Politische und rechtliche Konsequenzen bindender Stellungnahmen des Nationalrates
Überraschendes Veto Österreichs
Wie der Verfasser in seinem Artikel zum Thema „Wirtschaftliche Kooperation zwischen lateinamerikanischen und europäischen Integrationszonen. Die Freihandelsabkommen MERCOSUR-EU und MERCOSUR-EFTA“[1] bereits vermutet hatte, hat sich Österreich nur zwei Tage (!) nach dessen Erscheinen tatsächlich als erster Mitgliedstaat der EU dazu entschlossen, gegen das Abkommen MERCOSUR-EU im Rahmen der EU zu stimmen und es vor allem nicht zu ratifizieren. Der formale Grund dafür waren zwei mit großer Mehrheit im EU-Unterausschuss des Nationalrates angenommene Stellungnahmen,[2] die die Bundesregierung dazu verpflichteten, auf europäischer Ebene alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen Abschluss des MERCOSUR-EU – Abkommens zu verhindern.
Die Entscheidung der österreichischen Parlamentarier kam überraschend, da Österreich weder zu den Ländern, die an einem solchen Abkommen besonders interessiert sind, noch zu denen, die massiv dagegen sind – wie zum Beispiel Frankreich, oder Irland – gehört.[3] Der Grund dafür lag einfach in den aktuellen innenpolitischen Gegebenheiten. Im Gefolge der „Ibiza-Affäre“ kam es am 27. Mai 2019 gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG zum ersten erfolgreichen (destruktiven) Misstrauensvotum in der Geschichte der 2. Republik gegen die Regierung Kurz – zuvor hatte es bereits 157 erfolglose Misstrauensvoten (!) gegeben – und danach, nämlich am 3. Juni 2019, zur Angelobung einer „einstweiligen“ Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, die erklärte, „nur verwalten, aber nicht gestalten“ zu wollen. Gleichzeitig wurden die Koalitionsverpflichtungen außer Kraft gesetzt, sodass sich nach dem „freien Spiel der Kräfte“ spontane Mehrheiten bilden konnten, was letztlich auch zu dem überraschenden Veto Österreichs gegen das Abkommen MERCOSUR-EU geführt hat. Verantwortlich dafür war vor allem der Umstand, dass die nächste Nationalratswahl für den 29. Oktober 2019 angesetzt war, und die Parteien, wie so oft in Vorwahlzeiten, populistischen Forderungen nachgeben wollten, wozu eben auch der Schutz des tropischen Regenwaldes im Amazonas-Becken gehörte, den sie durch einen Abschluss des MERCOSUR-EU – Abkommens als gefährdet ansahen.
Festzuhalten gilt in diesem Zusammenhang aber zunächst der außergewöhnliche Umstand, dass das Veto nicht durch die „einstweilige Bundesregierung“ Österreichs selbst beschlossen, sondern dieser durch den Nationalrat vorgegeben wurde, in dem – nach dem Misstrauensvotum gegen die Regierung von Sebastian Kurz und der Ernennung der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein – das „freie Spiel der Kräfte“ herrschte. Bevor auf diese singuläre Vorgangsweise einer „Ministerbindung“ durch den Nationalrat aber eingegangen werden kann, muss zunächst ein Blick auf einige einschlägige Vorfragen zur Struktur des „Abkommens über die strategische Assoziation MERCOSUR-EU“[4] geworfen werden.
Struktur des Assoziationsabkommens MERCOSUR-EU
Vorfragenmäßig ist dazu zunächst folgendes festzustellen. Über das Assoziationsabkommen MERCOSUR-EU konnte nach einem 20-jährigen Verhandlungsmarathon im Rahmen des G20-Gipfeltreffens in Osaka am 28. Juni 2019 politische Einigung erzielt und ein provisorischer Text („agreement in principle“)[5] festgeschrieben werden, der allerdings juristisch noch präzisiert werden muss. Das Abkommen besteht aus drei unterschiedlichen „Pfeilern“, nämlich einem Handelsabkommen, einem Kooperationsabkommen und einem Abkommen über einen Politischen Dialog. Für den Abschluss aller drei Abkommen sind im Rahmen der EU, da es sich kompetenzmäßig um unterschiedliche Materien handelt, zum einen die EU selbst, zum anderen aber ihre Mitgliedstaaten zuständig.
