Dienstag, 5. November 2024
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Österreichs permanenter Kampf gegen (grenznahe) Atomkraftwerke: Nach Hinkley Point C geht Österreich nunmehr auch gegen das ungarische AKW Paks II vor

KKW Paks, Ungarn Foto CC Barna Rovács (Rovibroni)/Wikimedia

 

Seit der negativen Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des bereits errichteten Atomreaktors von Zwentendorf im November 1978, ist Österreich ein in Fragen der Nutzung der Atomkraft zur Energieerzeugung besonders sensibilisierter Mitgliedsstaat der EU, der auch eine Reihe einschlägiger (Verfassungs-)Gesetze erlassen sowie eine Reihe bilateraler Abkommen dazu abgeschlossen hat. Da Österreich von einer Anzahl von Atomkraftwerken (AKW) in den einzelnen Nachbarländern umgeben ist, ist es besonders daran interessiert, dass es in diesen grenznahen AKW zu keinen atomaren Störfällen kommt, wie dies zuletzt wieder in Bohunice und Temelín der Fall war. Ganz allgemein betrachtet sich Österreich aber überhaupt als Vorreiter für den Schutz vor atomarer Verstrahlung und brachte diesbezüglich im Juli 2015 beim Gericht (EuG) eine Nichtigkeitsklage gegen den Genehmigungsbeschluss der Kommission in Bezug auf die vom Vereinigten Königreich dem britischen AKW Hinkley Point C gewährte staatliche Beihilfe ein [1]. Diese Vorgangsweise wiederholt Österreich nunmehr in Bezug auf den Ausbau des ungarischen AKW Paks II, eine Maßnahme, der anschließend nachgegangen werden soll. Zuvor muss aber ein kurzer Blick auf die Ausgangslage dafür geworfen werden.

Einführung

Österreich ist von 12 (grenznahen) AKW umgeben, die in einer Entfernung von 40 km (Dukovany) bis 180 km (Paks) von der österreichischen Landesgrenze situiert sind. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende AKW in den unmittelbaren Nachbarstaaten Österreichs: Tschechien [Dukovany (40 km), Temelín (65 km)]; Slowakei [Bohunice (60 km), Mochovce (100 km)]; Slowenien [Krško (70 km)]; Ungarn [Paks (180 km)]; Schweiz [Leibstadt (110 km), Beznau (110 km), Gösgen (130 km)] und Bundesrepublik Deutschland [Isar (70 km), Grundremmingen (100 km), Neckarwestheim (160 km)] [2]. Dazu kommen noch die etwas weiter entfernt im süddeutschen Raum gelegenen AKW Phillipsburg und Biblis, sowie die Anlagen in Belene (Bulgarien) und Cernavoda (Rumänien), wenngleich letztere nicht in unmittelbarer Nachbarschaftslage zu Österreich liegen.

Durch seine geographische Lage ist Österreich gegenüber möglichen Störfällen in den grenznahen AKW vor allem der mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) – die noch dazu zum Teil auf veralteter sowjetischer bzw. russischer Technologie beruhen bzw zwar durch moderne westliche Technologie (Westinghouse etc.) nachgerüstet, dadurch aber, als nunmehr „hybride Anlagen“, auch nicht wesentlich sicherer wurden – besonders exponiert und versucht sich dagegen durch eine Reihe bilateraler Abkommen abzusichern. Obwohl in diesem Zusammenhang das völkerrechtliche Nachbarrecht davon ausgeht, dass es sich beim Betrieb (grenznaher) AKW um sog. „ultra-hazardous activities“ handelt, für die der Betreiberstaat nicht nach dem Maßstab einer Verschuldenshaftung, sondern vielmehr nach dem einer Gefährdungs- oder Erfolgshaftung haftet, gehen die aktuellen völkerrechtlichen Haftungsübereinkommen von geringen Deckungsbeträgen – von maximal ca. 381 Mio. Euro – aus. Da die Schätzungen der Schadenshöhe eines nuklearen Katastrophenfalls grob zwischen 100 und 400 Mrd. Euro liegen, übersteigen die zu erwartenden Kosten die erforderliche Mindest-Deckungsvorsorge aber um rund das 250 bis 1.000-fache. Käme es zB in Paks II zu einem atomaren Unfall in der Größe von Fukushima-Daiichi im März 2011, würden die Kosten das von Ungarn bereitgestellte Entschädigungsvolumen um rund das 180-fache übersteigen [3].

