Seit drei Monaten ist Harald Mahrer neuer Präsident der Wirtschaftskammer Österreichs. Er zählt zum engsten Kreis der Berater von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Einige seiner Reformpläne präzisiert und revidiert er im Gespräch mit EU-Infothek.
Vor einem Jahr, in der Zeit des Vorwahlkampfes, hat sich Mahrer immer wieder stark für eine Reform der Sozialpartnerschaft gemacht. Nun, wo er selbst ein Teil dieser Sozialpartnerschaft ist, wie sieht er deren Zukunft?
Ja, es braucht die Sozialpartnerschaft, aber eine, die offen für Neues ist, die Antworten auf die Fragen des digitalen Zeitalters und andere große gesellschaftliche euUmbrüche findet und die bereit ist, sich zu einer Zukunftspartnerschaft weiterzuentwickeln. Ich bin überzeugt, dass die Sozialpartnerschaft eine große Rolle in der Zukunft spielen kann. Den Dialog pflegen und gemeinsam nach Lösungen suchen ist immer besser als der Weg des Gegeneinanders. Ein Abtauschen von Zugeständnissen und Handeln wie am Bazar entspricht jedoch nicht mehr den Anforderungen der modernen Arbeitswelt.
Sozialpartnerschaft – Rückkehr zur Sachlichkeit
Im Zuge der Diskussion um die Ermöglichung des 12-Stunden-Arbeitstages kam es auch zu Zerwürfnissen innerhalb der Sozialpartner, nämlich zwischen den Arbeitgeber – und Arbeitnehmervertretern. Wie steht es um das Innenverhältnis? Immerhin wurden im Frühjahr die Köpfe an der Spitze der vier großen Sozialpartner komplett ausgewechselt und müssen nun ein neues Kooperationsverhältnis aufbauen.
Es stimmt, dass die Diskussion rund um die Flexibilisierung der Arbeitszeit die Sozialpartnerschaft nicht im besten Licht erstrahlen ließ. Es gab viel Polemik vonseiten der Arbeitnehmervertreter, parteipolitische Interessen wurden über das große Ganze gestellt. Nun ist das Gesetz aber beschlossen – auch mit wichtigen Klarstellungen etwa bezüglich der Freiwilligkeit. Daher hoffe ich, dass wir auf eine sachliche Diskussionsebene zurückkehren und den Blick auf die großen Zukunftsthemen richten.
Gezielte Einrichtung von Think Tanks
Die Sozialpartnerschaft wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen und aufgebaut, ist mittlerweile sogar als Institution in der Verfassung verankert, was nicht von allen goutiert wird. Nach mehr als 70 Jahren des Bestehens wäre ein Relaunch durchaus angebracht. Eine solche Reform hat Mahrer bereits im Vorwahlkampf als eines der großen Ziele einer neuen Regierung immer wieder anklingen lassen. Wie könnte diese jetzt aussehen?
Mir geht es nicht darum, mit der Vergangenheit zu brechen und etwas Neues zu erfinden. Die Sozialpartnerschaft funktioniert in vielen Bereichen sehr gut. Denken Sie nur an die über 650 Kollektivverträge im Land. Wir müssen die bewährten Mechanismen aber weiterentwickeln und den Tisch bei dem einen oder anderen Thema durchaus auch vergrößern. Das heißt, ich kann mir vorstellen, bei großen Zukunftsthemen wie Bildung oder Pflege externe Experten zu einer Art Think Tank einzuladen. Die besten Köpfe aus Wissenschaft, Forschung, Kultur oder dem NGO-Bereich können so die besten Ideen entwickeln.
Pflichtmitgliedschaft eine liberale Tradition
Ein Thema, an dem sich so manche reiben, ist die so genannte „Pflichtmitgliedschaft“. Sie hatte Mahrer als er noch nicht Kammerpräsident war durchaus nicht als Sakrosankt erklärt. Geht es nach den Erklärungen der letzten Zeit, dann erfolgte daher offenbar ein gewisser Sinneswandel.