Für den Abschluss des Handelsabkommens, für das die EU gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV ausschließlich zuständig ist, verlangt Art. 207 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit Art. 16 Abs. 4 EUV – im Gegensatz zu einer Reihe von Kommentatoren, die alle von einer verpflichtenden Einstimmigkeit im Rat der EU sprechen[6] – lediglich eine „qualifizierte Mehrheit“ von mindestens 55% der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, die zusammen mindestens 65% der Bevölkerung der EU repräsentieren müssen.
Der zweite „Pfeiler“ des Kooperationsabkommens steht hingegen nicht in der alleinigen Zuständigkeit der EU, sondern stellt vor allem einen Fall „geteilter Zuständigkeit“ iSv Art. 4 AEUV dar, der ein „gemischtes Abkommen“ konstituiert und daher auch die Ratifikation durch die einzelnen Mitgliedstaaten der EU, neben dieser selbst, bedingt.
Der dritte „Pfeiler“ des Abkommens über einen politischen Dialog wiederum fällt inhaltlich, soweit er außenpolitische Bezüge aufweist, in den Bereich der an sich intergouvernementalen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in der EU, verbleibt aber ansonsten in der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit.
Da das Abkommen MERCOSUR-EU aber ein Assoziationsabkommen iSv Art. 217 AEUV darstellt, wird dieses gemäß Art. 218 Abs. 8 AEUV vom Rat – nach Zustimmung des Europäischen Parlaments gemäß Abs. 6 lit. a) – mit qualifizierter Mehrheit für die EU abgeschlossen. Da es sich dabei aber, wie vorstehend festgestellt, um ein „gemischtes Abkommen“ handelt, haben dabei auch noch alle nationalen Parlamente die Ratifikation durch die Staatsoberhäupter aller Mitgliedstaaten der EU zu genehmigen.
Worauf bezieht sich eigentlich das Veto Österreichs?
Damit stellt sich zunächst die Frage, gegen welchen “Pfeiler“ sich eigentlich der Widerstand Österreichs formell richtet, und danach diejenige, wie sich Österreich im Rat zu verhalten hat, da es dabei ja nicht um die Verhinderung von Einstimmigkeit, sondern um die Erreichung der Sperrminorität geht. So wie die Formulierungen der beiden nachstehend erwähnten negativen Stellungnahmen des Nationalrates nahelegen, sind die Mitglieder der Bundesregierung verpflichtet, bei allen Abstimmungen „auf europäischer Ebene“ gegen den Abschluss des MERCOSUR-Handelsabkommens zu stimmen. Da sie dabei aber auch aufgefordert werden, „alle (diesbezüglichen) Maßnahmen zu ergreifen“, sind sie eigentlich auch verpflichtet, dafür so weit als möglich zu sorgen, dass unter Umständen die Sperrminorität erreicht werden kann.
Auf der anderen Seite muss das MERCOSUR-EU – Abkommen, als „gemischtes Abkommen“, auch von allen EU-Mitgliedstaaten parlamentarisch genehmigt und anaschließend ratifiziert werden, sodass in diesem Fall der Ball wieder beim österreichischen Nationalrat liegt, da durch das Veto desselben von Mitte September 2019 ja nur die Mitglieder der aktuellen, aber bloß „geschäftsführenden“, Bundesregierung verpflichtet wurden, die in absehbarer Zeit ja durch eine neue, voll funktionsfähige, Bundesregierung ersetzt werden. Damit entsteht aber eine mehr als außergewöhnliche „Selbstbindungsverpflichtung“ des österreichischen Nationalrates, der nunmehr selbst gebunden ist, die Zustimmung Österreichs zum Abschluss des MERCOSUR-EU – Assoziationsabkommens zu verweigern. Eine mehr als groteske Situation, der anschließend näher nachgegangen werden muss.
