Mehr Transparenz ist gut und notwendig. Davon sind alle überzeugt. Daher hat kaum jemand mitbekommen, dass dieser Begriff in jüngster Zeit von der österreichischen und EU-Politik sowie ihren Spin-Doktoren raffiniert ins Gegenteil uminterpretiert worden ist. Verbales Hijacking gewissermaßen. Heimlich und geschickt, aber dennoch ungeheuerlich.
Der kleine, aber entscheidende Unterschied liegt nämlich in der Frage: Wer oder was soll eigentlich transparenter werden? Die Obrigkeit oder die Untertanen?
Der Kampf gegen die Korruption
Bisher war es völlig klar gewesen: Es geht um die Obrigkeit. Es braucht viel mehr Transparenz bei den Regierungen, bei all ihren Verwaltungsbehörden und Ämtern. Es geht darum, wie mit unserem Steuergeld umgegangen wird, ob Politiker Privilegien haben und missbrauchen, ob Verwaltung oder Politik irgendjemanden bewusst bevorzugen. Es geht mit einem Wort um einen effizienteren Kampf gegen die Korruption.
Denn Machtmissbrauch ist immer eine große Versuchung, sobald jemand Macht in der Hand hat. Selbst wenn Machtträger anfangs edel und uneigennützig motiviert gewesen sein sollten. Das hat man bei vielen Herrschern der Feudalzeit gesehen. Das hat man bei jedem Diktator gesehen. Machtmissbrauch ist bei jeder Partei passiert, gleichgültig ob links oder rechts, auch wenn nicht jeder Politiker selbst korrupt ist. Aber die Versuchung, Macht zu missbrauchen, ist immer gewaltig. Je mehr Macht, umso mehr Missbrauchsgefahr. Das gilt auch für Verwaltungsbeamte, Richter und Polizisten.
Gegen Korruption helfen nur drei Strategien, die gemeinsam und gleichzeitig angewandt werden sollten:
- 1. Direkte Demokratie, also ein System, wo nicht mehr einzelne Personen, Parteien oder Gremien, sondern die Bürger die oberste Macht haben;
- 2. Möglichst schlanke Staaten – das heißt kleine Verwaltungen, und Rückzug des Staates aus allen wirtschaftlichen Aktivitäten;
- 3. Transparenz, also die absolute Öffentlichkeit jedes einzelnen Verwaltungsaktes, jeder politischen Entscheidung.
Es ist kein Zufall, dass die weltweit wichtigste Antikorruptions-Bewegung „Transparency International“ heißt. Auch bei jedem ernsthaften Versuch, die Lage der Dritten Welt wirklich zu verbessern, steht das Verlangen nach „mehr Transparenz“ an alleroberster Stelle. Nur mit Transparenz können die zahllosen Bestechungen und Missbräuche abgestellt werden, die viele Drittweltländer immer wieder zurückwerfen.
Gegenstrategien der Macht
Die Machthaber erkennen natürlich die Bedrohung ihrer Lage durch mehr Transparenz. Sie haben daher geschickt Gegenwaffen aufgestellt.
Seit Generationen wirksam ist die Waffe Nepotismus, also die Besetzung möglichst vieler Funktionen mit Verwandten und persönlichen Freunden, die jede Korruption vertuschen.
Genauso effizient – und weniger anrüchig als Nepotismus – ist die gesetzliche Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. Wenn alle an Politik und Verwaltung Beteiligten alle Vorgänge als Amtsgeheimnis zu behandeln und zu hüten haben, dann ist die Gefahr, dass Korruption auffliegt, relativ gering.
Da aber das Amtsgeheimnis langsam als böser Trick der Macht entlarvt wird, versucht die österreichische Politik jetzt einen raffinierten Dreh: Der Schutz des Amtsgeheimnisses wird zwar abgeschafft und Transparenz versprochen. Aber gleichzeitig wird diese neue Transparenz durch Einzelbestimmungen so eingeschränkt, dass sich praktisch nichts ändert.
Dazu benutzt man vor allem ein Wort, das ähnlich populär und klingt wie Transparenz, nämlich „Datenschutz“. Da letztlich sämtliche Informationen und Fakten auch „Daten“ sind, da heute praktisch alle Vorgänge auf irgendwelchen Computern festgehalten sind, ist auf Grund des Datenschutzes letztlich wieder alles geheim zu halten. Und weiterhin wird keine Korruption, kein Missbrauch, keine Schlamperei, keine Bereicherung, keine Schiebung an die Öffentlichkeit dringen.
