Dienstag, 3. Dezember 2024
Startseite / Allgemein / Quoten lösen das Migrationsproblem sicher nicht

Quoten lösen das Migrationsproblem sicher nicht

Verträgt sich Erpressung mit den derzeit vielzitierten europäischen Werten? Kann man Menschen einfach nach Quoten aufteilen? Verhalten sich die Osteuropäer in der EU unfair – oder tun das etwa Deutschland & Co?

Die EU ist in diesen Wochen mit existenziellen Fragen konfrontiert, die alle bisherigen Herausforderungen weit in den Schatten stellen (einschließlich der noch in keiner Weise bewältigten Doppelkrise Euro+Griechenland, die ja nur bis zu den griechischen Wahlen eingefroren war).

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die EU bei den neuen Herausforderungen dramatisch scheitert. Dennoch muss man sie diesmal in Schutz nehmen: Die EU selbst ist in keiner Weise schuld an den Ursachen der der Völkerwanderungskrise (einzelne EU-Länder wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien sind es freilich sehr wohl). Ihre Mitgliedsstaaten haben bisher auch noch keinerlei Vertragsvereinbarungen zustande gebracht, die die EU-Kommission verpflichtet – oder es ihr auch nur ermöglicht hätte, diese Krise zu lösen. Die EU hat nur den einzigen Fehler gemacht, dass sie sich im Frühjahr das Verschulden an den Schiffs-Untergängen im Mittelmeer anhängen hat lassen. Was dann einen verstärkten EU-Marineeinsatz ausgelöst hat, der dann den Flüchtlingsstrom weiter verstärkt und das Geschäft der Schlepper ertragreicher gemacht hat.

Wir haben es vielmehr mit einem multiplen Versagen mehrerer europäischer Staaten zu tun, zu dem auf europäischer Ebene auch noch katastrophale Urteil der beiden Gerichtshöfe in Straßburg und Luxemburg zu zählen sind, die das Tor für die unkontrollierte Immigration nach Europa immer weiter geöffnet haben.

Deutschland und Österreich versuchen, einen Teil der auf ihr Territorium strömenden Flüchtlingsmassen auch auf andere EU-Länder umzuladen. Es ist auch durchaus legitim, dass die EU-Kommission dazu schon mehrere Vorschläge gemacht hat. Nur sind Vorschläge eben nur Vorschläge. Beides ist aber kaum mehr als eben ein netter Versuch.

Denn es ist völlig klar: Es gibt keinerlei Verpflichtungen anderer EU-Länder, eine Quote an Flüchtlingen zu übernehmen. Und die neuerdings irgendwie immer mitschwimmende Vorstellung, dass die EU-Kommission eine absolutistische Überregierung mit generellem Durchgriffsrecht wäre, ist grotesk und entspricht in keiner Weise den Verträgen oder dem Willen der meisten Europäer.

Die Quoten-Forderung Richtung Osteuropa ist in den letzten Wochen daher auch immer nur mit völlig vagen und nie definierten Begriffen wie „Europäische Werte“ und „Solidarität“ begründet worden. Diese Begriffe klingen nett, sind aber inhaltsleer. Es gibt auch keine moralische Verpflichtung, obwohl das in deutschen und österreichischen Medien und Politik-Aussagen ständig suggeriert wird.

Die Argumente der Osteuropäer

Die (leider im Westen kaum verbreitete) Argumentation der Osteuropäer umfasst gleich eine Reihe von starken Punkten, weshalb sie jede Quoten-Verpflichtung ablehnen:

  1. Erstens sagen die Osteuropäer zu Recht: Wenn wir Flüchtlinge aufnehmen, dann primär solche aus unserer eigenen europäischen Nachbarschaft, also aus der Ukraine, wo ebenfalls Hunderttausende auf der Flucht sind; wir fühlen uns primär unserer Nachbarschaft verpflichtet.
  2. Zweitens stimmt auch die zweite Argumentationslinie weitgehend, dass Osteuropa mit der islamischen Welt, mit den – zahllosen – afrikanischen und asiatischen Ursachen der Völkerwanderung im Gegensatz zu etlichen süd- und westeuropäischen Ländern absolut nichts zu tun hat.
  3. Drittens ist zumindest nachzuvollziehen, dass die Osteuropäer nach Jahrzehnten ungebetener sowjetischer Besatzer nicht 25 Jahre später andere ungebetene Gäste auf ihrem Territorium aufgezwungen bekommen wollen.
  4. Viertens sagen sie ebenfalls zu Recht, dass die nach Europa strömenden asiatischen und afrikanischen Millionen ja gar nicht in den noch immer relativ ärmeren Osten Europas wollen, sondern ganz überwiegend nur nach Deutschland, Schweden, Österreich. Das zeigt sich schon daran, dass Österreich seit Monaten nicht einmal 500 Asylwerber findet, welche die Slowakei (vorübergehend) abzunehmen bereit wäre. Eine aufgezwungene Quotenaufteilung würde auch sofort die Frage aufwerfen, ob Tschechen, Slowaken, Polen & Co dann etwa die Menschen, die bei ihnen landen, vielleicht zwangsweise einsperren sollen, damit sie nicht wieder Richtung der drei gelobten Länder abhauen.
  5. Fünftens wird die Behauptung einer moralischen Verpflichtung der Osteuropäer endgültig ad absurdum geführt, wenn man sich daran erinnert, dass sich die Iren, Briten und Dänen EU-Vertragsklauseln verschafft haben, denen zufolge sie weder bei der Schengen-Grenzfreiheit noch bei einer eventuellen Quotenaufteilung dabei sein müssen. Es ist völlig ausgeschlossen, den Osteuropäern eine moralische Pflicht zu vermitteln, bei einer von ihnen total abgelehnten Quotenaufteilung mitzumachen, während drei viel reichere EU-Länder von vornherein von dieser moralischen Pflicht dispensiert wären.
  6. Und sechstens sagen dort viele: Wenn sich Angela Merkel jetzt überall als die Urmutter aller Gutmenschen feiern lässt, weil sie ohne uns zu fragen, eine De-Facto-Einladung an alle Syrer gerichtet hat, nach Deutschland zu kommen, was naturgemäß Millionen Migranten Richtung Europa in Bewegung gesetzt hat, dann soll sie bitte jetzt auch die Suppe ihres unbedachten Handelns alleine auslöffeln.

