektivverträge keine Feiertags- bzw. Ruheregelungen enthalten dürfen, die aus Gründen der Religion differenzieren, dann wäre der Jom Kippur – als Reaktion auf die Verbrechen der Shoa – auf jeden Fall davon auszunehmen, da er ohne Zweifel den Fall einer sachlich gerechtfertigten positiven Diskriminierung darstellt.[56]
Ähnlich verhält es sich mit dem evangelischen Reformationstag. Obwohl sich das Urteil des EuGH an sich nur auf das Arbeitsruhegesetz bezieht, müsste dessen Tenor diesbezüglich analog auch auf kollektivvertragliche Regelungen – und wohl auch Einzelarbeitsverträge – erstreckt werden. Da diese Bestimmungen durch eine Gesetzesänderung vielfach nicht automatisch wegfallen bzw mitgeändert werden, könnten in praxi auch nach einer Gesetzesänderung diverse „Parallelregelungen“ entstehen.[57]
Aber nicht nur bei Arbeitnehmern, sondern auch bei Schülern gibt es laut Schulzeitgesetz (1985)[58] markante Unterschiede, bei denen nach Religionszugehörigkeit differenziert wird. So sind Angehörige der Evangelischen Kirche am 31. Oktober vom Schulbesuch befreit. Schüler der israelitischen Religionsgesellschaft sind an den beiden ersten und den beiden letzten Tagen des Passahfestes, den beiden Tagen des Offenbarungsfestes, den beiden Tagen des Neujahrsfestes, dem Versöhnungstag sowie an den beiden ersten und den beiden letzten Tagen des Laubhüttenfestes ebenso vom Schulbesuch befreit. Und schließlich sind Schüler, die einem Religionsbekenntnis angehören, nach dem der Schulbesuch am Samstag oder bestimmte Tätigkeiten an diesem Tag für seine Anhänger unzulässig sind, vom Schulbesuch zu befreien.[59]
Fazit
Wie die vorstehenden Ausführungen belegen, wurde mit dem Karfreitags-Urteil des EuGH arbeitsrechtlich die „Büchse der Pandora“ geöffnet. Die gegenseitige Verzahnung der dadurch berührten innerstaatlichen Bestimmungen ist so komplex, dass jede Veränderung einer einzelnen Bestimmung automatisch die Angleichung der anderen einschlägigen Bestimmungen zur Folge hat. In diesem Sinne entspricht die ausgesprochen kursorische gegenständliche gesetzliche Regelung eines „halben Feiertags“ für alle am Karfreitag ab 14.00 Uhr weder exakt der Vorgabe des EuGH-Urteils, noch geht sie mit den sonstigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen in Österreich konform. Sie ist als „Schnellschuss“ dem Termindruck für das Zustandekommen einer gesetzlichen Regelung noch vor dem nächsten Karfreitag am 19. April 2019 geschuldet, wird aber von vielen als „Frotzelei“ empfunden[60] und von der evangelischen Kirche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch beeinsprucht werden.[61]
Nachtrag
Die vorstehend geschilderte Situation wurde bis Dienstag, dem 26. Februar 2019, am Vormittag noch offiziell vertreten, zu Mittag kam dann aber der Schwenk. Die umstrittene Regelung des Karfreitags als „halber Feiertag“ ab 14.00 Uhr kommt ebenso wenig wie ein ganzer Feiertag für alle. Dafür bietet die Bundesregierung den Arbeitnehmern jetzt einen „persönlichen Feiertag“ an: Wer rechtzeitig einen Tag aus seinem bisherigen Urlaubskontingent als „persönlichen Feiertag“ anmeldet, soll diesen freien Tag garantiert bekommen oder zu Feiertagsbezügen an diesem Tag arbeiten können. Einen zusätzlichen Urlaubstag gibt es dafür aber nicht. Sollte es bei dieser Regelung bleiben, würde den Angehörigen der vier Kirchen zuerst ein halber Feiertag und jetzt sogar der ganze gestrichen werden, obwohl er sowohl im Arbeitsruhegesetz, als auch im General-Kollektivvertrag verankert ist. Dass diese nunmehr gefundene Regelung für den evangelisch-lutherischen Bischof Michael Bünker „eine positive Lösung mit Wermutstropfen“ ist[62], ist eigentlich unverständlich.
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[1] Gaulhofer, K. Ein Feiertag, an dem sich auch die frommen Geister scheiden, Die Presse vom 23. Jänner 2019, S. 2; Karfreitag ist der einzige Tag im Jahr, an dem in der katholischen Kirche keine Eucharistie stattfindet.
