Am 15. Mai 2012, dem Tag seines Amtsantritts, war er noch der strahlende Sieger: François Hollande hatte bei den Wahlen fast 52 Prozent der Stimmen geschafft und durfte auf alle Vorschusslorbeeren dieser Welt bauen. Die Franzosen trauten dem kühlen Sozialdemokraten, der vom Typus her wie ein biederer Onkel auftrat, damals mehrheitlich zu, die Grande Nation aus der schweren Wirtschaftskrise zu führen und wieder auf Kurs zu bringen.
[[image1]]Der neue Präsident, der jedenfalls so ganz anders als sein schusseliger Vorgänger Nicolas Sarkozy wirkte, hat ihnen prompt das Blaue vom Himmel versprochen, als wäre er der geborene Wunderwuzzi schlechthin, und die Stimmung im Land schwappte in Richtung Optimismus, dass alles wieder besser werden könne.
Heute, zwei Jahre später, ist alles vollkommen anders: Jetzt ist so gut wie allen seiner Landsleute sonnenklar geworden, dass Hollande das Ruder nicht herumgerissen hat. Frankreich wird derzeit in internationalen Medien beispielsweise als „taumelnder Riese“, „schwarzes Schuldenschaf“ oder „nächster Pleite-Kandidat“ beschrieben, der „mit dem Rücken zur Wand“ stehe, und in der Tat ist die Lage besorgniserregend: Die Arbeitslosenrate von 11 Prozent hat ein neues Rekordhoch erreicht, die Staats-verschuldung ist auf rund 94 Prozent des Bruttoinlandprodukts emporgeschnellt, das Haushaltdefizit beträgt mehr als vier Prozent, und das Wirtschaftswachstum dümpelt bei weniger als einem Prozent dahin.
Kurz nach den Kommunalwahlen im März, bei denen die linke Regierungspartei von den Wählern gnadenlos abgestraft worden war, musste der Präsident die Regierung umbilden um wenigstens den eigenen Kopf zu retten. Seither überlässt er weitgehend dem neuen, ziemlich beliebten Premierminister Manuel Valls die politische Bühne und kann nur inständig hoffen, dass dem neuen Kabinett, in dem unter anderem seine frühere Lebensgefährtin Ségolène Royal Aufnahme fand, mehr Erfolg beschieden sein wird als dem bisherigen. Monsieur Hollande, der europaweit noch am ehesten mit seinem turbulenten Privatleben Aufmerksamkeit erwecken konnte, scheint jedenfalls auf allen Linien Pech zu haben: Nicht nur, dass ihm kürzlich die Schauspielerin Julie Gayet, die seine langjährige Partnerin Valèrie Trierweiler ersetzen durfte, schon wieder abhanden gekommen ist – auch das Vertrauen der Franzosen hat er weitgehend verloren. Seine Popularitätswerte liegen nur noch bei 16 Prozent, womit er das unbeliebteste Staatsoberhaupt in der Geschichte der Fünften Republik ist. Und jeder dritte Wähler, der 2012 für den Sozialdemokraten gestimmt hatte, würde das heute nicht mehr tun.
Triste Aussichten
Triste Aussichten also für den ebenso farb- wie bislang tatenlosen Mann im Pariser Elysée-Palast, dessen Autorität weitgehend flöten gegangen ist: Hollande hat zwar schon seit geraumer Zeit Wirtschaftsreformen, etwa die Senkung der Sozialabgaben für die Unternehmen, angekündigt, doch passiert ist de facto nichts. Doch nachdem Regierungschef Valls kürzlich ein 50 Milliarden Euro schweres Sparpaket durchboxen konnte, steuert Frankreich auf stürmische Zeiten zu. Die beabsichtigten Kürzungen bei Sozialleistungen, Beamtengehältern und den Rentenbeziehern werden automatisch massive Proteste nach sich ziehen – die sozialen Unruhen samt Brandstiftungen frustrierter Jugendlicher in Pariser Vororten vor einigen Jahren sind ja noch in bester Erinnerung.
Die von der Nationalversammlung beschlossenen, durchaus wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen werden naturgemäß nicht bloß von den Betroffenen, sondern auch von zahlreichen Abgeordneten der total zerstrittenen sozialistischen Fraktion für ungerecht und nicht zumutbar gehalten. Damit steigt der Druck auf den ungeliebten Präsidenten, dem unverhohlen Neoliberalismus vorgeworfen wird, noch beträchtlich. Dass er vor seiner Wahl Wachstum versprochen hat und nunmehr einem „Sparwahn“ verfallen sei, verzeihen ihm viele Parteigänger nicht.
Das auf drei Jahre ausgelegte historische Sparprogramm ist zwar, auch zum Leidwesen Brüssels, noch längst nicht gegessen – für Hollande dürfte es auf jeden Fall das Aus bedeutet: Denn falls Manuel Valls scheitern sollte und seine Pläne wieder schubladisieren müsste, wäre auch der Präsident umgehend Geschichte. In diesem Szenario würde Frankreich ohne Hilfe der Euro-Partner und der EZB nicht mehr lange auf eigenen Beinen stehen können. Sofern der Premier allerdings die Reform umsetzen, damit das Blatt wenden und einen Absturz verhindern könnte, wäre der 51-jährige, in Barcelona geborene Hardliner letztlich für die Präsidentenwahl 2017 der logische Kandidat der Sozialisten. Das heißt also: Der demnächst 60-jährige François Hollande hat seine Chance wegen weitgehender Inaktivität verspielt und ist daher bereits nach zwei Jahren so gut wie gescheitert.