Breite Mehrheit im „EU-Unterausschuss des Nationalrates“ auf Ablehnung
Am Mittwoch, dem 18. September 2019, kam es im Schoß des „Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der EU“ des Nationalrates zu einer lebhaften Debatte über die Annahme oder Verwerfung des Freihandelsabkommens MERCOSUR-EU, bei der sich eine klare Mehrheit gegen den bisher vorliegenden Vertragstext aussprach. Damit wendeten sich die Abgeordneten an sich aber nur gegen den Abschluss des Handelsabkommens, das heißt, gegen den vorerwähnten „ersten Pfeiler“ des Assoziationsabkommens.
So führte der Abgeordnete der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Georg Strasser, an, dass das Abkommen aus der Sicht der Landwirtschaft sehr enttäuschend sei, da diese sich einer Konkurrenz mit Billigprodukten aus Übersee gegenübersehe, die noch dazu einen schweren „CO2-Rucksack“ mit sich trügen. Sie müssten daher mit „CO2-Steuern“ belegt, anstatt verbilligt zu werden. Der Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), Jörg Leichtfried schloss sich diesen Bedenken an und fügte noch ungelöste Probleme wie Umwelt- und Klimaschutz, Sozial- und Arbeitsstandards sowie die Gültigkeit des Vorsorgeprinzips uam hinzu. Auch verwies er auf die begründeten Bedenken von Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft (NGOs) gegen das Abkommen. Diese Bedenken teilte auch Bruno Rossmann von der Fraktion JETZT, die sich dem Antrag der SPÖ angeschlossen hatte, und verwies vor allem auf die negativen Auswirkungen auf die Brandrodungen des Regenwaldes im Amazonas-Becken.
Der Abgeordnete der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Maximilian Linder, wiederum sprach vor allem die Situation der Berglandwirtschaft an, deren Betriebe noch mehr um das Überleben kämpfen müssten, als dies bisher der Fall war. Die FPÖ brachte daher einen eigenen Antrag ein, der die Bundesregierung aufforderte, gegen das MERCOSUR-EU – Abkommen zu stimmen. Lediglich Das Neue Österreich (NEOS) stimmte gegen eine völlige Ablehnung des Abkommens.
Insgesamt wurden dabei vier Anträge zur Formulierung einer Stellungnahme über die österreichische Position zu dieser Frage eingebracht. Die SPÖ und die Fraktion JETZT (Liste Pilz) setzten sich dabei mit ihrem gemeinsamen Vorschlag durch, wonach die Bundesregierung zu einem eindeutigen Veto Österreichs gegen das Abkommen in allen EU-Gremien aufgefordert wird. Auch die FPÖ sprach sich strikt gegen das Abkommen aus und forderte von der Bundesregierung, dieses auf der EU-Ebene zu blockieren. Beide Anträge auf die Formulierung einer Stellungnahme erhielten schließlich – mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, FPÖ und JETZT – die überwiegende Zustimmung der Ausschussmehrheit.
Die Zustimmung der ÖVP war in diesem Zusammenhang aber mehr als überraschend, hatte diese doch während der gesamten Ausschusssitzung noch gegen den SPÖ-Antrag argumentiert.[7] Offensichtlich erfolgte dieser „Schwenk“ unter Berücksichtigung des zukünftigen Wahlverhaltens der österreichischen Öffentlichkeit bei den bevorstehenden Nationalratswahlen am 29. September dieses Jahres. Der anhaltende Widerstand der ÖVP hat aber gezeigt, dass deren Zustimmung zum Veto nur der bevorstehenden Nationalratswahl geschuldet ist. Ein Aufschnüren dieser Ablehnung in der nächsten Legislaturperiode auf Initiative der ÖVP ist daher nicht ausgeschlossen“.[8]
Wie vorstehend erwähnt, gingen lediglich die NEOS bei diesen beiden Anträgen nicht mit, sondern ihr Abgeordneter Nikolaus Scherak sprach sich für Nachverhandlungen aus, da es aus seiner Sicht nur so möglich wäre, explizite Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die festgelegten Produktions- und Umweltstandards zu schaffen. Die NEOS blieben aber mit diesem Antrag in der Minderheit. Ebenso in der Minderheit blieb eine Stellungnahme der ÖVP, wonach die Bundesregierung das Abkommen „in seiner derzeitigen Form“ abzulehnen hätte. SPÖ, FPÖ und JETZT kritisierten in diesem Zusammenhang, dass diese Formulierung eine Hintertür offenlassen würde, um dem Abkommen doch noch zustimmen zu können, sobald es in seiner endgültigen Form vorliegt. Der ÖVP gehe es dabei lediglich um eine, dem Wahlkampf geschuldete, taktische Maßnahme.
