Mittwoch, 18. Dezember 2024
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Konsequenzen einer unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung beim Ausbau von Flughäfen (Teil 1)

Was für ein Zufall: Innerhalb weniger Tage ergingen seitens des Gerichtshof der EU im Rahmen zweier von österreichischen Höchstgerichten angeregten Vorabentscheidungsverfahren Urteile über die Fragestellung, welche haftungsrechtlichen Konsequenzen das Unterlassen einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) beim Ausbau von Flughäfen haben kann.

[[image1]]Am 14. März 2013 entschied der Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (OGH) in der Rechtssache Jutta Leth – den Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat betreffend – und am 21. März 2013 erging sein Urteil in der Rechtssache der Erweiterung des Salzburger Flughafens, das ihm der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte.

Im gegenwärtigen Beitrag wird zunächst die Rechtssache Jutta Leth und in der nächsten EU-Infothek vom 2. April 2013 die Causa des Salzburger Flughafens dargestellt und kommentiert.

Bereits Ende Mai des Vorjahres hatte ich Gelegenheit, in der EU-Infothek über die bemerkenswerten Vorgänge am Flughafen Wien-Schwechat zu berichten,[1] der seit 1999 kontinuierlich ausgebaut und vergrößert wurde, ohne dass es dabei aber zur Abhaltung der erforderlichen UVP gemäß der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985[2] (UVP-Richtlinie) gekommen wäre.

Beschwerden beim Bürgerbeauftragten

Die Europäische Kommission erwog 2006 zwar zunächst die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich, gab sich in der Folge aber damit zufrieden, das Verstoßverfahren nicht weiter zu verfolgen, sofern Österreich eine „ex post“-UVP durchführen würde, die allerdings so weit als möglich der unterlassenen „ex ante“-UVP entsprechen und eine umfassende Beurteilung der Umweltauswirkungen der betreffenden Bauprojekte ermöglichen müsste.

Gegen diese Vorgangsweise der Kommission legten am 21. April 2008 insgesamt 27 Bürgerinitiativen Beschwerde beim Bürgerbeauftragten des Europäischen Parlaments ein und wiederholten ihre Beschwerde – aufgrund der anhaltenden Untätigkeit der Kommission – am 25. Mai 2008.[3] Da die Kommission auch auf diese zweite Beschwerde und die darauf erfolgte Aufforderung des Bürgerbeauftragten nicht reagierte, brachten die Bürgerinitiativen am 30. November 2010 eine dritte Beschwerde[4] beim Bürgerbeauftragten ein. Da auch dieser seitens der Kommission nicht entsprochen wurde und die Bedenken nicht zufrieden stellend ausgeräumt werden konnten, sah sich der Bürgerbeauftragte am 14. Mai 2012 veranlasst, zu seiner schärfsten Waffe zu greifen, und dem Europäischen Parlament einen Sonderbericht zuzuleiten, in dem er anregte, dass das Europäische Parlament eine entsprechende Entschließung über diesen „Missstand“ annehmen sollte.[5]

Wertminderung eines Hauses durch Fluglärm?

Mitten in dieser juristisch nicht eindeutig geklärten Situation erhob eine Anrainerin des Flughafengeländes Wien-Schwechat, Frau Jutta Leth – die dort seit 1997 Eigentümerin einer Liegenschaft samt Haus war, in dem sie auch wohnte – im Jahr 2009 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Klage gegen die Republik Österreich und das Land Niederösterreich und forderte Schadensersatz aus dem Titel der Staatshaftung wegen der Wertminderung ihres Hauses, die daraus resultierte, dass der Fluglärm durch eine stete Ausweitung der Flughafeninfrastruktur und der damit verbundenen erhöhten Flugkapazitäten massiv zunahm, die Bauarbeiten zur Erweiterung des Flughafens aber ohne vorherige Abhaltung einer UVP durchgeführt worden waren.

