Die etablierten Parteien überlegen Gegenstrategien, um der Abwanderung der Wähler zu den populistischen Parteien gegenzusteuern. Bei den Konservativen versucht man die Bandbreite zu vergrößern, nicht nur die Mitte zu besetzen sondern auch den rechten Flügel weiter auszuspannen.
Die etablierten Parteien überlegen Gegenstrategien, um der Abwanderung der Wähler zu den populistischen Parteien gegenzusteuern. Bei den Konservativen versucht man die Bandbreite zu vergrößern, nicht nur die Mitte zu besetzen sondern auch den rechten Flügel weiter auszuspannen. Bei den Sozialdemokraten versucht man die vor allem nach rechts abgedrifteten Wähler einzufangen, hat aber ideologische Hemmungen sich zu sehr zu öffnen, was zu veritablen Richtungsdiskussionen führt.
Beispiel Frankreich
Francois Hollande’s sozialistische Partei läuft ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl Gefahr, erst gar nicht in die Stichwahl zu kommen. Schon seit längerem weist sie in allen Umfragen katastrophale Werte auf, versucht aber trotzdem ihr Heil darin, maßlose Forderungen der Gewerkschaften zu erfüllen, die nur die an sich marode Wirtschaft weiter schwächen und die Mehrheit der Bevölkerung aufwiegeln. Die Konservativen könnten mit François Fillon, dem überraschenden Sieger im ersten Vorwahlgang genau jenen Politiker gefunden haben, der die Sorgen der Bevölkerung kennt, sie anspricht, keine Hemmungen hat wertkonservative Positionen zu vertreten und so der rechtsnationalen Marie Le Pen Paroli bietet.
Beispiel Italien
Hier hat zunächst einmal die rechtsnationale Lega Nord mit der eher links angesiedelten Protestbewegung „Cinque Stelle“ des Komikers Beppe Grillo eine veritable Konkurrenz bekommen. Inzwischen bekommt vor allem Ministerpräsident Matteo Renzi, der selbst vor Jahren als großer Reformer angetreten ist, den Gegenwind zu spüren. So sehr sich auch Renzi um eine neue Politik bemüht, Italien leidet wie eh und ja unter dem Nord-Süd-Gefälle, großer Versprechungen und geringer Veränderungen. Renzi will mit seiner Verfassungsreform mehr Handlungsfreiheit bekommen. Das in 10 Tagen darüber stattfindende Referendum steht auf des Messers Schneide, weil Grillo alle Vorurteile bedient, die es in der Bevölkerung gegen die Regierenden und auch den Euro (nicht die EU an sich) gibt.
Beispiel Deutschland
Sigmar Gabriel hat die SPD ohne Zweifel in der Mitte positioniert, auf Bundesebene spricht sie aber nur noch jeden fünften Wähler an und ist derzeit de facto nur ein Steigbügelhalter für die CDU/CSU. Innerlich ist sie hin- und hergerissen, hat sie doch einerseits Wähler an die Linke also die Ex-Kommunisten und andererseits an die rechte AfD verloren. Die Frage, mit welcher Politik diese Verluste ausgeglichen werden können, ist höchst umstritten. Auf CDU-Seite hat man zwar mit der wiederkandidierenden Angela Merkel das größte As im Ärmel, aber für das Erstarken der AfD vor allem in den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern auch kein Rezept. Die CSU fackelt da erst nicht lange herum, in Bayern besetzt sie nicht nur breit die Mitte, sondern lässt auch rechts kaum einen Spielraum zu. Der Leitspruch „Ordnung“ im neuen Parteiprogramm macht klar, wofür die bayerische Volkspartei steht und sie darf sich dabei breiter Zustimmung sicher sein.
Beispiel Österreich
Hier hatte die SPÖ in den letzten Monaten nach der Ablöse von Werner Faymann durch Christian Kern auch schon Hoffnung gespürt. Tatsächlich hatte die Partei in den Umfragen einen Sprung von 22 auf 26 Prozent vollzogen. Nun freilich ist in Wien eine Krise ausgebrochen, die auch auf die Bundespartei abfärbt. Und das zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl, wo der Grüne Alexander van der Bellen vor allem auf die „roten“ Stimmen angewiesen ist, um den Einzug als Staatsoberhaupt in die Hofburg zu schaffen. Immerhin lag beim zweiten Wahlgang im Juni VdB mit fast 61,2 Prozent deutlich vor Hofer mit 38,8 Prozent. Eine hohe Latte für den 4. Dezember. Jetzt erst recht.
Wien war das rote Kernland
Wien ist für die SPÖ das Kernland überhaupt. Vergleichbar mit Niederösterreich auf ÖVP-Seite. Bei den letzten Nationalratswahlen kam jeder fünfte Wähler der SPÖ aus der Bundeshauptstadt. Bei der letzten Gemeinderatswahl konnte Langzeitbürgermeister Michael Häupl den Sturmangriff von Heinz Christian Strache gerade noch abwehren. Aktuell wird kolportiert, dass die FPÖ in den demoskopischen Erhebungen bereits bei 40 Prozent liegen, die SPÖ dagegen auf 37 Prozent abgerutscht sein soll. Kurzum, es ist Feuer am Dach.