Im nationalen Recht hat Österreich im Nachhang zur negativen Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf vom 5. November 1978 einige einschlägige (Verfassungs)Gesetze erlassen: Auf das Atomsperrgesetz 1978 [4] folgte 1999 das BVG für ein atomfreies Österreich [5], durch das die Errichtung oder Inbetriebnahme von AKW verboten und der Gesetzgeber verpflichtet wurde, Schadensersatzregelungen für nukleare Unfälle zu schaffen, was in der Folge durch den Erlass des Atomhaftungsgesetzes [6] auch erfolgte.

Aufgrund seiner negativen Erfahrungen, die es sowohl auf der völkerrechtlichen [7], als auch auf der zivil- bzw. verwaltungsrechtlichen [8] Ebene zur Hintanhaltung von nuklearen Störfällen gemacht hatte, ist Österreich neuerdings aber zusehends bemüht, „präventiv“ tätig zu werden und bereits gegen die von der Kommission aus seiner Sicht vorschnellen bzw. sogar rechtswidrigen Genehmigungen der Betriebsaufnahme von AKW gerichtlich vorzugehen, wie es dies bereits im Falle des britischen AKW Hinkley Point C im Jahre 2015 gemacht hatte [9]. Dementsprechend kündigte die österreichische Bundesregierung nach der Ministerratssitzung vom 24. Jänner 2018 auch an, eine Nichtigkeitsklage gegen die Genehmigungsentscheidung der Kommission für den Bau des ungarischen AKW Paks II in der noch bis zum 25. Februar offenen Klagefrist beim Gericht (EuG) einzubringen [10]. Umweltministerin Elisabeth Köstinger erklärte in diesem Zusammenhang, dass Österreich seine Anti-Atompolitik „konsequent fortsetzen“ möchte und zeigte sich bezüglich der Prozesschancen optimistisch [11]. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager nimmt diesen Klagsbeschluss der österreichischen Regierung ernst und erklärte, „dass die Sache sehr sehr wichtig sei, da es um gegenseitige Kontrolle gehe“ [12].

 

Von Paks I zu Paks II

Paks ist das einzige Kernkraftwerk Ungarns und liegt ca. 110 km südlich von Budapest auf der orographisch rechten Donauseite. Das AKW ist mit vier Reaktoren bestückt, die ab 1974 mit sowjetischer Technologie [13] errichtet wurden, zwischen 1982 und 1987 in Betrieb gingen und für eine Laufzeit von 30 Jahren ausgelegt waren. Nunmehr ist eine Laufzeitverlängerung um weitere 20 Jahre geplant, sodass sich die Abschaltung der vier Reaktoren auf die Jahre 2032/2034/2036/2037 verschieben würde [14]. Neben der Modernisierung der bestehenden Reaktoren des AKW Paks I war aber auch der Neubau weiterer Reaktorblöcke geplant, wobei die Planungen bereits 1996/97 begannen. In Diskussion standen dabei Reaktoren vom Typ AP600 von Westinghouse, ein CANDU-6 der Atomic Energy of Canada Limited oder ein VVER-640 als Gemeinschaftsprojekt der russischen Atomstroyexport mit Siemens [15]. Aus politischen Gründen zerschlugen sich in der Folge aber diese Planungen, obwohl sie schon weit gediehen waren. Die Stromerzeugung aus Kernenergie ist im Energiemix Ungarns deswegen von strategischer Bedeutung, da im Jahr 2015 52,67 Prozent des gesamten in Ungarn erzeugten Stroms aus den vier Reaktoren des AKW Paks I stammten [16].

Am 14. Jänner 2014 schloss der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán völlig überraschend einen Vertrag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über den Neubau zweier Reaktorblöcke 5 und 6 – mit einer installierten Kapazität von mindestens 1.000 MW pro Block – bis zum Jahre 2030 durch die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands (Rosatom), samt Lieferung der Brennelemente und der Entsorgung derselben. Für die Finanzierung dieses Vorhabens sagte Russland die Vergabe eines Kredits in Höhe von 3.600 Mrd. Forint (ca. 11 Mrd. Euro) zu.

Die neuen Reaktorblöcke 5 und 6 im AKW Paks II werden mit Reaktoren des Typs WWER 1200 (V491) ausgerüstet, bei denen es sich um moderne Reaktoren der Generation III+ handelt, die über eine Laufzeit von 60 Jahren verfügen.

