Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel muss in diesen Tagen erfahren, dass sie zwar in den eigenen Reihen der CDU aufgrund ihrer Erfolge eine sehr anerkannte, aber nicht wirklich geliebte Parteiführerin ist. Auch deshalb – so die Meinung in den einflussreichen politischen Hauptstadt-Zirkeln – weil sie zwar immer sehr selbst- und machtbewusst auftrat, aber den Funktionären und dem Parteifußvolk nicht wirklich Wärme vermitteln konnte.
Irgendwann zwischen dem 27. August und 22. Oktober 2017 findet die nächste Bundestagswahl in Deutschland statt. In diesen Tagen wurde erwartet, dass die 62-jährige Merkel eine vierte Regierungspariode anstrebt und daher rechtzeitig ihre erneute Kandidatur bekannt gibt. Tatsächlich aber will sie sich noch Zeit lassen.
Die Rolle des „Küchenkabinetts“
Wie so oft dürfte sie sich auf den Rat ihres so genannten „Küchenkabinetts“ verlassen haben, dessen Tätigkeit innerhalb der CDU schon immer etwas misstrauisch beäugt wurde. Unter „Küchenkabinett“ versteht man in der Politik übrigens jenen Kreis, den Spitzenpolitiker um sich scharen, die nicht direkt in der Regierung und Partei eine Top-Position innehaben, aber zu denen ein ganz besonders enges, persönliches Freundschaftsverhältnis besteht, deren Rat über alle Maßen geschätzt wird.
Und bei den Mitgliedern dieses „Küchenkabinetts“ hat eine Tatsache Spuren hinterlassen. Der nüchterne Blick in die Umfragen der Meinungsforschungsinstitute zeigt nämlich, dass sich innerhalb der deutschen Bevölkerung ein Stimmungswandel vollzieht. Bis noch vor wenigen Wochen wurde die deutsche Kanzlerin von einer breiten Woge der Zustimmung getragen, die weit in die Wählerschichten von SPD, Grünen und FDP hineinreichte. Inzwischen freilich ist ein deutlicher Knick feststellbar. Die Ablehnung der so genannten Willkommenskultur, die schon seit längerem in Bayern feststellbar war und von der Schwesterpartei CSU auch entsprechend forciert wurde, hat nun auch insbesondere auf Westdeutschland übergegriffen.
Motive für Merkel‘s Willkommenskultur
Eine Mehrheit der Deutschen wünscht sich – so eine Sommer-Umfrage der Universität Bielefeld – dass die Flüchtlinge, sobald in ihren Heimatländern wieder Ruhe eingekehrt ist, zurückkehren. Das dürfte aber eher ein frommer Wunsch sein. Ist es doch auch das Bild des so genannten Schlaraffenlandes, das viele von Asien bis nach Afrika anzieht.
In diesem Zusammenhang taucht immer wieder die Frage auf, was waren die eigentlichen Gründe für die Merkel‘sche Willkommenspolitik? Zwei Motive gelten als Triebfeder. Erstens ihre Herkunft aus einem prononciert protestantischem Elternhaus (ihr Vater war praktizierender Theologe). Zweitens das Verlangen einflussreicher Wirtschaftskreise, wonach Deutschland gut eine Million von Arbeitskräften benötigt, die vor allem im Osten, der unter einer massiven Abwanderungswelle leidet, niedergelassen werden sollen.
Merkel beim EPP Gipfel in Brüssel im März 2016.
© eppofficial, via Wikimedia Commons
Stimmungswandel könnte zu Strategiewechsel führen
Merkel, die es immer wieder verstanden hat, die Gefühlslage der Bevölkerung zu erkennen und zu nutzen, ist offenbar vorsichtiger geworden. Die dominante Position Deutschlands in Europa und in der Welt, signifikant zeigt sich dies auch an der über alle Maßen prosperierenden Wirtschaft und beim Budgetüberschuss, hat das Selbstbewusstsein der Bevölkerung und damit das Vertrauen in die Regierungschefin massiv gestärkt. Mittlerweile gibt es freilich angesichts des Flüchtlingszustroms nach Europa, der Sorge um die innere Sicherheit, auch echte Zukunftsängste.
Gemunkelt wird, dass die Kanzlerin und ihr Beraterstab an einem Strategiewechsel arbeiten. Eine Rolle spielen dabei nicht nur das Abbröckeln des Merkel-Bonus sondern gewisse Kräfteverschiebungen im politischen Spektrum. CDU/CSU sind noch immer mit 33 bis 34 Prozent das stärkste Parteibündnis, haben aber seit der letzten Bundestagswahlen ein um gut 8 Prozent schlechteres Ergebnis. Regierungspartner SPD kommt mit 22 Prozent nicht vom Fleck. Durchwegs Zuwächse verzeichnen die Grünen, FDP und die Linke, die ganz aktuell auf etwa 12 und 7 sowie 9 Prozent eingeschätzt werden. Sorgen bereitet den demokratischen Kräften die rechtspopulistische AfD, die von bis zu 12 Prozent der Stimmbürger Zustimmung erhalten.
