Montag, 4. November 2024
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Mit zweierlei Maß: Der Kampf gegen Steueroasen

In Europa fällt eine sogenannte Steueroase nach der anderen – nicht zuletzt aufgrund von erheblichem Druck aus den USA. Doch die Amerikaner leisten sich selbst die größten Steueroasen: „Briefkasten-Konzerne“ in Delaware und diskrete Drogenmafia-Konten in Miami. Was steckt hinter dieser Doppelmoral?

[[image1]]Wer im Glashaus sitzt, sollte besser nicht mit Steinen werfen. Es sei denn, es handelt sich um eine Supermacht. Wenn es gilt, den sogenannten Steueroasen rund um die Welt den Garaus zu machen, geben sich die USA nicht zimperlich. Und je kleiner der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet sich die Oase befindet, desto größer der Druck, der ausgeübt wird. Von „ganz üblen Erpressermethoden“ spricht ein Schweizer Banker, der vor wenigen Wochen in den Ruhestand ging und jetzt das Leben am Zürich See genießt – froh, mit der Branche nichts mehr zu tun zu haben.

Die US-Behörden und -Politiker wussten genau, wo sie den Hebel ansetzen mussten. Die Schweizer Banken sind groß, ihr Heimatmarkt hingegen ist klein. Also sind für sie Märkte wie die Vereinigten Staaten mit New York als führendem Finanzzentrum überlebenswichtig. Wären die Schweizer Politiker am Ende nicht eingeknickt und hätten ihr Bankgeheimnis aufgegeben, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Behörden in den USA den dort ansässigen eidgenössischen Geldinstituten die Lizenz entzogen hätten.

Für die verunsicherten Kunden galt vorübergehend Singapur als vermeintlich sichere Alternative. Niedrige Steuern und ein strenges Bankgeheimnis, das die Weitergabe vertraulicher Daten sogar mit Gefängnis ahndet, ließen den wohlhabenden Stadtstaat zunächst als „die bessere Schweiz“ erscheinen. Tatsächlich gründeten viele eidgenössische Banken in Singapur Niederlassungen – und nahmen ihre Kunden gleich mit.

Doch wie so oft achteten die Anleger vor allem auf Renditen, Steueroptimierung und Diskretion, aber nicht auf geopolitische Aspekte. Sonst hätte ihnen von Anfang an klar sein müssen, dass Singapur ein enger und wichtiger Verbündeter der USA ist. Immerhin unterhalten die Amerikaner dort einen militärischen Stützpunkt. Genug Druck- und Drohpotenzial also, um einen Kleinstaat gefügig zu machen. Und genauso kam es: Jüngst kündigte die Regierung des tropischen Steuerparadieses an, dem OECD-Abkommen zum Austausch von Steuerdaten mit den Behörden anderer Länder beizutreten.

Die Doppelmoral der US-Amerikaner

So müsse man mit besonders renitenten Steueroasen umspringen, fordern Organisationen wie Attac und verlangen von der EU ein „resolutes Vorgehen“ gegenüber der Schweiz. Sobald die angeblichen Steueroasen aber unter dem Schutz einflussreicher Staaten stehen, geht man weniger resolut mit ihnen um. Gibraltar etwa ist ein britisches Überseegebiet und seit Jahren ein begehrter Parkplatz für spanisches Schwarzgeld. Jetzt hat die Regierung von Gibraltar eine Werbekampagne gestartet, um noch mehr Hedgefonds anzuziehen, deren Geschäftsmodelle vor allem in Offshore-Zentren mit wenig staatlicher Gängelung funktionieren. Zwar erhöht London nicht zuletzt aufgrund der britischen G-8-Präsidentschaft den Druck auf Gibraltar und andere Überseegebiete mit lockerer Steuergesetzgebung, doch die zeigen sich bislang unbeeindruckt.

Während sich die Amerikaner als Weltpolizisten im Kampf gegen Steueroasen feiern lassen, leisten sie sich selbst die größten Steueroasen. Die Bundesstaaten Delaware und Florida sind in diesem Zusammenhang an erster Stelle zu nennen. Nach Ansicht von Experten sind in den vergangenen Jahren Milliardenbeträge aus der Schweiz nach Miami transferiert worden. Insgesamt lägen dort wohl Billionen, vermutet der deutsche Schwarzgeld-Fachmann und Autor Hans-Lothar Merten. Grund: Die US-Banken seien nicht gezwungen, sich über die Herkunft des Geldes zu informieren. Und die Behörden interessiert das offenkundig auch nicht, sofern regelmäßig die Erträge versteuert werden. „Deshalb finden sie in Miami auch schon seit Jahren die Gelder der Drogenkartelle Südamerikas“, sagt Merten.

Während Florida als Dorado für steuerdiskrete Privatpersonen gilt, hat sich Delaware, der zweitkleinste US-Bundesstaat südlich von New York, einen Ruf als „erste Adresse“ für Weltkonzerne erarbeitet. Diese Adresse lautet: North Orange Street Nr. 1209 im Hafenstädtchen Wilmington, das unter anderem als „Welthauptstadt der Kreditkarten“ bezeichnet wird. Dort, in einem schmucklosen Gebäude mit Flachdach, sind nach aktuellen Schätzungen rund 200.000 Unternehmen registriert. Es sind keine Briefkastenunternehmen, denn für so viele Briefkästen wäre in diesem Haus gar kein Platz. Nein, dort haben internationale Großkonzerne wie Apple, Google und Daimler offiziell Niederlassungen – allerdings nur auf dem Papier. Dafür gibt es einen guten Grund: Delaware erhebt für Holdings, die nicht vor Ort produzieren, keine Unternehmenssteuern. Die Firmen zahlen lediglich eine jährliche Registrierungsgebühr. Teile der Konzerngewinne werden einfach in die „Niederlassung“ in Delaware transferiert – und die Unternehmen sparen Steuern in erheblichem Umfang. Daran dürfte sich wohl auch nichts ändern, denn die US-Regierung kann vielleicht die Schweiz und Liechtenstein unter Druck setzen, nicht aber die internationalen Industrie- und Finanzkonzerne, die gern schon mal mit Abwanderung drohen und obendrein bisher noch jedem US-Präsidenten den Wahlkampf zumindest zu großen Teilen finanziert haben.

„Too big to pay“

Die klammen Staaten brauchen Geld – in Europa ebenso wie in den USA. Doch für die großen Industrie- und Finanzimperien gilt offenbar die Devise: „Too big to pay“. Also holt man sich das Geld bei Privatpersonen, Kleinunternehmen und Mittelständlern, die zunehmend lückenlos überwacht werden. Natürlich alles unter dem Gutmenschen-Argument der „Transparenz“. Und die Überwachungsmechanismen werden international wohl weiter verfeinert. Ist es nicht bezeichnend, dass Eric Schmidt, Chef des offenkundigen Steueroptimierers Google, auf dem jüngsten Bilderberger-Meeting in der Nähe von London ausgerechnet zu dem Thema „Big Data – Wie die große Datenerfassung fast alles verändert“ sprach? In der North Orange Street in Wilmington freilich braucht man Big Brother nicht zu fürchten.

 

Bild: Gerd Altmann/PIXELIO/©www.pixelio.de

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