Dienstag, 3. Dezember 2024
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Nationalrat braucht neue Gesichter – dringend!

Provisorischer Parlamentssaal in der Wiener Hofburg. Bild © CC Oktobersonne/Wikimedia (Ausschnitt)

Ein pensionierter Rechnungshof-Präsident, ein Polizei-Vizepräsident mit 43 Dienstjahren, eine sympathische Ex-Hochspringerin im Rollstuhl, eine langjährige ORF-Mitarbeiterin aus dem Burgenland, die neue Organisatorin des Opernballs und  ein PR-bewusster Mathe-Professor  –  mit diesen und etlichen anderen Persönlichkeiten will Sebastian Kurz dem  Parlament frischen Schwung verpassen.

Der türkise Bundesparteiobmann hat mit der Nominierung von Josef Moser, Karl Mahrer & Co. zweifellos aufhorchen lassen, mit dem Fixticket für Kira Grünberg für positive Emotionen gesorgt, aber mit der Bestellung von Gaby Schwarz, Maria Großbauer und Rudolf Taschner zweifelndes Erstaunen provoziert. Ganz einsichtig ist es jedenfalls nicht geworden, nach welchen Kriterien er seine Quereinsteiger ausgewählt hat, und plausibel ebenfalls nicht, warum ausgerechnet diese Kandidatinnen und Kandidaten ein Gewinn für das Hohe Haus sein werden.

Türkis: Fachexpertise statt Politerfahrung

Der in wenigen Tagen 31-jährige Spitzenkandidat Sebastian Kurz, dem Generalsekretärin Elisabeth Köstinger, 38, auf Platz zwei folgt, hat jedenfalls im Selektionsprozess der ÖVP-Parlamentarier mutig experimentiert – und dabei ist etwa die Hälfte der derzeit 51 Abgeordneten auf der Strecke geblieben. Statt auf prominente Namen wie Maria Fekter und Beatrix Karl zu setzen, hat Kurz im Zuge der längst erforderlichen Erneuerungs-, durchaus auch Verjüngungsaktion politische Amateure bevorzugt, deren fachliche Kompetenz ihn sehr überzeugen dürfte. Es ist ziemlich überraschend, dass etwa in Oberösterreich auch die „Miss Austria 1998“, Sabine Lindorfer, und im Burgenland die Landwirtin Margot Pölz, mit 22 Jahren  amtierende „Miss Burgenland“, sowie Anna Reichardt, ebenfalls 22 und „Burgenländische Weinkönigin“, auf den dortigen Landeslisten einen – wenn auch nicht gerade vorderen – Platz erhaschen konnten.

Der  ÖVP-Chef hat durchgesetzt, dass quer durch Österreich etliche neue Spitzenkandidaten und -innen  zum Zug kommen  und so gut wie sicher eine politische Karriere machen werden: In Vorarlberg beispielsweise handelt es sich dabei um die 37jährige Moderatorin und Trainerin Martina Ess, in der Steiermark um die 48-jährige seit kurzem an den Rollstuhl gebundene Gastronomin Barbara Krenn, in Tirol eben um die frühere Sportlerin Kira Grünberg, die es in ihrer Heimat ebenso schaffen wird wie Umweltminister Andrä Rupprechter und der dortige Wirtschaftsbund-Obmann Franz Hörl. In Wien kam es überhaupt zu einer Art Tabula rasa: Wenn alles gut läuft, könnte folglich für die fünf Neulinge Romana Rainer, Elisabeth von Pföstl, Barbara Hochetlinger, Nico Marchetti  und  Gudrun Kugler ein Traum wahr werden. Aus Oberösterreich wird Bundesrat Klaus Fürlinger mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Nationalrat nachrücken. Fixe Plätze im Parlament sind obendrein für bundespolitische Newcomer wie die Salzburger Unternehmerin Tanja Graf, die beiden Niederösterreicherinnen Carmen Jeitler-Cincelli, Stadträtin in Baden,  und  Angela Baumgartner, Bürgermeisterin von Sulz im Weinviertel, sowie die Bundesvorsitzende der  Jungen Industrie, Therese Niss, reserviert.

