Samstag, 21. Dezember 2024
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Nach den Europa-Wahlen das böse Erwachen?

Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament soll möglichst nichts an die Euro-Krise erinnern. Doch während der Eindruck erweckt wird, das Schlimmste sei überstanden, diskutieren plötzlich Notenbanker über eine Vermögensabgabe – und Ökonomen über  einen neuen Schuldenschnitt für Griechenland. Zudem könnten die Währungsturbulenzen in den Schwellenländern den zarten Aufschwung in den europäischen Peripheriestaaten zunichte machen.

[[image1]]So etwas nennt man wohl eine Koinzidenz. Wenige Wochen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament feiert die Politik die angebliche Überwindung der Euro-Krise. Und die Märkte feiern kräftig mit. Die Zinsen für Staatsanleihen aus den europäischen Peripheriestaaten sind in den vergangenen Wochen deutlich gesunken. Dass zum Beispiel Irland, bis vor kurzem noch unter dem Euro-Rettungsschirm, am Bondmarkt heute zeitweise geringere Zinsen zahlt als die USA, mutet nachgerade absurd an. Zwar sind die Vereinigten Staaten bekanntlich nicht gerade ein leuchtendes Beispiel für nachhaltige Haushaltsdisziplin, doch verfügen sie mit dem Dollar nach wie vor über die führende Weltwährung. Dem hat Irland wenig entgegenzusetzen. „Die niedrigen Zinsen in Europa sind bloß Ausdruck der riesigen Liquidität an den Finanzmärkten, die verzweifelt nach Rendite sucht. Eines Tages werden die Investoren ein böses Erwachen erleben“, warnt der US-Ökonom und Wirtschaftshistoriker Berry Eichengreen von der University of California (Berkeley).

Ein böses Erwachen droht nicht zuletzt deshalb, weil Regierungen, Politiker und ihnen nahestehende Ökonomen selbst die kleinsten Fortschritte in den Krisenstaaten in Südeuropa mittlerweile als Durchbruch bejubeln und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen. Auch viele Medien spielen mit. Immerhin wäre aus Sicht der Regierungen nichts schlimmer, als ein Wiederaufflammen der Euro-Krise ausgerechnet im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament. Da kommt jeder kleine Fortschritt gerade recht, um den Euro-kritischen Parteien, denen die Demoskopen ein vergleichsweise gutes Ergebnis prognostizieren, etwas Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Euro-Rettung soll als Erfolgsstory verkauft werden.

Turbulenzen in den Schwellenländern

Doch folgen die Märkte eben nicht der politischen Strategie. Die in den Schwellenländern ausgebrochene Währungskrise, deren Eruptionen auch die Türkei erschüttern, könnten einen dicken Strich durch das Kalkül der Euro-Retter machen. Bekanntlich gehört die Türkei zwar weder zur Euro-Zone noch zur EU. Doch die Vorstellung, neben dem noch immer krisengeschüttelten Griechenland könnte eine wirtschaftlich und politisch vom Kollaps bedrohte Türkei die östliche Mittelmeer-Region destabilisieren, erscheint nicht eben behaglich. Zumal dort auch der Euro-Patient Zypern auf der Intensivstation liegt.

Sieht man von der Türkei einmal ab, scheinen die von der aktuellen Währungskrise betroffenen Staaten geographisch weit entfernt zu sein. Doch eine globalisierte und vernetzte Welt kennt keine Entfernungen mehr. Und deshalb könnten die Probleme der Schwellenländer bald zu einem Problem für die rekonvaleszenten Euro-Staaten werden. Betroffen davon wäre einmal mehr Griechenland, in besonderer Weise aber Portugal, wo die Regierung sich eben erst über eine Belebung des Exports freuen durfte. Wer aber genau hinschaut, welche Produkte das iberische Land ausführt, erkennt sehr schnell, dass die dortigen Unternehmen auf den Weltmärkten im direkten Wettbewerb mit Konkurrenten aus der Türkei, Asien und Lateinamerika stehen. Und die profitieren natürlich, wenn die jeweiligen Landeswährungen abwerten, während die portugiesischen Unternehmen am Euro hängen.

Im benachbarten Spanien gab es in den vergangenen Wochen ebenfalls verhalten positive Signale. Das Leistungsbilanzdefizit wurde abgebaut, die Tourismusindustrie freut sich auf eine gute Saison 2014, und sogar die hohe Arbeitslosigkeit ist leicht gesunken, wenngleich  nach Angaben des Nationalen Statistik Instituts (INE) in Madrid die Zahl der Beschäftigten sank, was den angeblichen Erfolg relativiert.

Während aber der spanische Regierungschef Mariano Rajoy die kleinen Fortschritte in der wirtschaftlichen Stabilisierung seines Landes feiern lässt, gerät seine Volkspartei (PP) in Bedrängnis. Die geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts sowie die Politik gegen separatistische Initiativen in Katalonien und im Baskenland setzten der Regierungspartei arg zu. Derweil gründeten ehemalige PP-Mitglieder eine neue Partei namens VOX. Schon verließ  der Vizepräsident des Europaparlaments, Alejo Vidal-Quadras, seine Partei und will sich VOX anschließen. Eventuelle Neuwahlen in den Problemländern Griechenland, Italien und Spanien aber könnten die Euro-Krise sehr schnell in die Köpfe der Marktteilnehmer zurückkehren lassen.

Deflation, Schuldenschnitt und Vermögensabgabe

Nach den Europawahlen dürfte zudem bald wieder das Thema Griechenland auf der Agenda stehen. Denn immer mehr Ökonomen sprechen es – jenseits der Mainstream-Meinung – offen aus: Griechenland braucht einen weiteren Schuldenschnitt. Alle anderen Möglichkeiten sind weitgehend ausgeschöpft. So zählt Hellas heute bereits zu den europäischen Staaten mit den höchsten Steuern. Die durchschnittlichen Unternehmenssteuern machen in Griechenland 26 Prozent aus (in der EU 21,8 Prozent), die Besteuerung der Freiberufler ist seit 2010 um das Neunfache gestiegen, und für’s Heizöl müssen die Griechen jetzt 450 Prozent mehr Steuern zahlen als vor vier Jahren. Keine guten Aussichten für eine Regierung, wiedergewählt zu werden.

Und als wäre das alles noch nicht genug, warnen Ökonomen vor einer von den Krisenstaaten ausgehenden Deflation in der Euro-Zone und mindestens einem weiteren Banken-Crash in Deutschland, Frankreich oder Italien.

Somit kann es nicht überraschen, dass ausgerechnet in einer Zeit, da nach offizieller Lesart die akute Phase der Euro-Krise überwunden ist, die Büche der Pandora geöffnet wird. Die Deutsche Bundesbank und der ehemalige Chefökonom des IWF, Kenneth Rogoff, plädieren dafür, künftig die Reichen der betroffenen Krisen-Länder in Form einer Vermögensabgabe zur Kasse zu bitten, wenn wieder mal eine Pleite droht. Das mag im ersten Moment recht plausibel klingen, selbst wenn in diesen Fällen massive Kapitalflucht und ein Verfall der Immobilienpreise zu befürchten wären. Doch der entscheidende Punkt ist ein anderer: Die Definition von „Reichtum“ sollte man tunlichst nicht den Politikern überlassen. Denn die definieren diesen Begriff nach Kassenlage. Und dann beginnt – wie das Beispiel Zypern belegte – Reichtum eben nicht bei sieben- oder achtstelligen Vermögen, sondern bereits ab 100.000 Euro. Im Zweifelsfall darf’s sicher sogar etwas weniger sein. 
 

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