SPD steht vor „out of game“
Rein mathematisch wird unter diesen Vorzeichen eine Regierungsbildung schwierig. Vor allem auch deshalb, weil die so genannte Große Koalition, also die schwarz-rote Zusammenarbeit, in Deutschland immer schon nur als der letzte Ausweg gesehen wurde und die Polit-Ehe Merkel-Gabriel bereits ein Ablaufdatum hat. Bloß derzeit gibt es nur noch die Alternative einer Dreier-Koalition, nämlich mit den Grünen und der wieder erstarkenden FDP. Die SPD ist „out of the game“, selbst ein Zusammengehen mit der Linken und den Grünen ergibt keine regierungsfähige Mehrheit von zumindest 50 Prozent.
Die Grüne Option
Von daher ist auch zu verstehen, dass sich die deutsche Kanzlerin mit Winfried Kretschmann, dem Star der Grünen und Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg traf, um erste Sondierungsgespräche zu beginnen. Wie das Abtesten der wechselseitigen Befindlichkeiten ausfiel, ist natürlich noch nicht bekannt.
Dass Grün für die Schwarzen eine echte Zukunftsoption darstellt, ist aber schon seit längerem kein Geheimnis mehr. Ob dieser Umstieg aber noch unter der Ägide von Angela Merkel stattfindet, wollen politische Insider nicht mehr bestätigen.
Winfried Kretschmann 2010.
© GRÜNE Baden-Württemberg, via Wikimedia Commons
Nachfolgespekulationen von Berlin bis München
Es ist nicht etwa der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer, der seiner Parteifreundin in Berlin am Sessel sägt, es sind verschiedene einflussreiche Kreise innerhalb der CDU, die sich einen Wechsel wünschen. Das hat übrigens, so wird immer wieder betont, auch damit zu tun, dass sich unter Merkel die Partei von christ-demokratischen Grundsätzen eher entfernt und zu oft sogar linke Positionen eingenommen hat. Nur um den Parteifrieden zu wahren, hielt man sich mit einer öffentlichen Kritik an diesem Kurswechsel zurück.
Ministerpräsident CSU-Vorsitzender Horst Seehofer.
©Freud (Eigenes Werk), via Wikimedia Commons
Und auch die Karriere der an sich erfolgreichen deutschen Regierungschefin ist davon gekennzeichnet, dass einige „politische Leichen“ ihren Weg säumen. Sie hat es verstanden, über Jahre hinweg, politische Konkurrenten auszuschalten. So mancher von ihnen und seinen Weggefährten hat noch offene Rechnungen.
Vorrang für „katholische“ Kandidaten
Ginge es nach Merkel und würde sie sich auf den politischen Ruhestand zurückziehen, so hätte wahrscheinlich derzeit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beste Chancen in die Nachfolgestellung gebracht zu werden. Fraglich ist nur, ob die Partei da mitspielt. Unter anderem auch, weil man nicht wieder eine Protestantin mit der Parteiführung betrauen will und die CDU-Stammwähler eigentlich und mehrheitlich im katholischen Reservoir zu finden sind.
Einer der übrigens immer wieder genannt wird, der CDU neues Profil und neuen Schwung zu geben, ist der 58-jährige ehemalige Regierungschef von Hessen, Roland Koch, dem nachgesagt wird, unverändert politische Ambitionen zu haben. Ein anderer dem man diese Funktion zutrauen würde, ist der 61-jährige ehemalige Fraktionschef Friedrich Merz, der als besonders „heller politischer Kopf“ gilt, aber mittlerweile eine wirtschaftliche Topposition innehat (er sitzt im Vorstand des weltweit größten Vermögensverwalters), die man wohl kaum für ein politisches Amt aufgibt.
Ursula von der Leyen (CDU) während ihrer Sommerreise 2014 in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne, Augustdorf, NRW.
(C) Dirk Vorderstraße (Eigenes Werk), via Wikimedia Commons
Guttenberg ist das bayerische „As“
Nicht ganz wegzuschieben sind schließlich Überlegungen, dass der Juniorpartner der CDU, also die CSU auch wieder einmal Lust hätte nach der Führung zu greifen. Seehofer kommt dafür nicht in Frage, weil er keine Chance in der CDU hat, die ihm viele seiner Eskapaden und Kritiken nicht verzeiht, sondern der erst 45-jährige Karl-Theodor von und zu Guttenberg. Nach seinem nicht freiwilligen Rückzug aus der Politik aufgrund eines Plagiatsvorrufs und der damit verbundenen Aberkennung des Doktorats arbeitet er fleißig an einem Comeback. Wie nicht nur auf den Society-Seiten der Gesellschaftspresse verfolgt werden kann.