Mit Sicherheit wird auch der von den Grünen übergelaufene Ex-Bundesrat mit türkischen Wurzeln, Efgani Dönmez,  40, den Kurz auf Platz Fünf der Bundesliste einzementierte, ein türkises Eintrittsticket in den Nationalrat erhalten. In der Steiermark haben, abgesehen von den Urgesteinen Reinhold Lopatka und Werner Amon, auch  Andreas Kühberger, Bürgermeister von Mautern,  und die Grazer Gemeinderätin Martina Kaufmann so gut wie alles im Trockenen. Nicht zuletzt winken auch  Stefan Schnöll, Chef der JVP Salzburg, und Marlene Wörndl, die auf ein Grundmandat in der Mozartstadt hofft, ab Oktober die ersehnten Jobs in Wien.

Auf diese Weise ist ein beträchtlicher Druck auf die Arrivierten entstanden, die sich noch vorne behaupten konnten, gefolgt jedoch von zumeist ehrgeizigen Polit-Amateuren – etwa Innenminister Wolfgang Sobotka in Niederösterreich und Ex-Minister Niki Berlakovich im Burgenland. Fix im Parlament bleiben rund 25 durchaus erfahrene Abgeordnete, darunter der höchstwahrscheinlich künftige Klubobmann August Wöginger, Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner, der designierte Bauernbund-Chef Georg Strasser, das Kärntner Urgestein Gabriel Obernosterer und der Tiroler Hermann Gahr. Für Nationalrats-Vizepräsident Karlheinz Kopf hingegen, im Ländle lediglich auf dem zweiten Listenplatz aufgeboten, ist das Rennen noch nicht wirklich gelaufen. Wenn es für Sebastian Kurz programmgemäß läuft, sollte freilich auch Kopf kein Problem bekommen: Dann wären nämlich bis 60 Mandate in Reichweite, womöglich sogar noch mehr…

Rot: Wird der Kanzler bald Abgeordneter?

Anders bei den Sozialdemokraten, die laut derzeitigen Umfragen an Stimmen und Mandaten verlieren könnten. Die SPÖ wird sich ebenfalls von nahezu 25 ihrer derzeit 51 Abgeordneten trennen. Bundeskanzler Christian Kern und die SPÖ-Landeschefitäten ließen indes kein Faible für Externe erkennen, sondern eher ihre jetzigen Vertrauten zum Zug kommen: Die Minister  Sonja Hammerschmid, Alois Stöger, Jörg Leichtfried und Hans Peter Doskozil rangieren in ihrem jeweiligen Bundesland (NÖ., OÖ., Stmk. und Bgld.) an der Spitze, Gesundheitsministern Pamela Rendi-Wagner wurde nach Kern auf Platz Zwei der Bundesliste gereiht, noch vor prominenten roten Urgesteinen wie Wolfgang Katzian, Gabriele Heinisch-Hosek, Doris Bures und Andreas Schieder. Falls es mit der Regierungsbeteiligung der SPÖ nichts werden sollte, wird man wohl Christian Kern und Co., höchstwahrscheinlich auch Thomas Drozda, als Abgeordnete erleben.

Wirklich neue Gesichter werden bei den Roten freilich eher rar sein: In Oberösterreich  dürften es die Vöcklabruckerin Doris Margreiter vom Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband, die Welser Gemeinderätin  Petra Wimmer und die im Mühlviertel antretende SPOÖ-Kommunikatorin Sabine Schatz schaffen  – unter Umständen auch der 24jährige  Shootingstar der Stunde, die Studentin und Vorsitzende der Jungen Generation, Eva-Maria Holzleitner; in Niederösterreich wiederum stehen die politischen Sterne für die 34-jährige Mistelbacher PR-Managerin Melanie Erasim  bestens, falls er ein bisschen Glück hat, könnte auch der 47-jährige Landesrat Maurice Androsch ins Parlament übersiedeln dürfen; in Vorarlberg sollte dem Landtags-Abgeordneten Reinhold Einwallner ein Karrieresprung gelingen; in der Steiermark ist mit der Grazer GKK-Obfrau  Verena Nussbaum zu rechnen; in Tirol könnte schließlich die Stunde für die türkischstämmige SPÖ-Frauenchefin von Tirol,  Selma Yildirim, schlagen – ob sich  die neue Spitzenkandidatin das wünscht, ist allerdings fraglich: Sie bewarb sich kürzlich für einen Richterposten beim Bundesfinanzgericht und könnte der Politik bald wieder den Rücken kehren.