Die beiden negativen Stellungnahmen
Auf der Basis der beiden vorerwähnten Anträge von SPÖ und JETZT, sowie von der FPÖ, wurden von der ÖVP, SPÖ, FPÖ und JETZT bezüglich des Handelsteils des geplanten Assoziationsabkommens MERCOSUR-EU am 18. September 2019 übereinstimmend folgende zwei Stellungnahmen verabschiedet, die nachstehend wie folgt wörtlich wiedergegeben werden sollen:
„Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, auf Europäischer Ebene alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen Abschluss des Mercosur-Abkommens zu verhindern“;
„Die Bundesregierung, insbesondere die zuständige Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, wird aufgefordert sicher zu stellen, dass Österreich in den EU-Gremien gegen den Abschluss des Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten auftritt. Dies ist bei allen Abstimmungen dementsprechend mit einer Ablehnung des Abkommens zum Ausdruck zu bringen. Der/die allfällige österreichische Vertreter/in im zuständigen EU-Gremium ist entsprechend anzuweisen“.[9]
Wenngleich diese beiden Stellungnahmen textlich auch unterschiedlich formuliert sind, so fordern sie von der Bundesregierung unmissverständlich die gleiche Vorgangsweise gegenüber dem Handelsteil des MERCOSUR-EU – Abkommen ein. Mit diesen beiden Stellungnahmen verpflichtet der Nationalrat gem. Art. 23e Abs. 3 B-VG den jeweils zuständigen Bundesminister nämlich dazu, „bei Verhandlungen und Abstimmungen in der EU nur aus zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründen“ davon abzuweichen. Beabsichtigt der zuständige Bundesminister, von den Stellungnahmen des Nationalrates tatsächlich abzuweichen, so hat er den Nationalrat neuerlich zu befassen.
Mit dieser Bestimmung ist zunächst sichergestellt, dass ein Mitglied der Bundesregierung eine Stellungnahme des Nationalrates zu einem (solchen) Vorhaben grundsätzlich zu befolgen hat, unter ganz speziellen Umständen aber davon abweichen kann. In diesem Sinne stellte der Sprecher der österreichischen Bundesregierung, Alexander Winterstein, auch fest, dass sich die Bundesregierung an diese Bindung, das MERCOSUR-Abkommen auf EU-Ebene abzulehnen, halten werde.
Es ist allerdings mehr als unwahrscheinlich, dass die aktuelle „einstweilige Bundesregierung“ von BK Brigitte Bierlein überhaupt in die Lage kommen wird, das geforderte Veto einzulegen. Da es zum MERCOSUR-EU – Handelsabkommen gegenwärtig ja erst eine politische Einigung auf den Vertragstext an sich gibt, dessen endgültige Ausarbeitung und Übersetzung in alle 24 Amtssprachen der EU aber noch aussteht, wird nicht damit gerechnet, dass dies vor Mitte 2020 der Fall sein wird. Erst dann kann es zur Abstimmung im Rat der EU kommen, bei der der zuständige österreichische Minister dann sein Veto einzulegen hätte. Was aber in der Folge den Abschluss des Assoziationsabkommens selbst betrifft, so müssen diesem – da es sich dabei um ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“ handelt – neben dem Europäischen Parlament auch alle Parlamente der EU-Mitgliedstaaten zustimmen, um die anschließenden Ratifikationen zu ermöglichen. Ein definitiver Abschluss des Assoziationsabkommens wäre daher, nach Einschätzung der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, Elisabeth Udolf-Strobl, allenfalls bis Ende 2020 möglich,[10] ebenso wie auch ein Beschluss über eine vorläufige Anwendung des Handelsteils desselben.