Da der Bauauftrag an Rosatom ohne öffentliche Ausschreibung vergeben wurde und auch die näheren Konditionen der Kreditvergabe nicht offengelegt wurden, sah sich die Kommission veranlasst, sowohl in vergaberechtlicher, als auch in beihilfenrechtlicher Richtung zu ermitteln.

 

Vergaberechtliche Problematik

Da die ungarische Regierung den Bau der beiden neuen Reaktorblöcke 5 und 6 im AKW Paks II direkt und „ohne transparentes Verfahren“ vergeben habe, stelle dies nach Ansicht der Kommission einen Verstoß gegen zwei Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge [17] dar, gegen den sie mit einem förmlichen Vertragsverletzungsverfahren vorgehen werde. Diese Ankündigung machte sie am 19. November 2015 wahr und eröffnete formell ein einschlägiges Vertragsverletzungsverfahren [18]. Ungarn hatte nun zwei Monate Zeit, um auf die von der Kommission gestellten Fragen zu reagieren.

Nach „gründlicher und sorgfältiger Bewertung“ der Unterlagen und einem intensiven Dialog mit der ungarischen Regierung habe Ungarn die Notwendigkeit ausreichend gerechtfertigt, im Rahmen des Projekts „technische Exklusivität“ anzuwenden [19], sodass die Kommission keinen Verstoß gegen die unionsrechtlichen Vergabebestimmungen sah und daher am 17. November 2016 das einschlägige Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen der Vergabe des Milliardenauftrags zur Errichtung von Paks II an den russischen Staatskonzern Rosatom einstellte [20].

 

Beihilfenrechtliche Problematik

Auf der Grundlage von Presseartikeln und informellen Kontakten mit den ungarischen Behörden, leitete die Kommission am 13. März 2014 unter der Nummer SA.38454 (2014/CP) eine erste Prüfung etwaiger staatlicher Beihilfen für den Bau des AKW Paks II ein. Nach mehrfachen Zusammenkünften meldeten die ungarischen Behörden in der Folge am 22. Mai 2015 die Beihilfe zugunsten der Gesellschaft Paks II (MVM Paks II Nuclear Power Plant Development Private Company Limited by Shares), die Eigentümerin und Betreibergesellschaft der beiden neuen Reaktoren sein wird, offiziell zur Genehmigung an, wobei sie angaben, dass das Vorhaben zwar vollständig vom ungarischen Staat finanziert werde, aber keine „staatliche Beihilfe“ iSv Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle. Mit Schreiben vom 23. November 2015 teilte die Kommission Ungarn mit, dass sie beschlossen habe, das Verfahren gem. Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten und diesen „Einleitungsbeschluss“ auch im Amtsblatt der EU zu veröffentlichen [21]. Gleichzeitig forderte die Kommission auch alle Beteiligten zur Abgabe von Stellungnahmen dazu auf.

Eine Maßnahme stellt dann eine „staatliche Beihilfe“ iSv Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, wenn sie kumulativ folgende vier Voraussetzungen erfüllt: Erstens muss die Beihilfemaßnahme vom Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährt werden; zweitens muss einem Begünstigten durch die Maßnahme ein Vorteil gewährt werden; drittens muss die Maßnahme bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen, dh die Maßnahme muss in gewissem Umfang selektiv sein und viertens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb im Binnenmarkt zu verfälschen. Diesbezüglich stellte die Kommission in Abschnitt 3.1 des vorerwähnten „Einleitungsbeschlusses“ fest, dass Paks II mit der staatlichen Subvention durchaus ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt werden könnte, dass diese eine staatliche Beihilfe beinhaltet, da sie ausschließlich aus staatlichen Mitteln gewährt würde, dass die Maßnahme selektiv ist und dass sie geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb im Binnenmarkt zu verfälschen. Die Unvereinbarkeit von Paks II mit dem europäischen Wettbewerbsrecht geht aber weit über die reine Finanzierungsfrage hinaus, da der Bau dieses Atomkraftwerkes auch gravierende Folgen für die Förderung erneuerbarer Energieträger haben würde, die dementsprechend gekürzt werden müsste [22].

Wie im „Einleitungsbeschluss“ in Abschnitt 3.3.1 ebenfalls festgestellt, kann die Kommission nach Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV eine Maßnahme dann unmittelbar für den Binnenmarkt für vereinbar erklären, wenn diese „erforderlich“ und „verhältnismäßig“ ist und die positiven Wirkungen der Erreichung eines Ziels von gemeinsamem Interesse gegenüber den nachteiligen Wirkungen auf den Wettbewerb und den Handel überwiegen.

