Sonntag, 24. November 2024
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Lunacek: „Wollen die EU grüner, sozialer und demokratischer machen“

Ulrike Lunacek, Spitzenkandidatin der Grünen bei der EU-Wahl, erläutert im Gespräch mit der EU-Infothek, wie Sie ihre Ziel eines dritten Mandates erreichen will.

[[image1]]Ihr Bericht zum Thema Homophobie hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Wie ist es in der EU um die Rechte vom Schwulen, Lesben, Bi- und transsexuellen Personen bestellt?

Trotz EU-Gesetzen zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung sind Lesben, Schwulen, Bisexuelle und Transgender Personen (LGBT) in Europa nach wie vor massiver Benachteiligung, Mobbing und Gewalt ausgesetzt – in Schulen, am Arbeitsplatz und in ihrem alltäglichen Lebensumfeld, wo immer wieder Angst vorherrscht.

So habe etwa die Hälfte aller Teilnehmer einer Befragung der EU-Grundrechteagentur gab im Mai 2013 an, im Jahr zuvor persönliche Diskriminierung oder Belästigung in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung erfahren zu haben. Zwei Drittelsagten, auf der Straße Angst davor zu haben, mit ihrem/ihrer Liebsten Hand in Hand zu gehen. In den vergangenen fünf Jahren wurden 26 Prozent aller Umfrageteilnehmer entweder angegriffen oder mit Gewalt bedroht. Es muss unser Ziel sein, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in Freiheit und ohne Angst leben können.

Hat sich die Diskriminierung dieser Personengruppen in den letzten Jahren verringert bzw. welche Verbesserungen sind aus Ihrer Sicht dringend notwendig?

Die Annahme meines Berichts für eine Roadmap gegen Homophobie durch eine deutliche Mehrheit des Parlaments beweist zumindest, dass homophobe Positionen in Europa an Boden verlieren und die Mehrheit in Europa diese intoleranten Auswüchse nicht mehr hinnehmen will. Aber auch die EU-Mitgliedstaaten, Österreich eingeschlossen, sind gefordert und müssen auf Grundlage der oben zitierten erschreckenden Umfrageergebnisse entsprechende Anti-Diskriminierungsgesetze über das Arbeitsrecht hinaus erlassen, umsetzen und überwachen.

Kritiker werfen Ihnen vor, die Stellung der Familie in der Gesellschaft untergraben zu wollen?

Ich weise darauf hin, dass ich bei diesem Bericht die Unterstützung von den Schattenberichterstattern sowohl von der SPE als auch der GUE und der ALDE-Fraktion sowie der EVP (vertreten durch eine maltesische Abgeordnete!) gehabt habe. Es handelt sich also bei meinem Bericht um eine breit getragene Forderung des Europaparlaments. Mir deswegen einen Angriff auf die Familie zu unterstellen, entbehrt jeder Grundlage.

Sie bekämpfen die von der EU-Kommission geplante Zulassung der Genmais-Sorte 1507. Welche Bedenken haben Sie gegen gentechnisch veränderte Pflanzen, schließlich sind durch wissenschaftliche Studien keine negativen Auswirkungen nachgewiesen?

Das würde ich so nicht sagen: Die Risiken der Genmais-Sorte 1507 für Umwelt und Natur sind nach wie vor völlig ungeklärt. Wissenschaftliche Untersuchungen weisen aber auf erhebliche Gefahren für Schmetterlinge und andere Tiere hin. Außerdem, und das sollte in einem demokratischen System akzeptiert werden: Die Mehrheit der Bürger will diesen Genmais nicht auf dem Acker und nicht auf dem Teller! Trotzdem wurde es jetzt durch einige wenige EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht, dass es nach 16 Jahren erstmals wieder zur Zulassung einer Genmaissorte in der EU kommt. Das ist ein Skandal und ein Schlag ins Gesicht der europäischen Konsumenten.
Prinzipiell steht hinter dieser Fehlentscheidung der rücksichtslose Fortschrittsglaube an die Gentechnik, die in den USA schon längst bewiesen hat, dass sie weder den Bauern, noch den Konsumenten, geschweige denn der Umwelt etwas bringt.

Verursacher der Krisen an den Folgekosten beteiligen

Die Meinungsforscher prognostizieren für die EU-Wahl einen Dreikampf ÖVP, SPÖ und FPÖ. Mit welchen Themen wollen die Grünen beim Wähler punkten?