Ich bin ein Verfechter der gesetzlichen Mitgliedschaft. Sie basiert auf einer zutiefst liberalen Idee, die auf die bürgerliche Revolution von 1848 zurückgeht. Sinn dahinter ist, dass die staatliche Autorität nicht unterschiedliche Gruppen gegeneinander ausspielen kann, sondern sich die Gruppen solidarisch organisieren. Das braucht es heute genauso wie damals. Ob großes oder kleines Unternehmen, ob ein innovatives Start-up oder ein alteingesessener Handwerksbetrieb – Wirtschaft ist für mich unteilbar.
Exzellenzanspruch als zentrale Devise
In der alten Regierung war Mahrer auch noch kurz Wirtschaftsminister. Nun hat er gewissermaßen die Seiten gewechselt, ist wie sein Vorgänger Christoph Leitl nur noch der oberste Interessensvertreter der Wirtschaft. Herr über die Wirtschaftskammer, wie steht er nun zu Reformen des Kammerstaates?
Die Wirtschaftskammer Organisation ist in jedem Fall für die Gegenwart gut aufgestellt. Wir bieten tolle Serviceleistungen, vom Gründerservice über die Außenwirtschaft bis hin zum großen Bildungsangebot. Klar ist aber auch, dass wir das Service noch ausbauen wollen. Besonders wichtig ist mir hier der Exzellenzanspruch an uns selbst: Die Mitglieder haben ein Recht auf exzellente Beratung und exzellente Serviceleistungen.
Bildung ist ein Schlüsselkriterium
Zu den Kritikpunkten an der Wirtschaftskammer zählten auch die Beitragsleistungen der Mitglieder. Nachdem die Regierung sich das Ziel eines „schlanken Staates“ gesetzt hat, in allen Bereichen der Bürokratie und Administration den Sparstift ansetzt, wie sieht es damit bei der Wirtschaftskammer aus?
Den ersten Schritt in Richtung Einsparungen auf der einen Seite und Erweiterung des Service auf der anderen hat mein Vorgänger Christoph Leitl schon gesetzt: 2019 werden die Mitgliedsbeiträge um 100 Millionen Euro gesenkt und das Angebot zugleich ausgebaut. Dem werden weitere Schritte folgen, wobei es auch Investitionen geben wird, allen voran in Bildung. Denn wenn wir die Herausforderungen der Zukunft gut meistern wollen, dann ist Bildung das Schlüsselkriterium.
Internethandel oft nicht mehrwertsteuerkonform
Ein Thema, das viele Unternehmen interessiert, ist die rasante Zunahme des Internet-Handels. In Österreich werden bereits 13 Milliarden Euro auf diesem Weg umgesetzt, aber nur unzureichend von der Steuer erfasst, was zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führt. In der EU wird schon seit längerem über eine Besteuerung von Internet-Großkonzernen wie Facebook & Co diskutiert. Was aber geschieht konkret im Bereich des Internet-Handels?
Nach Schätzungen der EU werden 65 Prozent der Sendungen aus Drittländern in die EU nicht mehrwertsteuerkonform eingeführt. Dieser Mehrwertsteuerbetrug führt zu eklatanten Wettbewerbsnachteilen für europäische Unternehmer, insbesondere für KMU. Die EU schätzt allein den Mehrwertsteuerbetrug im Online-Handel jährlich auf 5 Milliarden Euro. Diese Zahl dürfte bis 2020 auf etwa 7 Milliarden Euro steigen.
Abschaffung der Freigrenze
Nicht nur der Vorwurf von Zollumgehungen, unzureichenden Mehrwertsteuerdeklarationen, sondern auch Differenzen zwischen offiziell ausgewiesenen Rechnungsbeträgen und tatsächlich geleisteten Zahlungen wird immer wieder erhoben. Was unternimmt die Wirtschaftskammer, um den heimischen Handel besser zu schützen und für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen?