In diesem Zusammenhang stellt die Kommission ergänzend fest, dass die gegenständliche Investition in Paks II eine industrielle Tätigkeit betrifft, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Euratom-Vertrages fällt (Anhang II) [23], was allerdings nichts an der Anwendbarkeit der Artikel 107 und 108 AEUV für die Qualifikation der Methode zur Finanzierung dieser Tätigkeit ändert. Art. 2 lit. c) Euratom-Vertrag verpflichtet die Union, Investitionen im Bereich der Kernenergie zu erleichtern, sieht jedoch keine speziellen Vorschriften zur Kontrolle der dazu ergriffenen Finanzierungsmaßnahmen vor und gem. Art. 106a Abs. 3 Euratom-Vertrag weichen die Vorschriften des AEUV nicht von denen des Euratom-Vertrages ab [24]. Tatsächlich stellen die Art. 107 und 108 AEUV keine Abweichung von den Vorschriften des Euratom-Vertrages dar, da letzterer keine einschlägigen Vorschriften für staatliche Beihilfen enthält und die Beihilfenkontrolle durch die Kommission nach den Art. 107 und 108 AEUV einer Verwirklichung des im Euratom-Vertrags verankerten Ziels der Förderung von Investitionen im Kernenergiebereich nicht entgegensteht [25].

Ganz anders sieht dies Reinhard Uhrig, Anti-Atom-Sprecher von Global 2000, wenn er ausführt: „Aber insbesondere die europarechtliche Begründung der Zulässigkeit ist katastrophal falsch und von großer Tragweite: die Kommission prüfte den Subventions-Fall Paks II nach dem Wettbewerbsrecht der EU unter dem EU-Vertrag von Lissabon – und entschied die Förderwürdigkeit von Atomkraft auf Basis des separaten EURATOM-Vertrags, der nicht Teil des EU-Vertrags ist“ [26]. Es gehe hier nicht um Technologieförderung, sondern um einen Eingriff in den Strombinnenmarkt [27].

Mit Beschluss (EU) 2017/2112 vom 6. März 2017, der allerdings erst Anfang Dezember 2017 (!) im Amtsblatt veröffentlicht wurde [28], erklärte die Kommission die geplante staatliche Beihilfe Ungarns für den Bau von zwei Kernreaktoren im Atomkraftwerk Paks II für „mit dem Binnenmarkt vereinbar“ (Art. 2). Ungarn habe in diesem Zusammenhang zugesagt, die Gewinne von Paks II nicht für Reinvestitionen in den Bau oder den Erwerb zusätzlicher Erzeugungskapazitäten elektrischer Energie zu verwenden. Des Weiteren muss Paks II mindestens 30 Prozent seiner gesamten Stromerzeugung an die offene Strombörse verkaufen [29].

 

Fazit

Die Ausgangslage des gegenständlichen Streitfalls ist komplex. Zum einen steht es Ungarn gem. Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV frei, seinen „Energiemix“ eigenständig zusammenzustellen, zum anderen müsse es dabei aber beachten, dass dadurch die Wettbewerbsverhältnisse sowohl am ungarischen, als auch am internationalen Strommarkt nicht verfälscht werden. Der bisherige Anteil von Atomkraft an der Herstellung elektrischer Energie betrug knapp 53 Prozent und war damit bereits von „strategischer Bedeutung“ [30] für den Energiehaushalt Ungarns. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach elektrischer Energie und der in absehbarer Zeit zu erwartenden Stilllegung der Braunkohlekraftwerke müsse laut ungarischer Regierung dieser Anteil aber noch erhöht werden. Um diesen Mix beizubehalten bzw. sogar erhöhen zu können, besteht die ungarische Regierung auf einem Ausbau von Paks I zu Paks II. Rechnet man die Kapazitäten der beiden Anlagen Paks I (4 gründlich überholte Reaktoren) und Paks II (2 neue Reaktoren) zusammen, kommt man auf die enorm hohe Kapazität von 86 Prozent, die die beiden AKW dann für den ungarischen Elektrizitätsmarkt liefern würden [31].