Wir wollen die EU grüner, sozialer, demokratischer machen!
1. Klimawandel und damit zusammenhängend die unbedingt notwendige Energiewende: weg von fossilen Energieträgern hin zu nachhaltigen Energiequellen. Europa braucht neben ambitionierten Klimazielen einen Grünen Investitionspakt für nachhaltige Entwicklung. „Raus aus Öl und Gas“ macht nicht nur ökologisch, sondern auch menschenrechtlich Sinn.
2. Die Europäische Union muss wieder für ihre Bürgern geschaffen sein und nicht für die Gewinnmaximierung von Finanzmärkten und Großkonzernen. Jetzt ist es das Gebot der Stunde, die Verursacher der Krise, die Banken und die Finanzindustrie, an den Folgekosten zu beteiligen, die Finanzmärkte an die Leine zu nehmen und strengen Regeln zu unterwerfen. Das europäische Wohlfahrtssystem gehört wieder an die erste Stelle gerückt, stattdessen wird aber die Krise auf die Schwächsten der Gesellschaft abgewälzt.
Und 3. Die Krisen haben die politischen Defizite der Union schonungslos offen gelegt – deswegen verlangen wir einen Europäischen Konvent.
Wir lassen uns unser Europa nicht zerstören: Nicht von den Nationalisten und Rassisten, weil wir in kein Europa der Stachelzäune zurück wollen; nicht von den Neoliberalen, weil wir kein Europa der Massenarbeitslosigkeit wollen und nicht von den Marktfetischisten, weil unser Europa uns und nicht nur den Banken und Konzernen gehört. All denen wollen wir bei diesen Wahlen einen europäischen Denkzettel verpassen.

Stichwort EU-Konvent stark. Wie soll das angepeilte Mehr an Bürgerbeteiligung in Europa konkret erreicht werden, geht es Ihnen vor allem um EU-Volksabstimmungen?

Für uns hat aber dieser Konvent eine weit darüber hinausgehende Rolle. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hat auch die politischen Defizite der Union schonungslos offen gelegt: Die nationalen Regierungen sind als Entscheidungsträger für das gemeinsame Europa ungeeignet: Sie sind zu langsam, immer zu spät, zu zögerlich und zu sehr auf den eigenen, kleinen, nationalen Schrebergarten fixiert. Es braucht neue europäische Akteure. Es braucht eine neue Bündelung der Kräfte. Deswegen verlangen wir einen Europäischen Konvent: Nur damit gelingt uns die Einführung einer handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Steuerung Europas.
Und wie ein solcher Konvent aufgestellt sein soll, und wer da in einem offenen und transparenten Verfahren mitzureden haben soll, ist für uns Grüne auch klar: Die europäischen Bürger, die europäische Zivilgesellschaft gemeinsam mit den Vertreter aus den nationalen Regierungen und Parlamenten.

Ist ein drittes Mandat Ihr Wahlziel?

Ja!

Wie ist Ihre Position zu den neuen Klimazielen Brüssels? Besteht Ihrer Meinung nach dieses Mal eine größere Chance auf Realisierung?

Die EU-Abgeordneten haben sich Anfang Februar klar gegen die Strategie der Kohle- und Atomlobby ausgesprochen, die mit ihrer Forderung nach einem einzigen Klimaziel versucht, ihre Pfründe zu retten. Damit stellt sich das Europäische Parlament auch klar gegen den deutschen Energie-Kommissar Günther Oettinger und Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die mit ihrer Energiepolitik im vergangenen Jahrhundert stecken geblieben sind. Allerdings hätten nach unseren Grünen Erwartungen die Zielvorgaben des Parlaments deutlich ehrgeiziger ausfallen müssen.
Wir müssen deutlich ehrgeiziger sein, wenn wir saubere Innovationen fördern und das Zwei-Grad-Klimaziel erreichen wollen.

EU muss mit einer Stimme sprechen, um ein wichtiger globaler Akteur zu werden

Hat sich die Politik der EU im Falle der Ukraine bewährt? Soll sich die EU künftig noch stärker außenpolitisch engagieren?

Da sich augenblicklich die Ereignisse auf der Krim überschlagen, möchte ich mich da mit einem Urteil noch zurück halten. Nur so viel: Das Europäische Parlament hat bereits im Jänner Sanktionen gegen das damalige ukrainische Regime gefordert. Gut, dass sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten später, aber doch dazu entschlossen haben. Was man jetzt schon sagen kann: Die EU tritt in diesem Konflikt geeinter auf, als das bei früheren Krisen der Fall war. Das ist ein Fortschritt. Entscheidend wird sein, dass die EU mehr mit einer Stimme spricht. Dann hat die EU auch mehr Gewicht und wird außenpolitisch dem gerecht, was sie gerne sein möchte: ein wichtiger globaler Akteur.