Um gegen Umgehungen oder auch Unterdeklarierungen des Warenwerts vorzugehen, müssen natürlich auch Online-Plattformen wie Amazon oder Alibaba stärker in die Pflicht genommen werden. Die Wirtschaftskammer fordert hier, dass Betreiber von Online-Marktplätzen haften, wenn Online-Händler aus Drittstaaten auf deren Plattformen keine Umsatzsteuer zahlen. Aber auch andere Maßnahmen wie die Abschaffung der Freigrenze für Kleinsendungen aus Drittstaaten wären zielführend. Denn es braucht faire Bedingungen für alle.
Festigung der Euro-Zone
Das Stichwort EU führt auf der Direttissima zur Frage, wie eine mögliche Reform der Union aussehen könnte bzw. sollte. Gibt es doch schon seit längerem immer wieder Vorschläge zur Weiterentwicklung der EU. Besonders betroffen sind davon die Wirtschaft und der Finanzmarkt. Griechenland verlässt gerade den Euro-Rettungsschirm, dafür bereitet Italien, nicht nur aufgrund des Verfalls der türkischen Lira, den Experten Sorgen.
Eine der wichtigsten Lektionen der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 ist, dass wir die Eurozone festigen und stärken müssen. Wir müssen schon jetzt dafür sorgen, dass der Euro der nächsten Krise trotzen kann. Das bedeutet im Klartext: Spielregeln müssen transparent sein, sie müssen für alle gelten und auch eingehalten werden. Wir brauchen also eine stabile, krisenresistente, eine wettbewerbsfähige und innovative Wirtschafts- und Währungsunion.
Erschließung der Schwarzmeerregion
Österreichs Wirtschaft gehört zu den Profiteuren der so genannten Ost-Öffnung. Es waren vor allem innovative und engagierte Unternehmer und Unternehmen, die die sich bietenden Chancen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs genutzt haben. Bereits 1994 bei den Beitrittsverhandlungen wurde von Brüssel auf die besondere Rolle Österreichs in Mittel-Ost-Europa hingewiesen. Wie sieht es mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe heute und in Zukunft aus?
Die mittel- und osteuropäischen Länder haben immer noch höhere Wachstumsraten als der EU-Schnitt. Aber natürlich sollte man auch offen für neue Märkte sein. Zum Beispiel sind die Westbalkan-Länder, also Serbien, Montenegro, Mazedonien, Albanien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina mit rund 20 Millionen Konsumenten ein attraktiver Markt. Darüber hinaus ist auch die Verbesserung der wirtschaftlichen Kooperationen in der Donauregion von großer Bedeutung für die österreichische Wirtschaft, vor allem die Erschließung der Schwarzmeerregion.
Innovation darf nicht erstickt werden
Das Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft hat ganz wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung vieler westeuropäischer Länder in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Die Weiterentwicklung der sozialen zur öko-sozialen Marktwirtschaft ist allerdings nicht wirklich vorangekommen und hat beim Theoretisieren Halt gemacht. Anstelle klarer wirtschaftspolitischer Leitlinien gibt es die unterschiedlichsten Strömungen. Wäre es nicht angebracht, auch innerhalb der EU für ein gemeinsames wirtschaftspolitisches Ordnungsmodell zu sorgen?
Den Ordnungsrahmen gibt es, aber leider in unglaublicher Dichte und Fülle. Manche werfen nicht zuletzt deshalb das Handtuch und verlagern Technologieentwicklungen in andere Wirtschaftsräume. Die öko-soziale Marktwirtschaft darf Innovation nicht ersticken, so war sie nie gedacht. Ein Beispiel: wer für Batterien neue Recycling- oder Reuse-Verfahren erfinden will, braucht Altgeräte der jeweiligen Sorte zum Experimentieren. Die erhält er nicht, weil Abfallvorschriften dagegenstehen. Mit dem Kärcher durchputzen ist daher das Gebot der Stunde – der Ordnungsrahmen (z.B. Genehmigungen für Entsorgungsanlagen) per se wird dadurch ja nicht in Frage gestellt.