Mit den neuen Gesichtern soll die bisherige SPÖ-Truppe einigermaßen aufgepeppt werden: Keine Sorge um ihren roten Stammplatz müssen sich beispielsweise Nationalratspräsidentin Doris Bures, Klubobmann Andreas Schieder, die Gewerkschafter Wolfgang Katzian und Josef Muchitsch, Ex-Ministerin  Gabriele Heinisch-Hosek und ungefähr zwanzig bisherige sozialdemokratische Volksvertreter machen – Namen wie Dietmar Keck, Konrad Antoni, Walter Bacher, Philip Kuchen oder Klaus Feichtinger, deren Bekanntheitsgrad allerdings durchwegs bescheiden ist.

Blau, Grün & Pink: Wenige Newcomer

Bei der FPÖ sind kaum gröbere personelle Veränderungen zu erwarten: Der verlorene Sohn Robert Lugar ist zurück und erhält einen Fixplatz, so wie die oberösterreichische Anwältin Susanne Fürst. Ein Comeback nach vier Jahren Pause dürfte der umstrittene Blaue Martin Graf feiern. Ansonsten wird die derzeit 38-köpfige Strache/Hofer/Kickl-Partie ziemlich konstant weitermachen: In der Steiermark bleiben vier der derzeit fünf Mandatare sicher im Amt, lediglich der Landtagsabgeordnete Hannes Amesbauer, 36, wird nachrücken dürfen. In Niederösterreich, wo Walter Rosenkranz Spitzenkandidat ist, wird sich für die bisherigen fünf Abgeordneten nichts ändern, bloß der blaue Bundesrat Werner Herbert darf sich bei Stimmengewinnen der Blauen Chancen auf ein Mandat ausrechnen – so wie übrigens im Burgenland Landesparteisekretär Christian Ries. In Kärnten könnte es dem auf Rang Zwei der FP-Landesliste platzierten Rechtsanwalt, Ex-Landtags-Abgeordneten und Ex-Landesrat Christian Ragger gelingen, ins Hohe Haus einzuziehen. Ein neues Gesicht in den freiheitlichen Bänken ist schließlich aus Salzburg zu erwarten: Die erst 25-jährige FP-Landeschefin Marlene Svazek ist so gut wie fix – im Nationalrat möchte sie freilich nur bis zu den Landtagswahlen im Mai 2018 sitzen. Fazit: Maximal sieben, acht blaue Neue – und nachdem die FPÖ mehr als 20 Prozent der Stimmen sollte, bleibt der Rest mit wenigen Ausnahmen wie gehabt.

Und sonst? – dürfte es ziemlich wenig Novitäten geben. Nach menschlichem Ermessen – wenn die Meinungsforscher mit ihren Prognosen nicht wieder total danebenhauen – wird die NEOS-Neuwerbung Irmgard Griss die erhoffte politische Funktion übernehmen, anstatt ihren Ruhestand zu genießen.  Der grünen Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek indes wird wohl gar nichts anderes übrigbleiben, als nach der zu erwartenden Wahlschlappe als Abgeordnete ins Wiener Parlament einzuziehen – bisher war die Arme immerhin Vizepräsidentin im EU-Parlament.  Ansogst wird es bei den Grünen keine neuen Gesichter geben.

Auch Pilz würde für frischen Wind sorgen

Möglicherweise wird Lunaceks grüner Klub keineswegs stärker als der ihres ehemaligen Parteikollegen Peter Pilz sein – vorausgesetzt natürlich, dass der überhaupt den Einzug schafft. Pilz ist freilich alles andere als ein politischer Neuling, sondern zählt mit 31 parlamentarischen Dienstjahren zum Inventar des Hohen Hauses. Wenn es ihm zum Beispiel gelänge, fünf Prozent der Stimmen zu erobern, könnte er sieben, acht seiner Mitstreiter mitnehmen. Das wären wohl in erster Linie seine langjährigen Grün-Kollegen Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl sowie die bisherige SPÖ-Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, doch in weiterer Folge auch Polit-Amateure: Zur Wahl stehen etwa der Konsumentenschützer Peter Kolba, die beiden Wissenschafter Renée Schroeder und Hannes Werthner, die Anwälte Alfred Noll und Alma Zadic oder die Jungunternehmerin Stephanie Cox.

Resumé: Der österreichische Nationalrat braucht – darüber herrscht Einigkeit – dringend neue Gesichter, und man darf gespannt sein, ob tatsächlich auch solche einziehen, die benötigt werden… *

In der kommenden Woche lesen Sie an dieser Stelle, welche 70 Abgeordneten sich demnächst vertschüssen müssen.

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