Frau Leth ging dabei von der Rechtsansicht aus, dass die Nichtabhaltung einer UVP unter Verletzung des Unionsrechts grundsätzlich eine Haftung des Staates auch für reine Vermögensschäden auslöst. Dementsprechend begehrte sie mit ihrer Klage zum einen die Zahlung von 120.000 € wegen der Minderung des Werts ihrer Liegenschaft, insbesondere durch den Fluglärm, und zum anderen die Feststellung der Haftung der beklagten Gebietskörperschaften für zukünftige Schäden, einschließlich einer Beeinträchtigung der Gesundheit der Klägerin wegen der verspäteten und unvollständigen Umsetzung der Richtlinien 85/337, 97/11 und 2003/35[6] und der fehlenden UVP bei der Erteilung mehrerer Genehmigungen zum Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wies das Klagebegehren insgesamt wegen Verjährung ab. Das Oberlandesgericht bestätigte mit Teilurteil die Abweisung des Zahlungsbegehrens von 120.000 €, hob aber das angefochtene Urteil im Umfang des Begehrens auf Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden zur neuerlichen Entscheidung über dieses Begehren vor dem erstinstanzlichen Gericht auf. Dieses Begehren sei nicht verjährt. Die Klägerin legte in der Folge beim OGH Revision gegen die Abweisung des Zahlungsbegehrens und Rekurs gegen die Zurückverweisung des Begehrens auf Feststellung der Haftung ein.

Vorabentscheidung durch den Gerichtshof

Da sich für den OGH die Rechtssache nicht eindeutig darstellte, beschloss er das Verfahren auszusetzen und ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Artikel 267 AEUV an den Gerichtshof in Luxemburg zu richten. In seinem Ersuchen vom 21. Juli 2011 legte er dem Gerichtshof zwei Fragen vor, von denen die zweite Aufschluss darüber begehrte, ob die UVP auch dem Schutz des Einzelnen vor dem Eintritt eines Vermögensschadens durch Minderung des Werts seiner Liegenschaft dient.

Gemäß Artikel 4 Absatz 1 der UVP-Richtlinie gehören laut Anhang I Nr. 7 lit. a) und Nr. 22 der „Bau von Eisenbahn-Fernverkehrsstrecken sowie von Flugplätzen (…) mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2.100 m und mehr“ und „jede Änderung und Erweiterung von Projekten (…), wenn sie für sich genommen die Schwellenwerte (…) erreicht“, zu den Projekten, die verpflichtend einer UVP zu unterziehen sind. Im Gegensatz dazu stellte der Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom 21. August 2001 ausdrücklich fest, dass für den fortgesetzten Ausbau und bestimmte Erweiterungen des Flughafens Wien-Schwechat keine UVP notwendig sei.

Zunächst erinnerte der Gerichtshof in der gegenständlichen Rechtssache daran, dass er bereits in der Rechtssache Wells[7] festgestellt habe, dass sich der Einzelne auf die Pflicht, eine UVP gemäß der Richtlinie 85/337 durchzuführen, berufen kann. Die UVP-Richtlinie verleiht damit den betroffenen Einzelnen ein Recht darauf, dass die zuständigen Stellen die Umweltauswirkungen eines fraglichen Projekts bewerten und die davon Betroffenen dazu auch anhören.

Unmittelbarer Kausalzusammenhang

Was die Kernfrage der Haftung des Staates für einen reinen Vermögensschaden bei Nichtabhaltung einer UVP betrifft, stellt der Gerichtshof fest, dass die Verhütung von Vermögensschäden vom Schutzzwecke der UVP-Richtlinie 85/337 nur dann umfasst ist, wenn diese Schäden unmittelbare wirtschaftliche Folgen von Auswirkungen eines öffentlichen oder privaten Projekts auf die Umwelt sind. Solche wirtschaftlichen Schäden sind von anderen Schäden zu unterscheiden, die ihren Ursprung nicht unmittelbar in Umweltauswirkungen haben und daher vom Schutzzwecke der UVP-Richtlinie 85/337 nicht erfasst sind. Es kommt also auf den unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen dem fraglichen Verstoß und den von den Einzelnen erlittenen Schäden an, der eine unerlässliche Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch darstellt.