Was halten Sie von Mindestprozentklauseln bei der EU-Wahl?

Die knappe Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur Beseitigung der Dreiprozenthürde bei der Europawahl ist bedauerlich. Es zeugt von Unkenntnis oder Respektlosigkeit gegenüber dem Europäischen Parlament und seiner Arbeit für die europäische Demokratie. Das was für den Bundestag mit der Fünfprozenthürde als schädlich ausgeschlossen wird, hält das Bundesverfassungsgericht für das Europäische Parlament für wünschenswert und begründet dies als einen Beitrag zur Demokratie. In allen großen EU-Ländern gibt es aus guten Gründen Prozenthürden. Nach dieser Logik hätte es die Fünfprozenthürde im Bundestagswahlrecht nie geben dürfen. Der Moment scheint gekommen, endlich ein einheitliches Wahlrecht in der Europäischen Union zu schaffen.

Wie stehen Sie zum Erweiterungsprozess, bringt dieser Ihrer Meinung nach mehr Chancen als Risiken?

Sowohl ich als die Grünen generell stehen grundsätzlich positiv zum EU-Erweiterungsprozess. Mit den Ende des Vorjahrs vorgestellten EU-Erweiterungsberichten zeigt auch die EU-Kommission, dass trotz der grassierenden Erweiterungsmüdigkeit laufend konkrete Fortschritte vor allem im Erweiterungsprozess mit den Staaten des Westbalkans erzielt werden. Für mich ist die EU-Erweiterung keine Einbahnstraße, sondern Stabilität am Westbalkan bleibt im beiderseitigen Interesse der Europäischen Union und der Kandidatenländern. Gleichzeitig brauchen die EU-Regierungen jetzt mehr denn je gute Argumente für weitere Erweiterungen gegenüber ihren Bevölkerungen. Jeder Fortschritt im Beitrittsprozess hängt von der Erfüllung der Kriterien durch die Kandidatenländer ab. Entscheidend dabei sind natürlich die Umsetzung der Rechtsstaatlichkeit, Justizreform und der Korruptionsbekämpfung.

Soll die Erweiterung auch die Türkei einschließen?

Ich habe die  Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausdrücklich begrüßt. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei waren und sind nach wie vor ein wichtiger Motor für rechtsstaatliche Fortschritte in der Türkei. Denn mit der Absage der Öffnung eines weiteren Verhandlungskapitels hatten die EU-Mitgliedsstaaten im Juni des Vorjahres nicht Premier Erdogan vor den Kopf gestoßen, sondern vor allem die türkischen Protestierenden der vergangenen Monate. Diese meist jungen Frauen und Männer, die wochenlang in Istanbul und anderswo auf die Straße gegangen sind, protestieren doch genau für das, worum es in den EU-Verhandlungen geht: Dass europäische Normen wie Rechtsstaatlichkeit und Versammlungs- und Pressefreiheit in der Türkei endlich gestärkt werden.

Wurden aus dem europaweiten Pferdefleischskandal die richtigen Konsequenzen gezogen bzw. welche Verbesserungen wären notwendig, um Betrügereien zu verhindern?

Der Skandal hat schwerwiegende Mängel bei der Qualitätskontrolle als auch Unzulänglichkeiten in der EU-Gesetzgebung aufgedeckt, vor allem bei der Kennzeichnung von Fleischprodukten. Die Grüne Fraktion im Europäischen Parlament hat daraufhin gefordert, auf EU-Ebene Maßnahmen zur Beseitigung dieser Missstände zu ergreifen und eine grundlegende Reform des Systems der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung in Angriff zu nehmen.
Die Verbraucher habe ein Recht auf Transparenz, was die Erzeugung von Lebensmittel anbelangt. Dazu ist auch eine klare Herkunftskennzeichnung von Fleisch notwendig. Das Parlament fordert daher genaue Angaben was den Geburtsort, den Ort der Aufzucht und den Ort der Schlachtung von Tieren anbelangt.
Eine klare Kennzeichnung erleichtert zum einen die bessere Rückverfolgbarkeit des Fleisches. Das ist wichtig, um Lebensmittelskandale wie bei der betrügerischen Falschdeklaration von Pferdefleisch, das als Rindfleisch vermarktet wurde, zu unterbinden. Eine eindeutige Deklaration bedeutet aber auch eine Verbesserung hinsichtlich des Tierschutzes und die Stärkung von Umweltaspekten. Die Kommission ist nun dringend aufgefordert, die Durchführungsbestimmung zügig anzupassen.

 

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