Sie ist die Rechtsschutzbeauftragte der Justiz und damit oberstes Kontrollorgan über die Staatsanwaltschaften – gegenüber der „Krone“ rechnet Dr. Gabriele Aicher nach den jüngsten Aufreger-Razzien mit den Korruptionsjägern ab:
„Wer den Rechtsstaat vertritt, hat sich selbst an die Vorgaben des Rechtsstaates zu halten. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“
Es würde versucht, fortlaufend Grenzen zu verschieben.
Auf 13 Seiten erneuert die weisungsfreie Prof. Dr. Gabriele Aicher ihre Kritik an den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die zum Abgang von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geführt haben. Die Beschwerde der am Obersten Gerichtshof angesiedelten Rechtsschutzbeauftragten gegen die WKStA liest sich wie ein kleiner Justiz-Thriller (siehe Faksimile unten).
So sieht sie etwa bei Ermittlungsmaßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger keinen dringenden Tatverdacht. Die Bewilligung der Hausdurchsuchung in dem beschuldigten Medienunternehmen wären deshalb rechtswidrig und nicht ein bloßer Formfehler.
„Sympathie darf keine Kategorie des Rechtsstaats sein. Ich bin in Sorge, weil ich wahrnehme, wie fortlaufend versucht wird, Grenzen zu verschieben, und das beunruhigt mich.“
Rechtsschutzbeauftragte Dr. Gabriele Aicher
Bei Strache werden alle Verfahren unter einem Dach geführt
Zudem kritisiert die Expertin, dass alle Verfahren unter einem Dach gegen Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geführt werden. Die Folge: Immer derselbe Richter trifft alle Entscheidungen.
„Diese Sorge betrifft insbesondere die Frage der gerichtlichen Bewilligung: Der Haft- und Rechtsschutzrichter hat Anordnungen der Staatsanwaltschaft auf deren Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit hin zu prüfen.“
Gabriele Aicher
Und sie stellt die Frage, ob die von der Freundin eines Staatsanwaltes ausgewerteten Zufallsfunde vom Handy des gestürzten Ex-ÖBAG-Chefs Thomas Schmid „ohne Einhaltung der üblichen Regularien für Überwachungsmaßnahmen“ überhaupt eine „Anzeige“ und somit im Akt verwertbar seien.
Zur Rolle der Rechtsschutzbeauftragten
Position und Befugnisse der Rechtschutzbeauftragten der Justiz ergeben sich aus der Strafprozessordnung. Sie ist ein unabhängiges, weisungsfreies und eigenständiges Organ der Rechtspflege. Zentrale Aufgabe der Rechtsschutzbeauftragten ist die Vertretung der Beschuldigtenrechte bei besonderen Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere solange die Betroffenen aus ermittlungstaktischen Gründen keine Kenntnis von einer gegen sie geführten Ermittlungsmaßnahme haben dürfen.
„Schließlich muss ich als Rechtsschutzbeauftragte auch einen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen feststellen: Jeder Mensch hat das Recht auf den gesetzlichen Richter.“
Gabriele Aicher
Auf „Krone“-Nachfrage legte Dr. Aicher nach:
„Wer den Rechtsstaat vertritt, hat sich selbst an die Vorgaben des Rechtsstaates zu halten. Ich sehe in den letzten Entwicklungen mit Blick auf das Redaktionsgeheimnis eine Gefahr für die Pressefreiheit!“
Sie sei in Sorge,
„weil ich wahrnehme, wie fortlaufend versucht wird, Grenzen zu verschieben und das beunruhigt mich zutiefst …“
Quelle:
- „Ich bin in Sorge“: Justiz-Abrechnung mit WKStA, krone.at, 29.10.2021