Das vor rund 130 Jahren nach Plänen des dänischen Architekten Theophil Hansen errichtete Wiener Parlamentsgebäude wird infolge der dringend nötigen Sanierung bis 2020 eine Großbaustelle sein. Relativ rasch indes, nämlich schon nach den kommenden Wahlen, wird es in personeller Hinsicht einen gewaltigen Umbau der jetzigen Abgeordneten-Riege geben. Denn mit Ausnahme von Christian Kern und seiner SPÖ setzen alle Parteichefs im anlaufenden Wahlkampf auf frische Gesichter, die mit Politik so wenig wie möglich zu tun haben.
Sebastian Kurz, türkiser Favorit für den 15. Oktober, zieht laufend derartige Kandidaten aus dem Köcher und scheint felsenfest überzeugt zu sein, dass politische Amateure als Volksvertreter besser geeignet sind als langjährige, gestandene Abgeordnete: Deshalb haben etwa die seit zwei Jahren querschnittgelähmte Ex-Stabhochspringerin Kira Grünberg, die neue Opernball-Organisatorin Maria Großbauer, der umtriebige Mathe-Professor Rudolf Taschner und Wiens Polizei-Vizepräsident Karl Mahrer auf seiner Liste so etwas wie ein Fixticket. HC Strache wiederum verstärkt seine FPÖ-Truppe u.a. mit der in Oberösterreich tätigen Rechtsanwältin Susanne Fürst, von der er sich offenbar blaue Wunder erwartet. Die Grünen schicken die Vizebürgermeisterin von St. Andrä-Wördern, Ulrike Fischer, ins Rennen, die sich als Umwelt- und Konsumentenschützerin betätigen soll. Und Peter Pilz will gleich mehrere politische Newcomer in die Politik holen, darunter die Biochemikerin Renée Schroeder und den Informatiker Hannes Werthner, den bekannten Verbraucherschützer Peter Kolba sowie eine Jungunternehmerin, einen bislang sozialdemokratischen Tierschützer oder eine Frauen-Aktivistin.
Kern setzt auf Promis
Im Prinzip ist ein frischer Wind in der Volksvertretung, der sich nunmehr abzeichnet, durchaus begrüßenswert, denn für Parlamentarier, die dort schon zwanzig oder mehr Jahre einen Stammplatz haben, ist es ohnedies Time to say Good bye. Umso mehr, als sie so wie das SPÖ-Urgestein Josef Cap oder der ÖVP-Dinosaurier Jakob Auer sogar schon 34 Jährchen zum Inventar des Parlaments gehören und auf diese Weise schon die Pensionsreife erreicht haben. Überdies liegt die Vermutung nahe, dass etliche unserer 183 Parlamentarier derart unauffällig und ineffektiv ihre Funktion ausübten, dass die Frage erlaubt sein muss: Was war eigentlich ihre Leistung? Solche Mitläufer bzw. Mitläuferinnen oder Hinterbänkler bzw. Hinterbänklerinnen durch engagierte Experten bzw. Expertinnen, die von außen kommen, zu ersetzen und damit die Kompetenz der Volksvertretung in möglichst vielen Bereichen zu verbessern, sollte jedenfalls ein wichtiges Ziel aller Parteizentralen sein.
So wie’s derzeit aussieht, werden in den künftig in der Hofburg tagenden Nationalrat schon auf Grund der fälligen Verjüngungskur in der Tat viele neue Mandatare bzw. Mandatarinnen einziehen – die höchstwahrscheinlich verbleibenden Evergreens à la Doris Bures (20 Jahre), Karlheinz Kopf (23 Jahre) oder Werner Kogler (18 Jahre) könnten letztlich zu einer Minderheit werden. Die große Frage ist jedoch, ob die neuen Kandidaten bzw. Kandidatinnen, die es auf die Landes- bzw. Bundesliste einer wahlwerbenden Partei geschafft haben, tatsächlich besser sind als die bisherigen – oder ob sie sich nur darin unterscheiden, dass sie so gut wie keine politische Erfahrung mitbringen.
Die Selektion von Abgeordneten basiert hier zu Lande traditioneller Weise weitgehend auf dem Prinzip Zufall – weshalb erklärbar ist, warum in der Vergangenheit praktisch allen Parteien relativ viele Fehlgriffe unterlaufen sind. Derzeit leuchtet zwar durchaus ein, dass beispielsweise die junge Kira Grünberg eine Chance erhalten soll, weil sie in der Tat eine exzellente Vertreterin der Behinderten werden könnte. Und es scheint Sinn zu machen, wenn ein erfahrener Konsumentenschützer wie Peter Kolba mit seiner langjährigen Expertise im Hohen Haus sitzt. Fraglich ist hingegen, ob etwa der Mathe-Professor Taschner, der sich immer schon gern ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gedrängt hat, eine Bereicherung für die heimische Innenpolitik werden könnte oder in neuer Funktion vollkommen fehl am Platz sein wird. Oder ob der grüne Jungstar Julian Schmid, der Peter Pilz verdrängt hat, diesem auch nur annähernd das Wasser wird reichen können oder lediglich als politisches Fliegengewicht auftreten wird – schließlich zählt er zur Spezies der ehrgeizigen Jungpolitiker, die sich bislang keinerlei sonstige Meriten verdienen konnten.
Sebastian Kurz, der am vehementesten derart geschnitzte Newcomer protegiert, wird das Risiko tragen müssen, das mit seinen eiligen Experimenten in Personalfragen verknüpft ist. Wirklich sensationelle Entdeckungen sind ihm freilich nicht geglückt – so wenig übrigens wie den anderen Parteichefs. Kanzler Kern, der schon bald Ex-Kanzler sein könnte, geht einen etwas anderen Weg: Auf den roten Kandidaten-Listen sind mehrere SP-Minister zu finden, wie zum Beispiel Pamela Rendi-Wagner, Sonja Hammerschmid, Hans Peter Doskozil, Alois Stöger und Jörg Leichtfried, die im Ernstfall – wenn die SPÖ aus der Regierung fliegen sollte – allesamt zu neuen und dementsprechend nicht besonders erfahrenen Abgeordneten mutieren würden.
Ein Hinweis zum Schluss: Nachdem alle Kandidatenlisten in Kürze fertig sein müssen, lesen Sie in der kommenden Woche an dieser Stelle eine Analyse, welche personellen Änderungen im Hohen Haus zu erwarten, eventuell auch zu befürchten sind.