Eine gespaltene Partei
Beim schon seit längerem schwelenden Konflikt, der in den letzten Wochen geradezu zu einem Schlagabtausch via Facebook und Print-Medien eskalierte, geht es nicht nur um anstehende Personalentscheidungen, so auch die Häupl-Nachfolge. Streitpunkte sind auch ein gewaltiger Schuldenstand, der unter anderem durch explodierende Kosten beim Neubau des Nord-Spitals verursacht wird sowie dringend nötige strategische Weichenstellungen. Ein solcher zentraler Punkt betrifft die Zuwanderungspolitik. Hier ist die Wiener SPÖ in fast zwei unversöhnliche Fraktionen gespalten. Die eine Gruppe vor allem rund um Sozialstadträtin Sonja Wehsely hängt der so genannten Willkommenskultur an und sieht sich in einer Linie mit den linken Grünen, so vor allem Maria Vassilakou. Die andere rund um Stadtrat Michael Ludwig und einigen Bezirksvorstehern verlangt in Hinblick auf die Stimmung in der Bevölkerung eine restriktive Flüchtlingspolitik und übt heftige Kritik am zögerlichen Verhalten der eigenen Spitzenfunktionäre.
Streitpunkt Verhältnis zur FPÖ
Dahinter wiederum steckt die Auseinandersetzung um die Frage, wie es die SPÖ mit der FPÖ halten soll. In den letzten Jahren hat die Mehrheit der Arbeiter ihre politische Heimat gewechselt, hat das rote Parteibuch mit der blauen Anhängerschaft getauscht. Mittlerweile sind es aber nicht nur niedrige Bildungsschichten und Wohlstandsverlierer sondern auch Mittelstandskreise, die dem so genannten traditionellen Politik-Establishment den Rücken kehren. Bezüglich möglicher Rückholaktionen ist man ratlos. Man glaubt nun die Lösung darin zu finden, die bislang verpönten Rechtspopulisten nicht mehr auszugrenzen sondern in die Regierungsverantwortung miteinzubeziehen. Indem die FPÖ die Last der Alltagsarbeit mittragen muss, hofft man sie von den Versprechungen auf den Boden der Realität zurückzuholen und so entzaubern zu können.
Das Spiel mit einem Farbenwechsel
Dabei geht es aber nicht mehr um ein auf kommunaler Ebene zu lösendes Problem sondern das ist Top-Chefsache. Bundeskanzler und Parteivorsitzender Christian Kern hat daher eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, um Möglichkeiten einer SPÖ-FPÖ-Koalition ausloten zu lassen. An sich gibt es noch aus der Ära von Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky das per Parteitagsbeschluss erlassene Verbot für eine Liasion mit der FPÖ. Dieses Tabu hatte bereits der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl mit der Installierung einer rot-blauen Landeskoalition gebrochen. Da es auf Bundesebene in der Koalition mit der ÖVP immer wieder Auseinandersetzungen gibt, wächst in der SPÖ die Lust, einen Farbenwechsel vorzunehmen.
Die Realität der Umfragen
Ein solcher Wechsel wäre aufgrund der Schwäche der Grün-Partei – sie liegt derzeit bei etwa 13 Prozent – allerdings nur mit der FPÖ vorzunehmen, weil man nur mit dieser eine Regierungsmehrheit schafft. Damit aber Kern weiter Bundeskanzler in einer Koalition mit der FPÖ bleiben könnte, müsste die SPÖ ganz massiv an Stimmen zunehmen und die Freiheitlichen, die derzeit bei guten 31 Prozent liegen, auch noch überholen. Angesichts der derzeit laufenden Richtungsdiskussion, öffentlich ausgetragener Auseinandersetzungen und einem völlig ungewissen Ausgang des Streits ein fast aussichtloses Unterfangen.
Volkspartei diskutiert „Leitkultur“
Während die SPÖ um ihren Zukunftskurs ringt und das Bild einer zerstrittenen Partei abgibt, ist beim Regierungspartner ÖVP beinahe Ruhe eingekehrt. Wenngleich die zwischenzeitlich auch von der Bevölkerung goutierte Flüchtlingspolitik der Regierung vor allem die Handschrift der ÖVP trägt, so hat sich diese Tatsache noch in keiner Weise in den Umfragen niedergeschlagen. Da grundelt die Partei bei 22 Prozent herum. Mit einem großen „Aussireisser“ und der heißt Sebastian Kurz, dem nach dem Abtritt von Bundespräsident Heinz Fischer populärsten Politiker.
Rechts-Ruck bei der ÖVP
Nachdem derzeit bei der ÖVP aber Personalspekulationen abgesagt sind, beschäftigt man sich auch mit einer Art Richtungsdiskussion, die allerdings anders als bei der SPÖ kaum zu Kontroversen führt. Ähnlich wie dies die bayerische CSU mit ihrem neuen Parteiprogramm tat, sucht nun auch die ÖVP um eine Definition der so genannten Leitkultur. Als deren Eckpfeiler werden die Rechtsordnung, die Gestaltung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens und die Tradition hervorgehoben. Integrationsminister Sebastian Kurz spricht dabei jene Themen an, die derzeit beim Koalitionspartner für Flügelkämpfe sorgen: „Wir haben bereits vor Monaten einen Entwurf für ein Integrationsgesetz vorgelegt, das unter anderem eine Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit für Asylberechtigte ebenso wie ein Verbot von Burkas und Niqabs sowie von Koranverteilungen durch Salafisten vorsieht“.
Kern will weder links noch rechts sein
Und so bleibt Kern, der die SPÖ gerne als Mitte-Links-Partei positionieren wollte, nichts anderes übrig, als auf jene Meinung einzuschwenken, die auch mehrheitlich von der Bevölkerung geteilt wird und daher das Abwandern unzufriedener Stammwähler verhindert. In einem erst kürzlich stattgefunden Interview gestand er wörtlich ein: “Ich kann mit der Kategorie links oder rechts in der SPÖ wenig anfangen. Ich sehe mich nicht als Linken und auch nicht als das Gegenteil. Wir versuchen, eine moderne Politik zu machen.“