Das ist taktisch eindrucksvoll geschickt, aber inhaltlich natürlich eine Riesensauerei.
Statt der Politik werden Bürger und Unternehmen transparent gemacht
Das ist jedoch noch gar nichts gegen den zweiten Trick, wie vor allem auf EU-Ebene jetzt ebenfalls das Wort „Transparenz“ missbraucht wird. Dort wird sie nämlich statt von den Regierungen von den Bürgern verlangt! Diese sollen mit allem, was sie tun, gegenüber den Behörden, vor allem den Steuerbehörden noch transparenter bloßgestellt werden, als sie es ohnedies schon sind!
Das wurde in Deutschland und anderen Ländern praktiziert, als die Behörden durch den Kauf kriminell gestohlener Festplatten Steuerflüchtlingen auf die Spur gekommen sind. Obwohl sie damit als Hehler agierten, hatten die meisten Politiker und Beamten kein schlechtes Gewissen, war das doch sehr ertragreich; und sind doch Steuerhinterzieher keine erfreuliche Spezies von Mitmenschen.
Ehrlich gesagt hat man freilich angesichts der gigantischen Misswirtschaft und Verschwendung von Steuergeld durch die Politik ein gewisses Verständnis für das Verhalten von Steuerhinterziehern. Zumindest für ihr geringes Unrechtsbewusstsein. Auch wenn sie damit indirekt die anderen Steuerzahler belasten.
Nun will auch die EU-Kommission alle europäischen Steuerpflichtigen noch intensiver der Transparenz aussetzen. Der neue EU-Währungskommissar Moscovici, ein linker Sozialist, der bisher in der französischen Regierung ein Hauptverantwortlicher für die dortigen Defizite war, bläst nun zum Kampf für „Steuertransparenz“. Er verlangt zur besseren Überwachung der Bürger und Steuerzahler „eine neue Offenheit“ zwischen den Steuerverwaltungen und „ein neues Zeitalter der Solidarität“ zwischen den Regierungen.
Lauter nett klingende Worte, denen ganz offen hinzugefügt wird, dass es um automatischen Informationsaustausch geht und darum, dass Unternehmen nicht durch „aggressive Steuerplanung“ ihre Zahlungspflichten optimieren.
Propagandistisch versucht man mit der Behauptung zu beschwichtigen, dass das ohnedies nur gegen ein halbes Dutzend amerikanischer Weltkonzerne gerichtet sei. Bei denen werden ja nach Lektüre vieler Schauergeschichten die meisten Europäer zustimmen, dass die höher besteuert werden sollen. Es geht aber letztlich ganz sicher auch gegen jeden einzelnen Bürger Europas. Denn auch jeder einzelne ist Opfer einer transparenteren Durchleuchtung.
Nach der Transparenz kommt die Harmonisierung
Ein zweites, vorerst ebenfalls noch nicht ausgesprochenes Ziel dieses Moscovici-Plans ist die Harmonisierung von Einkommen- und Körperschaftssteuern. Denn nur bei einer solchen Harmonisierung bekommt die Obrigkeit ja die – an sich legale – „aggressive Steuerplanung“ in den Griff.
Auch in diesem Punkt sollte sich niemand Illusionen machen, nur weil „Harmonisierung“ wieder so ein nett klingendes Wort ist. Aber in Wahrheit versteckt sich hinter diesem Wort die ganz gezielte Absicht, die Steuern insgesamt zu erhöhen. Die Erfahrung lehrt, dass Steuerharmonisierungen nur eine Richtung haben können: Die nach oben!
Immer, wenn Wettbewerb reduziert wird, wird für die Menschen etwas teurer. Es ist auch völlig klar, dass Menschen wie Moscovici von gigantischen europaweiten Steuererhöhungen träumen, um endlich nicht mehr sparen zu müssen. In der Vorstellungswelt von Sozialisten gibt es nämlich immer beliebig viele Millionäre, die man nur auszunehmen braucht, damit es allen gut geht und damit alle Wünsche erfüllbar werden.
Zwar gibt es keinen Zweifel: Viele Menschen liefern nicht alles dem Staat ab, was sie nach den Gesetzen dieses Staates müssten. Wie unmoralisch das ist, bleibe dahingestellt. Es gibt auch keinen Zweifel, dass die Staaten mit grenzübergreifender Kontrolle dagegen kurzfristig sicher erfolgreich vorgehen können.