[2] Aussage von Peter Krömer, dem Präsidenten der Generalsynode der evangelischen Kirche A und HB, zitiert bei EuGH-Anwalt: Kein Feiertagsentgelt für alle bei Arbeit am Karfreitag; derstandard.at vom 25. Juli 2018.
[3] Vgl. zB Wanderer, R. Feiertage: Gleiches Recht für alle, Der Standard vom 26. September 2014, der diese offenkundige gesetzliche Diskriminierung im österreichischen Arbeitsruherecht als „innerhalb Europas einzigartig und höchst beschämend“ bezeichnete; https://derstandard.at/2000005934350/Feiertage-Gleiches-Recht-fuer-alle
[4] ECLI:EU:C:2019:43.
[5] Vgl. Alm, N. Ohne Bekenntnis. Wie mit Religion Politik gemacht wird (2019).
[6] Mayr, P. – Rohrhofer, M. Ich glaube nicht, Der Standard vom 19. Februar 2019, S. 8.
[7] Urteil des OGH vom 24. März 2017, GZ 9 ObA 75/16v, Rdnr. 14.
[8] BGBl. Nr. 144/1983 idgF.
[9] GZ 16 Cga 86/15f-7.
[10] GZ 9 Ra 23/16t-11.
[11] ABl. 2016, C 202, S. 389 ff., berichtigt durch ABl. 2016, C 400, S. 1 ff.
[12] ABl. 2000, L 303, S. 16 ff.; die Richtlinie war von den Mitgliedstaaten bis zum 2. Dezember 2003 umzusetzen und deckt sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen ab.
[13] GZ 9 ObA 75/16v (Fn. 7).
[14] Vgl. EuGH, Rs. C-91/92, Faccini Dori/Recreb Srl., Urteil vom 14. Juli 1994, Rn. 20; ECLI:EU:C:1994:292.
[15] Gem. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 EUV sind die EU-Grundrechte-Charta und die Gründungsverträge der EU rechtlich gleichrangig.
[16] EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Urteil vom 19. November 1991; ECLI:EU:C:1991:428.
[17] Pressemitteilung des EuGH vom 25. Juli 2018.
[18] ECLI:EU:C:2019:43.
[19] Urteil vom 22. Januar 2019, Rn. 51.
[20] Urteil vom 22. Januar 2019, Rn. 66.
[21] Urteil vom 22. Januar 2019, Rn. 46.
[22] Urteil vom 22. Januar 2019, Rn. 60.
[23] Urteil vom 22. Januar 2019, Rn. 83 ff.
[24] Aichinger, P. Ein Feiertag auf Antrag, Die Presse vom 23. Jänner 2019, S. 1.
[25] Riegler, M. – Regitnig, K. EuGH-Urteil zu Karfreitag lässt Fragen offen, Wiener Zeitung vom 25. Jänner 2019, S. 14.
[26] Zitiert bei Golser, C. Urteil zum Karfreitag: Für gleichheitskonforme Lösung ohne Mehrbelastung der Wirtschaft; WKO eu│panorama, vom 25. Jänner 2019, S. 10; auch der Leiter der Sozialpolitik in der WKO, Martin Gleitsmann, spricht von 600 Mio. Mehrkosten.
[27] Wifo: Freier Karfreitag senkt BIP um Millionen, OÖN vom 12. Februar 2019, S. 9.
[28] Zitiert bei Baldinger, I. – Wiens, R. Das Kreuz mit dem Karfreitag, Salzburger Nachrichten vom 23. Jänner 2019, S. 11.
[29] Zitiert bei Tempfer, P. Regierung gegen neuen Feiertag, Wiener Zeitung vom 24. Jänner 2019, S. 10.
[30] Bundesregierung will keinen neuen Feiertag; https://www.msn.com/de-at/nachrichten/politik/bundesregierung-will-keinen-neuen-fe…
[31] Vgl. Gaulhofer, Ein Feiertag, an dem sich auch die frommen Geister scheiden (Fn. 1).
[32] Feiertagsentgelt für Evangelische am Karfreitag EU-widrig; https://www.msn.com/de-at/nachrichten/inland/feiertagsentgelt-f%c3%bcr-evangelisc…
[33] Vorschlag vom Generalsekretär der römisch-katholischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, zitiert nach Feiertagsentgelt für Evangelische am Karfreitag EU-widrig; https://www.msn.com/de-at/nachrichten/inland/feiertagsentgelt-f%c3%bcr-evangelisc…;
[34] Mailnachricht von Martin Risak (martin.risak@univie.ac.at) vom 12. Februar 2019 an den Verfasser.