Die Erpressung

Soweit so überzeugend. Nur: Alle diese osteuropäischen Länder sind auch Empfänger von substanziellen Geldern aus der EU. Der Wiener Regierungschef Faymann und etliche andere haben deshalb versucht, die Osteuropäer einfach vor die Alternative zu stellen: Entweder ihr akzeptiert die Quote, oder es gibt kein EU-Geld mehr.

Das ist nackte Erpressung. Würde die Drohung wirklich realisiert, dann wäre das mit Sicherheit das Ende der EU. Zwar findet hinter Polstertüren der Union des Öfteren etwas statt, was auf Erpressung hinausläuft. Aber seit Faymann diese Erpressung öffentlich ausgesprochen hat, kann keine einzige Regierung Osteuropas da mehr nachgeben. Da würde sie nicht nur total ihr Gesicht verlieren; da würden auch mindestens 80 Prozent ihrer Bürger dagegen revoltieren.

Für Österreich ist dieses Vorpreschen Faymanns – ebenso wie sein ungeheuerlicher Holocaust-Vorwurf an Ungarn – ohnedies eine außenpolitische Katastrophe. Denn damit ist unglaublich viel Porzellan in der gesamten für Österreich so wichtigen Nachbarschafts-Region zerschlagen worden. Das einzige erkennbare Motiv, warum Faymann das öffentlich getan hat, waren ein paar Wahlkampf-Schlagzeilen im Boulevard.

Eine echte Erpressung der Osteuropäer wäre noch aus einem anderen Grund undenkbar: Sie würde total gegen sämtliche EU-Verträge verstoßen. Auf die europäischen Strukturmittel gibt es einen klaren Rechtsanspruch, auf die Zustimmung zu einer Quotenaufteilung jedoch nicht.

Außerdem: Auch Griechenland und Italien bekommen viele EU-Milliarden. Dabei sind es diese beiden Länder, die am eklatantesten EU-Recht verletzen. Sie registrieren rechtswidrig nicht die Hunderttausenden Migranten bei der Einreise in die EU, sondern schieben sie vielmehr rasch Richtung Norden weiter.

Kein Osteuropäer versteht, warum ihnen gedroht wird, während diese eklatante Rechtsverletzung der beiden Südländer hingegen nicht einmal Kritik auslöst. Geschweige denn eine öffentliche Erpressung.

Merkel lenkt ein

Aus all diesen Gründen hat nun die deutsche Regierungschefin zumindest vorerst und nach außen die Notbremse gezogen und dekretiert: Man werde kein EU-Mitglied zu einer Quote zwingen. Sondern es werde nur freiwillige Asylantenaufnahmen geben.

Aber selbst wenn die wochenlang von vielen Politikern zwischen Wien und Paris als Wunderdroge angepriesene Quote schließlich doch käme: Die Aufteilung von 120.000 oder 160.000 Flüchtlingen auf andere EU-Staaten löst überhaupt kein Problem, wenn man sich bewusst macht, dass allein nach Deutschland heuer eine Million kommen wird, wie selbst SPD-Chef Gabriel schon zugegeben hat.

Das enthüllt endgültig den Charakter der ganzen Quotendebatte: Sie ist genauso wie das ständige Ungarn-Bashing ein reines Ablenkungsmanöver, um von den vielen Fehlern vor allem der deutschen und österreichischen – aber auch vieler anderer – Regierungen abzulenken.

  1. Um davon abzulenken, dass die EU-Länder die Außengrenze der Union nicht schützen.
  2. Um davon abzulenken, dass sie die riesigen Flüchtlingslager im Nahen Osten und die davon ausgehende Gefahr jahrelang ignoriert haben.
  3. Um davon abzulenken, dass vor allem Deutschland und Österreich kein funktionierendes Integrationsprogramm haben.
  4. Um davon abzulenken, dass Europa die einzig halbwegs erfolgversprechenden militärischen Strategien ignoriert, den Islamischen Staat zu bekämpfen, der einen Teil der jetzigen Flüchtlinge vertrieben hat. Das wäre zum einen eine massive Unterstützung der kurdischen PKK; das stößt aber auf ein türkisches Veto. Das wäre zum anderen eine Unterstützung für den syrischen Diktator Assad, der vor allem von den syrischen Christen und Alewiten als Schutzpatron gesehen wird. Schließlich hat sich die freie Welt ja einst auch mit dem Diktator Stalin verbinden müssen, um den Diktator Hitler zu besiegen. Und so übel und blutrünstig wie einst Stalin ist Assad trotz aller Grausamkeiten nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren

Der zentrale Mythos Europas: das Fahrrad

Eine der ältesten Metapher zur Erklärung der EU ist jene vom Radfahrer. Sie wurde auch schon zu Zeiten von EG und EWG verwendet. Ihr Inhalt: Die EU müsse ständig nach vorne weiterfahren, sonst würde sie umfallen. Und rückwärts fahren geht überhaupt nicht.