Bis dahin wird es aber in Österreich, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nicht nur einen neu zusammengesetzten Nationalrat sondern auch eine neue Bundesregierung geben, die die bisherige „einstweilige Bundesregierung“ ablöst. Dabei stellt sich aber das Problem, ob die beiden Stellungnahmen des Nationalrates vom 18. September 2019 für die neue Bundesregierung überhaupt bindend sind, oder nicht. Der Leiter des Wiener Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen, Werner Zögernitz, sieht diese Frage durchaus als strittig an,[11] da es dazu unterschiedliche Ansätze gebe. Juristisch gilt es diesbezüglich zu beurteilen, ob bzw. inwieweit das Diskontinuitätsprinzip iSd Art. 28 Abs. 4 B-VG betreffend Gesetzgebungsperioden in diesem Fall anzuwenden ist oder nicht. Unbestritten ist aber, dass ein neu gewählter Nationalrat einen anderen, dh unter Umständen, gegensätzlichen Beschluss, fassen kann. Politisch wäre aber auch ein zukünftiger Minister gut beraten, den Beschluss umzusetzen, da diesem im Falle einer Verweigerung als Konsequenz unter Umständen ein Misstrauensvotum drohe.
Da für den Abschluss des MERCOSUR-Assoziationsabkommens ja auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments (EP) benötigt wird, stellt sich in diesem Zusammenhang die weitere Frage, ob auch die österreichischen Abgeordneten zum EP bei der Abstimmung über die Genehmigung des MERCOSUR-Abkommens im EP an die negativen Stellungnahmen des österreichischen Nationalrates gebunden sind. Sowohl im Hinblick auf deren freies Mandat, als auch die Stoßrichtung der beiden Stellungnahmen, die sich grundsätzlich an die Mitglieder der Bundesregierung richten, im Rat dagegen zu votieren, ist dies aber wohl zu verneinen.
Reaktionen auf den Beschluss des Nationalrates
Gegen den Beschluss des Nationalrates sprachen sich sowohl die Industriellenvereinigung (IV), als auch die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und der ÖVP-Wirtschaftsbund aus, wobei der Generalsekretär der IV, Christoph Neumayer, von einer „populistischen Panikmache“ sprach, „mit der wir weder das Klima oder den Regenwald retten, noch Arbeitsplätze sichern“.[12] Darüber hinaus enthalte das Abkommen MERCOSUR-EU eine klare Verpflichtung zum Pariser Abkommen über den Klimaschutz (2015), zur Aufforstung des Regenwaldes und zum Vorgehen gegen illegale Brandrodungen.[13]
Im Gegensatz dazu begrüßten sowohl die Arbeiterkammer (AK) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), als auch der Bauernbund sowie eine Reihe von Umweltschutzorganisationen (Greenpeace etc.) und kirchliche Einrichtungen die ablehnenden Stellungnahmen des Nationalrates.[14]
Österreich als „Vorreiter“ in der Ablehnungsfront
Obwohl sich auf dem G7-Gipfel in Biarritz, Ende August 2019, vor allem Frankreich[15] gegen das Abkommen in der derzeitigen Fassung aussprach, und sich dieser Ablehnung in der Folge auch Irland, Finnland, Luxemburg, Polen und die Slowakei anschlossen, muss die österreichische Initiative kritisch hinterfragt werden. Zum einen konnte die überwältigende Zustimmung zu den beiden Stellungnahmen des EU-Unterausschusses im Nationalrat, wie vorstehend bereits erwähnt, nur dadurch zustande kommen, dass diese nicht auf einer Regierungsvorlage fußten, sondern dem „freien Spiel der Kräfte“ im aktuellen Nationalrat entsprangen, und zum anderen war sie auch der Dynamik von Vorwahlzeiten geschuldet, wo es naturgemäß des Öfteren zu abrupten Positionswechseln kommt. Eine solche Bindung der Bundesregierung bzw. einzelner ihrer Minister durch eine initiative Stellungnahme des Nationalrates gem. Art. 23e Abs. 3 B-VG ist in Österreich äußerst selten.
