EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sein Arbeitsprogramm für 2017 vorgeschlagen. Darin ist von 21 Initiativen die Rede, mit deren Hilfe sich die Europäische Union vom jahrelangen Krisenmodus befreien soll.
Konkret werden zehn Prioritäten gesetzt, um sich den größten aktuellen Herausforderungen, vor denen die Union steht, stellen zu können – etwa um die Schaffung neuer Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen, die Vertiefung des Binnenmarktes und die Bekämpfung des Terrorismus. Außerdem soll endlich eine EU-Strategie für Syrien formuliert, die Migrationsagenda umgesetzt und ein Reformpaket für eine EU mit 27 Mitgliedsstaaten geschnürt werden.
Damit aber nicht genug: Die Kommission will zwar die Kontrollen an bestimmten Binnengrenzen des Schengen-Raums in Deutschland, Österreich, Schweden, und Dänemark um maximal drei Monate verlängern, doch bald zu einem normal funktionierenden Schengen-Raum zurückkehren. Sie plant obendrein eine Reform der Unternehmens-Besteuerung im Binnenmarkt, wobei ihr Vorschlag für eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) das Ziel verfolgt, Diskrepanzen zwischen nationalen Systemen zu beseitigen, die derzeit von aggressiven Steuerplanern genutzt werden. Zugleich sollen Schlupflöcher in Drittländern gestopft werden, um Steuertricksern das Handwerk zu legen.
Hört sich ja alles recht nett an, ist freilich nicht wirklich neu. Positiv anzumerken wäre dazu jedenfalls zumindest eines: Während die Kommission unter José Manuel Barroso früher Jahr für Jahr Arbeitsprogramme mit durchschnittlich 130 Zielen vorgelegt hat, begnügt sich Juncker mit weit den bereits genannten 21 Initiativen und zehn Prioritäten. Das dürfte nicht unclever sein, weil man bei weniger Absichtserklärungen auch seltener scheitern kann. Im Moment ähneln allerdings etliche Brüsseler Vorhaben dem klassischen Vorsatz zu Neujahr, sich das Rauchen abzugewöhnen – was wohl auch in den seltensten Fällen gelingt.
Ceta und die Lehren daraus
Deshalb ist es vorerst eine Elfer-Frage, ob das EU-Arbeitsprogramm 2017, das noch mit dem EU-Parlament und dem Rat abgestimmt werden muss, letztlich ausreicht, um beim 60. Jahrestag der Römischen Verträge im März 2017 eine langfristige Perspektive der Europäischen Union präsentieren zu können. Juncker und seine Truppe wissen zwar ganz genau, dass sie ihre Vorschläge zügig umsetzen und greifbare Ergebnisse schaffen müssen, um frustrierte EU-Bürgerinnen und -Bürger halbwegs zu besänftigen und mit einem stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung rechnen zu dürfen. Die Hürden, die sie dabei zu bewältigen haben, werden freilich wie bisher riesengroß sein.
Das beste Beispiel, wie stark der Gegenwind sein kann, ist das Codewort CETA. Die Tragikomödie, die sich rund um das Comprehensive Economic and Trade Agreement mit Kanada abgespielt hat, war eine Blamage für Europa. Dass es selbst nach sieben Jahren Verhandlungen – die Gespräche begannen bereits am 10. Juni 2009 – nicht gelang, das Handelsabkommen plangemäß zu unterschreiben, ist allerdings nicht der EU-Kommission anzulasten – zumindest nicht zur Gänze. Bislang hat Brüssel zahllose Handelsverträge mit unterschiedlichsten Ländern abgeschlossen, doch noch nie zuvor wurde damit irgendjemand hinter dem Ofen hervor gelockt. Dass ausgerechnet Kanada für einen emotionalen Aufruhr sorgen würde – um rationale Kontrapositionen kann es sich schon deshalb nicht handeln, weil die meisten Beta-Gegner den Vertrag gar nicht kennen – , war nicht zu erwarten. Mag sein, dass die Informationspolitik der EU Schuld daran trägt – auf ihrer Homepage finden sich derzeit zwar mehr als hundert PR-Aussendungen, doch die meisten davon kamen erst, als die Deadline näherrückte, als ab Sommer.
Brüssel hat es zwar zunächst geschafft, mit einer Ausnahme von allen Mitgliedsstaaten die Zustimmung zu bekommen – was ohnedies einem Wunder gleichkam – , doch letztlich musste sich ausgerechnet Belgien lange quer legen, weil insbesondere die Provinz Wallonie auf stur geschaltet hat. Die störrischen Wallonen haben erst im letzten Moment eingelenkt, sodass das Beta-Abkommen letztlich nicht platzen wird. Auf die Zukunft bezogen, sollte das, was mit Ceta passiert ist, als Alarmsignal verstanden werden. Es zeichnet sich deutlich ab, dass eine unheilvolle Allianz aus Protestlern, Nörglern, Besserwissern, Rechthabern und Rebellen bei vielen Themen auch weiterhin eine gemeinsame EU-Politik zu verhindern trachten werden. Die gezielte Stimmungsmache von Seiten nationaler, opportunistischer Oppositionsparteien, die sich im Zusammenspiel mit diversen Organisationen als notorische Querulanten betätigen und – ohne großartige Argumente vorzubringen – viele Bürgerinnen und Bürger unschwer in Neinsager umfunktionieren, stellt eine riesige Gefahr für die Europäische Union dar.
Die EU-Institutionen werden sich daher schleunigst überlegen müssen, wie die EU künftig angesichts dieser Signale funktionsfähig bleiben kann. Das Prinzip Einstimmigkeit mag zwar schön, demokratisch und nach weiß Gott noch was klingen, doch es wird die Union in vielen Detailfragen immer mehr lähmen und handlungsunfähig machen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, wäre eine dringliche Hausaufgabe für Junker & Co., die rasch ins Arbeitsprogramm 2017 aufgenommen werden müsste.