Aus der Sicht des Gerichtshofs zeigt sich daher, dass nach dem Unionsrecht das Unterlassen einer UVP unter Verletzung der Anforderungen der UVP-Richtlinie 85/337 als solches einem Einzelnen grundsätzlich keinen Anspruch auf Ersatz eines reinen Vermögensschadens verleiht, der durch die von Umweltauswirkungen verursachte Minderung des Werts einer Liegenschaft entstanden ist. Es ist jedoch letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Würdigung des Sachverhalts des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zuständig ist, zu prüfen, ob die Anforderungen des Rechts der EU, die für den Entschädigungsanspruch gelten – unter anderem eben das Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem behaupteten Verstoß und den erlittenen Schäden – erfüllt sind.[8]

Fazit

Damit verneint der Gerichtshof das Vorliegen einer der drei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch aus dem Titel der Staatshaftung, nämlich den unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen dem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Norm des Unionsrechts, die die Verleihung von Rechten an den Geschädigten bezweckt, und dem den Geschädigten dadurch entstandenen Schaden ersetzt.[9] Wenngleich sich der Gerichtshof mit diesem Urteil durchaus im Rahmen seiner bisherigen Judikatur bewegt und auch grundsätzlich mit der Rechtsansicht der Generalanwältin Juliane Kokott in ihren Schlussanträgen vom 8. November 2012 übereinstimmt, bleibt ein schaler Nachgeschmack zurück.

Man muss sich in diesem Zusammenhang doch nur vor Augen halten, dass bei ausreichender Vorwarnung von zu erwartendem zunehmenden Fluglärm Menschen sicherlich darauf verzichten würden, sich in den betroffenen Einzugsgebieten von Flughäfen anzusiedeln, oder zumindest beim Bau von Gebäuden die erhöhten Kosten für einen entsprechenden Lärmschutz in ihre Kostenkalkulation einfließen lassen würden. Fehlt eine solche Warnung aber deswegen, da eine vorgeschriebene UVP nicht oder nicht ordnungsgemäß abgeführt wurde, dann müssten die dadurch entstandenen Schäden doch eigentlich abgegolten werden. In ihren Schlussanträgen weist die Generalanwältin selbst darauf hin, dass eine solche Rechtsansicht „nicht auszuschließen ist“.[10]

Die „Moral von der Geschichte“ ist daher die, dass es nicht angezeigt ist, sich im Umfeld bestehender Flughäfen anzusiedeln, selbst wenn dort zum Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbs noch genügend Abstand zu den jeweiligen Einflugschneisen gegeben sein sollte.

In der nächsten EU-Infothek vom 2. April wird auf die parallele Rechtssache C-244/12, Salzburger Flughafen, eingegangen, in der sich der Gerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen hatte, ob ein Staat durch eine bewusst zu hohe Festsetzung des Schwellenwerts für eine abzuhaltende UVP dieses Erfordernis unterlaufen kann.


[1] Hummer, W. Sonderbericht des Europäischen Ombudsmanns. Skylink – EU-Bürgerbeauftragter untersucht weiteren Skandal um Wiener Flughafen, EU-Infothek vom 29. Mai 2012.

[2] ABl. 1985, L 175, S. 40 ff, geändert durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl 1997, L 73, S. 5 ff.), die Richtlinie 2003/35/EG des EP und des Rates vom 26. Mai 2003 (ABl. 2003, L 156, S. 17 ff.) sowie die Richtlinie 2009/31/EG des EP und des Rates vom 23. April 2009 (ABl 2009, L 140, S. 114 ff.)

[3] Registriert unter der Beschwerdenummer 1532/2008/(WP)GG.

[4] Registriert unter der Beschwerdenummer 2591/2010/GG.

[5] Vgl. Hummer, W. Ein Ombudsman für Europa. Der Europäische Bürgerbeauftragte, EU-Infothek vom 5. Juni 2012.

[6] Siehe dazu Fußnote 2.

[7] EuGH, Rs. C-201/02, Wells, Slg. 2004, I-723, Rdnr. 61.

[8] EuGH, Rs. C-420/11, Jutta Leth/Republik Österreich, Land Niederösterreich, Urteil vom 14. März 2013, Rdnr. 47, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht.

[9] Vgl. neuerdings wieder EuGH, Rs. C-429/09, Günter Fuß, Slg. 2010, I-12167, Rdnr. 47.

[10] Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott in der Rs. C-420/11, Jutta Leth/Republik Österreich, Land Niederösterreich, vom 8. November 2012, Rdnr. 54, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht.

 

 

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