Im Ergebnis hat sich Österreich damit aber dermaßen exponiert, dass es wohl als „Auslöser“ der zu erwartenden Ablehnungsfront gegen das Assoziierungsabkommen angesehen und zitiert werden wird,[16] was insbesondere in seinen Beziehungen zu den vier MERCOSUR-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, nachteilige Folgen haben wird. Dabei hat gerade die Europäische Kommission neuerdings darauf hingewiesen, dass die EU und die Region Lateinamerika und Karibik (LAK) in den letzten Jahrzehnten ein beispielloses Maß an Integration erreicht haben.
So hat die EU mit 27 der 33 LAK-Länder Assoziierungs-, Freihandels-, Kooperations- oder sonstige politische Ankommen geschlossen. Zu den wichtigsten Abkommen zählen dabei die Assoziationsabkommen mit Mexiko, Chile und Zentralamerika, das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit dem Karibischen Forum (CARIFORUM) und die Freihandelsabkommen mit Kolumbien, Peru und Ekuador. Dementsprechend sind die Volkswirtschaften der EU und der LAK-Region eng miteinander verflochten. Die EU ist der drittgrößte Handelspartner der LAK-Region: der Warenhandel betrug 2018 225,4 Mrd. Euro und der Dienstleistungshandel erreichte einen Wert von fast 102 Mrd. Euro. Die EU war 2017 mit ihren ausländischen Direktinvestitionen in Höhe von 784,6 Mrd. Euro der wichtigste Investor in der LAK-Region. Umgekehrt verzeichneten die ausländischen Direktinvestitionen der LAK-Region in der EU in den letzten Jahren einen starken Anstieg und erreichten 2017 einen Umfang von 273 Mrd. Euro, womit sie über denen von China (176,1 Mrd. Euro), Indien (76,7 Mrd. Euro) und Russland (216,1 Mrd. Euro) liegen. Die EU ist auch der größte Geber von Entwicklungshilfe zugunsten der LAK-Region in Form von Zuschüssen für bilaterale und regionale Programme zwischen 2014 und 2020 in der Höhe von 3,6 Mrd. Euro und hat in den vergangenen 20 Jahren mehr als 1,2 Mrd. Euro an humanitärer Hilfe bereitgestellt.[17]
Wie intensiv die Vorgänge in Österreich dabei in Lateinamerika verfolgt werden, lässt sich exemplarisch an dem Umstand feststellen, dass bereits am Tag der Beschlussfassung der gegenständlichen Stellungnahmen im EU-Unterausschuss des österreichischen Nationalrates spanischsprachige Artikel darüber erschienen sind und über internationale Agenturen verbreitet wurden.[18]
Unter diesen Voraussetzungen wäre Österreich gut beraten gewesen, nicht initiativ zu werden, sondern vielmehr darauf zu warten, wie sich die Frage des Abschlusses des Handelsabkommens mit dem MERCOSUR im Schoß der Regierungen der anderen EU-Mitgliedstaaten entwickelt. Der Nationalrat nützte aber das „freie Spiel der Kräfte“ aus, um – ohne auf eine entsprechende Regierungsvorlage zu warten – seinerseits die „einstweilige Bundesregierung“ zu verpflichten, gegen den Abschluss des MERCOSUR-EU – Handelsabkommens im Rat der EU zu stimmen. Dabei kann Österreich alleine diesen Abschluss aber gar nicht verhindern, da für dessen Zustandekommen, wie vorstehend bereits erwähnt, ja keine Einstimmigkeit, sondern lediglich eine „qualifizierte Mehrheit“ vorgesehen ist. Wozu dann aber der ganze Aufwand…?
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[1] Publiziert in: EU-Infothek vom 16. September 2019, S. 10.
[2] Siehe dazu nachstehend auf S. 4.