Da der Ausbau von Paks II aus ungarischer Sicht allein mit staatlicher Finanzhilfe zu bewerkstelligen ist, subventioniert Ungarn diesen zu 100 Prozent aus staatlichen Mitteln, die wiederum nur durch einen großzügigen russischen Kredit aufgebracht werden konnten. Nach Ansicht der Kommission stellt der 100-prozentige Zuschuss „staatlicher Mittel“ eine erlaubte Investitionsbeihilfe dar, die dementsprechend genehmigungsfähig ist. Im Gegensatz dazu sieht Österreich darin aber eine nicht genehmigungsfähige Betriebsbeihilfe, die den Elektrizitätsbinnenmarkt massiv beeinträchtigten würde [32]. Des Weiteren liege auch kein für die Genehmigung erforderliches „gemeinsames Interesse“ iSv Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV vor, sodass Umweltministerin Elisabeth Köstinger der österreichischen Nichtigkeitsklage auch gute Chancen einräumt.

Ganz allgemein bezeichnete es der Atomsprecher von Global 2000, Reinhard Uhrig, als „sehr ungewöhnlich“, dass die EU-Kommission beide Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn – dh sowohl das vergaberechtliche, als auch das beihilfenrechtliche – eingestellt habe und vermutet in diesem Zusammenhang, dass großer politischer Druck der Atomlobby diese Entscheidung beeinflusst habe. Greenpeace wiederum bezeichnete die Kommissionsentscheidung als „Affront sondergleichen“ und Atomstopp Oberösterreich als „Kniefall vor der Atomlobby“ [33]. Gewarnt wird aber vor allem wegen der Präjudizfolgen der Errichtung von Paks II, da damit jedes Atom-Neubauprojekt, vom tschechischen Dukovany 5 bis zum slowakischen Bohunice 5, dem bulgarischen Belene und der Erweiterung des rumänischen Cernavoda förderwürdig – und zwar durch die Steuerzahler – wäre.

Wenn Viktor Orbán am 30. Jänner 2018 zu einem Gespräch mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache nach Wien kommen wird, wird das Problem Paks II sicherlich im Mittelpunkt der Beratungen stehen.

 


[1] Siehe dazu Hummer, W. Hinkley Point C – Der Kampf Österreichs gegen Bau und Betrieb von Atomkraftwerken, ÖGfE Policy Brief 36‘2015, S. 1 ff.

[2] Atomkraftwerke rund um Österreich; https://www.global2000.at/atomkraftwerke-um-oesterreich

[3] Reuster, L. Nukleare Haftungs- und Deckungsvorsorge, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft 04/2017, S. 2.

[4] BGBl. Nr. 676/1978.

[5] BGBl. I 149/1999.

[6] BGBl. I 170/1998.

[7] Man beachte in diesem Zusammenhang zB nur das Verhalten der Tschechischen Republik in Bezug auf die Einhaltung der im „Melker Protokoll“ vom 12. Dezember 2000 getroffenen Zusagen hinsichtlich der Meldung von Störfällen im AKW Temelín; vgl. Hummer, W. Temelín: Das Kernkraftwerk an der Grenze, ZöR 4/2008, S. 1 ff.

[8] Vgl. dazu zB das Scheitern des Landes Oberösterreich mit seiner vorbeugenden Immissionsabwehrklage gegen die Betreibergesellschaft von Temelín (ČEZ) vor dem EuGH in der Rs. C-343/04, Slg. 2006, S. I-4557 ff. (ECLI:C:2006:330)

[9] Die Verhandlung in der Rs. T-356/15, Österreich/Kommission, wurde erst nach über zwei Jahren nach der Klagseinbringung am 6. Juli 2015 (ABl. 2015, C 337, S. 14 f.) am 5. Oktober 2017 vor dem EuG eröffnet. Luxemburg schloss sich als Nebenintervenient dem Verfahren an; vgl. EU-Gericht verhandelt über Österreichs Klage gegen AKW Hinkley Point, derstandard.at, vom 5. Oktober 2017.

[10] Austria to sue EC over Paks „state aid“ approval, world nuclear news, 23 January 2018; //www.world-nuclear-news.org/NP-Austria-to -sue-EC-over-Paks-state-aid-approval-23011801.html (abgefragt am 26. Jänner 2018).

[11] Regierung beschließt Klage gegen ungarisches AKW Paks, Wiener Zeitung, vom 25. Jänner 2018, S. 6.