[35] Interviewaussage von Martin Risak, zitiert von Szigetvari, A. „Ein zusätzlicher Urlaubstag für alle“, Der Standard vom 28. Jänner 2019, S. 11.
[36] Karfreitag: Experte warnt vor zusätzlichem Urlaubstag; https://orf.at/stories/3109550/
[37] Reichsgesetzblatt Nr. 159/1912.
[38] BGBl. II Nr. 133/2013.
[39] BGBl. I Nr. 39/2015.
[40] Kurz-Regierung: Österreich schließt mehrere Moscheen, SpiegelOnline vom 9. Juni 2018; //www.spiegel.de/politik/ausland/oesterreich-regierung-laesst-sieben-moscheen-schliessen-und-will-imame-ausweisen-a-1211858.html
[41] Wagner, J. Zweifel an Rechtstreue, Welt am Sonntag vom 20. Januar 2019, S. 8.
[42] Bundesregierung will keinen neuen Feiertag; https://www.msn.com/de-at/nachrichten/politik/bundesregierung-will-keinen-neuen-fe…
[43] Der ungeklärte Kompromiss; Die Presse vom 21. Februar 2019, S. 7.
[44] Bachner, M. Urlaubstag statt halber Feiertag? Regierung zieht „14 Uhr“ durch; Kurier vom 23. Februar 2019, S. 2.
[45] Laut einer AK-Umfrage betrifft dies knapp 40 Prozent aller Angestellten; https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/1018252_karfreitag-wir…
[46] Mit der Karfreitagslösung ist niemand glücklich; Der Standard vom 20. Februar 2019, S. 17.
[47] Reisinger, W. Karfreitag auf Österreichisch, Wiener Zeitung vom 20. Februar 2019, S. 9.
[48] Zitiert bei ÖVP und FPÖ einig: Karfreitag wird ein halber Feiertag, Die Presse.com vom 19. Februar 2019; https://diepresse.com/home/innenpolitik/5582000/OeVP-und-FPOe-einig_Karfreitag…
[49] Zitiert bei Bruckner, R. Der halbe Feiertag wirft viele Fragen auf; Der Standard vom 21. Februar 2019, S. 19.
[50] Silberbauer, K. Der Halbfeiertag kann nicht um 14 Uhr beginnen; Der Standard vom 25. Februar 2019, S. 12.
[51] Vgl. Kary, C. Karfreitags-Regelung sorgt für Chaos; Die Presse vom 21. Februar 2019, S. 15.
[52] Aichinger, P. Das Kreuz mit dem „halben Feiertag“; Die Presse vom 20. Februar 2019, S. 7.
[53] Höller, C. Sollen Geschäfte um 14 Uhr schließen?, Die Presse vom 20. Februar 2019, S. 7
[54] Bachner, M. Karfreitag wird ein halber Feiertag für alle – aber niemand freut sich; Kurier vom 20. Februar 2019, S. 4.
[55] EuGH: Recht auf Karfreitag-Feiertag steht allen Arbeitnehmern zu; //www.bindergroesswang.at/index.php?id=829; WKO, Arbeiten an Feiertagen.
[56] Vgl. dazu die Aussagen von Roland Gerlach und Franz Marhold, zitiert bei Kary, Karfreitags-Regelung sorgt für Chaos (Fn. 51); Die Presse vom 21. Februar 2019, S. 15.
[57] Riegler/Regitnig, EuGH-Urteil zu Karfreitag lässt Fragen offen (Fn. 25).
[58] BGBl. Nr. 77/1985 idgF.
[59] Brocza, S. Der nächste Karfreitag kommt bestimmt, Die Presse vom 22. Februar 2019, S. 25.
[60] Halber Kar-feier-tag: Kritik an Neuregelung; Kurier vom 20. Februar 2019, S. 1.
[61] Klage gegen halben Feiertag geplant; Tiroler Tageszeitung vom 22. Februar 2019, S. 21.
[62] Urlaub statt Feiertag: Regierung streicht Karfreitags-Regelung, vom 26. Februar 2019; https://www.msn.com/de-at/nachrichten/inland/urlaub-statt-feiertag-regierung-streicht…