[3] Aussage des brasilianischen Politologen Carlo Barbieri von der Beratungsfirma Oxford Group gegenüber Sputnik Brasil; https://de.sputniknews.com/politik/20190924325770762-oesterreich-mercosur-ablehn…
[4] Acuerdo de asociación estratégica MERCOSUR-UE; https://www.cancillería.gob.ar/es/acuerdo-mercosur-ue
[5] New EU-Mercosur trade agreement – The agreement in principle, Brussels, 1 July 2019; https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2019/june/tradoc_157964.pdf
[6] Vgl. zB Österreich kippt EU-Mercosur-Abkommen (https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/parlaments-ausschuss-gibt-veto-gegen-…); Österreich wird EU-Mercosur-Abkommen wohl kippen (https://www.gmx.at/magazine/politik/oesterreich-eu-mercosur-abkommen-kippen-340…); Österreich will umstrittenes Freihandelsabkommen stoppen, ZEIT ONLINE vom 19. September 2019; Umstrittenes Mercosur-Abkommen gekippt (https://www.salzburg24.at/news/oesterreich/oesterreich-kippt-eu-mercosur-abkomme…)
[7] Österreich blockiert EU-Freihandelsabkommen mit Südamerika, WELT vom 19. September 2019.
[8] Breites Nein der Parteien zu Handelspakt, Tiroler Tageszeitung vom 19. September 2019, S. 22.
[9] 1 und 2/SEU XXVI.GP, Stellungnahme des Ständigen EU-Unterausschusses gem. Art. 23e B-VG vom 18. September 2019 betreffend WK 8483/2019 INIT EU-Mercosur: Consolidated texts of the trade part of the EU-Mercosur Association Agreement (071896/EU XXVI.GP).
[10] SPÖ, FPÖ und JETZT setzen sich im EU-Unterausschuss mit Forderung nach Veto gegen Mercosur-Abkommen durch; Parlamentskorrespondenz Nr. 905 vom 18. 9. 2019, S. 1; Österreich blockiert Mercosur, Der Standard vom 20. September 2019, S. 18; vgl. Finke, B. – Hagelüken, A. Brennende Zweifel, Süddeutsche Zeitung vom 20. September 2019, S. 19.
[11] Siehe die Agenturmeldung APA0218 vom 19. September 2019; https://iwww.parlament.gv.at/pd/apa/apadok/A19/0919_APA0218.html; Symbolisches Mercosur-Veto, Wiener Zeitung vom 20. September 2019, S. 6; Mercosur-Veto mit unklaren Folgen (https://orf.at/stories/3137784/).
[12] Böhm, W. Nationalrat fixiert Veto gegen EU-Mercosur-Abkommen, DiePresse.com, vom 18. September 2019.
[13] Siehe dazu Hummer, Wirtschaftliche Kooperation zwischen lateinamerikanischen und europäischen Integrationszonen (Fn. 1), S. 9 f.
[14] Vgl. dazu London School of Economics and Political Science (LSE), Sustainability Impact Assessment in Support of the Association Agreement Negotiations between the European Union and Mercosur, Draft Interim Report, 03 October 2019.
[15] So erklärte die Regierungssprecherin Frankreichs, Sibeth Ndiaye im Juli 2019, „dass Frankreich derzeit nicht bereit ist, das Abkommen zu ratifizieren“; siehe APA-Meldung APA0218 (Fn. 11).
[16] Michael Löwy, Keine Weltoffenheit ohne Welthandel, Der Standard vom 20. September 2019, S. 31 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die grundsätzliche Ablehnung des Abkommens „Österreich europapolitisch ins Abseits und in das Lager der Nörgler und Verhinderer führt“.
[17] Europäische Kommission, Die Europäische Union, Lateinamerika und die Karibik: Bündelung der Kräfte für eine gemeinsame Zukunft, Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat (JOIN(2019) 6 final vom 16. April 2019), S. 1 f..
[18] Siehe zum Beispiel: El Parlamento austríaco veta el tratado comercial entre la UE y Mercosur, eldiario.es, vom 18. September 2019.