[12] Vestager nimmt Österreich-Klage gegen Paks ernst, trend.at, vom 24. Jänner 2018; https://www.trend.at/newsticker/vestager-nimmt-oesterreich-klage-gegen-paks-ernst-8… (abgefragt am 26. Jänner 2018).

[13] Typ WWER-440/213, der zweiten Generation.

[14] World Nuclear Association, Nuclear Power in Hungary, S. 1; //www.world-nuclear.org/info/inf92.html (abgefragt am 26. Jänner 2018).

[15] World Nuclear Association, Nuclear Power in Hungary (Fn. 10), S. 2. https://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Paks

[16] Beschluss (EU) 2017/2112 der Kommission vom 6. März 2017, Punkt (43) (ABl. 2017, L 317, S. 45 ff.)

[17] Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 134, S. 1 ff.) und Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 134, S. 114 ff.).

[18] EU-Kommission geht gegen Ungarns AKW Paks II vor, orf.at, vom 19. November 2015; http//orf.at/#/stories/2310563/

[19] Front gegen Brüssel, Wiener Zeitung, vom 23. Jänner 2018, S. 4.

[20] Vgl. EU-Kommission stellt Verfahren gegen Ungarn wegen Akw-Projekt Paks II ein; ZEITOnline, vom 17. November 2016; //www.zeit.de/news/2016-11/17/eu-eu-kommission-stellt-verfahren-gegen-ungarn… (abgefragt am 26. Jänner 2018).

[21] ABl. 2016, C 8, S. 2 ff.; vgl. Staatliche Beihilfen: Kommission leitet eingehende Untersuchung einer ungarischen Investition in das Kernkraftwerk Paks II ein; IP/15/6140, vom 23. November 2015.

[22] Greenpeace-Studie: AKW Paks II ist Milliardengrab und verstößt gegen EU-Recht, greenpeace.org, vom 31. Mai 2016; //www.greenpeace.org/austria/de/presse/presseaussendungen/Atom/2016/Greenp… (abgefragt am 26. Jänner 2018).

[23] ABl. 1995, L 1, S. 1 ff. idF ABl. 1997, C 340, S. 53, 73.

[24] Zur Stellung beider Verträge zueinander vgl. Hummer, W. Betrifft der „Brexit“ auch den Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus EURATOM? Gegenseitige Bedingtheiten zwischen EU und EURATOM, ÖGfE Policy Brief 29‘2016, S. 1 ff.

[25] Beschluss (EU) 2017/2112 (Fn. 16), Punkte 277 f.

[26] Zitiert in: Atom-Subventionen Paks II – Warum die Nichtigkeitsklage der Republik Österreich notwendig ist, global2000.at, vom 26. Jänner 2018; https://www.global2000at./presse/atom-subventionen-paks-ii-%E2%80%93-warum-die-nichtigkeitsklage-der-republik-%C3%B6sterreich-notwendi… (abgefragt am 26. Jänner 2018); Bundesregierung: Klage gegen Ausbau von Atomkraftwerk Paks, oekonews.at, vom 22. Jänner 2018; https://oekonews.at/?mdoc_id=1116898 (abgefragt am 26. Jänner 2018).

[27] Aussage des Anti-Atom-Sprechers von Global 2000, Reinhard Uhrig, zitiert in: Atomkraftwerk Paks in Ungarn soll ausgebaut werden: Österreich kündigte Klage an, vienna.at, vom 22. Jänner 2018; //www.vienna.at/atomkraftwerk-paks-in-ungarn-soll-ausgebaut-werden-oesterreic

[28] ABl. 2017, L 317, S. 45 ff.

[29] Vgl. AKW Paks: EU gibt grünes Licht für Staatsbeihilfen, kurier.at, vom 6. März 2017; https://kurier.at/wirtschaft/aks-paks-eu-gibt-gruenes-licht-fuer-staatsbeihilfen/250.19

[30] Beschluss (EU) 2017/2112 der Kommission (Fn. 16), Punkt (18).

[31] Aussage des Anti-Atom-Sprechers von Global 2000, Reinhard Uhrig, zitiert in: Atomkraftwerk Paks in Ungarn soll ausgebaut werden (Fn. 27), loc. cit.

[32] Vgl. dazu Auswirkungen von Paks II auf den deutschen Strommarkt, Energy Brainpool, Berlin, 13. Februar 2016.

[33] AKW Paks: EU gibt grünes Licht für Staatsbeihilfen (Fn. 29), loc. cit.

 

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