„Jetzt bekommen wir eine neue Regierung – wo wir doch die alte kaum gebraucht haben.“ Dieses Bonmot stammt von Karl Farkas, dem Altmeister des Wiener Kabaretts „Simpl“, es ist gut ein halbes Jahrhundert alt, aber von zeitloser Schönheit.
Österreich hat jedenfalls wieder einmal eine neue Bundesregierung, die auf den ersten Blick nicht gerade wie ein All Stars-Team wirkt, und man darf gespannt sein, ob wir sie brauchen oder eher nicht. Die türkis/blaue Koalition unter Jungstar Sebastian Kurz und dem Langzeit-Oppositionellen HC Strache tritt mit einer Mannschaft an, die aus heutiger Sicht kaum zu bewerten ist. Ein paar Fakten: 16 Personen, Durchschnittsalter 47 Jahre, Frauenanteil 37,5 Prozent, Bekanntheitsgrad sehr gering, Promifaktor gering, politische Erfahrung detto.
Die 16 Damen und Herren, die ein 180-seitiges Regierungsprogramm umsetzen wollen/müssen, sind überwiegend keine Berufspolitiker, sondern Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Bereichen. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob etwa ein Versicherungsdirektor wie Hartwig Löger tatsächlich das Zeug zum Finanzminister hat; ob der Vizerektor der Uni Wien, Heinz Fassmann, als Bildungs- und Wissenschaftsminister ein guter Griff war; ob die zweifellos erfolgreiche Managerin Margarete Schramböck automatisch eine erfolgreiche Wirtschaftsministerin sein kann; oder ob die Molekularbiologin und Biochemikerin Juliane Bogner-Strauss auch als Frauen- und Familienministerin geeignet ist.
Es fällt auf, dass Neo-Kanzler Kurz zwar erwartungsgemäß Vertraute wie Elisabeth Köstinger (Landwirtschaft), Gernot Blümel (Kunst, Kultur & Medien) und sein Atout Josef Moser (Reformen & Justiz) in die Regierung holte, aber ansonst durchwegs für handfeste Überraschungen bzw. personelle Experimente sorgte, was auch auf die neue Staatssekretärin im Innenressort, die Richterin Karoline Edtstadler, zutrifft. Vizekanzler Sprache indes, der sich um Beamte & Sport kümmern wird, vertraut auf drei blaue Berufspolitiker, nämlich Herbert Kickl (für das Innenministerium statt wie erwartet im Sozialressort), Norbert Hofer (Infrastruktur) und Mario Kunasek (Landesverteidigung). Überdies holte er die parteilose Publizistin Karin Kneissl (als Außenministerin) sowie die einstige Topmanagerin im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Beate Hartinger, als Sozial- und Gesundheitsministerin an Bord.
Die FPÖ, die obendrein den Steuerrechtsexperten Hubert Fuchs als Staatssekretär ins Finanzressort abkommandiert, ist damit personell weitaus besser aufgestellt als beim letzten Mal, im Jahr 2000, als sich einige ihrer Minister rasch als vollkommen ungeeignete Nieten erwiesen. Die Volkspartei wiederum musste zur Kenntnis nehmen, dass Sebastian Kurz die einstigen Spielregeln tatsächlich abgeschafft und die Wünsche der Bünde und der Landesparteien offensichtlich ignoriert hat. Seine Mannschaft setzt sich aus drei Wienern, zwei gebürtigen Steirern, zwei Tirolern, die freilich mit der VP Tirol null zu tun haben, einer Kärntnerin und einer Salzburgerin zusammen. Dahingegen fehlen die bislang obligatorischen Repräsentanten aus Nieder- und Oberösterreich, was durchaus als Sensation zu bewerten ist. Kurz hat es obendrein verstanden, die Widerstände der schwarzen Landesfürsten gegen Ex-Rechnungshof-Chef Josef Moser zu überwinden, wofür er Applaus verdient.
Ein Programm mit Lücken
Positiv ist über diese Regierungsbildung anzumerken, dass sie in nur zwei Monaten, also sozusagen programmgemäß, über die Bühne ging. Und dass bei den zweifellos intensiven und auch teilweise recht komplizierten Verhandlungen der beiden Parteien ein neuer Stil sichtbar geworden ist, weil konstruktiv auf Augenhöhe miteinander geredet und das Gemeinsame vor das Trennende gestellt wurde. In dieser geradezu harmonischen Atmosphäre, die zwischen Schwarz und Rot in den vergangenen Jahren undenkbar war, wurden auch manche Weichen richtig gestellt – beispielsweise die begrüßenswerten strukturellen Änderungen in einigen Ressorts:
Dass das Thema „EU“ künftig bei Kurz am Ballhausplatz ressortiert, ist richtig; dass der Bereich Gesundheit ins Sozialministerium übersiedelt, war längst fällig; dass das Heeresministerium nicht mehr für die Sportagenden zuständig sein wird, ist eine gute Entscheidung; dass es in Zukunft nicht zwei, sondern nur noch eine Ministerin für die Agenden Frauen, Familie und Jugend gibt, ist ebenfalls vernünftig; und dass für Reformvorhaben ab sofort das Justizressort zuständig sein wird, ist schließlich ebenso sinnvoll.
Kritisch zu hinterfragen sind hingegen andere Aspekte an dieser Regierungsbildung: Das vorliegende Programm etwa, in dem sich Volkspartei und Freiheitliche zu einem hohen Prozentsatz wiederfinden, ist wahrlich nicht das Gelbe vom Ei. Es enthält nämlich zahlreiche Vorhaben, die entweder altbekannt oder so gut wie unerreichbar sind, und zugleich fehlt in etlichen Passagen, die durchaus spannend klingen, die erforderliche Präzision, etwa beim Thema Steuerentlastung. So manches Projekt scheint beileibe noch nicht hinlänglich durchdacht zu sein, und was die Gegenfinanzierung betrifft, lässt das Kabinett „Kurz I“ Etliches offen und damit unbeantwortet, sodass in den kommenden Monaten mit vielen Unbekannten zu rechnen ist.
Das große Versprechen an die Wählerinnen und Wähler – ein Kurswechsel in Österreich – muss von einem Team eingelöst werden, das zurzeit bloß ambivalent beurteilt werden kann: Die VP/FP-Mannschaft ist einerseits fachlich in Ordnung, sie bringt mit Sicherheit ein hohes Engagement mit und sie wird vollen Einsatz zeigen. Sie ist auch deutlich jünger als bisherige Bundesregierungen, denn vier Mitglieder sind noch in den Dreißigern und nur zwei Minister über 60 Jahre alt. Doch – und jetzt folgt das Anderseits – an der politischen Erfahrung der Quereinsteiger hapert es gehörig. Der Umstand, dass einige Ministerinnen und Minister bislang mit Politik null zu tun hatten, stellt ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar: Manchen – wie Josef Moser – ist es zwar zuzutrauen, ohne großartige Einarbeitungszeit gleich loszulegen, andere wiederum könnten sich durchaus schwertun, sich in ungewohntem Umfeld zu behaupten. Viel wird davon abhängen, wie professionell das Kabinett vom jungen Kanzler gemanagt wird – diesbezüglich ist von Sebastian Kurz freilich einiges zu erwarten.
Die Devise kann jedenfalls bis auf Weiteres nur lauten: Abwarten…und lassen wir uns überraschen…