Zwei Jahre Arabischer Frühling lassen deutlich erkennen, dass überholte Machtstrukturen ausgedient haben. Unzufriedenheit macht sich breit. Unruhen, Proteste und Revolten sind an der Tagesordnung. Der mediterrane Raum ist Paradebeispiel für die soziale und zugleich auch politische Krise.
[[image1]]Namhafte Experten der ALF (Anna Lindh Foundation) und des OIIP (Österreichisches Institut für Internationale Politik) diskutieren im Europahaus Wien über den eskalierenden mediterranen Krisenherd. Die Region gilt mittlerweile als Epizentrum für soziale wie politische Krisen. Die Zwischenfälle in Tunesien und Ägypten haben ähnliche Ursachen wie die Krawalle in Sofia oder Madrid. Kurzum: Es brennt. Corinna Mullin, Universität Tunis, SOAS London, Larbi Sadiki, Universität Doha und Ivan Molina Alende, Universität Wien, gehen gemeinsam mit Amal Ewida, Al Ahram, Cairo, Gianluca Solera, Aktivist und Autor sowie Hala Galal, bekannte Filmemacherin aus Kairo, der Sache auf den Grund.
Sehnsucht nach lebenswerter Zukunft
Sicherheit, Stabilität und Friede. Das sind die leider nicht immer selbstverständlichen Basics für ein menschwürdiges Leben. In der mediterranen Region jedoch sieht es vielfach anders aus. Machtstrukturen von Regierungen, die eigentlich niemand wirklich will, sorgen für reichlich Sprengstoff. Der tristen Lage überdrüssig, organisieren sich die Menschen und machen auf unpässliche Umstände aufmerksam. Während es vielfach bei friedlichen Demos bleibt, reicht die Palette bis hin zu Krawallen und massiven Ausschreitungen. Es geht dabei um Freiheit und persönliche Rechte. Demokratie ist das Ziel, doch der Demokratisierungsprozess ist ein weiter Weg mit vielen Hindernissen.
Menschen, Märkte, Mobilität
Wirtschaftliche Interessen stehen wie so oft im Kernpunkt der Überlegungen. Preisgefüge, die aus den Fugen geraten und dabei die Lebenskosten ins Unermessliche treiben sind ebenso wie fehlende soziale Gerechtigkeit Ursache für die aufkommenden Krisen. Die soziale Dynamik führt letztlich zur Revolution, Beispiel Tunesien und Ägypten. Dabei geht reichlich Porzellan zu Bruch. Neue Handelsabkommen, weitreichende Investitionen, ein freier Zugang zum europäischen Markt und Erasmus Funds sind solide Voraussetzungen für einen erfolgreichen Aufbau der Krisenregionen, konkret Tunesien, zumal auch die Europäische Investmentbank mitzieht. Die Zivilgesellschaft wird im Aufbauprozess konsequent integriert, es gibt bereits erste Erfolge zu verzeichnen. Das Schlüsselwort in dem durchwegs recht komplexen Prozedere lautet verständlicherweise Geduld.
Tunesien: Chaos war vorprogrammiert
Eine zu formelle Politik, viele Unpässlichkeiten und Alltagshindernisse haben den Big Bang ausgelöst. Gekracht hat es schon lange, die Vorboten waren nicht mehr zu übersehen. Bereits in den 80igern kamen Aktivisten ins Spiel, die Revolution der Revolution war nur die logische Folge der Entwicklung und Mobilmachung. Und genau das ist das ausschlaggebende Kriterium: Ging man früher eben mal auf die Straße, geht es heute um massive Mobilmachung. Alleine in Tunesien gibt es kolportierte 5000 neue Organisationen, die Zivilgesellschaft ist gut vernetzt, die Menschenrechte mit Füssen zu treten spielt es einfach nicht mehr. Ähnlich sieht es in Ägypten aus. Hier haben die Ereignisse der 90iger zur Mobilmachung der Massen geführt. Die kulturelle Matrix sowie ein sehr unausgewogenes Hinterland in Verbindung mit der politischen Moral bilden eine unkalkulierbare Variable mit orkanartiger Wirkung. Zu viele Gesetze, die einfach hinten rum durchgeboxt wurden sowie eine ziemlich verfehlte Investitionspolitik brachten reichlich Ungemach, der durch die Politik angerichtete Schaden ist nur schwer zu beziffern. Die menschlichen Tragödien hinter den Kulissen sind ohnehin kaum nachvollziehbar.
Ruf nach sozialer Gerechtigkeit
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Umstände geraten zusehends in den Mittelpunkt unzähliger Diskussionen, der Demokratisierungsprozess in der Mittelmeerregion schreitet voran. Bewusstseinsbildung und Information erobern den Alltag, der Hoffnungsschimmer gewinnt an Farbe. Und während die regionale Politik von Debakel zu Debakel eilt, wird der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit laut. Zu allem Überfluss kommen Extremisten ins Spiel, Revolutionen laufen selten in geordneten Bahnen ab. Immerhin, die Politik gerät in den Blickpunkt internationaler Beobachter, welche dem teils bunten Treiben einiger Institutionen nur sehr wenig abgewinnen können.
Demokratie als permanenter Lernprozess
Weg von der Dynastisierung hin zur modernen Gesellschaft erfordert einen rigorosen Paradigmenwechsel. Intellektuelle Artefakte sind Geschichte, Demokratie bedeutet Freiheit und ist ein ewiger Lernprozess. Demokratische Wahlen machen die nationale Identität sichtbar, das Land gewinnt an Profil. Die Erkenntnisse aus den einzelnen Entwicklungsschritten sind ein relevanter Meilenstein, das politische Verständnis stärkt im Idealfall das Selbstbewusstsein einer ganzen Nation.