Schlupflöcher senken die Gier von Staaten
Aber ebenso klar sind auch zwei andere Zusammenhänge:
• Erstens ist genau der Umstand, dass es Schlupflöcher gibt, dass es einen internationalen Wettbewerb in Sachen Steuerhöhe gibt, der einzige Faktor, der die Gier von Staaten nach immer noch mehr Geld dämpft. Damit ist die Möglichkeit von Steuerflucht ein zweifellos positiver Faktor. Selbst wenn sie individuell unmoralisch ist.
• Zweitens vergessen Ideologen wie Moscovici immer, dass es auch eine Welt außerhalb der EU gibt. Dass von Amerika bis Asien niemand daran denkt, Steuern und Abgaben auf EU-Höhe hinauf zu „harmonisieren“. Im Gegenteil: Viele Länder bewerben ganz offen ihre niedrigen Steuersätze, um Investoren anzulocken.
Daher würde bei einer Steuerharmonisierung in der EU dasselbe passieren, wie schon einst bei der EU-weit harmonisierten CO2-Politik. Die EU hat seither weit strengere Emissions-Vorschriften und Klimagesetze als der Rest der Welt. Seither ziehen alle energieintensiven Industrien, die für den Weltmarkt arbeiten, zügig von Europa weg. Nach Amerika, nach China, nach Indien und in Dutzend andere Schwellenländer. Siehe Voest, siehe RHI.
Langfristiges Ergebnis: Die geplante Transparenz wird zwar Bürger und Unternehmen bis auf die Unterhose transparent durchleuchten. Aber Europa wird in einer nach unten harmonisierten Armut leben. Nur bei den Machthabern wird immer noch keine Transparenz eingezogen sein, während sie sich über die Transparenz ihrer Untertanen lebhaft freuen können.
Wurst-Transparenz mit 400 Etiketten
Das EU-Parlament hat das Wort Transparenz gleich noch für eine andere Wahnsinnsforderung missbraucht. Es verlangt seit kurzem transparente Angaben auf jedem Wurst- oder Fleischstück darüber, wo das Tier geboren ist, wo es aufgewachsen ist, und wo es geschlachtet worden ist. Angeblich wollen das alle Europäer unbedingt wissen. Es genügt daher nach Meinung der Parlamentarier nicht, dass Fleisch alle noch so strengen gesundheitlichen Vorschriften erfüllt.
Dieser – noch nicht verbindliche – Parlamentsbeschluss droht eine neue europaweite Riesenbürokratie zu schaffen. Seine Realisierung würde auch der Dritten Welt de facto jede Chance auf Fleischexporte in die EU nehmen. Dabei behauptet die EU ja immer, der Dritten Welt helfen zu wollen. Tut alles nichts, auf Kosten der Konsumenten (die ja diesen Unsinn finanzieren müssten) ist Eurokraten nichts zu teuer.
Die Parlamentarier haben sich nicht einmal durch Berechnungen abschrecken lassen, dass auf bestimmten Wurstsorten mit vielen verschiedenen Bestandteilen bei Realisierung ihrer Resolution 400 bis 500 Einzelangaben stehen müssten. Statt dessen wollen sie ein Bürokratiemonster bejubeln und sagen können: Schon wieder haben wir mehr Transparenz geschaffen.
Einen ähnlichen EU-Unsinn haben wir ja gerade in Sachen Allergen-Vorschriften erlebt. Mit denen wird neuerdings jeder Wirt schikaniert, obwohl nach wissenschaftlichen Angaben höchstens ein Prozent der Menschen an echten Allergien leidet. Die die Allergiker aber in der Regel längst im Griff haben. Dank der EU-Regulierungswut gibt es aber jetzt auf jeder Speisekarte volle Transparenz, ob im Gasthaus-Schnitzel nun A, B, C, D, E, F, G, H, I, L, M, N, O, P oder R drinnen ist.
Alle Wirte sind der europäischen Politik wieder unendlich dankbar für eine neue Vorschrift. Das zusätzlich Absurde: In jedem EU-Land werden solche angeblichen Allergene durch ganz andere Symbole gekennzeichnet. Was die endgültige Entartung angeblicher Transparenz zu willkürlicher Schikane einer außer Rand und Band geratenen Obrigkeit ist.