Wunderwuzzi oder Looser?
Der liebe Onkel aus Paris kann bei seinem deutlich jüngeren Kollegen im südlichen Nachbarland beobachten, wie es womöglich besser gelaufen wäre: Obzwar der 39jährige Matteo Renzi bei seinem Amtsantritt am 22. Februar 2014 – übrigens auch an dieser Stelle – ob seines vollmundig angekündigten, beinahe radikal klingenden Reformprogramms mit massiver Skepsis konfrontiert war, legte er zumindest einen dynamischen Start hin. Schon nach hundert Tagen an der Macht attestierten zwei von drei Landsleuten gemäß einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IXE Zufriedenheit mit dem neuen Premierminister. Sie sehen ihn als großen Hoffnungsträger und trauen ihm zu, den endgültigen Zusammenbruch Italiens nachhaltig abwenden und endlich den erhofften Durchbruch zu schaffen. Der überaus selbstbewusste Ex-Bürgermeister von Florenz, der „einen radikalen Wandel“ versprach, ging prompt daran, seine hübsch klingenden Pläne Schritt für Schritt umzusetzen.
Die Ausgangslage war ähnlich schwierig wie in Frankreich: Das Land hat infolge der Rezession eine Million Jobs verloren, die Staatsschuldenquote ist noch weitaus höher als die französische – nämlich 133 Prozent des BIP, obendrein sackte das Bruttoinlandsprodukt um neun Prozent ab, und die Industrieproduktion verringerte sich gar um ein Viertel. Renzi musste rasch den Nachweis erbringen, dass er mehr schafft als bloß einen Stiefel zusammen zu reden. Dem Chef der sozialdemokratischen Partito Democratico blieb schon deshalb nicht viel Zeit, weil er seinen Vorgänger Enrico Letta per innerparteilicher Revolte mit dem Vorwurf gestürzt hatte, dass die nötigen Reformen viel zu lange auf sich warten ließen. Und so kündigte der Neue gleich im März Steuersenkungen für zehn Millionen Bürger mit Jahreseinkommen bis 26.000 Euro an, die ab sofort insgesamt um rund zehn Milliarden Euro entlastet werden sollen. Unternehmen wiederum versprach er, die Gewerbsteuer auf ihre Lohnsumme noch heuer um zehn Prozent zu kürzen sowie ausstehende Lieferantenrechnungen des Staates zu begleichen, was für eine Belebung der Konjunktur sorgen werde.
In für die meisten Toppolitiker ungewohnter Windeseile hat Renzi obendrein eine Reihe „heißer“ Themen angepackt: So etwa leitete er ein neues Wahlrecht in die Wege, das der Regierungsmehrheit künftig mehr Stabilität bescheren soll. Er startete eine Debatte über eine Verfassungsreform, der zu Folge der Senat nur noch eine Kammer der Regionen werden soll. Schließlich scheut sich der neue Premier nicht, auch mal ordentlich anzuecken, etwa bei den Gewerkschaften. Diese versuchen nämlich vehement, seine Pläne für eine Lockerung der Zeitarbeitsbeschränkungen zu torpedieren. Hoch anzurechnen ist Renzi, der bei seinem Amtsantritt den mächtigen Lobbys und all jenen, die er als „herrschende Klasse“ bezeichnet, den Kampf angesagt hatte, dass er nunmehr auch Taten setzt: Die Spitzengehälter im öffentlichen Dienst werden mit 240.000 Euro pro Jahr begrenzt, was insbesonders Richter und Staatsanwälte auf die Palme bringt. Der gängige Postenschacher in italienischen Staatskonzernen soll beendet werden, was beim Ölmulti Eni, der italienischen Post und beim Rüstungskonzern Finmeccanica schon mit personellen Umbesetzungen gestartet wurde.
So weit, so gut – oder auch nicht: Der springende Punkt wird nämlich sein, wie die Regierung Renzi ihre Reformvorhaben gegenfinanzieren wird. Der Premier hat zwar Ausgabenkürzungen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro angekündigt, weiters ist die Erhöhung der Kapitalertragsteuer von 20 auf 26 Prozent geplant, und der gezielte Kampf gegen Steuerhinterzieher soll dem Staat ebenfalls zusätzliche Einnahmen bringen. Ausreichen wird das allerdings bei Weitem nicht, sodass zum einen das Haushaltdefizit steigen muss und zum anderen der Schuldenstand Italiens neue Rekordmarken erreichen wird. So gesehen, ist noch völlig offen, ob Renzi und das Land tatsächlich die Kurve kratzen können: Falls sich die Konjunktur schlechter entwickelt als prognostiziert, weniger Steuern fließen als erwartet und nicht so viele Jobs entstehen wie erhofft, na dann bonna notte. In zwei Jahren vielleicht wird klar sein, ob Matteo Renzi tatsächlich ein politischer Wunderwuzzi ist – oder ein gescheiterter Looser wie François Hollande …